Tabletten und Kapseln für Kinder?

Amoxicillin-Engpass – Empfehlungen der Arzneimittelbehörden aus Frankreich und UK

Stuttgart - 09.12.2022, 15:15 Uhr

Auch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat im November auf einen Engpass bei Amoxicillin-Pulver zur Herstellung von Suspensionen aufmerksam gemacht. (s / Foto: IMAGO / ZUMA Wire)

Auch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat im November auf einen Engpass bei Amoxicillin-Pulver zur Herstellung von Suspensionen aufmerksam gemacht. (s / Foto: IMAGO / ZUMA Wire)


Laut der französischen Arzneimittelbehörde ANSM betreffen die Amoxicillin-Engpässe ganz Europa, sowie andere internationale Märkte. Die Situation soll eine Folge der COVID-19-Pandemie sein, in der kaum noch Amoxicillin benötigt und entsprechend weniger hergestellt worden ist. In Großbritannien verschärft derzeit zusätzlich eine ungewöhnlich hohe Zahl an Scharlach-Fällen die Antibiotika-Liefersituation. Wie können Ärzt:innen und Apotheker:innen dem Antibiotika-Lieferengpass begegnen?

Amoxicillin ist knapp in deutschen Apotheken, das ist mittlerweile allgemein bekannt. Anders als beim Antibiotikum Cotrimoxazol sah das Bundesinstiut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Oktober für Amoxicillin aber keinen Handlungsbedarf, weil es weit mehr Zulassungen zu amoxicillinhaltigen Arzneimitteln als zu cotrimoxazolhaltigen Arzneimitteln gibt. Auch Sandoz – hauptsächlich vom Amoxicillin-Engpass betroffen – zeigte sich optimistisch, dass sich die Situation bald wieder bessern würde. 

Doch Ende November warnte auch Arzneimittelhersteller Infectopharm vor einer allgemein gefährdeten Antibiotika-Versorgung von Kindern im Winter – und wer die internationalen Medien verfolgt, dem wird deutlich, dass der Amoxicillin-Engpass sich keineswegs auf Deutschland beschränkt.

Speziell in Großbritannien dürfte sich der Amoxicillin-Engpass dadurch verschärfen, dass es dort aktuell zu überdurchschnittlich vielen Fällen von Scharlach (A-Streptokokken-Infektionen) kommt. Der „Specialist Pharmacy Service“ in Großbritannien (ein Teil des NHS = National Health Service) hat vergangenen Mittwoch nun eine Stellungnahme veröffentlicht, in der angesichts von Antibiotika-Engpässen zur Verwendung fester oraler Darreichungsformen bei Kindern geraten wird – wo möglich. Es wird dazu auf zwei Webseiten verwiesen, die (in einem Video) erklären, wie man Kindern Tabletten und Kapseln am besten verabreicht. Zusätzlich gibt es eine Webseite, auf der Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens lernen können, wie man Kindern beibringt, Tabletten zu schlucken. Unterstützt wird das ganze beispielsweise mit einem Comic

Man kann kein konkretes Alter benennen, ab dem Kinder sicher feste orale Arzneiformen schlucken können. Bei normalem Entwicklungsstatus geht man davon aus, dass zwischen sechs und sieben Jahren zuverlässig geschluckt werden kann – die Spanne ist jedoch nach oben und unten groß. Und so wird auch in Großbritannien erklärt, wie man Tabletten und Kapseln (im Off-Label-Use) für Kinder zerkleinern und dispergieren kann.

Beratungs-Quickie

Einfach nur schlucken?

Interpharm 2019 Stuttgart

Wie kriegt man Arzneimittel ins Kind?

 Zu folgenden Antibiotika listet der NHS entsprechende Handlungsanweisungen auf:

  • Phenoxymethylpenicillin-(Penicillin V)-Tabletten
  • Clarithromycin-Tabletten
  • Erythromycin-Tabletten
  • Amoxicillin-Kapseln
  • Azithromycin-Kapseln und -Tabletten und
  • Cefalexin-Kapseln und -Tabletten

Da die Antibiotika ohne ihre Tabletten- oder Kapselhüllen bitter schmecken, wird zudem darauf hingewiesen, den Geschmack beispielsweise mit Marmelade, Apfelmus oder Joghurt zu überdecken.

ANSM: Antibiotika-Einsatz grundsätzlich reduzieren

Und auch die französische Arzneimittelbehörde ANSM (Agence nationale de securité du médicament et des produits de santé) hat Empfehlungen veröffentlicht, die dazu beitragen sollen, die Versorgung mit Amoxicillin sicherzustellen. Diese wurden am vergangenen Donnerstag um den Hinweis auf Empfehlungen zu trinkbaren Amoxicillin-Alternativen ergänzt, welche verschiedene französische Expertengruppen gemeinsam herausgeben. Darin wird dazu aufgerufen, die Antibiotika wirklich nur dort einzusetzen, wo sie auch indiziert sind und über kürzere Behandlungsdauern nachzudenken. Die ANSM betont auf ihrem Internetauftritt, dass Antibiotika bei viralen Infektionen wie einer Bronchiolitis, Grippe, COVID-19, Nasopharyngitis und der überwiegenden Mehrheit von Angina und Mittelohrentzündung nicht helfen. 

Dies entspricht auch der grundsätzlichen Empfehlung einer deutschen S3-Leitlinie zu Halsschmerzen (sie gilt für Kinder ab dem dritten Lebensjahr). Darin heißt es unter anderem: „Eine Erreger-Eradikation als Ziel der antibiotischen Behandlung einer bakteriellen Tonsillopharyngitis sollte nur bei einem erhöhten individuellen Risiko für Komplikationen angestrebt werden. Die Einnahmedauer beträgt in diesem Fall 10 Tage (Wirkstoff: Penicillin V oder Clarithromycin).“ 

Von der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) gibt es ebenso Äquivalenzdosistabellen für Antibiotika für Kinder – auch speziell zur Indikation der Tonsillopharyngitis

Apotheken sollen in Frankreich bei der Diagnose unterstützen

Apotheker:innen fordert die ANSM auf, darauf zu achten, dass bei akuter Angina vor der Antibiotika-Verordnung ein diagnostischer Schnelltest (Test rapide d'orientation diagnostique (TROD) de l'angine) durchgeführt worden ist, oder diesen im Zweifel ab zehn Jahren auch selbst durchzuführen. Wo möglich, sollen Antibiotika einzeln dispensiert werden oder nur Fünf-Tages-Packungen abgegeben werden, wie sie für die gängigsten Infektionen benötigt werden.

Zur Engpass-Situation erklärt die ANSM: „Diese Spannungen betreffen ganz Europa, sowie andere internationale Märkte.“ Die Situation soll eine Folge der Pandemie sein, in der kaum noch Amoxicillin benötigt und entsprechend weniger hergestellt worden ist. Medienberichte bestätigen, dass der Engpass über Europa hinausreicht, beispielsweise auch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat im November auf einen Engpass bei Amoxicillin-Pulver zu Herstellung von Suspensionen aufmerksam gemacht. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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