Interview mit Benedikt Bühler, Rathaus-Apotheke Karlsruhe

„Bei der Rezeptab­rechnung geht es nur darum, die alten Strukturen nicht anzutasten“

30.12.2024, 07:00 Uhr

(Foto: DAZ/Schelbert)

(Foto: DAZ/Schelbert)


Er ist gerade mal 25 Jahre jung und hat bereits eine bemerkenswerte Karriere hinter sich: Benedikt Bühler will frischen Wind in die Branche bringen, das ist der Motor hinter seinem vielfältigen branchenpolitischem Engagement. Sein derzeitiges „Lieblingsprojekt“ ist die Direktabrechnung mit den Kassen, wofür er sich nicht nur Freunde gemacht hat. Die Kollegen vom AWA haben den umtriebigen Pharmazeuten in Karlsruhe besucht und wollten von ihm unter anderem wissen, wie viel Reibung entsteht, wenn „jugendliche Energie“ auf „antike Standesstrukturen“ trifft.

AWA: Warum wollen Sie es sich antun, Ihre Rezepte in Zu­kunft mit bis zu 95 Kranken­kassen direkt abzurechnen? Ist das Ausdruck Ihres digi­talen Spieltriebes, oder sind Sie trotz Ihres vielfältigen Engagements zu wenig aus­gelastet, Herr Bühler?

Benedikt Bühler: Das Re­zeptabrechnungs-System steht auf wackeligen Beinen, das ha­ben viele Apotheken bei der AvP-Plei­te schmerzhaft erfahren müssen. Im Falle des Falles auf die Politik zu ver­trauen, hat sich leider als Trugschluss erwiesen.

Bei der Direktabrechnung bin ich als Apothekeninhaber alleiniger Inhaber der Forderungen, und die Rezepte ge­hören jederzeit mir. Ein weiteres ge­wichtiges Argument für die Direktab­rechnung ist, dass sich meine Liquidi­tät substanziell verbessert, wenn ich meine Arzneimittelrechnungen von den Krankenkassen wöchentlich – perspektivisch sogar täglich – erstat­tet bekomme und nicht bloß einmal monatlich in gebündelter Form von den Abrechnungszentren (ARZ).

Kritiker der Direktabrechnung argu­mentieren genau andersrum: Nach ihrer Lesart würde die Liquidität der Apotheken massiv gefährdet, weil die Krankenkassen eine schlechte Zahlungsmoral hätten.

 

Benedikt Bühler: Das ist für mich ein vorgeschobenes Argument, das die ARZ als künstliches Schreckge­spenst an die Wand malen. Nach meinen Erfahrungen ist die Zahlungs­moral der Krankenkassen hervorra­gend. Alles andere wäre auch überra­schend: Als Körperschaften des öf­fentlichen Rechts (KdöR) müssen sie sich selbstverständlich an die gesetz­lichen Vorgaben halten und Rezept­rechnungen laut SGB V § 130 inner­halb einer Frist von zehn Tagen be­gleichen. Falls nicht, kann man eine Beschwerde bei der Kassenaufsicht einreichen, und das versuchen die Kassen tunlichst zu vermeiden.

Schließlich gibt es noch einen weite­ren Hebel dafür, dass die Kassen frist­gerecht zahlen: Tun sie das nicht, müssen sie nämlich den Kassenab­schlag zurückzahlen. Ich habe das schon in der Praxis durchexerziert – durchaus mit Erfolg.

Wie viel Begeisterung schlägt Ihnen von Seiten der Kassen entgegen, wenn die in Zukunft mit 17.000 Apo­theken statt mit anderthalb Dutzend ARZ abrechnen sollen? Machen alle Kassen mit, oder gibt es auch welche, die „verweigern“?

Benedikt Bühler: Ich mache mich gerade richtig unbeliebt – beim LAV Baden-Württemberg aufgrund der historisch bedingten Nähe zur VSA und bei den Krankenkassen sowieso. Am meisten Widerstand kommt aber von den Pharmaherstellern.

Dass es für die Kassen mit einem hö­heren Aufwand verbunden ist, mit ein­zelnen Apotheken abzurechnen, mag schon sein – ich kann mich aber nicht entsinnen, dass die Kassen viel dafür tun, unseren Aufwand gering zu hal­ten. Die gesetzliche Grundlage ist je­denfalls klar: Laut § 300 Absatz 2 Satz 1 SGB V können Apotheken ihre Abrechnung an die Rechenzentren auslagern, sie müssen es aber nicht tun. Auch der Rahmenvertrag sieht vor, dass Sammelrechnungen aus den ARZ genauso zulässig sind wie Einzel­rechnungen aus Apotheken. „Totalver­weigerer“ haben wir keine.

„Der größte Widerstand kommt aus der Pharmaindustrie“

Warum kommt der stärkste Widerstand von Seiten der Pharmaindustrie?

Benedikt Bühler: Die bekommen bislang eine kostenlose monatliche Abrechnung von den rund 18 ARZ. Der hohe Aufwand für das Inkasso des Herstellerrabatts bleibt an den Apotheken hängen, ohne dass sie da­für entschädigt werden. Natürlich ha­ben die Hersteller keinerlei Interesse daran, dass sich an dieser für sie so komfortablen Situation etwas ändert.

Wie hoch fallen die jährlichen Kosten einer Durchschnittsapotheke zur Auf­rechterhaltung der bisherigen Rezept- Abrechenpraxis aus?

Benedikt Bühler: Wenn die durch­schnittliche Apotheke monatlich zwi­schen 300 und 500 € an ihr ARZ über­weist, dann ergibt das bei 17.000 Apothekenbetrieben aufs Jahr hochge­rechnet ca. 100 Mio. für ein längst überholtes Geschäft. An diesem Punkt muss auch die Frage gestellt werden, warum bei der PKV und Beihilfen der ersetzende Scan schon mehr als ein Jahrzehnt zulässig ist und die Apothe­ken nach wie vor Tonnen an Papier durch die Bundesrepublik schicken.

„Umstellung auf eine Di­rektabrechnung bedeutet zunächst einen Rie­senaufwand“

Was Sie dabei völlig ausblenden, ist der immense Mehraufwand, den es für eine Apotheke bedeutet, ihre Rezepte statt mit einem ARZ mit bis zu 95 Kran­kenkassen einzeln abzurechnen.

Benedikt Bühler: Es steht außer Fra­ge, dass die Umstellung auf eine Di­rektabrechnung zunächst einen Rie­senaufwand bedeutet. Hier sehe ich mich in einer Vorreiterrolle.

In unserer Rathaus-Apotheke in Gröt­zingen rechnen wir zurzeit mit insge­samt 52 Kassen wöchentlich ab. Noch wird von Scanacs im Hinter­grund für jede Abrechnung eine Pa­pierrechnung erstellt und per Post an die Kassen versandt. Dieser Mehrauf­wand entfällt jedoch ab 1.1.2025: Zu diesem Stichtag wird der Empfang der E-Rechnung verpflichtend einge­führt, und wir werden auf eine tägli­che Abrechnung umstellen. Durch die Integration in Datev mit integrierter Blindverbuchung und Mahnung wird dann ein großer Teil der Rezeptab­rechnung automatisiert ablaufen.

Wenn man den hohen Aufwand, den Sie gerade beschrieben haben, und die Kosten gegenüberstellt, dann sind die 5.000 €, die eine Apotheke im Durchschnitt für eine gebündelte Re­zeptabrechnung über ein ARZ pro Jahr bezahlt, vielleicht doch ganz gut inves­tiertes Geld. Außerdem lassen sich Direktabrechner wie Scanacs ihre Dienstleistung ja auch bezahlen.

Benedikt Bühler: Der große Auf­wand ist vor allem jetzt am Anfang – so wie bei jeder fundamentalen Um­stellung. Sobald sich die Prozesse mit der E-Rechnung und der Blind­verarbeitung eingestellt haben, läuft das Thema Abrechnung im Hinter­grund. Neben der Einsparung von rund 5.000 € kommt dann noch die Liquiditätserhöhung hinzu. Und die Sicherheit am Eigentum der Rezepte ist mit Blick auf die AVP-Pleite einer der wichtigen Punkte. Daher lohnt sich eine Umstellung auf jeden Fall. Klar, Anbieter wie Scanacs müssen – genauso wie die ARZ – in Zukunft zeigen, worin der Mehrwert ihrer Lö­sung liegt. Ein erster wichtiger Schritt ist, dass die Abrechnungs­gebühr nicht prozentual sondern pro Abrechnung bemessen wird.

Perspektivisch sehe ich die Abrech­nung im digitalen Zeitalter in der Apo­thekenverwaltungssoftware - in Kom­bination mit der TI (Stichwort KIM) – angesiedelt. Das muss Bestandteil einer zukunftsfähigen Software sein.

Seit der flächendeckenden Einfüh­rung des E-Rezepts ist der mit Ab­stand größte Aufwand für die Abre­chenzentren – das bundesweite Einsammeln und Scannen von jähr­lich 500 Mio. Muster-16-Vordrucken – weggefallen. Dennoch sind die Ab­rechnungsgebühren für die Apothe­kenkunden nicht gesunken, sondern sogar noch leicht gestiegen. Recht­fertigen die teuren hybriden Doppel­strukturen ein solches Verhalten, oder ist das schlicht Abzocke?

Benedikt Bühler: Bei der Rezeptab­rechnung geht es meines Erachtens nur darum, die alten Strukturen nicht anzutasten und die oft standeseige­nen ARZ zu schonen. Und dafür sol­len die Apotheken 100 Mio. € pro Jahr bezahlen. Ich finde, da wird die fehlende Fachkenntnis der Apothe­ker schamlos ausgenutzt. Der DAV hätte schon vor Jahrzehnten den er­setzenden Scan mit dem GKV-Spit­zenverband aushandeln können.

Themenwechsel. Wenn Apotheker zur Blutdruckmanschette greifen, sprechen sie neuerdings von einer „pharmazeutischen Dienstleistung zur standardisierten Risikoerfassung von hohem Blutdruck“. Was verrät uns diese Wortakrobatik? Wer soll beeindruckt werden?

Benedikt Bühler: Ich finde diese „Wortakrobatik“, wie Sie es nennen, nur peinlich. Damit macht man sich doch lächerlich! Die Blutdruckmes­sung so wie sie nach der Leitlinie der BAK beschrieben ist, schießt für mich persönlich auch über das Ziel hinaus. Wichtiger wäre es gewesen das Erklä­ren und Einrichten eines neuen Blut­druckmessgeräts sowie eine jährli­che Überprüfung zu vergüten. Die Pa­tienten sollen in Eigenverantwortung gebracht werden. Wer mit dieser Wortwahl beeindruckt werden soll, bleibt für mich offen.

„Eine unauffällige Medikationsanalyse  ist doch gera­de gut für den Patienten!“

Wie sieht Ihre persönliche Strategie aus, um mit den pDL in der Rathaus- Apotheke ausreichend hohe De­ckungsbeiträge zu erwirtschaften?

Benedikt Bühler: Am meisten Po­tenzial sehe ich in der Polymedikati­onsanalyse. Wir machen davon rund 100 im Monat und stärken damit so­wohl die Kundenbindung als auch das Betriebsergebnis. Hier zeigt sich ei­nes der Grundprobleme unseres Be­rufsstands: Ein Großteil der Apothe­ker ist viel zu stark problem- und zu wenig lösungsorientiert. Anstatt sich ausschließlich auf die aufwändigen Fälle zu fokussieren, lohnt es sich umzudenken: Wenn eine PMA unauf­fällig verläuft, dann ist es doch gera­de gut für den Patienten! Nicht grund­los gibt es die Routine-Checkups ab einem bestimmten Alter. Um es posi­tiv zu formulieren: Ein Großteil der PMA-Patienten sind gut eingestellt. Das ermöglicht dann auch die Bera­tung komplizierter Fälle. In Summe ist es also eine Mischkalkulation, über die sich die Apotheke profilieren kann und muss. Dasselbe gilt für die Inha­latorschulung: Wenn ich merke, dass der Patient den Inhalator beherrscht und mir das kurz direkt am HV vor­führt – umso besser. Zum Schluss eben noch eine Unterschrift – wir sind schließlich in Deutschland – und alle sind zufrieden. Und am besten gleich in der Warenwirtschaft vermer­ken, dass man den Kunden in einem Jahr wieder anspricht.

Wie bewerten Sie in diesem Kontext, dass sich in dem für die pDLs eigens eingerichteten Fonds zwischenzeit­lich gut 350 Mio. € angesammelt ha­ben, weil die Vergütung angeblich zu gering und das Personal knapp ist?

Benedikt Bühler: Da sind 350 Mio. € im Topf, die nicht abgerufen werden, und wir gehen hin und for­dern lautstark mehr Geld. Das ver­steht niemand. Genauso regelmä­ßig wird eine Entbürokratisierung gefordert. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir doch zugeben, dass wir selbst stark dazu beitra­gen, dass alles immer noch kompli­zierter und bürokratischer wird. Die Leitlinien der ABDA zu den pDL sind das beste Beispiel: Obwohl die Me­dikationsanalyse zu den unbestrit­tenen Kernkompetenzen eines je­den approbierten Apothekers gehö­ren, wird hier jeder Handgriff bis ins Kleinste festgeschrieben; und nach einer fünfjährigen akademischen Ausbildung wird plötzlich eine Wei­terbildung für eine Analyse vorge­schrieben. So wird es tatsächlich schwer mit dem Geld Verdienen…

Sie haben sich schon früh in der Standespolitik engagiert, u. a. im Landesapothekerverband Baden- Württemberg. Wieviel Zuspruch, wieviel Widerstand erfahren Sie für Projekte wie die Direktabrech­nung, die eine ganz neue Richtung einschlagen?

Benedikt Bühler: Es gibt einigen Widerstand gegen die Direktabrech­nung, aber unter Reibung entsteht bekanntlich Wärme…

Ich bin überzeugt: Man muss das System der Standesvertretung von innen heraus reformieren, auch wenn das nicht einfach ist. Ich en­gagiere mich in den verschiedenen Gremien nicht, um beliebt zu sein. Ich will kein Amt, sondern im Sinne der Apotheken etwas zum Positi­ven verändern.

Erst kürzlich wurden Sie zum neuen Vorstand des Verbands Innovativer Apotheken (VIA) gewählt. Welche „in­novativen Projekte“ stehen auf Ihrer Prioritätenliste ganz oben?

Benedikt Bühler: Oberste Priorität hat für mich die Kompetenzerweite­rung der Vor-Ort-Apotheken. Wir müssen z. B. die Diagnostik wieder stärker in die Apotheken bringen. Schnelltests können da nur ein ers­ter Schritt sein. Auch Vollblut-Ana­lysen und verschiedene PCR-Tests sind bei uns perfekt aufgehoben – verfügen Apotheken doch über die entsprechende Erfahrung und Infra­struktur (Stichwort eigenes Labor). Selbstverständlich bleibt die Dia­gnostik den Ärzten vorbehalten. Doch haben die sicher nichts dage­gen, wenn wir ihnen die Analytik weitgehend abnehmen. Und warum nicht gleich die telemedizinische Diagnose an den Test in der Apo­theke anschließen?

Neben ansonsten wohl überlegten Forderungen hat der VIA im Sommer ein Rx-Fixum von 15 € gefordert und damit sogar die ABDA in ihrer „Para­dedisziplin“ (Realitätsferne) haushoch geschlagen. Was hat Sie und Ihre Kol­legen/innen denn da geritten?

Benedikt Bühler: Dieser Wert ist zugegeben sehr hoch gegriffen, in­sofern gehen wir realistischerweise auch nicht davon aus, dass es so kommen wird. Unser Ziel war es vielmehr, mit den 15 € das breite Leistungsspektrum der Apotheken widerzuspiegeln, von dem viele Leistungen bekanntlich gar nicht oder nur unzureichend vergütet werden.

Das beginnt beim Inkasso für die Herstellerrabatte und geht über den immensen Mehraufwand beim Lie­ferengpass-Management bis hin zum Ausfallrisiko und den Kosten z. B. für die Kreditkartenzahlung, die an uns hängenbleiben. Und dann kommen noch die hohe Inflation der letzten zwei Jahre sowie die stark ge­stiegenen Personalkosten dazu.

Ihre persönliche Leidenschaft gilt der Prozessoptimierung und Digitali­sierung. Frei nach der Devise: Wenn es schon nicht mehr Geld gibt, dann müssen eben die Kosten runter. Bei welchen Prozessen wird in der Apo­thekenpraxis am meisten Zeit/Geld „verbrannt“?

Viel Potenzial sehe ich nach wie vor in einer stärkeren 
Automatisierung  der Backof­fice-Abläufe. Da werden auch neue KI-basierte Lösungen – Stichwort Robotic process automation (RPA – in Zukunft eine größere Rolle spie­len. Ebenfalls viel Zeit und damit Geld „verbrannt“ wird in dem gan­zen Rezeptabrechnungsprozess, da­her kommt ja auch mein Engage­ment für die Direktabrechnung.

Unnütze Kosten verursacht außer­dem die z. T. noch antiquierte Kom­munikation mit den Krankenkassen: Da werden immer noch Kostenvor­anschläge per Fax hin- und herge­schickt. Es ist höchste Zeit, dass die sichere Kommunikation über KIM auch für die Kassen verbindli­cher Standard wird!

Dass das Tagesgeschäft in der Offi­zin – von der Entgegennahme des (E-)Rezepts über das Eintippen in den PC bis hin zum Griff in den Aus­gabeschacht des Kommissionierers – zu einem guten Teil automatisie­rungsfähig ist, ist (leider) Fakt. Wie stehen Sie in diesem Kontext zu einer stärkeren Automatisierung bei der Arzneimittelabgabe innerhalb und außerhalb der Apotheke?

Benedikt Bühler: Persönlich bin ich ein großer Fan von Terminal-Lösun­gen: Hier kann der Patient wie bei Fastfood-Restaurants in aller Ruhe eine Vorauswahl treffen, was er ge­nau möchte – Stichwort Rabattver­trag „die gelbe Packung“. Falls das verordnete Medikament gerade nicht lieferbar ist, kann die Software von den Rabattverträgen abweichende Al­ternativvorschläge machen und auch gleich mit dem Preis für die ggf. fälli­ge Zuzahlung hinterlegen.

Allerdings sollten die Terminals in der Apotheke gewählt platziert sein und die pharmazeutische Beratung darf nicht darunter leiden – außer­halb der Apothekenräume sehe ich das Ganze sehr kritisch.

Lernen am Misserfolg ist dem Grunde nach eine der effektivsten Form des Lernens, weil anhaltendes Scheitern einen hohen Leidensdruck erzeugt. Die Apotheker halten aber lieber die­sen Leidensdruck tapfer aus, anstatt der ABDA den Spiegel ihres Schei­terns vorzuhalten. Warum ist das so?

Benedikt Bühler: Man hört oft: Die bemühen sich doch so sehr. Auch wenn der olympische Gedanke toll ist, was hier allein zählt, sind die Er­gebnisse! Wir brauchen Gold und keine Teilnehmerurkunde! Was wur­de von der ABDA in den letzten zehn Jahren nicht alles gefordert. Und was wurde tatsächlich erreicht? Sehr wenig. Die größte Schlappe wirkt heute noch schmerzlich nach: Obwohl das Versandhandelsverbot seinerzeit im Koalitionsvertrag ge­standen war, hat es die ABDA nicht geschafft, dafür zu sorgen, dass die­ses auch durchgesetzt wird.

„Um bei der ABDA Karriere zu machen, muss man sich wie ein 'Parteisoldat' hochdienen“

Auch wenn Sie das als Apotheker streng genommen gar nicht dürfen, so bitte ich Sie ausnahmsweise doch um eine Diagnose, Herr Büh­ler: Woran krankt unsere Standes­vertretung? Und welche Therapie würden Sie vorschlagen?

Benedikt Bühler: Zum einen sind die Strukturen der ABDA kompliziert und verkörpern so ziemlich das Gegenteil einer flachen Hierarchie. Um Karriere zu machen, muss man sich wie ein „Parteisoldat“ hochdienen. Wider­spruch und abweichende Meinungen sind dabei wenig förderlich. Das ist nicht unbedingt das Klima, in dem eine gesunde Selbstreflexion ge­deiht. So kommt es, dass Funktionä­re mitunter Aufgaben übernehmen, für die sie wenig Fachkompetenzen mitbringen. Das ist eine extreme Ge­fahr für den gesamten Berufsstand.

Zum anderen ist es meine feste Überzeugung, dass wir knallharte Lobbyisten und Ökonomen brau­chen, um unsere Positionen im poli­tischen Berlin durchzusetzen. Wir sagen denen unsere Ziele und Vor­gaben – und das Verhandeln über­lassen wir dann komplett ihnen, weil sie da die Profis sind. Ein Blick auf andere Verbände zeigt, dass das ein gutes System ist.

Dann würden manche Verträge mit den Krankenkassen vermutlich deut­lich anders aussehen.

Benedikt Bühler: Oder gar nicht erst zustandekommen, wenn die Nachtei­le aus Apothekersicht überwiegen. Nehmen wir das Reizthema der Re­taxationen: Wenn die Kassen z. B. auf­grund einer fehlenden Dosierungsan­gabe des Arztes den Apotheker auf null retaxieren, dann kann man das nicht den Kassen ankreiden.

Schließlich stehen unter den Verträ­gen die Unterschriften beider Ver­tragsparteien – als auch die des Deutschen Apotheker Verbands. Den Hilferuf nach der Politik kann ich des­halb nur bedingt nachvollziehen.

Kommen wir zum Schluss: Wie realis­tisch ist die Erwartung, dass eine wahrscheinlich unionsgeführte nächs­te Regierung angesichts klammer Kassen und steigender Gesundheits­kosten die Apothekenvergütung subs­tanziell erhöhen wird?

Benedikt Bühler: Ich halte das so­gar für sehr realistisch, weil die CDU auf verschiedenen Ebenen klar signalisiert hat, dass man die Sorgen und Nöte der Apotheker verstanden hat. Die werden etwas tun müssen.

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Dr. rer. nat. Hubert Ortner, Chefredakteur AWA – Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker
redaktion@daz.online


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