Trotz reduzierter Antikörperantwort

COVID-19-Impfstoffe gegen Omikron nicht nutzlos

Stuttgart - 08.12.2021, 15:15 Uhr

Die COVID-19-Impfungen sind gegen Omikron nicht nutzlos, aber man braucht deutlich höhere Antikörperspiegel, um Omikron noch erfolgreich zu neutralisieren – ungefähr 40-fach mehr. (Foto: Jo Panuwat D / AdobeStock)

Die COVID-19-Impfungen sind gegen Omikron nicht nutzlos, aber man braucht deutlich höhere Antikörperspiegel, um Omikron noch erfolgreich zu neutralisieren – ungefähr 40-fach mehr. (Foto: Jo Panuwat D / AdobeStock)


Omikron verringert die Wirksamkeit der Impfantikörper, eine Boosterimpfung wirkt sich positiv aus, darauf deuten Daten der Virologin Prof. Sandra Ciesek. Eine Anpassung der Impfstoffe ist sinnvoll, doch auch die derzeitigen Impfungen sind nicht nutzlos, denn: Antikörper sind nicht alles.

Wie gut schützen die zugelassenen COVID-19-Impfstoffe gegen die neue Omikron-Variante – zumindest auf Antikörper-Ebene? Virologin Professor Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt hat erste Ergebnisse dazu in kurzen Statements bei Twitter veröffentlicht. In Neutralisationstests mit Virusisolat, also infektiösen Viren (keine Pseudoviren), die sie früh von einer am Frankfurter Flughafen mit Omikron infizierten Person isolierte und anzüchtete, untersuchte ihre Arbeitsgruppe, wie effektiv die auf eine Impfung gebildeten Antikörper es vermögen, das Omikron-Virus zu neutralisieren. Diese Daten verglichen sie mit der Neutralisationskapazität dieser Antikörper gegen die derzeit hierzulande noch dominierenden Delta-Variante. Die Antikörper stammten dabei aus Seren von COVID-19-Geimpften, die nach unterschiedlichen Schemata immunisiert worden waren. Was kam dabei raus?

Bis zu 37-fache Verringerung der Antikörperwirkung

Laut einem Tweet von Ciesek lag die Neutralisationskapazität gegen Omikron sechs Monate nach Impfung mit

  • zweimal Biontech bei 0 Prozent,
  • zweimal Moderna bei 0 Prozent,
  • einmal AstraZeneca, einmal Biontech bei 0 Prozent.

Gegen die Delta-Variante lag die Neutralisationskapazität sechs Monate nach Impfung mit

  • zweimal Biontech bei 47 Prozent,
  • zweimal Moderna bei 50 Prozent,
  • einmal AstraZeneca, einmal Biontech bei 21 Prozent.

Teilweise war die neutralisierende Wirkung der Antikörper gegen Omikron verglichen mit Delta um bis zu 37-fach reduziert.

Booster erhöht Antikörperwirkung

Etwas effektiver gegen Omikron scheinen die Antikörper nach Boosterung zu wirken, wenn diese noch nicht allzu lange zurückliegt: Drei Monate nach der dritten Biontech-Dosis lag die Neutralisationskapazität gegen Omikron bei 25 Prozent (vs. 95 Prozent gegen Delta). Eine Auffrischimpfung oder eine vorangegangene Infektion plus eine zweifache Impfung könne damit „noch eine stärkere Wirkung gegen die Variante entfalten (…) als die Immunantwort zweifach geimpfter Menschen“, schreibt das Science Media Center dazu. Einschränkend bemerkt das SMC, dass noch sehr wenige Details bekannt seien, und es unklar sei, wie viele Proben für die Analysen verwendet wurden.

Auch gibt es erste Daten zu dem zur Vorbeugung und Behandlung von COVID-19 zugelassenen Antikörper-Duo Casirivimab/Imdevimab in Ronapreve®: „Die monoklonalen AK Imdevimab und Casirivimab sind – wie erwartet – bei Omikron wirkungslos“, schreibt Ciesek. In der Tat sind Antikörperpräparate hinsichtlich ihres Wirkverlustes noch empfindlicher als Impfstoffe: Im Gegensatz zu Vakzinen, die stets die Bildung von mehreren unterschiedlichen Antikörpern stimulieren, zielen Antikörper-Arzneimittel auf genau eine Struktur (Epitop) ab – bei Corona meist die Rezeptorbindungsdomäne am Spikeprotein, über die das Virus in die menschliche Zelle gelangt. Ist just diese eine Stelle im Virus mutiert, passen die Antikörper unter Umständen nicht mehr und der Antikörper verliert an Wirkung.

Keine Aussage zum Schutz vor einem schweren Verlauf

Ciesek erklärt bei Twitter außerdem: „Die Daten bestärken, dass die Entwicklung eines an Omikron angepassten Impfstoffs sinnvoll ist“. Die Virologin betont unter ihrem Tweet vor allem noch einmal, dass diese Daten nichts dazu aussagen könnten, „ob man weiterhin vor einem schweren Verlauf geschützt ist (Stichwort T-Zellen)“. Und auch das SMC erklärt: „Omikron hat damit das Potenzial, der Immunantwort des Körpers zum Teil zu entgehen. Ergebnisse zur Schutzwirkung der zellulären Bestandteile des Immunsystems, wie B- und vor allem T-Zellen, vor einer schweren COVID-19-Erkrankung fehlen weiterhin“.

Noch sind die Ergebnisse nicht von Fachkollegen begutachtet und nicht in einem Fachmagazin veröffentlicht.

Andere Forscher fanden auch eine reduzierte Antikörperwirkung

Die Daten aus Frankfurt sind nicht die einzigen, die auf eine verringerte Antikörperreaktion nach COVID-19-Impfung gegen Omikron im Vergleich zu Beta (D614G) deuten: Forscher aus Durban (Südafrika) stellten gegen Omikron eine um etwa das 41-fach reduzierte Antikörperantwort verglichen mit Beta nach zweimaliger Pfizer/Biontech-Impfung fest, eine zusätzlich durchgemachte Infektion wirkte sich aber positiv auf die Antikörperantwort gegen Omikron aus. „Eine frühere Infektion, gefolgt von einer Impfung oder Auffrischungsimpfung, erhöht wahrscheinlich den Neutralisierungsgrad und bietet wahrscheinlich Schutz vor schweren Erkrankungen bei Omikron-Infektionen“, liest man dort. Bislang liegt lediglich ein Manuskript und keine wissenschaftliche Veröffentlichung vor.

In einer weiteren Arbeit aus Südafrika und Schweden untersuchten die Forscher Pseudoviren, also künstlich hergestellte Viren, und fanden ebenfalls eine reduzierte neutralisierende Antikörperwirkung gegen Omikron, wenn auch weniger ausgeprägt. Auch unterschieden die Forschenden ihre Daten nicht nach dem Impfstatus der Probanden.

Wie sind diese Ergebnisse nun einzuordnen? Das Science Media Center hat nachgefragt, bei Prof. Dr. Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Dortmund, und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)

Impfungen sind nicht nutzlos, aber mehr Durchbruchinfektionen

Watzl erklärt: „Bisher kannten wir nur die Mutationen von Omikron und konnten vermuten, dass diese wahrscheinlich zu einer schlechteren Schutzwirkung der Impfungen gegen eine Infektion mit der Omikron-Variante führen werden“, daher sei es jetzt wichtig, erste Daten zu sehen, und diese zeigten ganz klar, dass auch die neutralisierenden Antikörper von Geimpften in der Lage sind, Omikron zu binden und zu neutralisieren. „Die Impfungen sind also nicht nutzlos“, aber man brauche deutlich höhere Antikörperspiegel, um Omikron noch erfolgreich zu neutralisieren – ungefähr 40-fach mehr. Und weiter: „Die Daten zeigen, dass selbst zweifach Geimpfte oft nicht genügend Antikörper haben, um Omikron zu neutralisieren. Erst nach einem Booster oder nach der Kombination aus Infektion plus zweifacher Impfung sind genügend Antikörper vorhanden. Das bedeutet, dass wir mit Omikron noch mehr Durchbruchsinfektionen sehen werden. Die Inzidenzen könnten daher noch mal deutlich steigen.“

Ungeimpfte gegen Omikron weniger geschützt

Auch fehlen Daten dazu, ob denn eine Omikron-Durchbruchsinfektion dann tatsächlich auch vermehrt schwere Verläufe verursacht oder ob vielleicht der Impfschutz vor schwerer Erkrankung auch bei Omikron noch ausreichend hoch ist. Denn: Der Schutz beruhe nicht allein auf den Antikörpern, deswegen geht Watzl davon aus, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung auch bei Omikron noch vergleichsweise hoch ist. Das könnte seiner Meinung nach auch erklären, warum in Südafrika eher milde Verläufe auftreten. Es steckten sich Personen mit Immunschutz an, die noch gut vor einer schweren Erkrankung geschützt seien, wobei auch das Alter der Infizierten in Südafrika eine Rolle spiele. Aber: „Ungeimpfte werden gegenüber Omikron noch weniger geschützt sein. Daher werden mit steigenden Inzidenzen auch mehr schwere Fälle und damit eine zusätzliche Belastung des Gesundheitssystems einhergehen.“

Impfstoffe anpassen

Wie Ciesek ist Watzl der Meinung, dass man die Impfstoffe anpassen muss. „Ein Booster mit einem angepassten Impfstoff würde genau die Gedächtniszellen stimulieren, die Antikörper produzieren, die auch Omikron neutralisieren können. Daher würde ein Booster mit einem angepassten Impfstoff sicherlich auch einen guten Schutz gegen Omikron vermitteln.“ Nun wird es allerdings dauern, bis die modifizierten Impfstoffe auf den Markt kommen, wahrscheinlich Frühjahr 2022. Darauf sollte man laut Watzl nicht warten, „sondern sich jetzt impfen oder boostern lassen“. Wenn Omikron die Delta-Variante weltweit komplett verdränge, werden die aktuellen Impfstoffe alle durch neue Versionen ersetzt werden müssen. Das gehe bei mRNA-Impfstoffen vergleichsweise schnell, bei den anderen Impfstoffen könne es aber deutlich länger dauern.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Wirkungsverlust 37 fach

von Wolfgang Engel am 16.12.2021 um 7:51 Uhr

Und auch das ist ein berechtigter Einwand, warum bleibt die Zulassung bestehen? Nach zwei Impfungen Wirksamkeit 0% bezogen auf einen Parameter, der nicht direkt was aussagt zum Krankheitsverlauf.

"Impfung" gegen Omikron irgendwann ab April / Mai / Juni? Aber dann ist bei uns auch wieder Sommer und die "Saisonalität" macht dem Virus zu schaffen. Wie oft und wann genau muss man sich also in 2022 "impfen" lassen, damit es im November 2022 nicht wieder einen Lockdown light gibt, wenn die aktuelle "Impfung" nur ein paar Wochen? Monate "wirkt"?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Gefährlichkeit von Omikron und Nutzen der Impfung

von Maria am 11.12.2021 um 23:33 Uhr

bezüglich der Aussage in dem Artikel - Zitat: "Der Schutz beruhe nicht allein auf den Antikörpern, deswegen geht Watzl davon aus, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung auch bei Omikron noch vergleichsweise hoch ist. Das könnte seiner Meinung nach auch erklären, warum in Südafrika eher milde Verläufe auftreten." möchte ich anmerken: ich habe gerade auf our world in data nachgesehen, wie hoch die Impfquote in Südafrika ist. Es gibt dort aktuell 25 % doppelt Geimpfte. Daran kann es also kaum liegen, dass in Südafrika Omikron bisher so mild verlaufen ist, dass die Südafrikaner es bisher kaum wahrgenommen hatten.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Gefährlichkeit von Omikron und Nutzen

von Wolfgang Engel am 16.12.2021 um 7:44 Uhr

Das ist eine berechtigte Frage. Milde Verläufe bei geringer Impfquote. Und in Südafrika ist jetzt Sommer. Im Sommer war ja auch bei uns nichts los. Mich würde wirklich interessieren, was genau sich hinter dem Wort "saisonal" verbirgt, was die Experten so gerne benutzen...

37x weniger wirksam

von Scarabäus am 09.12.2021 um 9:54 Uhr

Ich habe Ende der 1990er Jahren in Großbritannien im Bereich Biopharmacy / Genetics gearbeitet und promoviert: Ein 37facher Wirkungsverlust würde unter normalen (d.h. wissenschaltlich-seriösen) Zuständen zum sofortigen Verlust der Medikamentenzulassung wegen Unwirksamkeit führen. So langsam komme ich mir echt veralbert vor.

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AW: 37x weniger wirksam

von cobe am 28.12.2021 um 19:13 Uhr

Danke, geht mir schon länger so.
Wer einmal lügt dem glaubt man nicht mehr.

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