Fallserie zu Prä-VITT-Syndrom, Sinus- und Hirnvenenthrombosen

Kopfschmerz nach AstraZeneca – schnelle Reaktion verhindert gefürchtete Nebenwirkung

Stuttgart - 16.09.2021, 17:50 Uhr

Eine aktuelle Fallserie zeigt, dass es beim Auftreten besonders starker Kopfschmerzen noch nicht zu spät, oder besser gesagt, eine zerebrale Venen- und Sinusthrombose (CVST) noch nicht eingetreten sein muss. (x / Foto: Wolfilser / AdobeStock)

Eine aktuelle Fallserie zeigt, dass es beim Auftreten besonders starker Kopfschmerzen noch nicht zu spät, oder besser gesagt, eine zerebrale Venen- und Sinusthrombose (CVST) noch nicht eingetreten sein muss. (x / Foto: Wolfilser / AdobeStock)


Eine aktuell veröffentlichte Fallserie berichtet über elf Betroffene, die sich nach Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin wegen heftiger Kopfschmerzen vorstellten. Sie erfüllten alle die Laborkriterien einer Vakzin-induzierten thrombotischen Thrombopenie (VITT). Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Neurologie gemeinsam mit drei weiteren Fachgesellschaften hin. Bemerkenswert ist: Bei diesen Patient:innen war es noch nicht zu den gefürchteten Hirn- oder Sinusvenenthrombosen gekommen. Könnte also eine frühzeitige, konsequente Behandlung die Mehrzahl der thrombotischen Ereignisse verhindern?

„Offensichtlich bietet das ‚Prä-VITT-Syndrom‘ ein therapeutisches Fenster, um den gefürchteten Impffolgen wie Sinus- und Hirnvenenthrombosen effektiv entgegenzuwirken“, heißt es in einer aktuellen Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI), der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (dgti) und der Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung (GTH). „Die meisten Betroffenen waren mit starken Kopfschmerzen vorstellig geworden, von denen wir seinerzeit dachten, dass sie eine Folge- bzw. Begleiterscheinung der zerebralen thrombotischen Ereignisse seien“, erklärt Professor Andreas Greinacher vom Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin der Uni Greifswald, korrespondierender Autor der aktuellen Fallserie im Journal NEJM zu den seltenen, aber schweren thromboembolischen Nebenwirkungen nach COVID-19-Impfung mit Vaxzevria™ von AstraZeneca. 

DAZ-Leser:innen dürfte Greinacher als einer der ersten Forscher bekannt sein, die sich auf Ursachensuche der seltenen, aber schweren (Hirnvenen-)Thrombosen nach Gabe des AstraZeneca-Impfstoffs begaben. Er erkannte früh eine Analogie zur heparininduzierten Thromobozyotpenie. Im April berichtete die DAZ, dass auch die EMA davon ausgeht, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verabreichung der vektorbasierten COVID-19-Impfstoffe von AstraZeneca / Janssen und seltenen schwerwiegenden Thrombosen in Verbindung mit Thrombopenie besteht. Die Wissenschaft sprach von VITT: „Vaccine-induced Immune Thrombotic Thrombocytopenia“.

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Die aktuelle Arbeit zeige nun, dass es beim Auftreten besonders starker Kopfschmerzen noch nicht zu spät, oder besser gesagt, eine zerebrale Venen- und Sinusthrombose (CVST) noch nicht eingetreten sein muss. Vielmehr könnten die Kopfschmerzen ein Vorbote und somit Warnhinweis gefährlicher postvakzinaler Thrombosen sein. 

Beschrieben wird die Fallserie mit elf Patient:innen von der Charité-Universitätsmedizin, der Universitätsmedizin Greifswald und weiteren IGNITE-Zentren („initative of german neurointensive trial engagement“, aus Mannheim, Leipzig, Augsburg, Erlangen). Die Patient:innen hatten sich konkret 5 bis 18 Tage nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff mit heftigen Kopfschmerzen in Kombination mit einer Thrombozytopenie ärztlich vorgestellt. In keinem Fall konnte jedoch eine CVST diagnostiziert werden: „Nur zwei wiesen zum Aufnahmezeitpunkt ein anderes thrombotisches Ereignis auf und erfüllten die VITT-Kriterien vollständig (bei beiden wurde eine Lungenembolie diagnostiziert)“, heißt es. Die Forscher:innen gehen nun davon aus, dass es ein Prä-VITT-Syndrom gibt, ohne thrombotische Manifestationen. Damit könnten die Kopfschmerzen einen Handlungsspielraum für frühzeitige, therapeutische Interventionen eröffnen.

Handlungsempfehlung

„Werden Patientinnen/Patienten in der typischen Latenzzeit von 5 bis 30 Tagen nach Impfung mit schweren Kopfschmerzen vorstellig, sollte unbedingt eine weiterführende Diagnostik erfolgen. Weisen sie eine Thrombozytopenie und erhöhte D-Dimere auf, muss gezielt auf anti-PF4/Heparin-IgG-Antikörper getestet werden und frühzeitig und konsequent therapiert werden. Dann können wir schwere thrombotische Ereignisse in Folge womöglich ganz verhindern.“ 

Professor Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie und Letztautor der aktuellen Fallserie

Tatsächlich haben mit einer Ausnahme alle Patient:innen, die auch im Verlauf keine Thrombosen entwickelten, binnen fünf Tage nach Beginn der Kopfschmerzen eine VITT-spezifische Therapie mit therapeutischer Antikoagulation, hochdosierten Immunglobulinen oder Corticoiden erhalten, während die vier übrigen Patient:innen nur verzögert eine Therapie erhielten und in der Folge Thrombosen und damit das Vollbild einer VITT entwickelten. „Eine Erkenntnis mit hoher Relevanz für den klinischen Alltag“, heißt es.

Allerdings dürfte fraglich sein, wer in Deutschland dieser Tage überhaupt noch mit dem Impfstoff von AstraZeneca geimpft wird. Immerhin wird er auch für die Über-60-Jährigen nur noch im Rahmen eines heterologen Impfschemas als Erstimpfung von der STIKO empfohlen.


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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