Aus der Hochschule

Spleißfehler ein Sicherheitsproblem bei Vektorimpfstoffen?

Prof. Dr. Rolf Marschalek erläuterte seine Hypothese zu thromboembolischen Nebenwirkungen

In einem virtuellen Vortrag innerhalb der Vortragsreihe „Arznei­mittel- und Impfstoffsicherheit”, zu dem das House of Pharma & Healthcare und die Stiftung Arzneimittelsicherheit Beatrix und Dr. Franz Stadler Ende Juli 2021 ein­geladen hatten, erläuterte Dr. Rolf Marschalek, Professor für pharmazeutische Biologie an der Frank­furter Goethe-Universität, seine Hypothese zum unterschiedlichen Sicherheitsprofil von Vektor- und mRNA-Impfstoffen.
Foto: privat

Prof. Dr. Rolf Marschalek

Aktive Impfstoffe immunisieren durch die Applikation von Antigenen, auf die das Immunsystem des zu Impfenden mit der Bildung von Antikörpern und T-Zell-Antworten reagiert. Alle herkömmlichen aktiven Impfstoffe ver­abreichen diese Antigene von außen. Alle vier bisher in Deutschland und der Europäischen Union zugelassenen Impfstoffe gegen das neue Coronavirus SARS-CoV-2 tun das nicht. Sie repräsentieren vielmehr „eine komplett neue Klasse von Impfstoffen, weil sie alle vier dafür sorgen, dass wir selbst die Antigene herstellen, die unser Immunsystem triggern“. Vektorimpfstoffe und mRNA-Impfstoffe lösen diese Antigen-Applikation von innen allerdings auf andere Art aus. Daraus erkläre sich auch ihr unterschied­liches Sicherheitsprofil, erläuterte Prof. Dr. Rolf Marschalek, Frankfurt. Das Antigen, dessen Produktion sie in den Geimpften anregen, ist bei allen vier zugelassenen COVID-19-Vakzinen das Spike-Protein, mit dem SARS-CoV-2 an ACE2-Rezeptoren von Wirtszellen andockt, um sein Eindringen einzuleiten.

mRNA-Impfstoffe agieren im Cytosol

Die Impfstoffe von Biontech und Moderna übermitteln den Bauplan dieses Antigens direkt ins Cytosol, mit einer in vitro hergestellten Variante der messenger-RNA (mRNA), die das Virus selbst für die Herstellung seines Spike-Proteins nutzt. Denn Corona­viren gehören – anders als die Retro- und Lentiviren – zu der Gruppe von RNA-Viren, die ihre RNA nicht in eine DNA umschreiben, mit der sie dann im Zellkern der Wirtszelle ihre Vermehrung erzwingen. Coronaviren ­replizieren im Cytosol, indem sie ihre RNA direkt von den Ribosomen der Wirtszelle in Proteine übersetzen lassen.

Eine Variante der Virus-mRNA zu konstruieren, ist deshalb sinnvoll, weil von extern applizierte mRNA normalerweise die körpereigene Abwehr übermäßig stark mobilisiert. Ersetzt man jedoch alle Uridin-Nukleotide der mRNA durch deren methyliertes Isomer Pseudouridin, dann wird „der Impfstoff stabiler und weniger immunogen, wodurch Biontech und Moderna mit höheren Mengen arbeiten können, und deshalb funktionieren deren Wirkstoffe besser als die der Firma CureVac“, sagte Marschalek.

Vektorimpfstoffe benötigen Transkription im Zellkern

Anders als die mRNA-Impfstoffe übermitteln die Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson den Bauplan des Antigens nicht direkt, sondern auf einem Umweg. Bei ihrer Herstellung wird die RNA des Spike-Proteins in eine DNA umgeschrieben. Diese wird in das Genom eines harmlosen Adenovirus integriert, der als Fähre in den Zellkern dient. Dessen komplexe enzymatische Maschinerie nutzt die adenovirale DNA zur Transkription, wobei auch die Spikeprotein-DNA wieder in eine mRNA verwandelt wird. Damit sie aus dem Zellkern exportiert werden kann, um den Ribosomen im Cytosol den Bau des Spikeprotein-Antigens zu befehlen, muss sie dort verschiedene ­Modifikationen erfahren, die bei den mRNA-Impfstoffen alle schon vor der Injektion im Reagenzglas erledigt worden sind. Die fehleranfälligste dieser notwendigen Modifikationen ist das Spleißen.

Bei Organismen, die einen Zellkern haben, ist dieses Spleißen erforderlich, weil bei Weitem nicht alle Teile eines Gens Exons sind, die der Expression von Proteinen dienen. Viele Abschnitte liegen vielmehr als stumme Introns dazwischen und müssen ausgespleißt werden, damit die mRNA ihre genetische Botschaft korrekt übermitteln kann. Diese 1977 gemachte Entdeckung war eine der großen Sensationen der Molekularbiologie, denn bei Bakterien gibt es diesen Vorgang nicht, und wurde 1993 mit dem Nobelpreis für Medizin belohnt.

Dass das Spleißen bei Vektorimpfstoffen ein Problem sein kann, begann Rolf Marschalek zu vermuten, nachdem er im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit Professorin Dr. Sandra Ciesek, der Chefvirologin der Goethe-Universität, alle 28 Gene von SARS-CoV-2 kloniert hatte. Denn nur fünf dieser Gene konnte er in den Zellkernen von Säugetierzellkulturen vollständig korrekt in ihre korrespondierenden Proteine übersetzen. Bei manchen gelang dies gar nicht, andere Proteine waren zu lang oder zu kurz. Offenbar waren beim Spleißen Über- oder Unterlängen entstanden.

Gene eines RNA-Virus wie SARS-CoV-2 enthalten viele eigentlich nicht mehr benötigte, aber von altersher konservierte Spleißstellen. Bei der Translation im Cytosol – wie sie mRNA-Impfstoffe direkt veranlassen – spielen diese Spleißstellen überhaupt keine Rolle mehr, weil dort eben kein Spleißen stattfindet, wohl aber bei einer – von der Evolution eigentlich gar nicht vorgesehenen – Transkription im Zellkern. Dort können diese vielen Spleißstellen zu unerwünschten Spleißereignissen führen. „Die Natur hat diese RNA-Sequenzen nicht dafür optimiert, im Zellkern exprimiert zu werden“, sagte Marschalek.

Wildtyp-SARS-CoV-2 kann spleißen

Tatsächlich belegte Marschaleks Arbeitsgruppe zusammen mit einer auf Adenoviren spezialisierten Gruppe um Prof. Dr. Stefan Kochanek in Ulm, dass die Integration der in DNA um­geschriebenen Spikeprotein-RNA in das Genom eines adenoviralen Vektors ein Sicherheitsproblem hervorrufen kann, welches über das einer Vakzin-induzierten Thrombozytopenie (VITT) weit hinausgeht. Sie bauten in das Genom der Impfstoffvektoren jeweils ein Luciferase-Gen ein, das bei jedem Spleißvorgang ein messbares Licht­signal auslöst. Diese Messungen bewiesen, dass „Wildtyp-SARS-CoV-2 spleißen kann“, sagte Marschalek. Das birgt bei Vektorimpfstoffen die Gefahr, dass der Bauplan für das Spikeprotein-Antigen bei seiner Transkription nicht richtig aus dem Rest des Adenovirus-Genoms, in das er zuvor integriert wurde, herausgeschnitten wird, weil die Spleiß-Schere falsch ansetzt. Wenn sie dies tut, dann entstehen entweder trunkierte Proteine oder Fusionsproteine aus Spike- und Adenovirusgenom. Ein britischer Forscher habe gezeigt, so Marschalek, dass dies beim AstraZeneca-Impfstoff immerhin bei 1,14 Prozent aller Transkriptionen geschehe. Johnson & Johnson verzeichne deutlich weniger solcher Ereignisse, weil es für seinen Impfstoff die Spikeprotein-DNA vorsorglich entsprechend verändert habe. „Die waren sich dank der Er­fahrungen mit ihrem Ebola-Impfstoff des Problems bewusst.“ Gegen Ebola waren Vektorimpfstoffe erstmals entwickelt worden.

Folgen können erheblich sein

Die Folgen falschen Spleißens können erheblich sein, fasste Marschalek seine nun weitgehend erhärtete Hypothese zusammen:

Korrekt transkribierte und transla­tierte Spike-Proteine werden von Rezeptoren auf der Oberfläche bestimmter Immunzellen als Antigen präsentiert, um die Bildung von Antikörpern anzuregen. Durch irrtüm­liche Spleißereignisse entstandene Spike-Proteine können dagegen als lösliche Bruchstücke im Blut zirkulieren. Gefährlich werde das, „wenn diese löslichen Proteine noch die ACE2-Bindestelle tragen, die in Blutgefäßen an die ACE2-Rezeptoren von Endothelzellen binden“, sagte Marschalek. „Denn sobald nach der Impfung Antikörper gegen das Spike-Protein gebildet werden, können sich an diesen Bindungsstellen Immunkomplexe bilden, die wie Kristallisationspunkte für ortsspezifische thromboembolische Ereignisse wirken.“ Dieses Risiko werde dadurch erhöht, dass der Körper Vektorimpfstoffe erst nach zwei bis drei Wochen vollständig abgebaut hat, weshalb sich die Anwesenheit des Impfstoffs lange mit der Anwesenheit von Antikörpern überlappt. mRNA-Impfstoffe sind dagegen schon nach zwei bis drei Tagen wieder aus dem Körper verschwunden.

Ein seltenes Ereignis

Marschalek betonte allerdings, dass mehrere Faktoren zusammentreffen müssten, damit lösliche Spike-Proteine an ACE2-positiven Endothelzellen gefährlich werden, was eher selten der Fall sei. Dennoch sei eine Inzidenz von einer Thrombose auf 80.000 Impfungen, wie sie der AstraZeneca-Impfstoff aufweise, zu viel. Insgesamt aber sei der das COVID-19-Risiko minimierende Effekt dieser Impfung höher zu bewerten als dessen Risiko späterer Thrombosen. |

Apotheker Dr. Otto Quintus Russe

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