Digitalisierung und E-Rezept

Oberhänsli: „Was wir machen, ist grundsätzlich etwas Gutes“

Berlin - 25.08.2021, 17:50 Uhr

Walter Oberhänsli, Ralf König und Gabriele Regina Overwiening diskutierten über den Nutzen des E-Rezepts. (c / Screenshot: „health innovation hub“)

Walter Oberhänsli, Ralf König und Gabriele Regina Overwiening diskutierten über den Nutzen des E-Rezepts. (c / Screenshot: „health innovation hub“)


Nach jahrelangen Vorbereitungen schleichen sich im Jahr 2021 die elektronische Patientenakte und das E-Rezept in die Versorgung ein. Jetzt gilt es, Vorbehalte und Ängste bei allen Beteiligten abzubauen und den Nutzen zu kommunizieren – auch wenn der für viele Menschen noch nicht so klar auf der Hand liegt wie für Zur Rose-Chef Walter Oberhänsli. Doch auch ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening ist überzeugt, dass das E-Rezept den Apotheken vor Ort viel erleichtern wird. Die Furcht vieler Apotheker:innen vor der elektronischen Verordnung sei nur Folge eines „falschen Synonyms“, erklärte sie heute bei einer Veranstaltung des „health innovation hub“.

In der sich nun ihrem Ende zuneigenden Legislaturperiode stand die Digitalisierung im Gesundheitswesen ganz oben auf der Agenda der Politik von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). An ihren Grundlagen wird zwar seit mehr als 15 Jahren geschraubt – die Gematik nahm 2005 ihre Arbeit auf –, doch diese Zeit war lange geprägt von Blockaden und Streitereien, etwa zum Datenschutz und zu Verantwortlichkeiten. Aus der Organisation, die die damals noch sogenannte Telematik im Gesundheitswesen antreiben sollte, war kaum je etwas Konstruktives zu vernehmen. Spahn wollte das ändern und krempelte die Struktur der Gematik 2019 mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) um: Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wurde zum Mehrheitsgesellschafter, um schnellere Entscheidungen treffen zu können, und der Arzt und Pharmamanager Markus Leyck Dieken als Geschäftsführer eingesetzt. „Die Gematik hatte praktisch ein Kontaktverbot zur Außenwelt“, bestätigte Leyck Dieken am heutigen Mittwoch beim Kongress „Gesundheit_digital – Meilensteine für eine digitale Medizin“ des health innovation hub (hih) – dem Think Tank der BMG für die Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Mit der neuen Gesellschafterstruktur und gesetzlichen Fristen sorgte Spahn dafür, dass die Anbindung der Leistungserbringer an die Telematikinfrastruktur beschleunigt wurde – nun stehen seit diesem Jahr die elektronische Patientenakte (ePA) und das E-Rezept als Anwendungen zur Verfügung – auch wenn sie noch in der Erprobung sind und sich der Nutzen für viele nicht unmittelbar erschließt. Aber für das BMG gilt offenbar die Devise: „Nutzen entsteht durch Nutzung“ – und so probieren sich die Beteiligen nun erst einmal. Leyck Dieken ist überzeugt: Innerhalb von 45 Minuten können sich Ärzte und Ärztinnen die Grundlagen der ePA erschließen – und werden dann merken, welche Erleichterungen sie mit sich bringt und wie intuitiv sie (trotz der Bezeichnung „Akte“) zu nutzen ist.

Reinhardt: E-Rezept ohne Mehrwert für Ärzte

Und wie sieht es mit dem E-Rezept aus? Hierzu befragte der Apotheker und hih-Experte („Director Pharmacy) Ralf König den Chef der Schweizer Zur Rose-Gruppe Walter Oberhänsli und ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Zuvor holte sich der Moderator aber noch ein Statement von Bundesärztekammerpräsident Klaus Reinhardt ein: Dieser kann beim E-Rezept noch für niemanden einen echten Mehrwert erkennen. Für Reinhardt ist zunächst der wichtigste „Mindeststandard“, dass es „total reibungslos funktioniert“. Die Einführung müsse „fast unspürbar“ laufen, forderte er. Denn Ärzte wollten sich nicht auch noch an Dingen aufhalten, die für sie keinen Mehrwert haben.

Oberhänsli: Mit gemeinsamen Plattformen gegen Amazon

Oberhänsli und Overwienig gestehen dem E-Rezept hingegen durchaus einen Mehrwert zu. Gerade beim Zur Rose-Chef ist das bestens bekannt. Aber auch Overwiening sieht die Vorteile für die Apotheken: Formelle Fehler könnten automatisch verhindert werden, die Abrechnung werde vereinfacht, die Daten der Patienten würden direkt gesichert. All dies sollte die Kollegen und Kolleginnen durchaus motivieren, meint die ABDA-Präsidentin. Dass das E-Rezept von vielen Apotheker:innen noch als Bedrohung wahrgenommen werde, basiere auf der Annahme, dass mit dem E-Rezept der Versandhandel unterstützt werde. „Das ist ein grundsätzlicher Irrtum“. Das E-Rezept sei Teil Digitalisierung und helfe den Apotheken vor Ort, die „im Back End“ ohnehin schon digitalisiert seien, damit nun ins „Front End“ aufzuschließen. Digitalisierung, betonte Overwiening, sei nicht Versand – einer Verkaufsform, die es schon im letzten Jahrtausend bei Neckermann und Quelle gab. Die Furcht vor dem E-Rezept sei nur durch diesen Rutsch ins „falsche Synonym“ entstanden, meint die ABDA-Präsidentin. Die Apotheken seien jedenfalls bereit fürs E-Rezept – und dass sie digital bestens aufgestellt seien, zeige auch die erfolgreiche Ausstellung der digitalen COVID-19-Zertifikate seit Mitte Juni. 

Neben den Kollegen und Kolleginnen müssen aus Overwienings Sicht aber auch noch die Kunden und Kundinnen von den Vorteilen des E-Rezepts überzeugt werden. Sie verwies dazu auf die kürzlich präsentierte Umfrage im Auftrag der ABDA, die zeigte, dass fast 60 Prozent der Bürger:innen noch nie vom E-Rezept gehört haben. Die ABDA-Präsidentin betonte zudem: Die Digitalisierung sei immer nur ein Instrument für eine noch bessere Gesundheitsversorgung und eine Ergänzung zum persönlichen Patientenkontakt.

Boni spielen keine Rolle

Oberhänsli zeigte sich erfreut, dass auch Overwienig den Nutzen des E-Rezepts grundsätzlich erkennt – Reinhardt hingegen widersprach er: Erfahrungen in der Schweiz zeigten, dass auch die Ärzteschaft viele Vorteile von der elektronischen Verordnung habe, beispielsweise durch eine automatisierte Interaktionskontrolle. Der Zur Rose-Chef relativierte auch die ihm zugeschriebene Aussage, sein Unternehmen strebe in den nächsten fünf Jahren an, seinen Marktanteil im Rx-Markt von derzeit 1 Prozent auf 10 Prozent zu erhöhen. Zwar wolle Zur Rose sicher seinen Rx-Anteil durch das E-Rezept steigern – auf die fixe Zahl will sich Oberhänsli aber nicht festlegen lassen. 10 Prozent erschienen mit einem Blick auf Schweden allerdings möglich. Dort habe man diesen Anteil bereits erreicht – und das, obwohl es auch dort Festpreise für Arzneimittel gebe, wie er betonte. Boni spielten dabei gar keine Rolle, es sei die Convenience, die die Kunden vom Versand überzeuge. Vor allem für Chroniker:innen, die regelmäßig Arzneimittel brauchen, haben das E-Rezept und der Bezug im Versand Vorteile.

Der Zur-Rose-Chef ist überzeugt: Was sein Unternehmen – allen voran DocMorris – mache, ist etwas „grundsätzlich Gutes“. Es gehe um Qualität, die erst durch Digitalisierung entstehe. Er hält auch nichts davon den Versandhandel gegen die stationäre Versorgung zu stellen – seine Vision ist die Plattform, die mehrere Player verknüpft und damit Mehrwert für die Patienten generiert. „Hier ist mein Petitum: Lassen Sie uns doch diese Plattformen – es wird ja nicht nur eine sein – letztlich gemeinsam anstreben und bitteschön das Feld nicht denjenigen überlassen, die wirklich niemand will, damit meine ich Amazon und Konsorten“.

Wie kommt der Schlüssel zum E-Rezept zum Versender?

Bleibt noch die Frage, wie die E-Rezepte in die (Versand-)Apotheken kommen. Vorerst werden die allermeisten Patient:innen vom Arzt oder der Ärztin einen auf Papier gedruckten QR-Code bekommen, den die Apotheke dann einlesen kann. Denn damit Ärzte und Ärztinnen diesen „Schlüssel“ zum (in der TI hinterlegten E-Rezept-Datensatz) direkt aufs Smartphone übertragen können, brauchen die Patient:innen erst einmal ein NFC-fähiges Handy, zudem einen PIN ihrer Kasse – das sind noch hohe technische Hürden, die zu überwinden sind. Overwiening mahnt: Dies dürfe nicht dadurch geschehen, dass man schlicht ein Foto vom QR-Code macht und diesen an eine Versandapotheke schickt. Einen solchen „Bruch im System“ dürfe man nicht zulassen. Dem entgegnete Oberhänsli allerdings mit einem „Warum denn nicht?“ – er jedenfalls glaubt nicht, dass die Kunden weiterhin bereit sein werden, Zettel in einen Umschlag zu stecken und per Post an eine Versandapotheke zu schicken. Die ABDA-Präsidentin bleibt jedoch dabei: „Wir dürfen die Kunden nicht motivieren, leichtfertig mit schützenswerten Daten umzugehen“.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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3 Kommentare

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von Thomas Eper am 26.08.2021 um 11:21 Uhr

Nur noch peinlich!

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Löschung

von Conny am 26.08.2021 um 8:59 Uhr

Bei apotheken adhoc zum gleichen Thema 19 Kommentare. Da wäre meiner noch als sehr milde durchgegangen.

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