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Preis für bezahlbare grüne Chemie
Artemisinin-Herstellung wie in der Pflanze – nur schneller
Die „American Chemical Society“ hat jetzt den Max-Planck-Forscher Professor Peter Seeberger mit dem Preis für „bezahlbare grüne Chemie“ ausgezeichnet. Die Potsdamer Forschungsgruppe hat einen neuen preiswerten Syntheseweg für den gegen Malaria wirksamen Wirkstoff Artemisinin aus dem einjährigen Beifuß entwickelt.
Pflanzenabfälle, Licht und Luft – mehr braucht es nicht, um den Nobelpreis-geadelten Anti-Malaria-Wirkstoff Artemisinin auch im großen Maßstab zu erzeugen. Das jedenfalls haben die Forscher um Professor Peter Seeberger, Direktor der Abteilung Biomaterialien am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, entdeckt.
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Für ihre Entwicklung wurden Seeberger sowie die Forscher Kerry Gilmore, bislang Gruppenleiter am Max-Planck-Institut und nun Professor an der University of Connecticut, und der Verfahrenstechniker Professor Andreas Seidel-Morgenstern, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg, nun von der American Chemical Society mit einem Wissenschaftspreis ausgezeichnet – und zwar dem für „bezahlbare grüne Chemie“.
Artemisinin gilt als hochwirksam gegen den Malaria-Erreger Plasmodium falciparum. Das Sesquiterpen ist ein natürlicher sekundärer Pflanzenstoff aus dem einjährigen Beifuß (Artemisia annua) und findet etwa in der traditionellen chinesischen Medizin seit Jahrhunderten Anwendung, insbesondere gegen Malaria. In reiner Form, aber häufiger in Form seines Derivats Artesunat, wird der Wirkstoff in der Regel kombiniert mit dem Wirkstoff Amodiaquin als Kombinationspräparat (ASAQ) als Antiprotozoikum gegeben.
Artemisinin beziehungsweise sein Derivat Artesunat gehören zu den von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „unentbehrlich“ gelisteten Arzneimitteln. Da es allerdings bereits erste Resistenzen des Malaria-Erregers gibt, soll der Wirkstoff nur in Kombination und nur nach ärztlicher Verordnung gegeben werden.
Artemisinin wirkt dabei in den von Plasmodien befallenen roten Blutkörperchen, indem es abhängig von der Hämoglobin-Konzentration zerfällt und freie Radikale freisetzt, welche die einzelligen Zellparasiten abtöten.
Pflanzenhäcksel in der Aluwanne
Das bereits 2011 veröffentlichte Verfahren klingt dabei simpel: „Getrockneter und zermahlener einjähriger Beifuß wird in einem organischen Lösungsmittel aufgelöst, mithilfe einer Pumpe durch einen dünnen und durchsichtigen Plastikschlauch gedrückt und durch ein T-Stück und einen zweiten Schlauch mit Pressluft vermengt“, erklärt Professor Seeberger. „Dann wird durch einen weiteren Schlauch eine Säure zugegeben. Diese Mischung wird nun mithilfe der Pressluft und den Pumpen durch den Schlauch gepresst, der sich in einer gekühlten Aluminiumwanne befindet, deren Deckel aus LEDs besteht.“
Die Energie des Lichts werde dann vom Chlorophyll der Pflanzen aufgenommen und dadurch als natürlicher Katalysator auf den Sauerstoff übertragen. „Aus Triplett-Sauerstoff – das ist der, den wir einatmen – wird die angeregte Form, Singlett-Sauerstoff. Dieser hochreaktive Singlett-Sauerstoff reagiert mit Dehydroartemisininsäure (DHAA), dem biosynthetischen Vorläufer des Artemisinin, das in größeren Mengen in den Pflanzen ist. Die daraus entstehende Zwischenstufe reagiert mit der vorhandenen Säure und lagert sich zum Artemisinin um“, erklärt der Forscher.
„Wir haben durch unsere Arbeiten herausgefunden, dass dieser Prozess in der Pflanze genauso funktioniert, nur dass wir diesen eben im Reaktor in weniger als 15 Minuten und mit sehr hohen Ausbeuten durchführen können“, sagt Seeberger. In den Pflanzen dauere das aber drei Wochen. Die deutlich höhere Effizienz unterscheide das Verfahren von den herkömmlichen.
Herkömmliche Verfahren
Bislang gab es zwei Verfahren zur Gewinnung des komplex aufgebauten Naturstoffes. Bei der Extraktion des Wirkstoffs aus der vor allem in China, Vietnam und Ostafrika angebauten Pflanze werden getrocknete Blüten und Blätter mit n-Hexan behandelt. Der Rohextrakt wird eingedampft und Artemisinin daraus durch Umkristallisation gewonnen. Ein Hektar Anbaufläche ergibt rund zwei Tonnen Blattmaterial, aus denen sich zwei bis drei Kilogramm Extrakt gewinnen lassen. Der Wildtyp des Korbblütlers, der auch wild als Neophyt in Mitteleuropa wächst, enthält dabei nur rund 0,1 bis 0,4 Prozent Wirkstoff in der Trockenmasse. Züchtungen chinesischer Forscher, die die multigene Biosynthese des Wirkstoffs genauer untersuchten, enthalten bis zu 5 Prozent bezogen auf das Trockengewicht.
Pro Anbaufläche gewonnenes Artemisinin könnte verdoppelt werden
In einem anderen Ansatz wird der Wirkstoff halbsynthetisch hergestellt. Der Vorläufer Artemisininsäure wird biosynthetisch durch gentechnisch modifizierte Hefe produziert. Ähnlich wie in Seebergers Verfahren wird diese photochemisch dann zu Artemisinin umgesetzt. Seit dem Jahr 2013 bestand eine großtechnische Anlage des Pharmakonzerns Sanofi in Italien, in der im Maßstab von 40 Tonnen des Wirkstoffs pro Jahr in dem als teuer geltenden Verfahren produziert wurden. Finanzielle Förderung gab es dafür unter anderem von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung.
Eine Totalsynthese von Artemisinin, das chemisch nach IUPAC korrekt bezeichnet (3R,5aS,6R,8aS,9R,12S,12aR)-Octahydro-3,6,9-trimethyl-3,12-epoxy-12H-pyrano[4,3-j]-1,2-benzodioxepin-10(3H)-on heißt, lohnt sich wirtschaftlich nicht.
„Das von uns entwickelte chemische Verfahren ist umweltfreundlich und so effizient, dass wir viel konzentrierter als die Natur arbeiten können, die wir hier nachahmen“, sagt Seeberger. So könne man erschwingliche Malariamedikamente herstellen. „Gleichzeitig eröffnet unser Verfahren neue Möglichkeiten, auch andere Arzneistoffe nachhaltig und trotzdem preiswerter als bisher herstellen zu können.“
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Seeberger sieht „keine wirkliche Alternative“ für das nun ausgezeichnete Verfahren. „Artemisinin wird heute vor allem aus Pflanzen extrahiert. Für jedes Kilogramm Artemisinin, das gewonnen wird, wird ungefähr dieselbe Menge DHAA weggeworfen. Mit Hilfe unseres Verfahren könnte also das pro Hektar Anbaufläche gewonnene Artemisinin verdoppelt werden“, sagt er.
Photochemische Verfahren lassen sich auf andere Medikamente anwenden
Auch im größeren Maßstab sei das Verfahren möglich: „Das Verfahren wurde im Labor im Maßstab von 200 Gramm pro Tag durchgeführt. Es wurden bereits Anlagen konzipiert, die 10 Tonnen pro Jahr herstellen können. Dazu werden dickere Schläuche und stärkere Lampen benötigt. Das ist aber machbar“, sagt der Forscher.
Der Gesamtbedarf an Artemisinin liege laut Seeberger bei etwa 300 Tonnen pro Jahr. „Mit der Produktion von 30 bis 100 Tonnen könnte der Weltmarktpreis stabilisiert und gesenkt werden“, sagt er.
Die beiden Verfahrenspatente wurden von der MPI Ausgründung „ArtemiFlow GmbH“ lizenziert, die mit der Tochter „ArtemiFlow USA“ an der Umsetzung in den USA arbeitet. „Photochemische Verfahren lassen sich prinzipiell auch auf andere Medikamente anwenden. Kontinuierliche Synthesen wurden vor Kurzem von uns eingesetzt, um während der COVID-19-Pandemie benötigte Medikamente wie Narkotika und Schmerzmittel schnell und günstig lokal herstellen zu können“, erklärt der Forscher die Übertragbarkeit des Verfahrens auf andere Wirkstoffe.
Einen Preis der ACS erhielt Seeberger, der ab Oktober 2021 für ein Jahr die renommierte Newton-Abraham-Gastprofessur an der University of Oxford innehat, mit diesem nun zum dritten Mal. Den „Award for Affordable Green Chemistry“ verleiht die Wissenschaftsgesellschaft dabei seit dem Jahr 2007 jährlich „zur Anerkennung herausragender wissenschaftlicher Entdeckungen, die den Grundstein für kostengünstigere und umweltfreundliche chemische Herstellungsprozesse legen“.
Artemisinin und dessen daraus gewonnene Derivate sind auch in der Diskussion zur Behandlung anderer Krankheiten – einschließlich Krebs und COVID-19. „Derivate des Artemisinins sind nicht nur gegen Malaria, sondern auch gegen eine Reihe anderer Krankheiten sehr vielversprechend. So gab es bereits klinische Untersuchungen zur Behandlung verschiedener Arten von Krebs. Auch gegen Viruserkrankungen sind Artemisinin-Derivate aktiv“, sagt Seeberger. Dazu müsse aber sichergestellt werden, dass diese neuen Anwendungen nicht die Verfügbarkeit und die Preise der Malariamedikamente beeinflussten. „Neue Prozesse zur Herstellung größerer Mengen sind also wichtig“, sagt der Forscher.
Unterdessen veröffentlichten Wissenschaftler um Professor Hermann Schindelin von der Universität Würzburg einen Beitrag im renommierten Fachmagazin PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America), der aufzeigt, warum der Wirkstoff Artemisinin als unerwünschte Wirkung in die Signalweiterleitung von Nervenzellen eingreift. Den Würzburger Forschern zufolge bindet es an ein Protein, dass das Vitamin B6 in seine aktive Form überführt. Ohne das aktive Vitamin als Co-Faktor wird die Synthese des Neurotransmitters GABA (Gamma-Aminobuttersäure) unterbunden.
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