COVID-19-Impfstoffe

Kopf-an-Kopf-Rennen auf der Ziellinie

Remagen - 20.11.2020, 07:00 Uhr

Verschiedene Impfstoffkandidaten befinden sich aktuell in der letzten Prüfphase, sodass möglicherweise noch in diesem Jahr Impfstoffe zugelassen werden. (rh / Foto: imago images / Hans Lucas)

Verschiedene Impfstoffkandidaten befinden sich aktuell in der letzten Prüfphase, sodass möglicherweise noch in diesem Jahr Impfstoffe zugelassen werden. (rh / Foto: imago images / Hans Lucas)


In den letzten Tagen jagen sich die Nachrichten über bahnbrechende Erfolge mit COVID-19-Impfstoffkandidaten. Biontech/Pfizer und Moderna lassen die Fachwelt staunen. Bei der Politik stellt sich eine vorsichtige Erleichterung ein. Ist der aktuelle Hype berechtigt, oder können die Vakzine immer noch floppen, vor allem, wenn es um die Verteilung geht?

Bislang wurden erst zwei russische Impfstoffe gegen COVID-19 „offiziell“ zugelassen, Sputnik V und EpiVacCorona, beide vorerst nur über Notfallzulassungen. Auch in China wurden dem Vernehmen nach bereits Notfallgenehmigungen für drei COVID-19-Vakzine erteilt. Alle fünf haben offiziell die Phase 3 der klinischen Erprobung noch nicht abgeschlossen. Wer von den zehn aktuell in der Phase III befindlichen, könnte als nächster die Ziellinie der Zulassung erreichen und wer könnte in der Vermarktungsphase am besten dastehen? 

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Regulatorisch betrachtet haben die zwei mRNA-Vakzine von BionTech/Pfizer und Moderna aktuell die Nase vorn. Ihre Wirksamkeit im Hinblick auf die Verhinderung einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung unterscheidet sich offenbar kaum. 95 Prozent werden jüngst für BNT162b2 von BionTech/Pfizer angegeben und 94,5 Prozent für Modernas mRNA-1273. Was sind die Daten wert? Bislang hat noch keiner von beiden die Ergebnisse seiner Phase-3-Studien umfassend veröffentlicht.

BionTech/Pfizer-Vakzine erreicht primären Studienendpunkt

BionTech/Pfizer hatten am 9. November mit der Bekanntgabe von Daten aus einer Zwischenanalyse seiner pivotalen Phase-3-Studie (NCT04368728) weltweit für Euphorie gesorgt und von einer 94-prozentigen Wirksamkeit gesprochen, basierend auf 94 bestätigten COVID-19-Fällen. Die Wirksamkeitsraten errechnen sich jeweils aus der Verteilung der Erkrankungsfälle auf die Verum- und die Placebogruppe. Gestern hat die Impfstoffallianz dann nachgelegt. Nun sind bereits 170 bestätigte Fälle ausgewertet, womit das Studiensoll erfüllt ist. An der Wirksamkeitsrate von 95 Prozent sollte sich demnach eigentlich nichts mehr ändern. Auch der Sicherheits-Meilenstein, der für die Erteilung einer Notfallzulassung (EUA) durch die FDA erforderlich ist, sei erreicht worden, teilen BionTech/Pfizer mit. Der Antrag soll „in a few days“ eingereicht werden. 

Daten zu mRNA-1273 bislang nur aus Zwischenanalyse

Damit haben BionTech und Pfizer Moderna im Kopf-an-Kopf-Rennen derzeit hinter sich gelassen. In der COVE-Studie (NCT04470427) mit mRNA-1273, dem Impfstoffkandidaten von Moderna, traten bis zur Zwischenanalyse, die am Montag dieser Woche präsentiert wurde, 95 positive COVID-19-Fälle auf, davon 90 in der Placebogruppe und fünf in der mRNA-1273-Gruppe. Die Vakzine soll hiernach zu 94,5 Prozent wirken.    
Für den Abschluss der Studie sind 151 Fälle notwendig. In welcher Größenordnung der Wert sich nach Studienabschluss noch ändern könnte, ist schwer abschätzbar. 
Auch Moderna will „in den kommenden Wochen“ bei der FDA eine Notfallzulassung beantragen. Die Europäische Arzneimittelagentur prüft BNT162b2 schon seit Anfang Oktober und mRNA-1273 seit dieser Woche in einem Rolling-Review-Verfahren. Wie das Beispiel Remdesivir gezeigt hat, kann die Zulassung damit erheblich beschleunigt werden.  
BNT162b2 und mRNA-1273 wären die ersten Impfstoffe weltweit, die die Hürde der Zulassung nehmen. Zudem prüft die EMA seit 1. Oktober auch AZD-1222, ein auf einem Adenovektor basierenden Corona-Impfstoff von AstraZeneca, der in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford entwickelt wurde.

Curevac noch nicht in Phase III

Eine weitere hoch gehandelte mRNA-Vakzine, CVnCoV von Cureac aus Tübingen kann hier noch nicht ganz mithalten. Erst am 9. November 2020 wurden ermutigende Interimsdaten der klinischen Phase-I-Studie (NCT04449276) bekannt gegeben, aber bis zur Phase III sind noch einige Schritte zu gehen. Trotzdem hofft Curevac, bereits im ersten Quartal 2021 ebenfalls einen Antrag auf eine gleitende Überprüfung bei der EMA stellen zu können.

Sputnik V ebenfalls zu 92 Prozent wirksam?

Auch die russische Adenovirus-basierte Vakzine Sputnik V verblüffte am 11. November mit einer Nachricht über eine 92-prozentige Wirksamkeit. Diese wurde ebenfalls aus der Zwischenanalyse einer Phase-III-Studie (NCT04530396) abgeleitet. Mehr als 20.000 Probanden hatten bis dahin bereits die erste Komponente des Impfstoffs erhalten und über 16.000 Freiwillige sowohl die erste als auch die zweite. Die Wirksamkeit wurde allerdings auf der Basis von lediglich 20 bestätigten COVID-19-Fällen berechnet. Was dieses Vorab-Ergebnis am Ende wert sein wird, muss sich erst noch zeigen. 

Die Blackbox China

China macht sich ebenfalls Hoffnungen auf eine baldige Zulassung seiner aktuell vier Kandidaten in Phase III der klinischen Erprobung, darunter drei inaktivierte Vakzine. Man erwarte, der Allgemeinbevölkerung im November oder Dezember eine COVID-19-Impfung anbieten zu können, hieß es Mitte September.  
Die Entwicklungsprojekte werden allerdings von vielen Experten ebenso wie die russischen als „Blackbox“ angesehen. Von konkreten Wirksamkeitsraten war bislang in offiziellen Verlautbarungen keine Rede. Man halte sich strikt an internationale Standards sowie einschlägige Gesetze und Vorschriften, hatte ein Sprecher der National Medicinal Products Administration zuletzt am 13. November 2020 betont. China und Russland sehen sich aber hinsichtlich des Belegs der Wirksamkeit und Sicherheit auch wegen der bereits erteilten Notfallgenehmigungen im Vorteil. Hierüber werden die Vakzine nämlich außerhalb klinischer Studien bei Freiwilligen und Risikogruppen schon breit eingesetzt. Schon mehrfach haben beide betont, dass sich ihre Impfstoffe bei diesen Einsätzen als sicher und wirksam erwiesen hätten.

Wie weit sind Universität Oxford und AstraZeneca?

Zu dem Adenovirus-basierten Vektorimpfstoff AZD1222 (ChAdOx1) der Universität Oxford/AstraZeneca liegen noch keine publizierten Ergebnisse aus klinischen Phase-III-Studien vor. Die Europäische Arzneimittelagentur hat dazu bereits Anfang Oktober einen Rolling Review gestartet. Auch für die ebenfalls Adenovirus-basierten Kandidatenvakzine JNJ-78436735 von Janssen und Ad5-nCoV, die von Cansino Biological Inc./Beijing Institute of Biotechnology entwickelt wird, sind noch keine Daten aus Phase-3-Studien bekannt geworden.

mRNA-Impfstoffe und die Kühlkette

Wie auch immer das Rennen um die ersten Zulassungen ausgeht, bei der Verteilung und Anwendung werden die Karten dann neu gemischt. Unter dem Druck des abzusehenden „Massengeschäfts“ sollten die Impfstoffe leicht handhabbar sein, und zwar unter weltweit herrschenden klimatischen Bedingungen.  
BNT162b2 muss nach derzeitigen Erkenntnissen bei -70 °C transportiert und gelagert werden, was sich für die Vakzine selbst in industrialisierten Ländern als entscheidendes Nadelöhr für die Distribution erweisen könnte.  
mRNA-1273 und die Curevac-Vakzine CVnCoV stehen diesbezüglich besser da. Moderna erwartet, dass sein Impfstoff bis zu sechs Monate bei -20 °C stabil gehalten werden kann. Die meisten pharmazeutischen Vertriebsunternehmen seien dazu in der Lage, Produkte unter solchen Bedingungen weltweit zu lagern und zu versenden, heißt es. Nach dem Auftauen soll mRNA-1273 bei Standardkühlbedingungen von +2 bis 8° C bis zu 30 Tage stabil sein. Die mRNA-Vakzine CVnCoV von CureVac soll bei +5 °C sogar mindestens drei Monate haltbar sein.  
Damit sollten beide in den meisten Apotheken, Krankenhäusern oder Arztpraxen problemlos im Kühlschrank gelagert werden können. Pfizer/Biontech arbeiten allerdings ebenfalls schon an stabileren Formulierungen, die dieser Bedingung genügen. Ein besonderer Vorteil von RNA-Impfstoffen ist, dass sie wesentlich schneller als konventionelle Impfstoffe produziert werden können. 

Der große Verteilungskampf

Da sich derzeit verschiedene Impfstoffkandidaten in der letzten Prüfphase befinden, ist es gut möglich, dass in absehbarer Zeit mehrere Impfstoffe zugelassen werden, die mRNA-Vakzine von Biontech/Pfizer vielleicht schon im Dezember. Der große Verteilungskampf um die COVID-19-Impfstoffe ist schon seit Monaten im Gange. Viele Unternehmen produzieren im Voraus, um nach der Zulassung keine Zeit zu verlieren und riskieren damit große Verluste, wenn die Genehmigung nicht durchgeht. Die USA haben Entwicklungsunternehmen milliardenschwere Finanzspritzen gewährt und sich damit Lieferungen gesichert. Zahlreiche Länder stehen schon jetzt Schlange, um die russischen Impfstoffe in die Hände zu bekommen, obwohl die Belege für deren Wirksamkeit und Sicherheit noch auf tönernen Füßen stehen. Die Europäische Kommission hat für die EU-Bürger über verschiedene Vereinbarungen vorab Impfstofflieferungen der aktuell vielversprechendsten Kandidaten gesichert, darunter auch denjenigen von Biontech und Pfizer und den von Curevac. Mit Moderna wurden „erfolgreiche Vorgespräche“ abgeschlossen.

Weitere Details zum aktuellen Stand der vielversprechendsten COVID-19-Impfstoffprojekte erfahren Sie im Pandemie Spezial „Impfstoffe in Sicht“ der Print-Ausgabe der DAZ 47/2020.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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