Gastkommentar zur AvP-Insolvenz

Werden gerade etwa 3.500 Apotheken Opfer des Medikamenten Monopolys?

Erding - 22.09.2020, 07:00 Uhr

Zwei mögliche Auswege aus dieser Finanzierungsfalle: Entweder werden die Aufschläge der Apotheken zur Risikoabpufferung deutlich erhöht oder die finanziellen Risiken müssen anders verteilt werden, findet Dr. Franz Stadler. (Foto: Pixelbliss / stock.adobe.com)

Zwei mögliche Auswege aus dieser Finanzierungsfalle: Entweder werden die Aufschläge der Apotheken zur Risikoabpufferung deutlich erhöht oder die finanziellen Risiken müssen anders verteilt werden, findet Dr. Franz Stadler. (Foto: Pixelbliss / stock.adobe.com)


Die AvP-Insolvenz und ihre Folgen für die Apotheken offenbaren einmal mehr: Im Arzneimittelmarkt spielt vor allem das Geld die entscheidende Rolle. Gibt es für die Apotheken einen Ausweg aus der Finanzierungsfalle? DAZ.online-Gastkommentator Dr. Franz Stadler, Apotheker und Autor des Buches „Medikamenten Monopoly“, sieht durchaus Möglichkeiten – zum Beispiel durch ein Kommissionsmodell. 

Die genauen Hintergründe der AvP-Insolvenz sind noch nicht bekannt. Fakten sind aber, dass AvP, ein großer Apothekenabrechnungsdienstleister, seit dem 14. September 2020 unter Aufsicht der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) steht und am 15. September 2020 Insolvenz angemeldet hat. Ebenso wurde Strafanzeige gestellt. Obwohl sich die Krankenkassengelder, die als Bezahlung für die im Vormonat von den betroffenen Apotheken an die Versicherten abgegeben Medikamente vorgesehen waren, auf Treuhandkonten befinden sollen, wurden diese bisher nicht ausbezahlt – Zukunft ungewiss.

Warum bringt dieser Vorgang viele Apotheken in existenzielle Nöte?

Dazu müssen wir einige Zahlen bemühen (aus: ABDA Zahlen Daten Fakten 2020): 2019 lag der durchschnittliche Apothekennettoumsatz bei circa 2,59 Millionen Euro pro Jahr. Aus diesem Umsatz verblieben dem Inhaber vor Abzug aller Steuern/Versicherungen/Investitionen etwa 148.000 Euro als steuerliches Betriebsergebnis, also ein Gewinn von circa 5,7 Prozent. 

Allerdings gibt es zwischen den unterschiedlichen Apotheken eine erhebliche Bandbreite. Gerade bei umsatzstarken Apotheken, die einen hohen Anteil an sehr teuren, innovativen und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln abrechnen, kann der Gewinnanteil auch bei 4 Prozent oder darunter liegen. Laut Treuhand Hannover sollen 32 Prozent aller Apotheken in diese Kategorie fallen

Nehmen wir jetzt an, dass ein Monatsumsatz ungefähr 8 Prozent des Jahresumsatzes ausmacht, wird schnell klar, dass schon der Ausfall einer Monatsabrechnung bis zu zwei komplette Jahresgewinne (2x4 Prozent) auffressen kann. Das ist für nahezu jeden Apothekeninhaber existenzbedrohend. Trotzdem ist eben dies mit der nicht ausbezahlten Augustabrechnung durch die Insolvenz der AvP nun für viele der 3.500 betroffenen Kollegen zur Realität geworden.

Wie konnte es zu einer derartigen Situation kommen?

Seit Jahren stehen die Apotheken finanziell unter Druck. Immer wieder wird von interessierten Seiten kolportiert, dass deren Einkommen zu hoch sei. Musterbeispiel hierfür ist das 2hm-Gutachten „Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelten Preise“, das im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt und Ende 2017 veröffentlicht wurde. Natürlich forderte es weitere drastische Einsparungen, wenn auch schlecht und teilweise falsch begründet. 

Neben der inzwischen (wegen der Corona-Pandemie!) wieder unumstrittenen Bedeutung der Apotheken als systemrelevante Infrastruktur ist es aber im Gegenteil so, dass kein anderes Unternehmen bereit wäre, ein derartiges finanzielles Risiko bei diesen Verdienstmöglichkeiten zu tragen, zumal es ja bei weitem nicht das einzige Risiko ist. Neben Lager- und Bruchrisiko haften die Apotheken beispielsweise auch immer wieder für nicht gezahlte Herstellerrabatte insolventer pharmazeutischer Unternehmen (siehe zuletzt: Axios Pharma).  

Zu diesem stetig wachsenden finanziellen Druck kommen veraltete und über-bürokratisierte Abrechnungsstrukturen. Wieso behalten in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung Abrechnungszentren ihre zentrale Stellung im Geld- und Datenfluss? Wieso wird nur alle vier Wochen abgerechnet? Wieso läuft der Geldfluss nicht direkt von der jeweiligen Krankenkasse zur abrechnenden Apotheke? Wieso muss der Hersteller-Rabatt an die GKV über die Apotheken abgerechnet werden? Vielleicht liegt dies auch daran, dass die Apothekerverbände Inhaber der meisten Abrechnungszentren sind? Vielleicht wäre es bei all diesen Fragen sinnvoll den bestehenden Rahmenvertrag zu überarbeiten? 

Leider erweisen sich unsere Standesvertreter in diesem Zusammenhang immer wieder als wenig erfolgreiche Spieler des Medikamenten Monopolys. Sie können und wollen (?) diese anhaltende Entwicklung nicht verhindern. Sie beschäftigen sich zu wenig mit tragfähigen politischen Strategien, die der eigentlichen Aufgabe der Apotheken, der Sicherstellung der Arzneimittelversorgung dienen.

Gibt es gangbare Auswege?

Genannt seien zwei mögliche Auswege aus dieser Finanzierungsfalle: Entweder werden die Aufschläge der Apotheken zur Risikoabpufferung deutlich erhöht oder die finanziellen Risiken müssen anders verteilt werden.

Beispielsweise könnte der Mehrwertsteuersatz für verschreibungspflichtige Medikamente auf den reduzierten Steuersatz gesenkt und im Gegenzug der prozentuale Aufschlag von 3 auf 10 Prozent für die Apotheken erhöht werden.

Alternativ könnte ein Kommissionsmodell hier die finanzielle Belastung der Apotheken deutlich verringern, da dann die Krankenkassen den Preis der Fertigarzneimittel direkt mit den Herstellern abrechnen (siehe Das Kommissionsmodell – die Zukunft der Apotheke?).

Wie bereits in „Medikamenten Monopoly“ ausführlich dargestellt, ist es im Interesse der Arzneimittelsicherheit zwingend notwendig, einige tief greifende Änderungen der politischen Rahmenbedingungen vorzunehmen und das Medikamenten Monopoly einzudämmen. Nur so können künftig finanzgetriebene Skandale wie die AvP-Insolvenz verhindert werden. Sie treffen nicht nur Apotheken, sondern die Arzneimittelsicherheit als Ganzes.

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Buchtipp

1. Auflage 2020 – Murmann Publishers – 220 S., 159 x 17 mm – Kartoniert

von Franz Stadler

Medikamenten-Monopoly

Die unheilvolle Welt der Arzneimittelgeschäfte

Der sorglose, fast spielerische, von Geldgier getriebene Umgang, also das Medikamenten Monopoly, bedroht zunehmend die Sicherheit unserer Arzneimittelversorgung. Das ist die Kernthese des kürzlich im Murmann-Verlag erschienen gleichnamigen Buches von Dr. Franz Stadler.

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Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Analyse

von ratatosk am 22.09.2020 um 16:12 Uhr

Sehr gute Analyse, aber komplizierte Umstellung sind nicht nötig, Die prinzipielle Frage ist einfach, ob weiter Apotheken zugunsten des Großkapitals vernichtet werden sollen und das hat Spahn zugunsten dieser beantwortet.
Die riesige Zahl an Lobbyisten der GKV wird weiter dafür sorgen, daß alle Risiken zulasten der Apotheken gehen und durch weiteren Irrwitz noch mehr Retaxfallen entstehen.
Leider wurde der einzige Gesundheitsminister der nicht dem Großkapital anheimgefallen ist durch Spahn verdrängt, damit er den Versendern zu Gefallen sein kann. Die personellen Verbindungen sind ja allzubekannt. In der CDU ist das aber eben kein Problem, von Rot - Grün - FDP brauchen wir ja nicht mehr zu reden.
Nur eine klare politische Konzeption mit professionellem Marketing könnte uns noch retten.

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Kommissionsmodell

von Nikolaus Guttenberger am 22.09.2020 um 8:07 Uhr

Sehr geehrter Herr Dr. Stadler,

Sie haben richtig erkannt, dass die Lage für Apotheken, die intensiv mit Hochpreisern versorgen absolut existenzbedrohend ist.

Leider wäre das Kommissionsmodell der absolute Todesstoß für eigentlich fast jede Apotheke. Eine hochpreisversorgende Apotheke verliert dann nicht den 2 Jahres Gewinn, wie in der aktuellen Avp Lage, sondern eher den 20 Jahres - Gewinn

Eine durchschnittliche Apotheke mit 2 Mio Jahresumsatz verliert ebenfalls ca. 60 000€ aus dem Ertrag und ist damit de facto ebenso um den Unternehmenswert enteignet.

Der ganz grosse Knackpunkt an Ihrem Modell ist Ihr frommer Wunsch „keine Apotheke soll schlechter gestellt werden“. Genau das Gegenteil wird passieren, und ALLE werden den letzten Krümel Wirtschaftlichkeit einbüssen, und nur noch mit Fixpauschalen (die niemals erhöht werden) dasitzen.

Sie schreiben in dem Modell auch selber: „Versorgung mit Hochpreisern soll sich nicht mehr lohnen“. Wieso sollte man es dann machen ? Wenn es sich noch weniger lohnt als jetzt ?

Schon die jetzige Vergütung ist lediglich die Karrotte an der Angel, damit der Esel halt weiter läuft. Nehmen Sie die auch noch weg, bleibt er stehen, und die Versorgung mit diesen Dingen bricht zusammen.

Ohne angemessene (!) Beteiligung am tatsächlichen Arzneimittelumsatz ist der Beruf de facto vollkommen sinnlos. Dann besser alle Apotheken in ein staatliches System der Arzneimitteldistribution überführen. Dies ist weniger schmerzhaft und die direkte Konsequenz aus Ihrem Vorschlag.

Die 3 % wurden viel zu niedrig angesetzt, wie der derzeitige Fall mit Avp zeigt. Das fortschreitende Apothekensterben das man überall beobachten kann ist ein direktes Resultat aus der viel zu niedrigen unternehmerischen Beteiligung. Irgendwann in einigen Jahren bricht die Versorgung dann komplett zusammen, das ist bereits jetzt deutlich absehbar, weil aus den 3% immer mehr bezahlt werden muss, die Fixpauschalen aber gleich bleiben (seit mehr als einem Jahrzehnt).

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Die Thesen des Herrn Dr.Stadler

von Dr.Diefenbach am 22.09.2020 um 8:02 Uhr

Lieber Herr Dr.Stadler,ich danke für das Aufzeigen diverser Möglichkeiten, um das Geschehen rund um AvP nicht zum Wiederholungsfall kommen zu lassen.Ich sehe allerdings:Keine Bereitschaft der Politik,getrieben auch durch die Lobbyarbeit der GKVen(s.zB die personelle Neuausrichtung im GKV Spitzenverband),unsere Vergütungen endlich anzupassen.Das Gegenteil ist doch im Focus;ggf Absenken des Fixaufschlages zugunsten der nach wie vor nebulösen Ausgestaltung der "pharmazeutischen Dienstleistungen ".Wir alle ahnen, dass hier am Ende für viele deutliche Verluste im Ertrag des Einzelbetriebes stehen können!!Ich provoziere mal die These, dass einige grossvolumige KollegInnen den nach wie vor offenen Ausgang der Honorierungsdebatte "gerne" abwarten,um letztendlich vom Aus kleinerer Betriebe zu profitieren.Zumal Viele die von der Politik erwarteten Angebote einfach nicht erfüllen können!Nicht aus fachlichen Gründen, sondern aus den speziellen Rahmenbedingungen vor Ort!!
DANN.Es stellt sich durch die AvP Sachlage ja auch die Frage:Kann so etwas WIEDER passieren??Bei einem anderen Abrechnungszentrum?
DANN:Muss hier nicht wirklich die offenkundig werdende Unlogik:HIER der Einzelhaftende Apotheker als eK-DORT die Situation des Gemeinwohlauftrages- langfristig grundsätzlich(!) neu bewertet werden.Sie haben ja in Ihren Ausführungen einige Wege angesprochen.
DANN.Muss über eine Systemänderung grundsätzlicher Art nachgedacht werden??
DANN:Es kann-ich wiederhole das-nicht sein, dass sich die BAK hier aus der Diskussion heraushält, falls man daran denkt.Denn der Verlust von Apotheken durch Situationen wie den AvP-insolvenzsachverhalt beschädigt eben den Versorgungsauftrag uU durch lokale Schliessungen usw.Dass natürlich zusätzlich die unsäglichen EU-Entscheidungen globalen Institutionen helfen auch durch den aktuellen Sachverhalt mehr Einfluss zu gewinnen, ist klar.Das nutzt dem Einzelnen nichts.
DANN:Würde ich mich freuen, wenn irgendein finanzieller Lichtblick für den Beruf herauskäme.Dieser ist auch "dank" Corona erst recht nicht zu erwarten.Ich sehe mit Schrecken die Vorträge der GKV zu Einnahmeverlusten 2021 ff .Das impliziert auch deren "Ideen" zu Neuorientierungen am Arzneimittelmarkt.Diese sehen allerdings sicher nichts Besseres für uns vor,befürchte ich.
So, jetzt besorge ich mir mal Ihr Buch!

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Ja

von Karl Friedrich Müller am 22.09.2020 um 7:45 Uhr

Kommissionsmodell. Bestechend gute Idee.
Ich fürchte, dafür müssen wir aber erst unsere Standesvertretung zum Teufel jagen. Es wird immer klarer, dass die nur zum Eigennutz arbeiten, nicht für uns.
Wir brauchen Personal, das sich durchsetzt, bei KK und Politik. Die KK könnten dabei auch weitgehend verschwinden. Eine !! Reicht
Sollte die Pleite endlich der Auslöser für gute Veränderungen sein?

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AW: Ja

von Heiko Barz am 22.09.2020 um 11:09 Uhr

„Es wird immer klarer, dass die (ABDA,etc.) nur zum Eigennutz arbeiten, nicht für uns.
Wir brauchen Personal,das sich durchsetzt, bei KK und Politik.“
Und jetzt sollen die, die diese berufsvernichtenden Gesetz-vorgaben mit scheinbarem Wohlwollen begleiten, unsere abtretenden „Führungskräfte“- mit welchen neuen Ideen Eigentlich ? - ersetzen?!
Der alte Wein in neuen Schläuchen bleibt genauso sauer wie vorher, auch wenn versucht wird „mit neuen Besen zu kehren“
Wie immer wird die einfachste Lösung - das umfassende RXVV - totgeschwiegen. Das Großkapital wäre mit einem Schlag - draußen!

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