- DAZ.online
- News
- Debatte & Meinung
- Werden gerade etwa 3.500 ...
Gastkommentar zur AvP-Insolvenz
Werden gerade etwa 3.500 Apotheken Opfer des Medikamenten Monopolys?
Die AvP-Insolvenz und ihre Folgen für die Apotheken offenbaren einmal mehr: Im Arzneimittelmarkt spielt vor allem das Geld die entscheidende Rolle. Gibt es für die Apotheken einen Ausweg aus der Finanzierungsfalle? DAZ.online-Gastkommentator Dr. Franz Stadler, Apotheker und Autor des Buches „Medikamenten Monopoly“, sieht durchaus Möglichkeiten – zum Beispiel durch ein Kommissionsmodell.
Die genauen Hintergründe der AvP-Insolvenz sind noch nicht bekannt. Fakten sind aber, dass AvP, ein großer Apothekenabrechnungsdienstleister, seit dem 14. September 2020 unter Aufsicht der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) steht und am 15. September 2020 Insolvenz angemeldet hat. Ebenso wurde Strafanzeige gestellt. Obwohl sich die Krankenkassengelder, die als Bezahlung für die im Vormonat von den betroffenen Apotheken an die Versicherten abgegeben Medikamente vorgesehen waren, auf Treuhandkonten befinden sollen, wurden diese bisher nicht ausbezahlt – Zukunft ungewiss.
Warum bringt dieser Vorgang viele Apotheken in existenzielle Nöte?
Dazu müssen wir einige Zahlen bemühen (aus: ABDA Zahlen Daten Fakten 2020): 2019 lag der durchschnittliche Apothekennettoumsatz bei circa 2,59 Millionen Euro pro Jahr. Aus diesem Umsatz verblieben dem Inhaber vor Abzug aller Steuern/Versicherungen/Investitionen etwa 148.000 Euro als steuerliches Betriebsergebnis, also ein Gewinn von circa 5,7 Prozent.
Allerdings gibt es zwischen den unterschiedlichen Apotheken eine erhebliche Bandbreite. Gerade bei umsatzstarken Apotheken, die einen hohen Anteil an sehr teuren, innovativen und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln abrechnen, kann der Gewinnanteil auch bei 4 Prozent oder darunter liegen. Laut Treuhand Hannover sollen 32 Prozent aller Apotheken in diese Kategorie fallen.
Nehmen wir jetzt an, dass ein Monatsumsatz ungefähr 8 Prozent des Jahresumsatzes ausmacht, wird schnell klar, dass schon der Ausfall einer Monatsabrechnung bis zu zwei komplette Jahresgewinne (2x4 Prozent) auffressen kann. Das ist für nahezu jeden Apothekeninhaber existenzbedrohend. Trotzdem ist eben dies mit der nicht ausbezahlten Augustabrechnung durch die Insolvenz der AvP nun für viele der 3.500 betroffenen Kollegen zur Realität geworden.
Wie konnte es zu einer derartigen Situation kommen?
Seit Jahren stehen die Apotheken finanziell unter Druck. Immer wieder wird von interessierten Seiten kolportiert, dass deren Einkommen zu hoch sei. Musterbeispiel hierfür ist das 2hm-Gutachten „Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelten Preise“, das im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt und Ende 2017 veröffentlicht wurde. Natürlich forderte es weitere drastische Einsparungen, wenn auch schlecht und teilweise falsch begründet.
Neben der inzwischen (wegen der Corona-Pandemie!) wieder unumstrittenen Bedeutung der Apotheken als systemrelevante Infrastruktur ist es aber im Gegenteil so, dass kein anderes Unternehmen bereit wäre, ein derartiges finanzielles Risiko bei diesen Verdienstmöglichkeiten zu tragen, zumal es ja bei weitem nicht das einzige Risiko ist. Neben Lager- und Bruchrisiko haften die Apotheken beispielsweise auch immer wieder für nicht gezahlte Herstellerrabatte insolventer pharmazeutischer Unternehmen (siehe zuletzt: Axios Pharma).
Zu diesem stetig wachsenden finanziellen Druck kommen veraltete und über-bürokratisierte Abrechnungsstrukturen. Wieso behalten in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung Abrechnungszentren ihre zentrale Stellung im Geld- und Datenfluss? Wieso wird nur alle vier Wochen abgerechnet? Wieso läuft der Geldfluss nicht direkt von der jeweiligen Krankenkasse zur abrechnenden Apotheke? Wieso muss der Hersteller-Rabatt an die GKV über die Apotheken abgerechnet werden? Vielleicht liegt dies auch daran, dass die Apothekerverbände Inhaber der meisten Abrechnungszentren sind? Vielleicht wäre es bei all diesen Fragen sinnvoll den bestehenden Rahmenvertrag zu überarbeiten?
Leider erweisen sich unsere Standesvertreter in diesem Zusammenhang immer wieder als wenig erfolgreiche Spieler des Medikamenten Monopolys. Sie können und wollen (?) diese anhaltende Entwicklung nicht verhindern. Sie beschäftigen sich zu wenig mit tragfähigen politischen Strategien, die der eigentlichen Aufgabe der Apotheken, der Sicherstellung der Arzneimittelversorgung dienen.
Gibt es gangbare Auswege?
Genannt seien zwei mögliche Auswege aus dieser Finanzierungsfalle: Entweder werden die Aufschläge der Apotheken zur Risikoabpufferung deutlich erhöht oder die finanziellen Risiken müssen anders verteilt werden.
Beispielsweise könnte der Mehrwertsteuersatz für verschreibungspflichtige Medikamente auf den reduzierten Steuersatz gesenkt und im Gegenzug der prozentuale Aufschlag von 3 auf 10 Prozent für die Apotheken erhöht werden.
Alternativ könnte ein Kommissionsmodell hier die finanzielle Belastung der Apotheken deutlich verringern, da dann die Krankenkassen den Preis der Fertigarzneimittel direkt mit den Herstellern abrechnen (siehe Das Kommissionsmodell – die Zukunft der Apotheke?).
Wie bereits in „Medikamenten Monopoly“ ausführlich dargestellt, ist es im Interesse der Arzneimittelsicherheit zwingend notwendig, einige tief greifende Änderungen der politischen Rahmenbedingungen vorzunehmen und das Medikamenten Monopoly einzudämmen. Nur so können künftig finanzgetriebene Skandale wie die AvP-Insolvenz verhindert werden. Sie treffen nicht nur Apotheken, sondern die Arzneimittelsicherheit als Ganzes.
Buchtipp
von Franz Stadler
Medikamenten-Monopoly
Die unheilvolle Welt der Arzneimittelgeschäfte
Der sorglose, fast spielerische, von Geldgier getriebene Umgang, also das Medikamenten Monopoly, bedroht zunehmend die Sicherheit unserer Arzneimittelversorgung. Das ist die Kernthese des kürzlich im Murmann-Verlag erschienen gleichnamigen Buches von Dr. Franz Stadler.
5 Kommentare
Analyse
von ratatosk am 22.09.2020 um 16:12 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Kommissionsmodell
von Nikolaus Guttenberger am 22.09.2020 um 8:07 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Die Thesen des Herrn Dr.Stadler
von Dr.Diefenbach am 22.09.2020 um 8:02 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Ja
von Karl Friedrich Müller am 22.09.2020 um 7:45 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Ja
von Heiko Barz am 22.09.2020 um 11:09 Uhr
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.