Beschleunigte Zulassung bei der FDA?

Widersprüchliches zu Remdesivir – hilft es bei COVID-19?

Stuttgart - 30.04.2020, 16:30 Uhr

Die Studiendaten zu Remdesivir bei COVID-19 sind widersprüchlich. (m / Foto: picture alliance/Ulrich Perrey/dpa-POOL/dpa)

Die Studiendaten zu Remdesivir bei COVID-19 sind widersprüchlich. (m / Foto: picture alliance/Ulrich Perrey/dpa-POOL/dpa)


Hilft Remdesivir gegen COVID-19? Diese Frage beschäftigt die Welt als potenzielle Patienten, Gilead als Pharmaunternehmen hinter dem Virostatikum und Forscher auf der Suche nach einem ersten Wirkstoff gegen Corona. Studien laufen, erste Daten aus China, publiziert im Lancet, und Vorabauswertungen der NIH-Studie in den USA sind widersprüchlich. Dennoch soll das Arzneimittel Medienberichten zufolge in einem Eilverfahren bei der FDA zugelassen werden.

Remdesivir gilt als einer der Hoffnungsträger bei virostatischen Arzneimitteln gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2. Ursprünglich wurde der RNA-Polymeraseinhibitor zur Behandlung von Ebola erforscht, nun wird Remdesivir forciert bei COVID-19 untersucht. Derzeit laufen mehrere Studien, unter anderem in China und den USA. Zwei neue Berichte haben widersprüchliche Ergebnisse über die potenzielle Wirksamkeit von Remdesivir erbracht.

Eher entmutigende Resultate einer chinesischen Untersuchung wurden am 29. April 2020 im Lancet veröffentlicht: Remdesivir in adults with severe COVID-19: a randomised, double-blind, placebo-controlled, multicentre trial

Am selben Tag ging auch das Nationale Gesundheitsinstitut NIH (National Institut of Health) mit vorläufigen, doch eher zuversichtlichen Daten an die Öffentlichkeit: NIH Clinical Trial Shows Remdesivir Accelerates Recovery from Advanced COVID-19. Als Teil des NIH untersucht das National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) Remdesivir in der ersten klinischen Studie (Adaptive COVID-19 Treatment Trial, ACTT ) in den Vereinigten Staaten und sponsert diese auch. 

Zusätzlich gab Gilead, das pharmazeutische Unternehmen hinter Remdesivir, bekannt, dass es nun auch Daten zur Therapiedauer aus einer vom Unternehmen finanzierten Open-Label-Phase-3-Studie (SIMPLE) an Patienten mit schwerer COVID-19-Krankheit gibt.

RKI-Chef: Noch keine endgültige Aussage möglich

Zurückhaltung oder Zuversicht – was ist geboten bei Remdesivir? Die „Ergebnisse“ sind nicht kongruent. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, erklärte in der am heutigen (30. April 2020) RKI-Pressekonferenz zu Remdesivir: „Die Daten machen einen positiven Eindruck, aber es sind noch nicht genügend Daten da, um eine endgültige Aussage zu treffen.“ US-Präsident Donald Trump ist „The Wall Street Journal“ zufolge interessiert, schnellstmöglich eine Zulassung für Remdesivir zu erreichen. Trump dränge die U.S. Food and Drug Administration, die Notfallgenehmigung für das Gilead-Medikament zu erteilen.

Remdesivir verkürzt COVID-19

Zunächst zu den positiven, jedoch nur vorläufigen Zwischendaten, die sich nach einer Mitteilung des NIH aus der am 21. Februar 2020 gestarteten randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studie „Adaptive COVID-19 Treatment Trial“ (ACTT) ableiten lassen. (Einschlusskriterien: labordiagnostisch SARS-CoV-2 bestätigt, schwer an COVID-19 erkrankte Patienten mit Lungenbeteiligung wie Rasselgeräusche beim Atmen und zusätzliche Sauerstoffversorgung oder auffälliger Röntgenbefund oder künstliche Beatmung.) Laut dem NIH erholen sich Krankenhauspatienten mit fortgeschrittenem COVID-19 und Lungenbeteiligung mit Remdesivir schneller als ohne Remdesivir. Ein unabhängiges Daten- und Sicherheitsüberwachungsgremium (DSMB, Data and Safety Monitoring Board) zwischenanalysierte, dass Remdesivir hinsichtlich der Zeit bis zur Genesung (primärer Endpunkt) besser als Placebo ist.

Primärer Endpunkt der „Adaptive COVID-19 Treatment Trial“ (ACTT)

Laut Clinical Trial umfasst der primäre Endpunkt „Zeit bis zur Genesung“ einen Zeitrahmen von Tag 1 bis Tag 29: „Der Tag der Genesung ist der erste Tag, an dem der Patient eine der folgenden drei Kategorien erfüllt:
1) Hospitalisiert: benötigt keinen zusätzlichen Sauerstoff, benötigt keine laufende medizinische Versorgung mehr; 
2) Nicht hospitalisiert, Einschränkung der Aktivitäten und/oder benötigt Sauerstoff zu Hause; 
3) Nicht hospitalisiert, keine Einschränkung der Aktivitäten.

Patienten, die Remdesivir erhielten, hatten eine 31 Prozent schnellere Genesungszeit als Patienten, unter Placebo  (p<0,001). Im Median sind Remdesivirpatienten nache elf Tagen, Placebopatienten nach 15 Tagen genesen. Die Ergebnisse deuteten dem NIH zufolge auch auf einen Überlebensvorteil hin: Die Mortalitätsrate in der Remdesivirgruppe lag bei 8 Prozent, in der Placebogruppe bei 11,6 Prozent (p=0,059).

Immunologe und Chef des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten (NIAID) der USA, Anthony Fauci, der auch einer von Donald Trumps Beratern ist, äußerte sich zuversichtlich: Die Hinweise auf eine deutlich kürzere Krankheitsdauer seien jedenfalls vielversprechend, zitiert die Deutsche Presse-Agentur (dpa) Fauci.
Wissenschaftlich publiziert wurde die Studie noch nicht, das soll folgen.

Fünf Tage Remdesivir genügt

Zusätzlich zu den NIAID-Zwischenanalysen der ACTT legte Gilead am 29. April 2020 Phase-3-Daten (SIMPLE-Studie) zur Behandlungsdauer mit Remdesivir von Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung vor. Die Frage nach der Behandlungsdauer sei wichtig, da die Möglichkeit eines kürzeren Behandlungsverlaufs in vielerlei Hinsicht vorteilhaft sei, so Gilead-CEO Daniel O’Day in einem Offenen Brief. Die Patienten könnten früher aus dem Krankenhaus entlassen werden und Familien wieder zusammengeführt. Gesundheitsressourcen würden freigesetzt, und es stünden mehr Arzneimittel für andere bedürftige Patienten zur Verfügung, so der CEO. All dies werde in einer Zeit der Pandemie besonders wichtig.

Früher Behandlungsbeginn von Vorteil

SIMPLE zeigt bislang, dass die klinischen Verbesserungen unter Remdesivir ähnlich sind, unabhängig, ob die Patienten Remdesivir fünf oder zehn Tage erhielten.

„Aus den beiden heute vorliegenden Ergebnissen – den NIAID- und den SIMPLE-Daten – wissen wir jetzt zwei Dinge: dass Remdesivir die Zeit bis zur Genesung zu verkürzen scheint, und dass bei der Behandlung von Patienten mit schwerer Erkrankung eine fünftägige Behandlung potenziell genauso wirksam ist wie eine Behandlung über zehn Tage“, so das Fazit des CEO.

Auch gibt es Hinweise, dass ein früher Behandlungsbeginn mit dem Virostatikum vorteilhaft ist. COVID-19-Patienten, die Remdesivir kurz nach dem Auftreten von Symptomen erhielten, schnitten besser ab als diejenigen, die es später erhielten.

Chinesische Studie: Remdesivir nicht besser als Placebo

Hingegen brachte eine doppelblinde, placebokontrollierte, multizentrische Studie aus China nicht ganz so ermunternde Ergebnisse. 237 schwerkranke COVID-19-Patienten wurden zwischen dem 6. Februar und dem 12. März in zehn Krankenhäusern in der Provinz Hubei randomisiert, sie erhielten entweder zehn Tage lang intravenös Remdesivir oder Placebo.

A Trial of Remdesivir in Adults With Severe COVID-19

Die Patienten waren Erwachsene, die mit laborbestätigter SARS-CoV-2-Infektion ins Krankenhaus eingewiesen wurden. Die Zeit zwischen Symptombeginn bis zur Einschreibung betrug maximal zwölf Tage. Die Sauerstoffsättigung lag bei höchstens 94 Prozent oder das Verhältnis von arteriellem Sauerstoffpartialdruck zu fraktioniertem eingeatmetem Sauerstoff war höchstens 300 mmHg. Radiologisch war eine Lungenentzündung bestätigt. 
Den Patienten wurde die gleichzeitige Einnahme von Lopinavir-Ritonavir, Interferonen und Kortikosteroiden gestattet. Der primäre Endpunkt der Studie war die Zeit bis zu einer klinischen Besserung (bis zum 28. Tag), definiert als Tage von der Randomisierung entweder bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus oder bis zum Rückgang klinischen Status um zwei Stufen auf einer sechsstufigen Skala (von 1=Entlassung bis 6=Tod) oder bis zur Entlassung lebend aus dem Krankenhaus, je nachdem, was zuerst eintrat.

Die Wissenschaftler veröffentlichten ihre Ergebnisse am 29. April in Lancet. Remdesivir zeigte keinen statistisch signifikanten klinischen Vorteil gegenüber Placebo, unabhängig davon, wann die Behandlung begann. „Unsere Studie ergab, dass intravenös verabreichtes Remdesivir bei Patienten mit schwerem COVID-19 im Vergleich zu Plazebo weder die Zeit bis zur klinischen Besserung noch die Mortalität oder die Zeit bis zur Abheilung des Virus signifikant verbesserte“, sage das Forscherteam unter der Leitung von Dr. Bin Cao vom China-Japan Friendship Hospital und der Capital Medical University in China. Allerdings unterliegt die Studie auch einem Bias.

Zu wenige Patienten rekrutiert

Auf Drugs.com äußerte sich Aaron Glatt, Vorsitzender der Medizin und Krankenhausepidemiologie am Mount Sinai South Nassau in Oceanside, N.Y. zu der chinesischen Studie. Er führt die Ergebnisse darauf zurück, dass das chinesische Team nur die Hälfte der Patienten aufgenommen hat, die man für ein aussagekräftiges Studienergebnis bräuchte. Es sei kein sehr ermutigendes Ergebnis, aber es reiche nicht aus, um zu sagen, das Medikament wirke nicht. 

In der Tat war geplant, 453 Patienten zu rekrutieren, aber die Studie erreichte die angestrebte Patientenrekrutierung nicht, da die in Wuhan angewandten strengen Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens Mitte März zu einer deutlichen Verringerung der Zahl der Neueinweisungen von Patienten führten. Zusätzlich führten Einschränkungen bei der Verfügbarkeit von Krankenhausbetten dazu, dass die meisten Patienten erst später im Krankheitsverlauf rekrutiert wurden, sodass nicht angemessen beurteilt werden konnte, ob eine frühere Behandlung mit Remdesivir einen klinischen Nutzen gebracht hätte, so die Autoren der Studie. Weitere Daten seien erforderlich. Die Studie wurde abgebrochen.

Keine Klarheit über den Nutzen von Remdesivir

Verschwundene Studie sorgt für Aufregung

Dr. Amesh Adalja, ein leitender Wissenschaftler des Johns Hopkins Center for Health Security sieht das ähnlich: Die Studie habe zu wenig Power gehabt und ihre Rekrutierungsziele nicht erreicht, so dass es sich nicht um ein endgültiges Ergebnis handele und mit anderen Studiendaten ergänzt werden müsse.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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