Honorargutachten

Was sagt 2HM zu den Rechenfehlern?

Stuttgart/Süsel - 11.07.2018, 09:00 Uhr

Fehler ausradieren und erneut rechnen? Iris an der Heiden
von der Agentur 2HM sieht das Konzept des
Gutachtens durch die aufgedeckten Rechenfehler nicht in Gefahr. (b / Foto: Picture Alliance, 2HM - Montage: DAZ.online)

Fehler ausradieren und erneut rechnen? Iris an der Heiden von der Agentur 2HM sieht das Konzept des Gutachtens durch die aufgedeckten Rechenfehler nicht in Gefahr. (b / Foto: Picture Alliance, 2HM - Montage: DAZ.online)


Falsche Bezugsgrößen und widersprüchliche Aussagen attestierte Uwe Hüsgen den Honorargutachtern Anfang Juni in der DAZ und auf DAZ.online. Der langjährige Geschäftsführer des Apothekerverbandes Nordrhein hatte eine fünfzehnseitige Analyse verfasst, in der er beispielhaft die Datenquellen und Rechenwege auf Großhandelsebene auf die Probe stellte. Nun hat sich die zuständige Agentur 2HM mit den Vorwürfen auseinandergesetzt und präsentiert ihre Sicht der Dinge.

„Wir begrüßen grundsätzlich die Prüfung und Kritik des Gutachtens im Sinne eines wissenschaftlichen Prozesses, um ein bestmögliches Modell zu erarbeiten“, beginnen Iris an der Heiden und Frank Meyrahn ihren Kommentar zu den Analysen von Uwe Hüsgen. Die beiden Mitarbeiter der Agentur 2HM & Associates GmbH sind die hauptverantwortlichen Autoren des Ende Dezember 2017 vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichten Gutachtens zum Apothekenhonorar. Ihre 350 Seiten umfassende und rund 450.000 Euro teure Arbeit kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Apotheken durchschnittlich 40.000 Euro weniger Honorar erhalten könnten und immer noch kostendeckend funktionieren würden. Mögliche Einbußen sollen durch Verteuerungen im Bereich der OTC-Arzneimittel auf Kosten der Kunden kompensiert werden. Für wirtschaftlich gefährdete Apotheken sehen die Gutachter einen Strukturfonds vor. Der Versandhandel soll die Bevölkerung in der Fläche und auf dem Land mit Arzneimitteln versorgen.

Reaktionen auf das Honorargutachten

Die ABDA will sich inhaltlich nicht zu dem Gutachten äußern. Zusammen mit der Forderung nach einem Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel in Folge des EuGH-Urteils vom Oktober 2016 fährt die Standesvertretung seit mehreren Monaten eine „Strategie des Schweigens“ und vermeidet jegliche öffentliche Debatte über das Gutachten und mögliche Alternativen zum Versandverbot.

In der DAZ dagegen wird das Honorargutachten seit Dezember aus betriebswirtschaftlicher, juristischer und pharmazeutischer Sicht kritisch hinterfragt. Neben diesen methodischen Analysen setzte Diplom-Mathematiker Uwe Hüsgen seinen Rotstift an und weist den Gutachtern Rechenfehler und falsche Bezugsgrößen nach. Hüsgen erklärte seine Vorgehensweise so: „Eine systematische Analyse der Vorschläge zur Honorierung in der Wertschöpfungskette erfordert zwingend, dass man den Warenströmen folgt, also zunächst die Vergütung des Großhandels, und anschließend – darauf aufbauend – die Honorierung der Apotheken analysiert." Denn wenn man den Gutachtern bei ihren Berechnungen zum Großhandel schon gravierende Fehler nachweisen könnte, müssten alle darauf aufbauenden Berechnungen natürlich verworfen werden.

Gutachter korrigieren und rechnen weiter

Gleich zu Beginn ihrer Antwort stellen die 2HM-Gutachter klar: „Im Ergebnis unserer Nachberechnungen sind einige der von Herrn Hüsgen benannten Kritikpunkte als zutreffend zu bewerten.“ Als eklatant sehen sie die Interpretation dieser Punkte allerdings nicht. Auch sei es nicht sachgerecht, das Gutachten vor dem Hintergrund dieser Rechenfehler grundsätzlich in Frage zu stellen. Es wäre nämlich durchaus möglich, diese zu korrigieren.

In seinem „Gegengutachten“ hatte Uwe Hüsgen beispielsweise erklärt, dass die Gutachter von einer falschen Gewichtung der Packungsanzahl ausgegangen wären. Verantwortlich dafür soll nicht die Datenquelle, sondern ein Rechenfehler sein. So wären Betäubungsmittel, Kühlartikel und hochpreisige Arzneimitteln, deren Distribution für die Großhändler kostenintensiver und aufwendiger ist, besonders berücksichtigt und anders gewichtet worden. Doch anschließend hätten es die Gutachter versäumt, diese „kostenintensiven“ Arzneimittel von der Anzahl der „sonstigen“ verschreibungspflichtigen Arzneimittel abzuziehen. Bei den weiteren Berechnungen sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es auch nicht-verschreibungspflichtige Kühlprodukte gebe.


„Es ist richtig, dass die Non-Rx-Kühlartikel präziser Weise ebenfalls gewichtet werden müssten. Auch entspricht es der Befragungslogik der Großhändler etwas besser, die Gewichtungsfaktoren nicht zusätzlich zur Gesamtpackungsanzahl anzuwenden, wie es in der aktuellen Berechnung erfolgt ist, sondern die Anzahl der BtM, Kühlartikel und Hochpreiser mit Gewichtungsfaktor zu bestimmen und dann nur die restliche Anzahl Packungen zu addieren. Wendet man diese Berechnung an, reduzierte sich der absolute Zuschlag von 0,96 € auf 0,94 €, das entspricht absolut ca. 14 Mio.€ in Bezug auf das Packungsvolumen für Rx-FAM der PHAGRO-Mitglieder.“

Iris an der Heiden und Frank Meyrahn, 2HM & Associates GmbH


An mehreren Stellen in ihrer Entgegnung weisen die 2HM-Gutachter darauf hin, dass sie zu Gunsten der Leistungserbringer gerechnet hätten - gemäß „einem allgemeinen Prinzip in der Gutachtenerstellung“. Es wäre problemlos möglich, „die Berechnung in dem transparenten Berechnungsmodell an dieser Stelle anzupassen, was das Gesamtergebnis nur leicht verändern würde“.

Außerdem hatte Hüsgen kritisiert, die Gutachter hätten mit falschen Durchschnittswerten bei den hochpreisigen Fertigarzneimitteln gerechnet. Die Gutachter gehen von einem durchschnittlichen Herstellerabgabepreis von 3791 Euro aus und berechnen damit die Zahl an Packungen, was zu deutlich unterschiedlichen Anteilen hinsichtlich der Arzneimittel unter und über 1200 Euro führt. Die Ursache für die Abweichungen hatte er in der Verwendung ungeeigneter Daten vermutet, doch die Gutachter finden eine andere, ebenfalls bemerkenswerte Antwort.


„Der Fehler, der an dieser Stelle hingegen erfolgt ist, liegt nicht in der Auswahl der Daten, sondern in einem Missverständnis der Datenebene unsererseits. Das Selektionskriterium ist zwar der ApU (> oder < 1.200), die von der GKV gelieferte Größe an sich jedoch gibt den Bruttoumsatz der GKV und demnach nicht den Umsatz des Großhandels, sondern den Apothekenabgabepreis wieder. Dies gilt es zu korrigieren, indem die Mehrwertsteuer sowie die Apothekenvergütung abgezogen werden: Der entstehende Wert liegt mit 3.129 € für das Jahr 2016 sogar etwas niedriger, insgesamt jedoch in vergleichbarer Höhe wie der von Herr Hüsgen angegebene Wert von 3.255 € zulasten der GKV bzw. von 3.208 € insgesamt.“

Iris an der Heiden und Frank Meyrahn, 2HM & Associates GmbH


"Es geht um Kostenrechnung und nicht um Einsparungen"

Außerdem sei den Gutachtern eine „weitere zu präzisierende Berechnung“ aufgefallen. Aus Konsistenzgründen müsse man sowohl Absatz- als auch Umsatzzahlen der Großhändler verwenden, die Mitglied im Bundesverband Phagro sind. Im Gutachten werden bei der Berechnung des gedeckelten prozentualen Zuschlags sowohl die Zahlen des Statistischen Bundesamtes als auch des Phagro vermischt, was Hüsgen kritisiert hatte.


„Nähme man die Umsatzdaten des PHAGRO würde sich der prozentuale Zuschlag noch stärker, auf 0,41 % reduzieren. Damit ist der aktuelle Wert von 0,53 % ca. 25 Mio. € „überfinanzierend“ (ca. 105 Mio. € statt ca. 80 Mio. € Warenbestand, ca. 30 % zugunsten des Großhandels).“

Iris an der Heiden und Frank Meyrahn, 2HM & Associates GmbH


Dies würde sich wiederum auf die Berechnung eines möglichen gedeckelten prozentualen Zuschlags bei den Apotheken auswirken, ergänzen die Gutachter. Dieser läge dann bei 6,8 Prozent statt 7,2 Prozent. Damit sei auch hier im Gutachten zugunsten der Leistungserbringer gerechnet worden.

Für Hüsgen war es ein weiterer gravierender Fehler, dass die Gutachter bei den Einsparungen der Kostenträger (GKV, PKV, Beihilfe) und der Selbstzahler nicht die Mehrwertsteuer berücksichtigt hatten. Außerdem seien nur Umsätze von Großhändlern beachtet worden, die Mitglied im Bundesverband Phagro sind. Zieht man auch das Direktgeschäft und das Geschäft der Nicht-Phagro-Großhändler hinzu, würden die Einsparungen nicht 1,24 Mrd. Euro betragen, sondern mindestens 1,4 Mrd. Euro netto. Und unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer beliefen sich die Einsparungen für Kostenträger und Selbstzahler dann auf 1,67 Mrd. Euro brutto – eine Abweichung von immerhin rund 35 Prozent. Doch die Gutachter sehen dieses Thema nicht als ihre Aufgabe an, denn es ging um eine Kostenrechnung für Apotheken und nicht um Einsparungen der Krankenkassen.


„Es war nicht die Aufgabe des Gutachtens, Einsparpotenziale zu ermitteln oder im Detail zu berechnen. Aufgabe war es dagegen, den Gesetzesgrundlagen entsprechende Preise zu ermitteln. […] Dies gilt insbesondere für Folgeauswirkungen wie geringere Mehrwertsteuerzahlungen der Krankenkassen und Selbstzahler. Dass Auswirkungen größer sind, beeinträchtigt nicht die berechtigte Reduktion der Preise auf eine kostendeckende Vergütung.“

Iris an der Heiden und Frank Meyrahn, 2HM & Associates GmbH


Dies sehen jedoch – neben Uwe Hüsgen – auch viele weitere Kritiker des Gutachtens anders. Denn das Geld, das dem Versorgungssystem entzogen würde, müsste irgendwo eingespart werden. Deshalb wird auch kritisiert, dass die Gutachter nicht untersuchen, welche Folgen ihre Empfehlungen für das System hätten. Doch offenbar sehen sie auch das nicht als ihre Aufgabe an.

„Fehler in Details stellen das Gutachten nicht in Frage“

Außerdem sind sich die Gutachter und Hüsgen weiterhin uneinig, wie die aufgedeckten Rechenfehler zu bewerten sind. Hüsgen sieht durch die Vielzahl der Fehler das Gutachten „wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen“. Die Gutachter erklären dagegen, Fehler in Details würden das Konzept des Gutachtens nicht in Frage stellen. Vielmehr seien sie korrigierbar.


„Der These, dass das Gutachten noch weitere Fehler oder Präzisionsmöglichkeiten enthält, ist nicht per se zu widersprechen, da es trotz mehrfacher Prüfung immer zu Fehlern kommen kann. Wie die von Herr Hüsgen aufgezeigten Fehler jedoch zeigen, handelt es sich um Fehler im Detail, die das gesamte Berechnungsmodell eben gerade nicht in Frage stellen. Es kann – auch dank der intensiven Prüfung durch Herrn Hüsgen - vielmehr davon ausgegangen werden, dass größere Fehler unwahrscheinlicher sind. Sollten sich dennoch relevantere Fehler oder Argumente zeigen, gilt immer noch, dass das im Gutachten aufgebaute, sehr transparente Berechnungsmodell modular und anpassungsfähig ist.“

Iris an der Heiden und Frank Meyrahn, 2HM & Associates GmbH


Das will Hüsgen jedoch nicht akzeptieren. Angesichts der vielen Korrekturen bezweifelt er den Anspruch eines wissenschaftlichen Gutachtens. Dies erklärt Hüsgen in einer erneuten Replik auf die Antwort der Gutachter.


„Da müssen die Gutachter auf zwei beispielhafte Fragen […] auf der ganzen Linie Rechenfehler, Denkfehler und vermeintliche Übertragungsfehler (auf Großhandelsebene) zugeben […]. Und dann halten sie noch den Anspruch aufrecht, ein fundiertes, wissenschaftliches Gutachten vorgelegt zu haben.“

Uwe Hüsgen


Uwe Hüsgen geht davon aus, dass der pharmazeutische Großhandel die prognostizierten Verluste zum größten Teil an die Apotheken durchreichen müsste. Dadurch würden sich die Ertragseinbußen bei den Apotheken auf durchschnittlich 67.500 Euro summieren. „Dabei ist die Reduktion bei den Zytostatika herstellenden Apotheken, die die Gutachter selbst mit 250 Millionen Euro angeben, noch gar nicht eingerechnet.“

Seine Kritik am Gutachten und die jeweils dazu von den Gutachtern entgegneten Stellungnahmen finden Sie vollständig hier. Außerdem finden Sie die erneute Replik von Hüsgen hier.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Wenn man so schaut..

von Stefan Haydn am 11.07.2018 um 19:49 Uhr

..was sich da alles als fundierte Gutachter im Wissenschaftsbereich tummelt und sich mit dem Anspruch des Wissenschaftlers/Gutachters schmückt, kann einem bzgl. Wissenschaft und Wissenserwerb in Deutschland nur Angst und Bange werden.
Anscheinend ist eine allgemeine Verblödung doch nicht mehr von der Hand zu weisen.
Wie bei Astrid Lindgrens Pipi Langstrumpf:
"Ich mach mir die Welt widewide wie sie mir gefällt.."

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