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Interview Fritz Becker (DAV)
„Ich hatte wegen der Rabattverträge die Polizei in der Apotheke“
Seit zehn Jahren müssen die Apotheker mittlerweile die Rabattverträge der Krankenkassen umsetzen. Dabei gibt es immer wieder Ärger: Nicht-Lieferfähigkeit, Retaxierungen, unzufriedene Patienten. Im Interview mit DAZ.online berichtet Fritz Becker, was er und der Deutsche Apothekerverband am System schon verbessern konnten und wo es noch hakt.
Fritz Becker ist seit 2009 Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV). Die Einführung der Austauschpflicht im Jahr 2007 hat Becker allerdings schon hautnah miterlebt: Denn schon seit 1998 ist er Präsident des baden-württembergischen Landesapothekerverbandes. Und nach 2001 gehörte er auch dem DAV-Vorstand an. Was hat der DAV also unternommen, um die Fehlentwicklungen der ersten Monate und Jahre in den Griff zu bekommen? Und welche Baustellen gibt es noch im System? DAZ.online hat nachgefragt…
DAZ.online: Lieber Herr Becker, sicherlich erinnern Sie sich gut an die ersten Apriltage im Jahr 2007. Welche Zustände herrschten damals in Deutschlands Apotheken?
Becker: Da gab es schon viele Probleme. Die Austauschpflicht hat die Arbeit des Apothekers komplett geändert. Jetzt musste der Apotheker jedes Rezept erst einmal in den Computer eingeben, um zu sehen, welches Medikament er abgeben muss. Ich kann mich noch erinnern, wie ich anfangs mit dem Rezept in der Hand ins Generalalphabet rannte, bis ich mich irgendwann daran gewöhnte, dass ich erst an den Computer muss. Auch die Lagerhaltung wurde umgestellt, auch die Software änderte sich. Vieles stockte, es war ein ganz neues Arbeiten.
DAZ.online: Welche Probleme gab es?
Becker: Anfangs schrieben die Kassen jährlich aus. Wenn wir ein Rabattarzneimittel über den Großhandel nicht bekamen, sagte uns die Kasse, dass wir es in einem anderen Bundesland probieren sollten. Außerdem gab es keinerlei Ausnahmen von der Austauschpflicht. Auch in meiner Apotheke spielten sich teilweise verrückte Szenen ab.
DAZ.online: Erzählen Sie uns doch mal eine kleine Anekdote…
Becker: Eines Tages hatte ich die Polizei in der Apotheke wegen der Rabattverträge! Mich besuchte ein Patient, ich musste sein Metoprolol aufgrund eines Rabattvertrages umstellen. Der Mann hatte keinerlei Verständnis dafür, verließ die Apotheke und kam später mit zwei Polizisten wieder. Ich musste dann erst einmal Aufklärungsarbeit leisten. Aber er ließ sich nicht beruhigen, zerrte mich hinter den HV-Tisch und zeigte den Polizisten, in welcher Schublade sich sein altes Medikament befand. Ich habe das alles dokumentiert – und später der Krankenkasse davon erzählt. Zum Glück konnten wir mit den Kassen viele Probleme schnell aus dem Weg räumen.
DAZ.online: Was waren denn die ersten Verhandlungsergebnisse?
Becker: Nach langen Diskussionen konnten wir die pharmazeutischen Bedenken als neue Sonder-PZN durchsetzen. Anfangs schrieben die Kassen noch alles exklusiv aus, weswegen es immer wieder zu Engpässen kam. Auch das änderten die Kassen aber schnell. Auch die Laufzeiten verlängerten sich auf zwei Jahre, so dass die Patienten und wir besser planen konnten. Das wirkte sich auch positiv auf die Compliance der Patienten aus.
Becker: Rabattverträge haben auch Vorteile
DAZ.online: Wie veränderte sich denn der Generika-Markt aus Ihrer Sicht?
Becker: Da waren schon enorme Veränderungen in kürzester Zeit zu beobachten. Schon nach der ersten Ausschreibung war klar, dass sich der Markt konzentrierte auf ein paar wenige Hersteller. Die Hersteller gaben den Preisdruck an ihre Wirkstofflieferanten weiter. Vor den Rabattverträgen hatten die Hersteller bis zu fünf verschiedene Lieferanten zur Auswahl, heute sind es oft nur noch zwei.
DAZ.online: Wie nahmen denn die Kunden die Rabattverträge an?
Becker: Auch das war extrem schwierig. Es gab sehr oft große Diskussionen. Die Kunden wussten nicht, was Rabattverträge sind. Es gab einen enormen Erklärungsbedarf. Das hat sich aber deutlich geändert: Die Verträge sind anscheinend in der Gesellschaft angekommen. Die Kunden vertrauen uns wieder. Sie wissen, dass es im Grunde das gleiche Medikament ist, obwohl die Farbe der Pille wechselt. Diese Gespräche hatten aber auch ihre Vorteile.
DAZ.online: Welche denn?
Becker: Man kam mit den Patienten ins Gespräch. Plötzlich merkten wir, was die Patienten teilweise alles gleichzeitig einnahmen. Durch diese intensiven Gespräche konnten wir meiner Meinung nach viel mehr Wechselwirkungen aufdecken.
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Welche Probleme brachten Rabattverträge in die Apotheke?
DAZ.online: 2009 wurden Sie Chef des Deutschen Apothekerverbandes. Etwa zwei Jahre später wurde eine Änderung an den Rabattverträgen eingeführt: die Mehrkostenregelung. Jeder Kunde kann dabei das Medikament seiner Wahl bekommen, wenn er den vollen Preis in der Apotheke bezahlt und das Rezept bei der Kasse abrechnet. Warum wird die von den Kunden nicht angenommen?
Becker: Das hatte sich schnell wieder erledigt. Die Patienten mussten ja feststellen, dass die Kassen nur die Netto-Ausgaben erstatten. Wenn das Medikament für die Versicherten also 20 Euro kostet, erhalten sie oft nur 8 oder 9 Euro von der Kasse zurück. Alle Abschläge fallen ja weg.
Becker: Substitutionsausschlussliste muss offen sein
DAZ.online: Als nächste große Änderung folgte die Substitutionsausschlussliste. Warum gab es da so einen Krach mit den Kassen, der sich nur mithilfe des Gesetzgebers klären ließ?
Becker: Die Kassen wollten die Liste eng und verschlossen halten. Uns war es aber wichtig, dass man sie stetig weiterentwickeln kann. Aber das waren schon sehr kleinteilige Diskussionen, die aber für den einzelnen Patienten enorme Auswirkungen haben. Ich erinnere mich an einen Streit mit dem GKV-Spitzenverband, der sich um den Austausch von Fentanyl-Pflastern drehte. Die Kassen wollten einfach nicht einsehen, dass die Pflaster unterschiedlich schnell wirken.
DAZ.online: Jetzt legt der G-BA die Austausch-Verbote fest. Sind Sie zufrieden damit?
Becker: Die wichtigsten Wirkstoffe sind dabei, obwohl wir uns die Liste schon breiter vorgestellt haben. Wichtig ist nur, dass sie fortlaufend überprüft und weiterentwickelt wird. Problematisch wird es allerdings, wenn der Arzt auf die Idee kommt, trotz des Austausch-Verbotes einen anderen Hersteller zu verordnen. Das passiert ab und zu. Dann dürfen wir das Medikament nicht abgeben. Die beste Lösung wäre es daher, dass wir auch für die Medikamente auf der Liste die Sonder-PZN für pharmazeutische Bedenken setzen dürften.
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„Von Rabattverträgen war keiner so richtig begeistert“
DAZ.online: Die Entwicklung der Rabattverträge zeigt: Sie sind ein lernendes System. Welche Baustellen sind aus Ihrer Sicht noch offen?
Becker: Zunächst natürlich die Mehrfachvergabe. Es ist schade, dass sich der Gesetzgeber nicht dazu durchringen konnte, das zu beschließen. Aber ich würde mir auch von den Apothekern wünschen, dass sie häufiger auf die pharmazeutischen Bedenken zurückgreifen. Sie sollen mit ihren Patienten sprechen, um wichtige Gründe für die Sonder-PZN herauszufinden. Ganz oft bestehen Compliance-Probleme, die auf der Teilbarkeit von Tabletten beruhen. Nicht jeder Patient kann Tabletten ohne Weiteres teilen. Ich will die Apotheker außerdem auf die Möglichkeit der Akutversorgung hinweisen: Wenn ein Patient Samstagnacht mit Rezept zu mir kommt und ein Schmerzmittel braucht, dann ist das für mich Akutversorgung, bei der ich das Rabattarzneimittel austauschen darf.
DAZ.online: Die Kassen jedenfalls scheinen ihre Ausschreibungen zu lieben: Nach dem Generika-Markt schrieb die AOK Impfstoffe aus, es folgten Zytostatika. Macht das Verlangen nach Einsparungen vor keinem Versorgungsbereich Halt?
Becker: Am Anfang waren die Einsparungen der Kassen ja noch recht zaghaft. Im vergangenen Jahr beliefen sie sich schon auf 3,9 Milliarden Euro! Für die Kassen sind die Rabattverträge doch eine einzige Erfolgsgeschichte. Es ist doch klar, dass sie die auch auf andere Gebiete übertragen wollen. So wollen sie das Prinzip auch im Hilfsmittel-Bereich ausweiten.
2 Kommentare
Verdrängung
von Reinhard Rodiger am 05.04.2017 um 12:36 Uhr
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Becker und die "Rabattverträge"
von Heiko Barz am 05.04.2017 um 11:54 Uhr
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