Parallelsystem

IBM entwickelt elektronische Patientenakte für Techniker-Kasse

Hamburg - 20.02.2017, 16:20 Uhr

Die Techniker Krankenkasse prescht mit ihrer Kooperation mit IBM voran, war hierfür jedoch auch teils stark kritisiert worden. (Foto: georgejmclittle / Fotolia)

Die Techniker Krankenkasse prescht mit ihrer Kooperation mit IBM voran, war hierfür jedoch auch teils stark kritisiert worden. (Foto: georgejmclittle / Fotolia)


Eigentlich soll sie Teil der Gesundheitskarte werden – doch die Techniker Krankenkasse hat IBM beauftragt, eine eigene elektronische Patientenakte zu entwickeln. Über Apps und das Internet sollen Versicherte auf ihre Daten zugreifen können, Medikation oder Fitness-Daten inklusive. Datenschützer hatten die Pläne von Techniker-Chef Jens Baas teils scharf kritisiert.

Wie ein Sprecher der Techniker-Krankenkasse gegenüber DAZ.online bestätigt, entwickelt der IT-Konzern IBM für die Kasse eine elektronische Patientenakte, die zukünftig Gesundheitsdaten von Versicherten enthalten soll. Jeder Versicherte soll nach dem Willen von TK-Chef Jens Baas das Recht auf eine elektronische Patientenakte erhalten – auf Kassenkosten. „Wir geben den Versicherten damit perspektivisch die Möglichkeit, überhaupt alle Leistungsdaten einzusehen, über die wir als Krankenkasse verfügen“, betonte Baas in einer Mitteilung. Was in der Akte steht und wer die Daten lesen kann, entscheide dabei der Versicherte.

Als Vorteil für die Kunden sieht Baas, dass die Patientenakte die Kommunikation mit Ärzten erleichtere. Sie soll Informationen über Behandlungen oder Medikation enthalten, der Patient könne außerdem Daten von Fitnesstrackern einfließen lassen. „Von uns kommen zum Beispiel die Übersichten über die verordneten Arzneimittel, die vom Versicherten durch OTC-Präparate ergänzt werden können“, erläuterte der TK-Chef. „Mit dieser Aufstellung können dann Wechselwirkungen besser erkannt werden.“

Auch Apotheken sollen zukünftig mit der Patientenakte in Kontakt kommen. Auf welchem Wege sei jedoch noch unklar, erklärte der Sprecher auf Nachfrage. „Die Schnittstellen zu den Apotheken und den Ärzten werden eine Herausforderung sein.“ Unklar ist offenbar bislang auch, inwiefern es eine Schnittstelle zum Medikationsplan geben wird. 

Parallelsystem zur Elektronischen Gesundheitskarte

Aktuell wird laut dem TK-Pressesprecher die Mobiltelefon-App „Meine TK“ von Apple und anderen Smart-Phone-Firmen geprüft. Die App soll schon in den nächsten Tagen Versicherten Zugriff auf Basisdaten erlauben  – sie wurde noch unabhängig von IBM entwickelt. Wie schon in der Projektausschreibung vom vergangenen August geplant, soll über den „Datenspeicher“ in der Mobiltelefon-App von IBM auch eine Webversion entwickelt werden.

Wie TK-Chef Baas sagte, soll zunächst eine Daten-„Grundausstattung“ der Patientenakte angeboten werden. Zukünftig denkt die Kasse offenbar an Funktionen wie einen elektronischen Impfpass oder ein Zahnbonusheft. Indem die elektronische Patientenakte den Zugriff über standardisierte Schnittstellen erlaubt, soll der Austausch mit IT-Systemen von Ärzten oder Krankenhäusern erleichtert werden. Hierbei überholt die Krankenkasse die Elektronische Gesundheitskarte, die derzeit für alle gesetzlich Versicherten von der „Gematik“ entwickelt wird. „Wir setzen hier ein paralleles System dazu auf“, bestätigte der TK-Sprecher gegenüber DAZ.online.

Die Digitalisierung solle in einem „geordneten Rahmen“ erfolgen. Gleichzeitig sei wichtig, dass die Daten sicher sind, hatte Baas schon zuvor erklärt. „Ich glaube, als Krankenkasse sind wir der prädestinierte Player dafür“, sagte Baas. „Der Patient kann allein bestimmen, wer die Daten sehen darf, er darf also auch seine Kasse außen vor halten.“

Bundesjustizminister Maas hatte Bedenken angemeldet

Eine Sprecherin von IBM erklärte auf Anfrage allgemein, dass es sich natürlich um ein „Riesen-Thema“ handele. „Wir sind ein Technical Enabler seit mehr als hundert Jahren“, betonte sie gegenüber DAZ.online. „Healthcare war immer ein Gebiet auf dem wir tätig waren.“

TK-Chef Baas war von Daten- oder Verbraucherschützern für seine weitreichenden Vorschläge und Forderungen bereits stark kritisiert worden – beispielsweise für sein Ziel, dass Kassen auch Daten von mobilen Fitness-Trackern mit in der Gesundheitsakte speichern könnten. „Eine Solidargemeinschaft kann nur funktionieren, wenn es in ihr auch genügend gesunde Menschen gibt“, hatte Baas erklärt. „Deshalb ist es uns wichtig, uns nicht nur für die medizinische Versorgung Kranker einzusetzen, sondern es auch zu honorieren, wenn sich Versicherte um ihre Gesundheit kümmern.“

Doch Kritiker hatten Befürchtungen geäußert, dass kranke Versicherte zukünftig diskriminiert würden und ihnen beispielsweise höhere Beiträge drohen könnten. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte vor einem massiven Zugriff der Kassen auf Gesundheitsdaten gewarnt, da Patienten durch Anreize unter Druck geraten könnten, mitzumachen. Seiner Meinung nach dürfe niemand „faktisch dazu gezwungen werden, so intime Daten wie die Herzfrequenz, die Geschwindigkeit beim Joggen oder die Häufigkeit des Trainings im Fitnessstudio zu veröffentlichen“, erklärte Maas vor einem Jahr. Versicherte dürften „in keinem Fall zum reinen Objekt eines Algorithmus werden“.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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