- DAZ.online
- News
- Politik
- „Apotheker brauchen ...
BVDVA-Chef Christian Buse
„Apotheker brauchen mehr Handlungsspielraum“
Seit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung betreiben die deutschen Versandapotheken eine aufwendige PR-Kampagne. Unbedingt wollen sie das Rx-Versandverbot vermeiden und – so wie DocMorris und Co. – Rx-Boni anbieten. Im Gespräch mit DAZ.online verrät Christian Buse, Chef des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken, wie kleine Landapotheken im Falle von Rx-Boni aus seiner Sicht überleben könnten und warum er auf die Zusammenarbeit mit der ABDA setzt.
DAZ.online: Herr Buse, Max Müller von DocMorris hat uns mit der Aussage überrascht, dass seine Versandapotheke einen Rx-Anteil von etwa 75 Prozent hat. Ist das bei den deutschen Versandapotheken auch so?
Buse: Das Bild in Deutschland ist differenzierter, die deutschen Online-Versandapotheken haben meist einen Rx-Anteil von unter 50 Prozent. Die Spezialversender, die sich auf bestimmte Indikationen oder Rezepturen für Kinder spezialisiert haben, kommen nach meiner Kenntnis auf einen Rx-Anteil von bis zu 100 Prozent.
DAZ.online: Können Sie da nicht etwas konkreter werden? Wie groß ist der Rx-Anteil im Durchschnitt bei allen Mitgliedern des Bundesverbandes deutscher Versandapotheken (BVDVA)?
Buse: Nein, noch konkreter kann ich da nicht werden. Dazu gibt es keine dezidierten Datenerhebungen – wie übrigens im gesamten Apothekenbereich. Da ist der „Durchschnitt“ zum Schluss auch nicht erheblich, wenn ein Apotheker durch das Verbot seine Existenzgrundlage verliert und entsprechende Patienten nicht mehr versorgt werden können.
DAZ.online: Wenn Sie also nicht einmal wissen, wie wichtig dieser Markt für Sie ist, wieso betreiben Sie dann eine so aufwendige Kampagne gegen das Rx-Versandverbot?
Buse: Nochmal, der Rx-Bereich ist von grundsätzlicher und existenzieller Bedeutung für viele deutsche Versandapotheken und insbesondere für die entsprechend versorgten Patienten. Prinzipiell sind wir der Auffassung, dass eine reine Verbotspolitik so nicht ins 21. Jahrhundert gehört.
Erstens: Wenn man es ernst meint mit der Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung, erreicht man mit einem Rx-Versandverbot genau das Gegenteil. Eine aktuelle Umfrage hat gezeigt, dass gerade im ländlichen Bereich und in den Vorstädten die Nutzung von Versandapotheken am größten ist.
Zweitens: Wenn man von einer Digitalen Agenda spricht, aber gleichzeitig die Vorreiter für die Digitalisierung im Apothekensektor aus wichtigen Versorgungsbereichen ausklammern möchte, geht das für uns nicht zusammen.
DAZ.online: Das hört sich aber etwas distanziert an. So, als ob Sie persönlich und Ihre Versandapotheke im Falle eines Rx-Versandverbotes nicht sofort betroffen wären.
Buse: Doch, meine unternehmerische Existenz hängt an dieser Frage. Ich bin ja nicht nur Apotheker, sondern auch Arbeitgeber und habe meinen Arbeitnehmern gegenüber eine wichtige Verantwortung. Unsere Investitionsentscheidungen und Versorgungskonzepte haben wir auf Basis der Regelungen aus den Jahren 2003 und 2004 getroffen – hier erwarten wir eine verlässliche Politik.
Zukunftsfähige Alternativen liegen auf dem Tisch
DAZ.online: Was haben Sie sich also für den Fall vorgenommen, dass der Bundestag das Vorhaben von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) beschließt?
Buse: Es gibt gute und gewichte Gründe gegen ein solches Verbot und es ist Aufgabe der Politik hier einen tragfähigen Kompromiss zu finden. Es liegen vernünftige und zukunftsfähige Alternativen auf dem Tisch. Über die juristische Dimension möchte ich an dieser Stelle nicht im Detail sprechen. Da es aber eine existenzielle Frage ist und unter anderem stark in die Berufsausübungsfreiheit eingreift, könnten wir mit einem Verbot nicht leben.
DAZ.online: Sie sind selbst Apotheker und betreiben drei Vor-Ort-Apotheken. Meinen Sie denn gar nicht, dass sehr viele Apotheken wirtschaftlich bedroht sein würden, wenn Rx-Boni in Deutschland gewährt werden könnten?
Buse: DocMorris hat zwölf Jahre lang Rx-Boni in Deutschland angeboten. Ist in dieser Zeit etwas mit der Apothekenstruktur passiert? Eher nicht. Wenn ich nicht an die Vor-Ort-Apotheke glauben würde, würde ich nicht drei Apotheken betreiben.
DAZ.online: Die Apothekenzahl ist seit Jahren rückläufig…
Buse: Aber bestimmt nicht wegen der Rx-Boni. Genau das war doch das Vorlagethema beim Europäischen Gerichtshof: Es gibt einfach keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Preisbindung und der Versorgungsqualität. Das hat die höchste juristische Instanz in Europa nun einmal so beschlossen, das kann man argumentativ nicht einfach ignorieren.
Mehr Solidarität mit höherer Notdienstpauschale
DAZ.online: Fühlen Sie sich als Kammermitglied von der ABDA nicht ausreichend genug vertreten?
Buse: In vielen Dingen wird bei der ABDA gute Arbeit geleistet, aber in der Thematik hat man sich verrannt. Im Frühling 2016 hat der Generalanwalt des EuGH in seinen Schlussanträgen erklärt, dass er ausländischen Versandapotheken Rx-Boni erlauben würde. Die ABDA hätte schon damals auf uns zukommen können und gemeinsam mit dem BVDVA einen Lösungsvorschlag erarbeiten können, sie zog es aber vor, das Plädoyer zu ignorieren. Was jetzt passiert, ist, dass die ABDA mit Ängsten spielt und eine Kampagne fährt, die deutliche anti-europäische Züge hat – das kann ich nicht gutheißen. Früher waren es der Fremd- oder Mehrbesitz und Rabattverträge, jetzt sind es der Versandhandel, TTIP und Rx-Boni – alles ist Teufelszeug, das dazu führen kann, dass die flächendeckende Versorgung zusammenbricht. Ich glaube, dass es einem Berufsstand nicht gut tut, so angstgeprägt zu sein.
DAZ.online: Wenn Sie die Ansichten der ABDA in keiner Weise nachvollziehen können, warum hätten sie dann mit der Apothekerschaft gerne zusammen einen Plan B entwickelt?
Buse: Ich sage nicht, dass das Thema flächendeckende Versorgung nicht für die Zukunft wichtig ist, aber ich finde, dass die Kampagne der ABDA am Thema vorbei geht. Wie oft will man die Karte noch ziehen? Wir haben ein Modell entworfen, das einerseits die flächendeckende Versorgung stärkt und andererseits für Solidarität im Berufsstand sorgt.
DAZ.online: Ist es das Modell mit der erhöhten Notdienstpauschale?
Buse: Die 16 Cent, die jeder Apotheker derzeit pro abgegebener Packung an den Notdienstfonds abführt, finanziert derzeit der Beitragszahler. Sie wurden als „Add on“ auf das Fixhonorar aufgeschlagen. Wir wollen darauf verzichten, den Gesetzgeber erneut nach einer Erhöhung dieser 16 Cent zu Lasten der Beitragszahler zu fragen, sondern das innerhalb des Berufstandes organisieren. Die Apotheker würden einen sehr kleinen Teil ihrer Apothekenmarge zusätzlich an den Fonds abführen und somit solidarisch Apotheken stärken, die viele Notdienste leisten. Perspektivisch könnte bei jeder Honorarerhöhung automatisch ein gewisser Prozentsatz in diesen Fond fließen.
DAZ.online: Ein ähnliches Modell gibt es in Dänemark, allerdings auf den Umsatz bezogen. Große Apotheken zahlen dort in einen Fonds ein, von dem Apotheken profitieren, die unter einer gewissen Umsatzlinie abschneiden…
Buse: Auch bei uns würde bei unserem Vorschlag das Prinzip gelten: Starke Schultern stützen die Schwächeren. Schließlich sind dann weiterhin die großen (Versand-) Apotheken die größten Nettozahler in den Notdienstfonds.
DAZ.online: Wie hoch sollte denn der Cent-Betrag Ihrer Meinung nach sein, den Apotheker aus ihrer Marge abschneiden müssten?
Buse: Das will ich nicht entscheiden. Der Deutsche Apothekerverband ist Träger des Nacht- und Notdienstfonds. Man weiß, dass Apotheken durch die 16-Cent-Regelung derzeit etwa 280 Euro pro Volldienst erhalten. Je nachdem wie hoch man die Pauschale haben möchte, müsste man also die zusätzlichen Abschläge anpassen. Wichtig ist dabei, das Geld bleibt im System und wer keinen oder weniger Notdienste macht, partizipiert auch weniger, als derjenige der aufgrund einer regional geringeren Apothekendichte mehr Dienste leistet. Apotheken auf dem Land würden mit einem Schlag wirtschaftlich interessanter.
Pragmatisch und charmant: Der SPD-Bonus-Deckel
DAZ.online: Sie setzen auf Solidarität. Aber sind Rx-Boni, die Sie ja einfordern, solidarisch? Doch eher das Gegenteil, oder?
Buse: Nein. Rx-Boni sind eine Entlastung für chronisch Kranke. Grundsätzlich sollte der Apotheker mehr Handlungsspielraum haben. In der Versorgung von Krankenhäusern oder Rettungsdiensten spielt der einheitliche Apothekenabgabepreis seit Jahren keine Rolle und es wird doch niemand ernsthaft behaupten, dass die Versorgung des Notarztes mit Arzneimitteln dadurch gefährdet wurde.
DAZ.online: Und genau deswegen wünschen Sie sich ein Höchstpreismodell, bei dem die Apotheker innerhalb eines gewissen Korridors selbst für einen Preis entscheiden können…
Buse: Genau. Wir haben uns das ja auch nicht ausgedacht. 2006 war das schon fast beschlossene Sache einer Großen Koalition, es gibt eine Bundesdrucksache dazu.
DAZ.online: Eine ähnliche Lösung schlägt die SPD vor. Der Versandhandel soll erhalten bleiben, gleichzeitig soll im Sozialrecht festgehalten werden, dass Rx-Boni innerhalb eines gewissen Preis-Korridors erlaubt sind…
Buse: Wir finden das von Teilen der SPD vorgeschlagene Modell sehr pragmatisch und charmant. Über das Sozialrecht könnte man Rx-Boni gedeckelt zulassen, so dass Apotheken einen gewissen Handlungsspielraum bekommen und die Chroniker ihre Entlastung behalten. Mit dem Boni-Deckel könnte man auch sicherstellen, dass sich niemand an Rx-Boni bereichert. Denn läge der Boni-Deckel beispielsweise bei 2,50 Euro, müsste man in der Regel schon mehrere hundert Rezepte einreichen, um sich wirklich über seine bereits geleistete Zuzahlung hinaus zu bereichern.
DAZ.online: Ihre Forderungen zur künftigen Apothekenhonorierung ähneln stark den Vorschlägen von DocMorris. Dabei ist DocMorris doch eigentlich nichts anderes als ein Konkurrent für Sie…Wie finden Sie es denn beispielsweise, dass deutsche Versandapotheken auch alle Nacht- und Notdienste leisten müssen, DocMorris deutsche Patienten aber ohne solche Dienste beliefern kann?
Buse: Uns ist kein konkreter Vorschlag von DocMorris bekannt. Der Ball liegt nach dem Urteil jetzt auch bei uns. Grundsätzlich ist es doch einfach gar nicht möglich, dass ausländische Anbieter hierzulande Nacht- und Notdienste erbringen. Dann sollen sie aber bitte, und das tun diese Anbieter schon jetzt, zur finanziellen Ausstattung des Nacht- und Notdienstfonds beitragen. Wenn es nach unserem Vorschlag geht, nicht nur technisch, sondern auch faktisch. Aber auch große deutsche Apotheken würden sich gemessen am Umsatz (Packungszahl) stärker engagieren.
DAZ.online: Danke für das Gespräch!
9 Kommentare
Docmorris und BVDVA
von Marius am 26.01.2017 um 19:01 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Falsche Fragen
von Andreas B am 26.01.2017 um 12:52 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Herr Buse "schiebt Wasser die Wand hoch".
von Christian Timme am 26.01.2017 um 1:20 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Klare Sprache
von Reinhard Rodiger am 25.01.2017 um 20:36 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Klare Sprache von Wasserschiebern die nicht schwimmen können.
von Christian Timme am 26.01.2017 um 3:01 Uhr
Schön verpackte Lügen
von Anita Peter am 25.01.2017 um 20:21 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
EuGH
von Dr. Radman am 25.01.2017 um 18:11 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Jeder Frosch sitzt in seinem eigenen Teich
von Christiane Patzelt am 25.01.2017 um 17:47 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Verlogener Blender...
von Michael Weigand am 25.01.2017 um 17:47 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.