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Digitalisierung

Noch mehr Daten, noch mehr Bürokratie?

Systeminterne Veränderungen durch das E-Rezept aus Sicht der Apotheken

Bei der Einführung des E-Rezepts stehen die Folgen für die Patientenkontakte im Mittelpunkt des Interesses. Dazu gehören die Arbeitsabläufe in der Apotheke und die Sorge vor neuen Anreizen für den Versand. Doch welche Neuerungen bringt das E-Rezept für die Abrechnung, die Datenflüsse und die Beziehungen zu den Krankenkassen? Diese Aspekte genießen weniger Aufmerksamkeit, können aber für die Apotheken folgenreich sein. | Von Thomas Müller-Bohn

Die bisherigen Betrachtungen zu den systeminternen Folgen des E-Rezepts beziehen sich großenteils auf die Abrechnung. Vor dem Hintergrund der Insolvenz des Rechenzentrums AvP wird die Direktabrechnung mitunter als zukunftsweisend dargestellt. Ohne ein Rechenzentrum entfällt das Risiko, dass das abgerechnete Geld auf dem Weg von der Krankenkasse zur Apotheke durch Zahlungsschwierigkeiten des Rechenzentrums „verloren“ geht. Doch die übrigen angeblichen Vorteile der Direktabrechnung erscheinen bei näherer Betrachtung zumindest fragwürdig. Vertreter der Rechenzentren weisen insbesondere darauf hin, dass die monatliche Zahlungsweise der Krankenkassen festgeschrieben ist. Die technisch mögliche taggleiche Abrechnung würde demnach keineswegs zu taggleichen Zahlungen führen. Das Geld käme bei einer Direktabrechnung nicht früher bei den Apotheken an, sondern in vielen Fällen sogar später als auf dem Weg über ein Rechenzentrum. Denn Rechenzentren sorgen teilweise auf eigene Kosten für eine Vorfinanzierung.

Weiterhin physischer Versand von Datenträgern

Auch das Kostenargument überzeugt nicht, zumindest solange die Daten auch auf konventionellem Weg übertragen werden müssen. Vermutlich werden die Krankenkassen aus buchhalterischen Gründen langfristig Sammelrechnungen auf Papier einfordern. Für die weiteren Daten ergeben sich die Anforderungen aus der Technischen Anlage 7 zur Abrechnungsvereinbarung gemäß § 300 Abs. 3 SGB V, die zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband ausgehandelt wird. Die letzte verfügbare Fassung stammt vom 27. Juni 2022. Darin wird die mehrstufige Einführung der neuen Datenstrukturen beschrieben. Während der Übergangsverfahren müssen auch für E-Rezepte zusätzlich Daten mit den bisherigen Strukturen erzeugt werden. Erst im Zielverfahren gelten für E-Rezepte nur die neuen Datentypen, aber dafür gibt es noch kein Datum, und dies gilt auch nicht für Papierrezepte. Darum stehen den eingesparten Gebühren für die Rechenzentren die Mühen für das Erstellen von Rechnungen und Datenträgern sowie die Portokosten für deren Versand gegenüber. Wenn jede Apotheke mit sehr vielen Krankenkassen einzeln abrechnen müsste, stiege der Gesamtaufwand im System erheblich.

Vorprüfung auch beim Papierrezept möglich

Als weiteres Argument wird die Vorprüfung der Rezepte genannt, die unmittelbar bei der Abgabe erfolgen kann. Die Apotheke kann den Zuzahlungsstatus des Versicherten abfragen und das Rezept formal überprüfen lassen. Das verspricht Schutz vor Retaxationen. Vertreter von Rechenzentren entgegnen, dass dies schon heute mit Papierrezepten möglich ist. Das Hindernis liege derzeit in der mühsamen händischen Eingabe aller Daten in der Apotheke, nicht in der Datenübertragung. Mitunter wird die Vorprüfung auch als Grund angeführt, der Krankenkassen motiviere, die Direktabrechnung voranzutreiben, obwohl dies den Abrechnungsaufwand für die Krankenkassen erhöht. Das Narrativ dabei ist, die Krankenkassen würden gerne eigene Prüfschritte einsparen, wenn sie sich auf eine Vorprüfung verlassen könnten. Doch das kann nicht überzeugen. Denn den Krankenkassen droht kein Schaden, wenn sie für Rezepte mit Formfehlern bezahlen, bei denen inhaltlich nichts zu beanstanden ist. Die Patienten sind gemäß dem ärztlichen Willen und zu einem angemessenen Preis versorgt, und niemand außer den Krankenkassen hat ein Interesse, in solchen Fällen noch irgendwie einzugreifen. Die Entscheidung, wie umfangreich die Formalitäten der Rezepte geprüft werden, liegt allein bei den Krankenkassen – mit oder ohne Vorprüfung, für E-Rezepte und für Papierrezepte. Darum ist auch eine automatisierte Vorprüfung der Formalitäten kein sicherer Schutz vor Retaxationen. Eine individuelle Prüfung kann noch andere Aspekte umfassen.

Z-Datensätze für Herstellerabschläge

Das führt zu einem weiteren Themenkomplex, der sich mit der Einführung des E-Rezepts eröffnet. Er rankt sich um die Frage, welche zusätzlichen Daten durch das E-Rezept an die Krankenkassen übertragen werden, die nicht auf dem Papierrezept stehen. Einen ersten Eindruck davon bieten die Z-Datensätze, die in bestimmten Fällen bei der Abrechnung von Papierrezepten erzeugt und geliefert werden müssen, die aber auf dem Formular nicht im Klartext zu lesen sind. Dies ist gewissermaßen ein bisschen E-Rezept auf dem Papierrezept. Ursprünglich betraf dies nur Zytostatikazubereitungen, inzwischen auch Cannabis-Verordnungen und alle Rezepturen. Für die Krankenkassen sind dabei die Daten über Fertigarzneimittel relevant, die in Rezepturen verarbeitet werden. Auf dem Papierrezept allein erfahren die Krankenkassen nicht, welche Fertigarzneimittel von welchem Hersteller verwendet werden. Erst mit den Z-Daten können die Krankenkassen auch Herstellerabschläge bei den Produzenten der verarbeiteten Fertigarzneimittel geltend machen. Die finanziellen Folgen treffen damit die Hersteller und nicht die Apotheken. Die Apotheken haben allerdings zusätzliche Mühen mit der Erstellung und der richtigen Übermittlung der Z-Datensätze und erbringen damit ohne zusätzliches Honorar eine wei­tere Dienstleistung, die den Krankenkassen an anderer Stelle finanzielle Vorteile verschafft.

Zusätzliche Daten für die Krankenkassen

Das wirft die Frage auf, ob andere Daten, die mit dem E-Rezept übertragen werden, noch weitergehende Folgen haben können, möglicherweise zulasten der Apotheken oder zum Nachteil der Patienten. Welche Daten für das E-Rezept erfasst und übermittelt werden, ergibt sich auch aus der Technischen Anlage 7 (TA7). Demnach besteht die TA7-Struktur aus Absender- und Empfänger-Kennzeichen, Erstelldatum, Dateinummer und -name, den Rechnungsdaten (Sammelrechnungsnummer und -datum, Abrechnungs­zeitraum, Rechnungsart, Kostenträger-Kennzeichen) und den Rezeptdaten. Dies sind der Verordnungs-, Quittungs-, Abgabe- und Abrechnungsdatensatz.

Zum Abgabedatensatz gehören folgende Daten:

  • Dokumentenversion
  • Abgabeinformationen: Rezept-ID (eindeutige Identifika­tion des Rezepts), Abgabedatum, Gesamt-Zuzahlung, Gesamt-Brutto, Vertragskennzeichen
  • Apothekendaten: Institutionenkennzeichen, Inhaber, Wohnsitzcode, Adressdaten
  • Abrechnungszeile: Nummerierung, Sonder-PZN, Chargenbezeichnung bei authentifizierungspflichtigen Arznei­mitteln, Faktor, Bruttopreis, Mehrwertsteuersatz
  • Kosten des Versicherten: Kategorie, Betrag
  • Zusatzattribut: Gruppe, Schlüssel, Dokumentation der Apotheke, Datum, Uhrzeit, Tarifkennzeichen, Kennzeichen für Sondertarif
  • Rezeptänderungen: Schlüssel, Dokumentation der Rezeptänderung, Dokumentation der Rücksprache mit dem Arzt, Datum der Änderung
  • Zusatzdaten zur Herstellung: Schlüssel zur Herstellung und zum Herstellenden, Kennzeichen des Herstellenden, Herstellungsdatum und -zeitpunkt, Nummerierung, Zählung der Einheiten in einem Herstellungsvorgang, Zählung der Abrechnungsposition in einer Einheit. Für jede Abrechnungsposition sind folgende Daten vorgesehen: Sonder-PZN, Chargenbezeichnung, Faktorkennzeichen, Faktor, Preiskennzeichen, Preis.

Das Zusatzattribut gibt Informationen zu folgenden Aspekten: Zuordnung zum Marktbereich, Rabattvertragserfüllung, preisgünstigstes Arzneimittel, Importarzneimittel, Mehrkostenübernahme, Wunscharzneimittel, Wirkstoff­verordnung, Ersatzverordnung, künstliche Befruchtung, Einzelimport, Notdienst, Hinweise auf zusätzliche Abgabe­angaben, Genehmigungen, Tarifkennzeichen und Zuzahlungsbefreiung. Für Rezeptänderungen sind 11 standardisierte Fälle und eine Möglichkeit für eine Freitextangabe vorgesehen (siehe DAZ 2021, Nr. 18, S. 19 f. und DAZ.online vom 28.09.2022). Die Definition eines Datenfeldes bedeutet nicht zwangsläufig, dass dies auch genutzt wird, zumal einige Angaben nur fallweise relevant sind. Doch mit der Definition wird zumindest die Möglichkeit zur Erhebung und Übermittlung geschaffen.

Warum werden Chargenangaben übermittelt?

Die meisten obigen Angaben sind vom Papierrezept oder von den bereits etablierten Z-Datensätzen bekannt. Auffällig erscheint jedoch die Angabe einer Chargenbezeichnung bei authentifizierungspflichtigen Arzneimitteln, die beim Papierrezept nicht übermittelt wird. Bei der Gestaltung des Securpharm-Systems wurde mit großem Aufwand dafür gesorgt, dass die Abgabeinformationen in der Sphäre der Apotheker bleiben und nicht an die Industrie gelangen können. Nun ist jedoch eine Struktur entstanden, mit der die Chargenangaben an Rechenzentren und Krankenkassen übermittelt werden. Möglicherweise könnte dies neue Begehrlichkeiten bei der Industrie bezüglich dieser Daten wecken, auf die einige Rechenzentren vielleicht gerne eingehen würden, um zusätzliche Einnahmen zu generieren, wie dies auch mit dem Verkauf anderer Daten an Markt­forschungsunternehmen geschieht.

Noch mehr Daten zur Herstellung

Außerdem fällt auf, welche detaillierten Daten zur Her­stellung in der Rezeptur im Abrechnungsdatensatz für E-Rezepte enthalten sind. Dies zielt wohl vordergründig auf Spezialrezepturen mit ihren besonderen Abrechnungs­modalitäten. Prinzipiell entsteht hier aber ein Instrument, mit dem auch konventionelle Rezepturen ähnlich akribisch dokumentiert und kontrolliert werden können. Möglicherweise wird eine so umfassende Transparenz über die internen Abläufe der Apotheke langfristig Konsequenzen für künftige Abrechnungen zu neuen Formen der individualisierten Arzneitherapie haben, über die sich bisher nur spekulieren lässt.

Nützlich, schädlich oder egal?

Manche Beobachter bewerten die Lieferung zusätzlicher Daten an die Krankenkassen mit dem Hinweis, dass dies den Apotheken nicht schade, sofern sie damit keine neuen Verpflichtungen eingehen. Dagegen spricht jedoch das Prinzip der Datensparsamkeit, das in der europäischen Datenschutzgrundverordnung verankert ist. Demnach soll auf jede Datenerfassung und -übermittlung verzichtet werden, die nicht vorgeschrieben oder technisch erforderlich ist. Insbesondere durch die Verbindung mit persönlichen Gesundheitsdaten könnten damit neue Auseinandersetzungen um den Datenschutz drohen. Auf jeden Fall verstärken zusätzliche Datenlieferungen den Trend zum „gläsernen Patienten“. Für Apotheken kommt die Sorge wegen mög­licher künftiger Retaxationen hinzu. Die Einführung der verpflichtenden Dosierungsangabe zeigt, dass jede zusätz­liche Angabe ein Risiko für neue Retaxvarianten birgt. Möglicherweise könnten Diskrepanzen zwischen Herstellungs-, Abgabe- und Abrechnungstermin in bestimmten Fällen erklärungsbedürftig sein.

Die Erweiterung der technischen Möglichkeiten und die zusätzliche Transparenz über die Arbeit in der Apotheke könnten sogar ganz neue bürokratische Kontrollen ermöglichen, die bisher an der Umsetzung scheitern. Mit einiger Fantasie wären automatische Genehmigungen durch Krankenkassen in Echtzeit für bestimmte Versorgungsfälle denkbar. Solche Neuerungen könnten die Versorgung der Patienten erschweren und die Belastung durch die Bürokratie weiter erhöhen.

Fazit

Insgesamt lässt sich folgern, dass die Übermittlung zusätzlicher Informationen an die Krankenkassen und eine Datenübertragung in Echtzeit die Position der Krankenkassen innerhalb des Versorgungssystems weiter stärken würden. Damit könnte die Grundlage für noch mehr Bürokratie geschaffen werden, die die Versorgung eher belasten als verbessern dürfte. Außerdem drohen datenschutzrechtliche Probleme. Dies alles spricht dafür, jede zusätzliche Datenübermittlung kritisch zu hinterfragen. |

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn, Apotheker und Dipl.-Kaufmann, DAZ-Redakteur

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