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Pandemie Spezial
COVID-19-Impfstoffe weltweit unter Beobachtung
Hintergrundraten von Nebenwirkungen helfen bei Überwachung
Nur ein Jahr, nachdem die weltweite Pandemie mit dem SARS-CoV-2-Virus aufflammte, waren die ersten Impfstoffe auf dem Markt. Mittlerweile wurden weltweit schon mehr als 1,5 Milliarden Dosen verimpft. Die Forschung daran begann Jahre vorher, immerhin waren andere Corona-Viren wie MERS und SARS-CoV-1 bereits bekannt. Im Jahr 2020 nahm die Entwicklung Turbogeschwindigkeit auf, maßgeblich vorangetrieben mit Förderung durch internationale Kooperationen wie der Impfstoffallianz CEPI.
Blutgerinnung im Fokus
Ebenso global denkt man auch in puncto Sicherheit: Ein internationales Team von Mitarbeitern des Observational Health Data Sciences and Informatics (OHDSI)-Netzwerks hat Hintergrundraten zu unerwünschten Ereignissen von besonderem Interesse (Adverse Events of Special Interest = AESI) von COVID-19-Impfstoffen gesammelt und in einer multinationalen Netzwerk-Kohortenstudie ausgewertet, unter anderem unterstützt durch die European Medicines Agency (EMA). Hintergrundraten haben schon in der Vergangenheit eine wichtige Rolle bei der Überwachung der Sicherheit von Impfstoffen gespielt, indem sie „zu erwartende“ Nebenwirkungen abbilden und als Vergleichsbasis für die real beobachteten Raten unter den Geimpften dienen.
Die Daten stammten aus elektronischen Gesundheitsakten und Leistungsansprüchen im Gesundheitswesen aus 13 Datenbanken acht verschiedener Länder, darunter auch Deutschland. 15 unerwünschte Ereignisse wurden in Verbindung mit COVID-19-Impfstoffen als AESI definiert, insbesondere solche mit Beteiligung des Gerinnungssystems (z. B. Schlaganfall, akuter Myokardinfarkt, tiefe Venenthrombose, Lungenembolie) sowie Entzündungs- (Myokarditis oder Perikarditis) und überschießende Immunreaktionen (Anaphylaxie, Guillain-Barré-Syndrom).
Unterschiede zwischen Jung und Alt
Die Hintergrundraten variierten stark zwischen den Datenbanken. So ergaben sich beispielsweise für tiefe Venenthrombosen bei Frauen zwischen 65 und 74 Jahren Raten von 387 pro 100.000 Personenjahre in Großbritannien verglichen mit einer Rate von 1443 pro 100.000 Personenjahre in den USA. Das entspricht etwa einer dreifachen Differenz zwischen der höchsten und der niedrigsten Inzidenzrate, die in den Datenbanken gemessen wurden.
Tiefe Venenthrombosen waren insgesamt selten bei Personen, die jünger als 18 Jahre waren, und häufig bei über 85-Jährigen. Auch die Inzidenzraten für hämorrhagischen und nicht-hämorrhagischen Schlaganfall, Lungenembolie, Bell’sche Lähmung, Immunthrombozytopenie, Guillain-Barré-Syndrom und disseminierte intravasale Gerinnung nahmen mit dem Alter zu. Die Myokardinfarktrate bei Männern stieg nach US-Daten von 28 pro 100.000 Personenjahre im Alter von 18 bis 34 Jahren auf 1400 bei Personen älter als 85 Jahre. Andere AESIs traten dagegen häufiger bei jungen Menschen auf, darunter Anaphylaxie, Narkolepsie und Appendizitis.
Falsche oder fehlende Signale?
Mehrere Richtlinien zur Überwachung der Impfstoffsicherheit empfehlen die Verwendung von Hintergrundraten, da sie die statistische Aussagekraft zur Erkennung seltener Ereignisse erhöhen und helfen, Signale früher als andere Methoden zu erkennen. Die Autoren der vorliegenden Studie waren jedoch von der beträchtlichen Heterogenität zwischen Geografien und Datenbanken selbst überrascht, was zur Vorsicht bei der Interpretation mahnt. Eine Stratifizierung oder Standardisierung vor der Verwendung historischer Daten für die Sicherheitsüberwachung ist unbedingt erforderlich. „Wenn wir diese Raten unabhängig von der Alters- oder Geschlechtsgruppe vergleichen, könnten wir entweder ein falsches Signal finden oder ein echtes Sicherheitssignal vernachlässigen“ kommentierte Co-Lead-Autor Xintong Li die Ergebnisse in einer Pressemitteilung.
Ein Beispiel: Ein Herzinfarkt wurde als sehr seltenes (< 1/10.000) Ereignis für eine 24-jährige Frau beobachtet, aber es war ein häufiges (< 1/10 bis ≥ 1/100) für einen 88-jährigen Mann. Die Autoren sind der Meinung, dass die Populationen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit diese AESIs erleiden (wie der ältere Mann in diesem Beispiel), getrennt von Populationen in viel niedrigeren Risikogruppen analysiert werden sollten, da sonst möglicherweise von einem falsch erhöhten Risiko für Ereignisse nach der Impfung ausgegangen wird.
Erwartet versus real
Wenn möglich sollte die gleiche Datenquelle verwendet werden, um die nach Hintergrundraten geschätzten AESI-Raten und die nach der Impfung tatsächlich beobachteten unerwünschten Wirkungen vergleichen und für die Überwachung nutzen zu können. Für Deutschland werden diese realen Verdachtsfälle von Nebenwirkungen durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gesammelt. Im Sicherheitsbericht vom 10.06.2021 wird von über 79.106 Verdachtsfällen seit Beginn der Impfkampagne am 27.12.2020 berichtet. Auch hier zählen thromboembolische Ereignisse zu denen vom PEI definierten AESI. Insbesondere im Zusammenhang mit Vektorimpfstoffen wurden Fälle von tiefen Beinvenenthrombosen, Lungenembolien und akuten arteriellen Thrombosen gemeldet, ebenso ein neues Syndrom, das durch venöse und/oder arterielle Thrombosen in Kombination mit einer Thrombozytopenie (TTS) charakterisiert ist. Dagegen scheinen mRNA-Impfstoffe eher die Gefahr für Komplikationen wie Myokarditis oder Perimyokarditis zu bergen, vor allem für junge Männer. Geimpfte können ein Feedback zur Verträglichkeit unter anderem über die App SafeVac 2.0 an das PEI senden. |
Literatur
Li X et al. Characterising the background incidence rates of adverse events of special interest for COVID-19 vaccines in eight countries: multinational network cohort study. BMJ 2021;373:n1435
Largest, Most Extensive Measurement Of Adverse Events Background Rates Can Inform Safety Monitoring Efforts For COVID Vaccines. Pressemitteilung der Columbia University von Juni 2021, verfügbar unter www.dbmi.columbia.edu/aesi-background-rates-study/ (Abruf am 21. Juni 2021)
Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zu COVID-19-Impfstoffen vom 10. Juni 2021, verfügbar unter www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/arzneimittelsicherheit.html
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