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Schwerpunkt Verblistern

Eine wechselvolle Beziehung

Die Apotheker und das Verblistern

Vor genau 20 Jahren – im Sommer des Jahres 2000 – wurden in Deutschland die ersten Blister mit patientenindividueller Medikation hergestellt. Gestartet mit idealistischen Ideen zur besseren Versorgung von Patienten, die prinzipiell von jeder Apotheke angeboten werden kann, hat sich die Verblisterung heute zu einem spezialisierten und differenzierten Geschäftsmodell entwickelt. Während der Blister anfangs lediglich sicherte, die einzelnen Tabletten zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen, kann der Blister heute garantieren, dass der Patient softwareunterstützt seine richtigen Arzneimittel in der richtigen Zusammenstellung aus der Apotheke erhält. Ein großer Sprung? Der nachfolgende Beitrag stellt die Meilensteine des Verblisterns von Arzneimitteln heraus und zeigt den Mehrwert auf, den die Apotheke den Patienten und den zu versorgenden Heimen damit bieten kann. | Von Anton Haase

Berlin, Regensburg und Bayreuth waren die ersten Stationen des Kartenblisters – bereits unterstützt durch erste Blister-Module der Softwarehäuser. Deren Weiterentwicklung wurde jedoch ein Jahr später, im Mai 2001, jäh beendet durch das Verdikt der ABDA, dass „der Blister vom Tisch“ solle. Eine offizielle Begründung dazu wurde nie bekannt. In der unmittelbaren Folge wurde der Vertrieb dieser Blisterprogramme praktisch verboten und die Software nur noch unter dem Tisch gehandelt; die Blisterverkäufe stagnierten schon kurz nach dem Start.

Bis heute hat sich nichts Wesentliches geändert an der Haltung der ABDA zum Thema Verblisterung (siehe S. 71), während die Software für die patientenindividuelle Verblisterung gewaltig auf- und ausgebaut wurden, sogar so weit, dass z. B. Arzt und Heim ebenfalls partizipieren können. Ebenso gibt es seit vielen Jahren vollautomatische Verblisterungsanlagen, und in deren Gefolge gründeten sich die ersten Blisterzentren. Somit kommt man zu dem Eindruck, dass Behörden und Politik – dem „Druck der Realität“ folgend – den § 34 ApBetrO (Patientenindividuelles Stellen oder Verblistern von Arzneimitteln) letztlich ohne die ABDA umsetzten.

Viel geredet und geforscht, und noch mehr geschrieben wurde über die Vor- und Nach­teile der Verblisterung als Ausgangspunkt für eine Bereitstellung der individuellen Arzneimitteltherapie und daraus abgeleitet für eine bessere Adhärenz bei der Einnahme aller verordneter Medikamente (siehe S. 58). Denn der Markt hat, trotz der einem Verbot gleichkommenden Haltung der ABDA, die Vorteile des Blisters längst aufgenommen.

Warum eigentlich Verblistern?

Der patientenindividuelle Blister soll in erster Linie die Einnahme der vom Arzt verordneten und vom Apotheker geprüften Medikation garantieren. Der eigentliche Wert der Verblisterung liegt aber nicht primär im Blister selbst, sondern in der dahinter stehenden Information. Als Handwerkszeug dazu wurde bereits in den ersten Anfangsjahren der damalige Medikationsplan zentral positioniert: hier laufen alle Informationen für Arzt, Apotheke und Pflege zusammen.

Und weil die Apotheke alle Medikamente eines Patienten verblistern soll, müssen die Verschreibungen aller beteiligten Ärzte in einer Apotheke zusammenlaufen, und auch zusätzliche nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel können einbezogen werden. Software-unterstützt kann die gesamte Medikation, also alle Tabletten, Pulver und Tropfen eines jeden Patienten, individuell und sogar für tageszeitbezogene Rationen analysiert und somit Impulse für Verbesserungen gesetzt werden. Darüber hinaus ist der Patient über den Blister an die jeweilige Versorgungs­apotheke gebunden. Eine (elektronische) Patientenakte dagegen wird weder die angesprochene komplette Information enthalten und noch weniger die Bindung an die lokale Apotheke gewährleisten können.

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Aktueller Markt

Aufgrund signifikanter Steigerungen in den letzten beiden Jahren kann davon ausgegangen werden, dass 20 Jahre nach den ersten Blistern bald 50 Prozent der deutschen Alten- und Pflegeheime von Apotheken patientenindividuell versorgt werden. Bereits Ende 2017 erfolgte das Zusammenstellen der Dauermedikation zu mehr als 44 Prozent von Apotheken und zu mehr als einem Drittel in Form von Blistern [1]. Und der Blister-Grad steigt stetig: Vor allem private Einrichtungen drängen zur Verblisterung, denn die Umstellung zum Blister eröffnet der Pflege mehr Zeiträume für die direkte Versorgung der Bewohner „an vorderster Front“, ausschlaggebend vor allem in Zeiten von Pflegenotstand und ins­besondere von Corona.

Trotzdem stellt sich die Frage, warum für eine 50-prozentige Marktdurchdringung im Heim doch 20 Jahre nötig waren. Sicher sind Heime per se im positiven Sinne konservativ, und es bedarf wohl einer Pfleger(innen)-Generation, bis sich Neuerungen auch hier durchsetzen. Denn statt der Pflegekraft im Heim stellt beim Blistern die Apotheke die Arzneimittel, zum besseren Transport im verschlossenen Blister – das Ergebnis ist das gleiche! Trotzdem kommt es im Heim subjektiv zu einem Kontrollverlust, denn die Arzneimittel sind jetzt nicht mehr im Heim selbst, sondern in der Apotheke, und dies bedeutet einen erheblichen Mehraufwand, wenn es mal wieder schnell gehen muss. Die ebenfalls gerne zitierte schwindende „pharmazeutische Kompetenz“ des Heimpersonals, die mit dem Blister verloren gehen sollte, ist ebenfalls ein eher subjektives Moment: Das sog. Stellen im Heim ist eine herausgehobene Arbeit, die mit dem Blister nun unwiederbringlich wegfällt. Faktisch ist ein beschrifteter Blister auf jeden Fall einem unbeschrifteten Becher vorzuziehen, daher unterstützt der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) zwischenzeitlich den Blister auf breiter Front.

Apothekenseitig ist die Verblisterung nicht immer rentabel, vor allem für wenig differenzierte Betriebe. Zudem unterboten sich viele Jahre lang konkurrierende Apotheken bei anstehenden Heimbelieferungen bis hin zur roten Null. Erst das Antikorruptionsgesetz konnte jüngst viele Heime überzeugen, für die Kosten der Verblisterung in der Apotheke, für Material und Personal, eine teilweise Kompensation zu leisten. Aber die dafür oft ausgehandelten 1,50 bis 2,50 Euro sind in aller Regel nicht kostendeckend und schmälern den Ertrag aus den verblisterten Medikamenten.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Vergütung für den einzelnen Blister immer noch der entscheidende Knackpunkt ist [2]. Um hier Abhilfe zu schaffen, könnte als gemeinsam akzeptierte Basis für Preisverhandlungen die Untersuchung von Prof. Dr. Schmid dienen, der für eine Preisfindung Vergleichswerte aus ambulanten Pflege­diensten zusammengestellt und analysiert hat (siehe S. 65).

Auch die Ablehnung des Blisterns innerhalb der apothekerlichen Standesvertretung hatte bisher eine Kostenkompensation durch die Sozialträger unmöglich gemacht: Die Kassen verweisen darauf, dass sie ohne eine Standort­bestimmung der verfassten Apothekerschaft keine eigenen Festlegungen treffen könnten. Daran konnten auch mehrere u. a. AOK-unterstützte Studien zur Verblisterung nicht viel ändern, ebenso wenig wie ein „Lex Kohl“ für die 100 Millionen-schwere Investition von Kohl-Pharma in eine Blister­maschine. Letztlich machten sowohl der DAV (wegen Kohl-Pharma?) als auch die Kassen nicht mit.

Wer bietet das Verblistern an?

Geblistert wird meist in kleingliedrigen Strukturen: Den ca. 2000 – 3000 kleineren/mittelgroßen Apotheken, die selbst maschinell oder manuell verblistern, stehen noch rund 20 Blisterzentren gegenüber, die Blister im Auftrag für Versorgungsapotheken herstellen. Sowohl Software-Anbieter als auch die Befragung von Prof. Dr. Schmid (2018) sprechen von 60 bis 70 Prozent Marktanteil für die maschinell hergestellte Blistertüte aus der Maschine, auch wenn manuelle Systeme zusätzlich entscheidende Vorteile für Apotheke und Heim bereithalten, bis hin zum Verblistern von Liquida [1].

Denn die lohnkostenintensive und personalabhängige Verblisterung wird gerne an Automaten delegiert, die überwiegende Anzahl der Blistermaschinen steht daher in Blisterzentren.

Gegen eine weiter zunehmende Zentralisierung sprechen allerdings die Erfahrungen, dass eine lokale Blisterfertigung in der Apotheke deutliche Vorteile aufweist: schneller, flexibler, effektiver, auch z. B. bei notwendigen Änderungen, die ohne Zeitverzug umgesetzt werden müssen. Entfernte Blisterzentren mit ausgedehntem Produktionsvorlauf und zwingenden Logistikintervallen müssen diese Zusatzarbeiten an die lokale Apotheke übertragen, wodurch sich die Vorteile des Blisterzentrums relativieren, oder schlicht dem Heim überlassen, was immer wieder zu Friktionen führt. Nach mehreren Jahren Erfahrung mit maschineller Blisterherstellung schicken sich die Großen der Branche an, die systemimmanenten Besonderheiten der Blistertüte aufzu­arbeiten und besser zu adaptieren (siehe S. 68).

Erst die Ausgliederung in spezialisierte Abteilungen mit dezidiert zugeschnittenen Prozessen kann die Verblisterung in rentable Regionen führen, sofern das Volumen an wöchentlichen Blistern ausreichend zustande kommt. Wichtig dabei ist, dass auch ein großes Blisterzentrum mit ca. 15.000 Blistern/Woche noch lange keine dominierende Stellung bei den nahezu 400.000 verteilten Wochenblistern in Deutschland hat.

Viel wichtiger ist die Feststellung, dass sich Teile des pharmazeutischen Großhandels (z. B. Noweda und Phoenix) aktiv dem Blister zugewandt haben: von der packungsbasierten Distribution zu individuell zusammengestellten Tabletten-Rationen für den einzelnen Patienten. In anderen Teilen der Welt wird bereits noch weiter gedacht: Das Prinzip „compliance follows convenience“ war wohl beim Kauf von PillPack durch Amazon im Hintergrund präsent. Denn diese neue Form der Präsentation für einzunehmende Dauermedikation wird z. B. für HIV-Patienten als attraktiv bewertet – in den USA steht der Name PillPack seit Jahren dafür. In der Pflege zielt ein solches Angebot insbesondere auf das brachliegende, aber größte Marktsegment: der durch Angehörige zu Hause versorgte Patient (siehe Tab.). Amazons Ausgaben von ca. 750 Mio. US-Dollar für PillPack belegen überdeutlich, dass dieser Versorgungsform enorme Zukunftschancen eingeräumt werden.

Noch fehlt uns in Deutschland dazu die geeignete Form der Abrechnung für den Blister. Wenn wir aber sehen, dass teilweise unsere europäischen Nachbarn bereits diese Blisterverpackungen als Nachweis der Medikamenten-Abgabe im Heim scannen, ist der Schritt dazu, diesen Scan auch für eine Bezahlung der eingenommenen Pillen durch die Kasse verwenden zu wollen, nicht mehr allzu weit.

Das Marktpotenzial

Der Blick auf weitere mögliche Verwender des Blisters eröffnet noch beträchtliche Wachstumsreserven: Von 3,4 Mio. Pflegebedürftigen in Deutschland (Destatis, Stand 2019) werden aktuell lediglich ca. 0,4 Mio. Bewohner von Alten- und Pflegeheimen mit verblisterter Dauermedikation versorgt. Auch wenn nicht alle Pflegebedürftige verblisterte Medikamente benötigen, ist das Marktpotenzial aus der dargestellten Relation enorm (siehe Tab.). Besonders Pflegedienste können vom Blister aus der Apotheke profitieren, denn die Zusammenstellung der Medikation ist zeitintensiv und fehleranfällig; genau hier kann die Apotheke ihre Unter­stützung anbieten sowohl im praktischen Bereich der Blisterherstellung als auch im Bereich der Geriatrischen Pharmazie.

Tab.: Pflegebedürftige nach Versorgungsart
Pflege
Pflegebedürftige [Anzahl]
% Anteil [Prozent]
Insgesamt
3.414.378
100
Pflegebedürftige zu Hause versorgt
2.594.862
76
davon
allein durch Angehörige
1.764.904
52
zusammen mit/durch ambulante Pflegedienste
829.958
24
Pflegebedürftige vollstationär in Heimen
818.289
24
Pflegebedürftige in teilstationärer Pflege
1227
< 1

Problematisch ist allerdings, dass eine Zusammenarbeit zwischen Pflegedienst und Apotheke bisher nicht geregelt ist: 2002 wurde eine diametrale Wende in der Zusammenarbeit zwischen Heim und Apotheke eingeführt mit den Regelungen zum Heimversorgungsvertrag gemäß § 12a Apothekengesetz. Und wir sehen heute die vertragliche und (meist) problemlose Kooperation mit Verpflichtungen auf beiden Seiten als großen Erfolg. Eine analoge Regelung für den Pflegedienst, wobei auch mehrere Apotheken involviert sein könnten, steht jedoch noch aus. Seit über 20 Jahren gibt es auch ein paar wenige Blisterautomaten in Krankenhäusern, deren Zahl sich langsam entwickelt. Es zeigt sich, dass große, zentral platzierte Maschinen in der Akutversorgung zwingend neue Prozessabläufe benötigen und gelebte Abläufe im Medikamentenverteilprozess eher weniger unterstützt werden. Heutige Abläufe würden dezentrale Strukturen mit kleinen Maschinen auf den Stationen bevorzugen.

Fazit und Ausblick

Erstaunlicherweise hat die Apothekerschaft die seit 20 Jahren propagierten Vorteile des Medikationsplans und des daraus hergestellten Blisters nie hinreichend betrachtet – oder anderen Interessen untergeordnet? Warum ist heute der Arzt der aktuelle „Hüter“ des Medikationplans, welcher dessen Erstellung/Führung sogar bezahlt bekommt, obwohl der einzelne Arzt in den allermeisten Fällen nur seine, d. h. durch seine Praxis verordneten Medikamente darin aufnimmt. Gemessen an inneren Verteilungskämpfen und Budgetwertdiskussionen haben die Ärzte wohl kein Interesse daran, überhaupt einen Medikationsplan für den Patienten zu führen, der diesen Namen verdient. Es sei die Frage gestellt, wer denn einen kompletten Medikationsplan aufstellen und verwalten kann analog einer Blister-Apotheke, welche zwingenderweise die Rezepte aller Ärzte und verschreibungsfreien OTCs zusammenführt? Die bisher bekannten Funktionen der elektronischen Patientenakte werden dieselbe Übersicht nicht generieren können. Daher ist es nicht einsichtig, warum die Apothekerschaft diese Chance nicht effektiv genutzt hat oder bisher nutzen wollte, zum tatsächlichen „Hüter“ des Medikationsplans – auch später in seiner elektronischen Form – anerkannt zu werden. Aber dies impliziert, dass die Apotheker Verantwortung übernehmen wollen, die nur sie aufgrund ihrer pharmazeutischen Ausbildung und Kompetenz schultern können. Der Blister ist auch ein Werkzeug, um in die Lage zu kommen, diese apothekeneigene Kompetenz umsetzen zu können. |

Literatur

[1] Schmid T, Schraut V, Prestel P. Zwei Drittel stellen, ein Drittel lässt verblistern - Kriterien der Pflegeheime bei der Entscheidung für „Stellen“ oder „Verblistern“. DAZ 2018, Nr. 15, S. 52

[2] Niecamp, C. (2019) Blistern in der Praxis, in: Apotheke + Marketing 3, 26-27

Autor

Dr. Anton Haase, Biochemiker, beschäftigte sich 20 Jahre lang mit der Ver­blisterung und initiierte sowohl den Karten- als auch den Becherblister in Deutschland, zuletzt war er Geschäftsführer einer Firma für die manuelle Verblisterung.

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