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Pandemie Spezial
„Keine Wundermittel, aber auch kein Gift!“
Nur für wenige COVID-19-Patienten sind Malariamittel eine Option
DAZ: Herr Professor Kremsner, am 4. Juni haben die Autoren der Lancet-Publikation zu Chloroquin/Hydroxychloroquin diese zurückgezogen. Sie hatte eine besorgniserregende Mortalitätserhöhung unter den Malariamitteln gezeigt. Über 200 Ärzte und Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen hatten zuvor in einem offenen Brief an Autoren und den Chefredakteur des Lancet massive Kritik geübt. Teilen Sie die Kritik?
Kremsner: Die Publikation hat die wissenschaftliche Gemeinde ziemlich durchgerüttelt. Die Kritik daran und den offenen Brief kann ich eins zu eins unterschreiben. Diese Studie hat so viele Ansatzfehler und Inkonsistenzen, sie ist so nicht nachvollziehbar.
DAZ: Die Autoren wollten die Studie ja von unabhängiger Seite überprüfen lassen. Das war nicht möglich. Ist jetzt die Aussage einfach hinfällig?
Kremsner: : Ja, damit ist die Studie irrelevant. Jetzt müssen wir uns wieder auf die tatsächlichen Probleme konzentrieren, und zwar, dass wir endlich gut kontrollierte Therapiestudien mit Hydroxychloroquin bei COVID-19 zu einem auswertbaren Ende bringen.
DAZ: Aufgrund der Studie wurden ja viele kontrollierte Studien mit den Malariamitteln gestoppt, nun sollen sie wieder weitergehen. Auch in Tübingen wird unter Ihrer Federführung Hydroxychloroquin im Rahmen zweier kontrollierter Studien untersucht. Welche Konsequenzen haben Sie gezogen?
Kremsner: Zunächst ruhten diese Studien auf unser Betreiben hin. Wir wollten die bisherigen Daten auf die Sicherheit unter Therapie überprüfen lassen. Doch aufgrund der Entwicklungen haben wir die Studienpausierung am 5. Juni 2020 widerrufen. Jetzt warten wir auf grünes Licht vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Sobald wir das haben, werden wir die Studie fortsetzen.
Viele der COVID-19-Patienten sind älter, haben Grunderkrankungen und eine Polymedikation. Hier kann man schon ganz gewaltigen Schaden mit Chloroquin oder Hydroxychloroquin anrichten, wenn man dies alles außer Acht lässt. Wenn man das alles berücksichtigt, kommt tatsächlich nur ein kleiner Teil für eine solche Therapie infrage, gerade bei den hospitalisierten Patienten. In dieser Patientengruppe müssen wir 95% von einer solchen Behandlung ausschließen.
DAZ: Als Tropenmediziner und Experte für Malaria sind für Sie ja Chloroquin und Hydroxychloroquin keine Unbekannten. Auf die Problematik der QT-Zeitverlängerung und der damit verbundenen Arrhythmiegefahr wurde schon früh immer wieder verwiesen.
Kremsner: Das ist richtig, und das gut bekannte Wissen um Nebenwirkungen und Kontraindikationen schränkt die Einsatzmöglichkeiten dieser Medikamente bei COVID-19 stark ein. Viele der COVID-19-Patienten sind älter, haben Grunderkrankungen und eine Polymedikation. Hier kann man schon ganz gewaltigen Schaden mit Chloroquin oder Hydroxychloroquin anrichten, wenn man dies alles außer Acht lässt. Wenn man das alles berücksichtigt, kommt tatsächlich nur ein kleiner Teil für eine solche Therapie infrage, gerade bei den hospitalisierten Patienten. In dieser Patientengruppe müssen wir 95% von einer solchen Behandlung ausschließen.
DAZ: Und die übrigen 5%?
Kremsner: Hier haben wir eine sehr gute Verträglichkeit und keine schweren Nebenwirkungen bei den bisher Behandelten gesehen, so viel können wir jetzt schon sagen.
DAZ: Was sagen dann die Studien, die tatsächlich eine erhöhte Mortalität und verstärkt ventrikuläre Arrhythmien unter Chloroquin und Hydroxychloroquin zeigen?
Kremsner: Eine erhöhte Sterblichkeit und gefährliche Nebenwirkungen sind in der Regel die Folge einer falschen Anwendung. Entweder ist die Dosierung zu hoch oder es liegen Kontraindikationen oder Medikationskonstellationen vor, vor deren Hintergrund Chloroquin oder Hydroxychloroquin erst gar nicht hätten eingesetzt werden dürfen. Werden die Arzneimittel richtig eingesetzt, dann sind sie wahrscheinlich keine Wundermittel, aber sie sind sicher auch kein Gift. Welchen Stellenwert sie in der COVID-19-Therapie haben können, werden wir erst beurteilen können, wenn die Ergebnisse der randomisierten Studien vorliegen.
DAZ: Zurück zum durch die Lancet-Publikation ausgelösten Beben. Die Corona-Pandemie scheint auch das bislang etablierte Publikationswesen in renommierten Fachzeitschriften ziemlich aus der Bahn geschmissen zu haben …
Kremsner: Ja, das ist wirklich zum Verzweifeln. Man kann sich auf nichts mehr verlassen. Auf der einen Seite ist es ja zu begrüßen, dass wichtige Erkenntnisse schneller als vor der Pandemie publiziert und mit allen geteilt werden können. Auf der anderen Seite benötigen wir Zeit, um unsere Daten gründlich zu analysieren. Doch jetzt geschieht alles überhitzt, selbst so renommierte Fachzeitschriften wie „The Lancet“ sind nicht mehr vor Fehlpublikationen gefeit. Das erschüttert das Vertrauen in die Wissenschaft in ihren Grundfesten und ist einfach nur fatal. Wir müssen dringend die Notbremse ziehen und zu unseren bewährten Standards zurückkehren.
DAZ: Herr Prof. Kremsner, vielen Dank für das Gespräch! |
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