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Apotheken zwischen Trivago und Lieferando?
Welche Chancen und Risiken Verfügbarkeitsabfragen und Preisvergleiche bieten
Seit vergangener Woche wird in Apothekerkreisen sehr heiß darüber diskutiert, ob das auch für das Arzneimittelwesen gelten kann. Oder führen Plattformen à la Trivago (Verfügbarkeitsabfragen und Preisvergleiche) oder Lieferando (Lieferservices lokaler Anbieter) in diesem Bereich am Ende zu einer gefährlichen Banalisierung und Zersetzung etablierter Strukturen? Ausschlaggebend für die Diskussionen in Apothekerforen und in Kommentaren auf DAZ.online und bei anderen Branchendiensten dürfte die Veröffentlichung der Gematik sein, in der sie beschreibt, wie E-Rezepte künftig verordnet, beliefert und vom Versicherten bearbeitet werden können. Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet in dieser Legislaturperiode bekanntlich an der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts. Mit dem Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) soll es ab 2022 zur Pflicht werden, dass ärztliche Verordnungen grundsätzlich elektronisch ausgestellt werden. Die Gematik, eine GmbH, an der das Bundesgesundheitsministerium inzwischen die Mehrheitsanteile übernommen hat, ist u. a. damit beauftragt, eine E-Rezept-App zu bauen, mit der die Versicherten ihre digitalen Verordnungen an Apotheken weiterleiten können.
In dem online veröffentlichten rund 100-seitigen Dokument wird detailliert beschrieben, wie das E-Rezept selbst sowie die technische Infrastruktur drum herum umgesetzt werden soll. In dem bisher noch nicht offiziell bewerteten Entwurf gibt es einen Satz, um den sich aktuell viele Auseinandersetzungen und Gerüchte ranken: „Eine zusätzliche Funktionalität ist beispielsweise die Verfügbarkeitsabfrage der Verordnung in einem Warenwirtschaftssystem“, heißt es auf Seite 62. Soll es Patienten mit einer elektronischen Verordnung und der entsprechenden Gematik-App tatsächlich möglich sein, Arzneimittelverfügbarkeiten abzufragen ohne aktiv in Kontakt mit der jeweiligen Apotheke zu treten? Viele Kommentatoren sind sich sicher, dass ein „gläsernes“ Warenwirtschaftssystem zu einer ganz neuen Form des Wettbewerbs führen könnte – und zwar sowohl unter den Kollegen vor Ort als auch im Hinblick auf die großen Versender mit Sitz im EU-Ausland. Manch einer fürchtet, dass DocMorris und Co. alle Artikel auf „sofort lieferbar“ stellen, während die Präsenzapotheken bei Nachlieferungen (innerhalb eines Tages) dann das Nachsehen hätten. Andere Kritiker haben Bedenken bezüglich Betriebsgeheimnissen und Datenschutz.
Verfügbarkeit aus Kundensicht
Doch zunächst sollte einem bewusst werden, was überhaupt unter einer „Verfügbarkeitsabfrage“ verstanden wird. Der Begriff ist ja nicht zwangsläufig im Zusammenhang mit Digitalisierung zu sehen. Eine Abfrage der Verfügbarkeit kann ganz konventionell auf persönlichem oder telefonischem Weg erfolgen. Ein Vorgang also, der in den Apotheken unzählige Mal passiert – und zwar am Tag und bekanntlich auch in Nacht- und Notdiensten. Menschen, die miteinander Handelsbeziehungen eingehen, möchten sich vor Vertragsabschluss immer vergewissern, ob alle Anforderungen erfüllt sind. Neben Preis und Qualität geht es dabei eben auch um die Verfügbarkeit – gerade bei Dingen des täglichen Bedarfs, vor allem bei lebensnotwendigen Arzneimitteln. Aus Verbrauchersicht ist es also absolut nachvollziehbar, dass es eine Form der Verfügbarkeitsabfrage geben muss, bevor beispielsweise eine ärztliche Verordnung (unwiderruflich) eingelöst wird. Übrigens ist das ein Umstand, den zahlreiche DocMorris-Kunden bemängeln. Zum Teil warten diese mitunter lange Zeit oder sogar vergeblich auf eine Reaktion des Versenders (s. DAZ 2019, Nr. 19, S. 18), nachdem sie ihre Rezepte zur Post gebracht haben. Das kann an schlechter Verfügbarkeit liegen oder schlichtweg an Unseriösität.
„Click and Collect“ für mehr Effizienz
Eine digitale Verfügbarkeitsabfrage – z. B. per App oder auf der Homepage des jeweilige Anbieters – in Verbindung mit dem stationären Einzelhandel kann dem Vebraucher einen großen Mehrwert bieten – wie das Beispiel mit dem Möbelstück und dem schwedischen Einrichtungskonzern zu Anfang verdeutlicht. Man kann direkt die Niederlassung ansteuern, die über die gewünschte Ware verfügt. Vor Ort gibt es für die Vorbesteller vielleicht sogar Schnellkassen (per Selbstbedienung) oder Click-and-Collect-Zonen, in denen sie relativ schnell, unkompliziert und vielleicht sogar ohne persönlichen Kontakt „abgefertigt“ werden. Ein scheinbar perfekt aufeinander abgestimmtes, effizientes System aus digitalen und analogen Servicedienstleistungen, das leider nur während der Corona-Pandemie an seine Grenzen geraten ist (s. Bild). Doch kann das ein Vorbild sein für die noch etwa 19.000 Apotheken in Deutschland, die – anders als ein Großkonzern – viele kleine Unternehmen darstellen?
„Substituieren wir nun gedanklich einmal das Billy-Regal durch ein Arzneimittel“, erklärt Florian Giermann, der als Client Liaison Manager bei Noventi tätig ist und sich schon seit Jahrzehnten mit Softwarelösungen im Apothekenbereich beschäftigt. „Ob dieses Arzneimittel in einer bestimmten Apotheke verfügbar ist, kann man sich als Kunde derzeit nur anzeigen, soweit die Apotheke ein Shopsystem oder eine Click-and-Collect-Lösung hat.“ Die Shopsysteme seien in aller Regel per Schnittstelle an die Warenwirtschaftssysteme angebunden und könnten dadurch den Lagerbestand für jeden Artikel in Echtzeit auslesen. Auch eine abgestufte Lieferbarkeit könnte angezeigt werden, wenn die Systeme noch zusätzlich die Bestände der Pharmagroßhändler kennen würden. In der Praxis würden diese aber meist von den Apotheken selbst in die Verfügbarkeitsabfrage eingepflegt, sodass auch alle bestell- und nachlieferbaren Artikel für die Kunden dargestellt werden können. So ergeben sich dem Ampelschema folgend drei Anzeigen für die Online-Nutzer: Ein grüner Status für sofort in der Apotheke verfügbare Artikel (optional mit Lagermengenanzeige), ein gelber Status für kurzfristig beschaffbare Artikel (vom Großhändler) sowie ein roter Status für Artikel, die aktuell nur schwierig zu beschaffen sind. Beim letzten Status werden die Kunden meist an eine Service-Mailadresse verwiesen, um ggf. Empfehlungen für Alternativprodukte zu erhalten (s. Abb.).
Click-and-Collect-Lösungen sind mittlerweile als Komplettangebote der meisten Apothekensoftwarehäuser erhältlich. Als „vollintegriert“ bezeichnet man die technische Lösung, bei der die Schnittstelle zwischen Online-Portal und Warenwirtschaft vom Softwarehaus programmiert und gewartet wird. Eine wichtige Tatsache, wenn es um Fehlerbehebung und Updates geht. Daneben existieren auch Stand-alone-Lösungen für Shops von Drittanbietern, die keine eigene Warenwirtschaft im Portfolio haben und auch die Anbindung an die bestehende Kassensoftware nicht gewährleisten können. Doch auch bei einer vorhandenen und sehr gut funktionierenden Schnittstelle zwischen den beiden Systemen, ist es fraglich, wer genau im Fall der Fälle für die Fehlerbehebung oder Updates zuständig ist.
Giermann zählt auf, welche Informationen eine Schnittstelle zwischen Online-Shop und Warenwirtschaft benötigt, um Bestellungen korrekt zu übermitteln und auszulösen. Dazu gehören:
- Die Pharmazentralnummer (PZN) für den Artikel,
- die gewünschte Artikelmenge,
- eine eindeutige Kundenkennung,
- ein sog. „Timestamp“ (Datum und Uhrzeit der Bestellung),
- bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zulasten der GKV: mindestens die IK-Nummer.
Technisch seien all diese Lösungen bereits heute möglich, erklärt Giermann. Denn die Softwarehäuser könnten Apotheken sowohl regionale Click-and-Collect-Lösungen anbieten als auch aufwendige Online-Shops, zugeschnitten auf bundesweit agierende Versandapotheken.
„Der Schritt zur Verfügbarkeitsabfrage ist somit kein großer. Anstatt über die bestehenden Schnittstellen eine Bestellung auszulösen, wird lediglich eine Bestandsabfrage an die Warenwirtschaft geschickt und das Ergebnis dann angezeigt“, verdeutlicht Giermann den Unterschied zwischen den Click-and-Collect- und Versand-Shops.
Herausforderung Rx
Im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel sei die Situation dagegen komplexer. Hier könnte es sein, dass der verordnete Artikel aufgrund von Rabatt- und Rahmenverträgen substituiert werden muss. Auch dieser Vorgang sei zwar technisch einfach zu lösen, indem ein Algorithmus eine Stufe zuvor integriert wird – nichts anderes machen die Warenwirtschaften, indem sie bei der Kombination von Pharmazentralnummern mit IK-Nummern eine Auswahl an Möglichkeiten anzeigen. Dieser Algorithmus könne natürlich auch in einer Schnittstelle vorgeschaltet werden.
Doch inwieweit solch ein System praktikabel und vom Berufsstand überhaupt gewünscht sei, wird sich noch zeigen müssen. An diesem Punkt macht sich schon jetzt der Konflikt bezüglich Verfügbarkeitsabfragen bemerkbar. So veröffentlichte die ABDA in ihrem Newsroom am Mittwoch vergangener Woche ein Statement zur künftigen E-Rezept-App der Gematik. Vor allem geht es dabei um die Frage, ob Patienten eine direkte und automatische Lagerbestandsabfrage bei einzelnen Apotheken vornehmen können sollen. ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold wird folgendermaßen zitiert: „Eine automatisierte Abfrage macht überhaupt keinen Sinn, denn zumeist muss das verordnete Medikament gegen ein Rabattarzneimittel oder ein anderes lieferbares Präparat ausgetauscht werden. Dazu braucht es die pharmazeutische und sozialrechtliche Kompetenz eines Menschen in der Apotheke, der entscheidet, wie die optimale Versorgung gestaltet wird und welche Antwort der Patient erhält. Diese Kommunikation zwischen zwei Menschen soll dem Patienten mit dem E-Rezept einen unnötigen Weg zur Apotheke ersparen, indem die Apotheke das Rezept schon vorab bearbeiten und eine individuelle Versorgung planen kann.“
Eine algorithmisierte Abfrage und eine Vorauswahl im verschreibungspflichtigen Bereich können schnell als eine Bevormundung und Einmischung in die pharmazeutische Tätigkeit aufgefasst werden. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass es durch den fehlenden persönlichen Kontakt, das Ausbleiben einer Nachfragemöglichkeit bei den Patienten oder dem Arzt auch zu Arzneimittelrisiken führen kann.
Giermann weist darauf hin, dass die Chance in der Unterstützung bei rein administrativen Aufgaben steckt, bei denen ein Computer ohnehin das bestmögliche Ergebnis schneller und zuverlässiger berechnen kann als ein Mensch, vorausgesetzt dieser hat die richtigen Daten für die Berechnung.
Momentan sei es einfach noch zu früh, um sich bei dieser Frage in die eine oder die andere Richtung endgültig festzulegen. Auseinandersetzen sollten sich die Apotheker aber auf jeden Fall damit, regt Giermann an.
Preistransparenz und Preisvergleiche
Preise für Waren und Dienstleitungen im Internet zu suchen und sich anzeigen zu lassen und zu vergleichen, sei mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, sagt Florian Giermann. Auch eine Preisbindung, wie sie für Bücher und verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt, führt bekanntlich nicht dazu, dass diese Produkte online weniger nachgefragt werden – wie Amazon auf dem Büchermarkt seit fast 25 Jahren beweist. Die sogenannte „Convenience“, also die Bequemlichkeit, ist für viele Menschen der entscheidende Impuls, Dinge des täglichen Bedarfs im Versandhandel zu bestellen. Neben der Bequemlichkeit spielt auch die Preis- und Zeitersparnis eine Rolle, sowie die (vermeintliche) Anonymität des Internets.
Auf den deutschen Arzneimittelmarkt bezogen, räumt Giermann ein, könne bei OTC-Artikeln durchaus die Gefahr bestehen, dass sich Apotheken im unmittelbaren Umfeld in eine (unerwünschte) Vergleichbarkeit begeben, die im allerschlimmsten Fall zu einer ruinösen Preisspirale nach unten führen kann. Hier helfe wiederum das Einnehmen der Kundenperspektive: „Würden Sie Halstabletten oder Sonnencreme kaufen, wenn Sie deren Preis nicht kennen?“ gibt Giermann zu Bedenken. Die Antwort werde – je nach Situation und Dringlichkeit – unterschiedlich ausfallen. Die Lösung könne seines Erachtens daher nicht sein, sich als Anbieter diesem Kundenbedürfnis vollends zu verweigern. Vielmehr müssten Apotheken künftig durch geschickte Sortiments- und Preisgestaltung dafür sorgen, dass ihr Angebot exakt auf ihre Kunden passe. Dafür existieren Tools diverser Softwarehäuser und Großhändler, deren Bedeutung künftig nicht zu unterschätzen sei.
Denn letztlich sei der Preis nur ein Kriterium, ist sich Giermann sicher. Wenn ein Kunde mehrere Artikel benötigt und künftig sehen kann, dass er in Apotheke A zwei Drittel davon sehr günstig bekommen könnte, in Apotheke B hingegen seinen kompletten Warenkorb für einen etwas höheren Preis, er aber seinen Kaufwunsch sofort befriedigt wissen will, sei klar, wo dieser Kunde einkaufen will. Sparfüchse hingegen werden sich vermutlich für Apotheke A entscheiden – seien jedoch ohnehin niemals loyal und würden generell ihre Einkäufe beim jeweils günstigsten Anbieter tätigen.
„Momentan sehen wir nur die Verpackung und ahnen wohl, wie es nach Fertigstellung aussehen könnte. Bis dahin wird jedoch noch an vielen Stellen geschraubt werden“, fasst Florian Giermann die aktuelle Diskussion rund um die Verfügbarkeitsabfragen in Apotheken zusammen.
Vieles ist Stand heute noch unklar, vieles noch in der Schwebe oder konzeptionell nicht zu Ende gedacht. Auch die Gematik betont, dass Verfügbarkeitsabfragen aktuell nur optionale Funktionen einer App darstellen (DAZ 2020, Nr. 22, S. 9). Das bietet vor allem die Chance, dass sich der Berufsstand an dieser Entwicklung aktiv beteiligen kann, damit die Apotheken letztendlich eben nicht irgendwo zwischen Trivago und Lieferando landen. Als Ausblick gibt Giermann daher unmissverständlich vor: „Der Kunde muss über die derzeit diskutierten Lösungen auf einen Blick erkennen können, dass der direkte Weg zum Arzneimittel in die Apotheke vor Ort führt.“ |
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