Versandhandel

Rx-Versand de la France

Französische Apotheken beliefern deutsche Patienten mit Kinderwunsch

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eda | Deutschland galt einst als „Apotheke der Welt“. Doch mit Blick auf die aktuelle Kontroverse um verunreinigte Wirkstoffe aus Asien, die umstrittene Importquote und den nach wie vor ungelösten, grenzüberschreitenden Konflikt um den Arzneimittelversandhandel müsste es eigentlich heißen: Deutschland macht sich allmählich abhängig von den „Apotheken der Welt“.

Gerade der Versandhandelskonflikt zeigt eindrucksvoll: In Europa herrschen offenbar zu viele Interessen, Regularien und Kompetenzen, als dass der Markt im Sinne der Verbraucher ordentlich reguliert werden kann. Doch nicht nur die Versender aus den Niederlanden haben ihre Bedeutung. Auch andere Anbieter aus dem EU-Ausland versuchen längst die Gunst deutscher Patienten zu gewinnen.

Ihr entscheidendes, vielleicht sogar einziges Argument sind die billigen Preise, basierend auf besseren Einkaufskonditionen, fehlender Preis­bindung und geringeren Mehrwertsteuersätzen.

Zwei Apotheken aus Frankreich machen sich seit Jahren vor allem damit einen Namen, Arzneimittel für die ­assistierte Reproduktion an deutsche Paare mit unerfülltem Kinderwunsch zu vertreiben. Zu der psychischen Belastung tritt nach mehreren erfolglosen Versuchen schwanger zu werden oftmals auch eine finanzielle, wenn die Patienten die Therapien ganz oder zu einem großen Teil selbst zahlen müssen. Daher ist es nachvollziehbar, dass sich die Betroffenen nach preisgünstigen Alternativen umschauen.

Fündig werden sie im südwestlichen Nachbarland. Die Franzosen haben den großen Wettbewerbsvorteil, dass ihr Staat für erstattungsfähige Arzneimittel eine verminderte Mehrwertsteuer von nur 2,1 Prozent erhebt und für alle anderen 10 Prozent. In Deutschland gilt für Arzneimittel bekanntlich ausnahmslos der allgemeine Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent.

Die Pharmacie Billmann liegt in der französischen Kleinstadt Wissembourg, rund 30 Kilometer westlich von Karlsruhe. Die deutsch-französische Grenze verläuft in unmittelbarer Nähe. Über eine Homepage oder einen Online-Shop verfügt die Apotheke nicht. Dafür kann sie 21 – durchweg positive – Google-Rezensionen aufweisen. Bewertet haben sie die Nutzer mit 4,7 von fünf möglichen Sternen. Dass die Pharmacie Billmann bei der deutschen Kundschaft vor allem wegen ganz bestimmten, lukrativen Präparate gefragt ist, darauf gibt es zunächst keinen Hinweis.

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Die französische Kleinstadt Wissembourg im Elsass hat etwa 8000 Einwohner und ist vor allem bei Radtouristen beliebt – sowie bei deutschen Rezeptkunden.

Noch weiter südlich, im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz existiert im französischen Saint-Louis die Pharmacie de la Gare. Auf ihrer Homepage spricht sie – wesentlich offen­siver und verständlicher – deutsche Kunden mit und ohne Rezepte an. Bei den Produktbeispielen findet man neben Arzneimitteln, Kosmetika und Diätprodukten auch homöopathische Globuli in Hochpotenzen, einen Tollwutimpfstoff für 46,20 Euro sowie die Indikation „Unfruchtbarkeit und Kontrazeptiva“.

Eine Preisliste zeigt an, dass Schnäppchenjäger hier auf ihre Kosten kommen: Eine Spritze Gonal F 900 I.E. gibt es bereits für 336,10 Euro. Deutsche Apotheken müssen sich an die Lauer-Taxe halten, die für das Originalprodukt von Merck 537,26 Euro veranschlagt und den billigsten Reimport – wenn lieferbar – mit 474,39 Euro beziffert. Auch bei Puregon 900 I.E. finden sich ähnliche Preisunterschiede. Die Pharmacie de la Gare bietet das Präparat für 336,06 Euro an, in Deutschland kostet es dagegen zwischen 411,68 Euro und 526,09 Euro. 90 Kapseln Progestan 100 mg sind in Frankreich nur halb so teuer wie in Deutschland (14,41 Euro zu 29,04 Euro bzw. 27,06 Euro). Das von diversen Reimporteuren gelieferte Progestogel (80 g) muss in deutschen Apotheken mit 22,11 Euro taxiert werden; Pharmacie de la Gare bietet es für einen Bruchteil an: 5,57 Euro. Erstaunlich ist auch der Preis für sieben Ampullen Deca­peptyl. Diese würden in Deutschland 110,74 Euro kosten. Bei Pharmacie de la Gare gibt es sie für 40,62 Euro.

Nun ist es arzneimittelrechtlich legitim und in manchen Fällen durchaus notwendig (Urlaub, Durchreise, etc.), dass deutsche Patienten, die mit einer ärztlichen Verordnung eine französische Apotheke aufsuchen, ihre Arzneimittel ausgehändigt bekommen.

Für wen es jedoch terminlich oder von der Entfernung her zu umständlich ist, die Bestellung in Frankreich selbst abzuholen, dem bieten die beiden Betriebe einen besonderen Service an: Sie versenden die teuren, zum Teil kühlpflichtigen Arzneimittel zur ­assistierten Reproduktion auch nach Deutschland – und das wahrscheinlich im großen Stil und nicht nur in begründeten Ausnahmefällen.

Das hat mit einer notfallmäßigen Akutversorgung eines EU-Bürgers wahrlich wenig zu tun.

Sucht man nach Pharmacie Billmann oder Pharmacie de la Gare im Internet, wird man von Einträgen in Patientenforen überflutet (s. Kasten vorhergehende Seite). Es scheint, als sei der Arzneimittelversandhandel zum wichtigen Geschäft für die beiden Apotheken geworden, was von einigen Arztpraxen auch aktiv empfohlen wird.

Aus den Unterhaltungen der Patienten wird darüber hinaus deutlich: Die gesetz­lichen Krankenkassen unterstützen ihre Versicherten bei der Bestellung und übernehmen – nach Abzug einer Verwaltungsgebühr – die Kosten für die Arzneimittel aus dem französischen Versandhandel.

„Hallo Ihr Lieben, wir würden für unsere nächste ICSI (komplett Selbstzahler, da 4. Versuch) gern die Medis bei der Pharmacie Billmann bestellen. Hat das jemand schon mal gemacht? Wie ist der Ablauf und gibt es Schwierigkeiten bzgl. Zoll? Medis aus Ungarn kommen leider nicht infrage, da wir keine Möglichkeit haben, hinzufahren. Bin gespannt auf Eure Tipps!“

„Ich habe da schon oft bestellt. Du schreibst eine E-Mail mit dem, was du brauchst. Er antwortet dir dann mit den Preisen und du bekommst einen Kostenvoranschlag. Wenn du das dann per Kreditkarte bezahlt hast, dann werden die Medis sofort rausgeschickt oder zu deinem Wunschtermin. Die Lieferung klappt von einem Tag auf den anderen per Express und mit Kühlakku.“

„Oh super, das hört sich einfach an! Mit dem Zoll gibt‘s keine Probleme?“

„Nee, irgendwie wird das, glaube ich, trotzdem von Deutschland abgesendet. Auf jeden Fall war ich nie beim Zoll.“

„Hallo, ich habe nun die Medikamentenliste für unsere erste ICSI (wir sind Selbstzahler). Die Kinderwunsch-Praxis hat mir für die Bestellung der Medis den Kontakt zu Billmann gegeben ... Nun habe ich hier auch den Tipp für die Frankreichapotheke gefunden. Welche Erfahrungen habt ihr mit den beiden? Welche würdet ihr empfehlen?“

„Ich habe nur Erfahrung mit Billmann. Die Kommunikation klappt per Mail in einwandfreiem Deutsch prima. Er antwortet eigentlich immer gleich. Die Lieferung erfolgt per Express von einem Tag auf den anderen, wenn du per Kreditkarte bezahlst. Und es liegt ein Kühlakku bei.“

„Guten Morgen alle zusammen, ich habe eine Frage die hier bestimmt schon öfters gestellt wurde aber irgendwie an mir vorbeigegangen ist. Wir starten nächstes Jahr mit einer IVF und ich habe schon oft gelesen dass man die Medis bei Billmann günstiger bekommt. Wie funktioniert das? Und auf was muss ich achten zwecks Krankenkasse? Wieviel günstiger ist das nun wirklich? Und wie schnell bekommt man die Medis?“

„Ich hab im November erst bei Billmann bestellt. Lief absolut reibungslos. Kläre zuerst bei deiner Krankenkasse ab, ob sie auch die Rechnung einer französischen Apotheke akzeptieren. Ich hab denen z. B. alle meine Medis bei DocMorris in den Warenkorb gepackt und hatte so einen deutschen ‚Kostenvoranschlag‘, den ich zusammen mit dem französischen Kostenvoranschlag mitschicken sollte (lief alles innerhalb eines Tages per Mail).“

Quelle: www.urbia.de

Telefonisch bestätigt uns immerhin eine der beiden Apotheken, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel an deutsche Patienten versendet werden. Offiziell bewirbt dies niemand – aus gutem Grund, denn der Rx-Versand aus Frankreich ist „eindeutig illegal, aber es scheint niemanden zu interessieren“, stellt Prof. Dr. Harald Schweim fest. Der ehemalige Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat sich viele Jahre intensiv mit dem legalen und illegalen Versandhandel beschäftigt.

In Harald Schweims zahlreichen DAZ-Beiträgen betont er immer wieder, dass die rechtlichen Grundlagen für den grenzüberschreitenden Arzneimittelversandhandel schwach sind, weil sie faktisch nur durch eine Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums legitimiert werden. Auf dieser sogenannten Länderliste stehen die EU-Mitgliedstaaten, die Arzneimittel nach Deutschland versenden dürfen, weil sie über vergleichbare Standards verfügen. Das sind derzeit Island, die Niederlande, Schweden, Tschechien und das Vereinigte Königreich. Von Frankreich ist keine Rede. Völlig unklar ist, nach welchen Kriterien die Auswahl der Länder getroffen wurde und nach welchem Schema die Länderliste aktuell gehalten wird. Die derzeit verfügbare Version ist aus dem Juli 2011. Das Ministerium erklärt auf Nachfrage: „In den Meinungsbildungsprozess der Bundesregierung über die Art der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung zum Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln werden auch Überlegungen zu gesetzlichen Anforderungen an Versandapotheken einbezogen. Dabei wird auch der Stellenwert der Länderliste zu prüfen sein.“

Welchen Stellenwert die Länderliste des Gesundheitsministeriums wirklich hat, ist unklar.

Neben dieser ministeriellen Bekanntmachung spielen für die Arzneimittelversorgung natürlich noch das deutsche Arzneimittel- bzw. Apothekenrecht eine Rolle, der Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung ­zwischen Apothekern und Krankenkassen sowie das Sozialgesetzbuch V. „Sollte die Ultima Ratio, das Rx-Versandverbot, wie zu befürchten, nicht kurzfristig umsetzbar sein, muss man die Krankenkassen, den deutschen und den niederländischen Gesetzgeber nur dazu bringen, die geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden“, ­resümiert Harald Schweim in seinem Artikel „Mord an der Apotheke (Teil 2)“ vom Januar 2017.

Foto: Privat
„Eigenständig einen Weg aus der Misere suchen. Ansatzpunkte gibt es viele!“ Prof. Dr. Harald Schweim hat bisher zahlreiche Lösungen für den Versandhandelskonflikt vorgeschlagen und sieht auch die Standesvertretung der Apotheker in der Pflicht.

Till Eulenspiegel hätte seinen Spaß gehabt an den Aktivitäten der Pharmacie Billmann und Pharmacie de la Gare. Denn sie halten, wie einst er, den „Mächtigen der Welt“ den Spiegel vor und weisen auf deren Schwächen und Verfehlungen hin. Geltende Gesetze, Verträge und Bekanntmachungen können den Arzneimittelversand aus dem europäischen Ausland nach Deutschland offensichtlich nicht regulieren.

Dass der EU-Binnenmarkt hinsichtlich des Arzneimittelversandhandels nur unzureichend kontrolliert wird, ist mittlerweile auch schon zu den Verbrauchern durchgedrungen. Auf der Internetseite startup-report.de wird beispielsweise aktiv dazu geraten, bei ausländischen Apotheken Arzneimittel einzukaufen. Auch Bedenken hinsichtlich der Legalität des Versandgeschäftes werden mit einer haarsträubenden Erklärung aus dem Weg geräumt: „Angesichts der Tatsache, welchen Ansturm die ausländischen Apotheken erfahren, bleibt jedoch fraglich, wer sich an die Vorgaben des Zolls wirklich hält – und wer letzten Endes überhaupt davon weiß. Die Aussagen von Zoll und Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz widersprechen sich hier teilweise, sodass nicht wenige Menschen zu einer Bestellung bei der Pharmacie Billmann oder einer anderen Auslandsapotheke tendieren“, erklärt der Blogger. Gleichzeitig fordert er, dass „diesbezügliche Unsicherheiten durch eine vermehrte Aufklärung der Bürger behoben werden müssten“.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie und mit welchen Mitteln ein Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel in der Praxis durchgesetzt werden kann. Sind die Strafverfolgungsbehörden wie der Zoll zuständig? Werden dann im Inland und an der Grenze Pakete geöffnet und inspiziert? Oder dürfen die Versandhändler verschreibungspflichtige Arzneimittel mit deutschen Krankenkassen gar nicht mehr abrechnen? Wie kann bei einer deutschen Apotheke mit Versandhandelserlaubnis unterschieden werden, ob Arzneimittel im Rahmen des Versandhandels oder persönlich an den Patienten gingen?

Es scheint zweifelhaft, ob die Krankenkassen in diesem Fall tatsächlich das ideale Exekutivorgan darstellen.

„Das Angebot der Apotheke in Frankreich ist für ältere oder behinderte Menschen geradezu ideal. Medikamente zu günstigen Preisen, die bis an die Haustür geliefert werden – perfekt!“

Klaus Müller-Stern, startup-report.de

Schon heute könnten die Kassen Verstöße der Versender z. B. gegen das Rabattverbot mit Sanktionen ahnden – auf Grundlage geltender Arzneilieferverträge. Doch sie dulden diese.

Aus wettbewerbsökonomischer und gesundheitspolitischer Sicht gilt das Rx-Versandverbot als geboten. Die Standesvertretung der Apotheker sowie namhafte Arzneimittelrechts­experten und Ökonomen sehen darin die einzige verfassungs- und europarechtskonforme Lösung des Konflikts.

Das Rx-Versandverbot steht deshalb – vor allem auf Initiative der Unions­parteien – im Koalitionsvertrag. Auch bei den Oppositionsfraktionen und im Bundesrat gab es zwischenzeitlich Mehrheiten, die sich für das Verbot aussprachen.

Foto: imago/epd/Christian Ditsch
Wie wird Jens Spahn den Versandhandelskonflikt lösen? Am 10. Oktober will der Minister sein Maßnahmenpaket auf dem Deutschen Apothekertag verkünden.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will zum Auftakt des Apothekertages am 10. Oktober sein Reformpaket für den Apothekenmarkt vorstellen. Auf Anfragen zum Rx-Versandverbot antwortet sein Ministerium stets vage und weist auf den Meinungsbildungsprozess hin. Ob und wie Spahn es umsetzen will, ist also weiterhin völlig offen. Das Beispiel der französischen Apotheken, die unter dem Radar der Behörden ihre Arzneimittel nach Deutschland versenden, sollte dem Minister ein Anlass sein, sich grundlegende Gedanken zum Arzneimittelmarkt und den Auswüchsen des grenzüberschreitenden Versandhandels zu machen. |

Zum Weiterlesen

H. Schweim: Mord an der öffentlichen Apotheke? – Ein Meinungsbeitrag zur Situation der inhabergeführten deutschen Apotheken. DAZ 2016, Nr. 27, S. 20

H. Schweim: Mord an der Apotheke – Teil 2 – Überlegungen zum EuGH-Urteil und zum geplanten Rx-Versandverbot. DAZ 2017, Nr. 4, S. 22

H. Schweim: Die Geister, die ich rief – An welchen Fäden hängt das deutsche Apothekenwesen? DAZ 2018, Nr. 19, S. 49

Interview: „Wir hatten kein perfektes, aber das beste Versorgungssystem“. DAZ 2018, Nr. 21, S. 16

H. Schweim: Auf gute Nachbarschaft? – Was den Arzneimittelversandhandel aus den Niederlanden juristisch fragwürdig macht. DAZ 2018, Nr. 24, S. 17

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