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60 Jahre Niederlassungsfreiheit

Die Geister, die ich rief

An welchen Fäden hängt das deutsche Apothekenwesen?

Die Beschränkung der Apotheker in ihrer Niederlassungsfreiheit hatte zwei Gründe: Zum einen sollte die wirtschaftliche Grundlage jeder einzelnen Betriebsstätte vor ruinösem Wettbewerb gesichert werden. Andererseits versprach man sich, dass dadurch der „leichtfertige Medikamentenverkauf“ als Folge einer zu hohen Apothekendichte verhindert werden kann. Mit dem ­Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1958 entfiel diese Möglichkeit staatlicher Einflussnahme. Die befürchteten Folgen blieben jedoch aus und in Deutschland entstand ein gut funktionierendes Netz von Apotheken. Prof. Harald G. Schweim weist aber in seinem Meinungsbeitrag darauf hin, dass dies den Beginn für so einige Liberalisierungen im Apothekenwesen darstellte. | Von Harald G. Schweim

„Es sollte aus unserer Sicht nicht das Ziel sein, möglichst viele Apotheken zu haben, sondern den Zugang der Bevölkerung zu Apothekern sicherzustellen. Bei Niederlassungsfreiheit kann die Arzneimittelpreisverordnung nicht die Aufgabe haben, alle Apotheken so zu erhalten, dass die unwirtschaftlichste Apotheke noch tragfähig und gewinnbringend sein muss. Daneben ist die reine Anzahl der Apotheken kein Indikator für die flächendeckende Versorgung“, so die Aussage von Iris an der Heiden, verantwortliche Gutachterin des Apothekenhonorars im Interview mit Apotheke Adhoc am 24. Januar 2018. Nach wie vor verfolgt die ABDA die Strategie, das Honorargutachten des Bundeswirtschaftsministeriums öffentlich nicht zu diskutieren: Wegen der vielen falschen Annahmen könne das Papier keine Diskussionsgrundlage sein.

Wie war das denn bisher? Es ist erschreckend, wie wenig die überragende Bedeutung gesetzlich festgesetzter Arzneimittelpreise, die jüngere Geschichte der Entwicklung der Apotheken und die Einflussnahmen des Gesetzgebers im Gutachten Berücksichtigung finden. Die Apotheker verweisen zu Recht auf die Erfüllung der vom Gesetzgeber zugewiesenen „Gemeinwohlpflichten“ im Sicherstellungsauftrag. Das Gutachten blendet dies aber aus und ermittelt das Apothekenhonorar auf einer minutengenauen Zeitberechnung von Arbeitsprozessen – wie in einem Industriebetrieb.

Das Apothekenwesen: Schon immer reguliert ...

Um 1241 wurde vom Stauferkaiser Friedrich II. das „Edikt von Salerno“ erlassen: Ärzte durften keine Apotheke besitzen oder daran beteiligt sein. Verordnung und Abgabe von Arzneimitteln waren damit strikt voneinander getrennt. Die Preise wurden gesetzlich festgeschrieben, um Wucher und Rabattschlachten zu verhindern. Das Edikt galt als Vorbild der Apothekengesetzgebung in ganz Europa. Im 14. Jahrhundert wandelten sich die Apotheker zu Heilberuflern, die nicht nur Pflanzen, Gewürze und andere Produkte verkauften, sondern auch selbst Arzneimittel herstellten. Im 17. und 18. Jahrhundert entwickelten sich die deutschen Apotheken vom Ort der Arzneimittelherstellung, bedingt durch das Wissen über die Chemie, auch zu einem Ort der Arzneimittelerforschung und Lehre in Deutschland. Durch die Errungenschaften der pharmazeutischen Industrie begann Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine dramatische Aufgabenumstellung der Apotheke. Anstatt die Arzneimittel selbst herzustellen, beschäftigten sie sich zunehmend mit der Prüfung der Qualität und Identität von (Fertig-)Arzneimitteln und der Beratung rund um diese.

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Freier Heilberuf oder verstaatlichte Pharmazie? – In Deutschland existierten viele Jahre beide Systeme parallel, dies- und jenseits der Grenze.

... in der Bundesrepublik ...

In der jungen Bundesrepublik bestand zunächst das „Vorkriegsapothekenwesen“ mit einer beschränkten Niederlassungsfreiheit fort. Im Juli 1956 beantragte ein Apotheker bei der Regierung von Oberbayern, ihm die Betriebserlaubnis zur Eröffnung einer Apotheke in Traunreut zu erteilen.

In der Begründung des ablehnenden Bescheides der Regierung Oberbayern hieß es, dass die Errichtung einer neuen Apotheke nicht im öffentlichen Interesse liege, da es in der damals etwa 6000 Ein­wohner zählenden Kleinstadt bereits eine Apotheke gebe und diese vorhandene Apotheke zur Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln völlig ausreiche. Außerdem sei die wirtschaftliche Grundlage der neuen Apotheke nicht gesichert, da eine Apotheke zur Sicherung ihrer Leistungsfähigkeit eine Zahl von mindestens 7000 Einwohnern benötige, welche schon durch die bestehende Apotheke versorgt seien. Zudem würde durch die Neuzulassung auch die wirtschaftliche Grundlage der bereits vorhandenen Apotheke so weit beeinflusst, dass die Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Apothekenbetrieb nicht mehr gewährleistet seien.

Daneben sah man die Gefahr, dass Konkurrenz die wirtschaftlich schlecht fundierten Apotheken zu einem „leichtfertigen Medikamentenverkauf“ ohne ärztliche Verschreibung verleiten könnte. Der Apotheker ging gegen diesen Bescheid auf dem Rechtsweg vor und reichte schließlich eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Am 11. Juni 1958 wurde nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts („Apotheken-Urteil“) die Niederlassungsfreiheit für Apotheker eingeführt, sodass seitdem jeder Apotheker eine Apotheke am Standort seiner Wahl unabhängig vom Bedarf eröffnen darf.

Das Ergebnis des Apotheken-Urteils ist aus heutiger Sicht kaum anzuzweifeln, eine Verschlechterung der Versorgungsqualität erfolgte – dank der Arzneimittelpreisbindung – nicht. Darüber hinaus ist nach wie vor rechtlich gewährleistet, dass zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung nur ein approbierter Apotheker eine Apotheke besitzen darf (Fremdbesitzverbot). Kapitalgesellschaften dürfen nicht die Betreiber von Apotheken sein. Am 19. Mai 2009 stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass die mit dem Fremd­besitzverbot einhergehenden Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit nicht unverhältnismäßig seien und mit Europäischem Recht in Einklang stünden. Damit bleibt der Fremdbesitz in Deutschland weiterhin verboten. Die Richter folgten der Argumentation, dass die Länder entsprechende Regelungen erlassen dürften, wenn sie dies zum Schutze der Gesundheit für erforderlich halten.

... und in der DDR

In der sowjetischen Besatzungszone verfügte die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) am 22. Juni 1949 die Enteignung der Apotheken und damit wurden auch alle Rechte für erloschen erklärt. Eigentümer, die selbst Apotheker waren, erhielten aber das Recht, den Betrieb als „Apotheke im Privat­besitz“ weiterführen zu können, wenn die Betriebsabgaben abgeführt wurden. Von den Eigentümern oder Erben verpachtete Apotheken wurden zu „Landesapotheken“, die ­Eigentümer erhielten als Entschädigung einen Anteil aus dem Aufkommen der „Betriebsabgaben“.

Erst 1954 wurden genaue Beträge der Entschädigungen festgesetzt und betrugen 30 bis 50 Prozent des durchschnitt­lichen Jahresumsatzes, abzüglich möglicher Forderungs­beträge an die Apotheken.

Neu errichtete Apotheken in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) waren grundsätzlich „Landesapotheken“, die verpachtet oder als Poliklinik-Apotheken verwaltet wurden. Die Anzahl der „Apotheken im Privatbesitz“ betrug 1956 rund 298 von 1533 Apotheken (= 19,4 Prozent) und die Zahl verringerte sich stetig, bis es nur noch „Landesapotheken“ oder Apotheken an Polikliniken gab.

In persönlichen Gesprächen mit ehemaligen DDR-Bürgern verwiesen diese, neben objektivem Mangel an den „richtigen“ Arzneimitteln, auf die „Nine-to-five-Mentalität“ vieler dort tätiger Mitarbeiter und ihre völlig neuen Erfahrungen mit dem patientenzugewandten Verhalten in den wieder privatisierten Apotheken nach der Wende.

Im Zeitalter der „Gesundheitsreformen“

Grundlage des deutschen Apothekenwesens bilden der ­Sicherstellungsauftrag und die (wirtschaftliche) Unabhängigkeit aller Betriebsstätten. Damit die Bevölkerung flächendeckend und ordnungsgemäß mit Arzneimitteln versorgt werden kann, müssen verschiedene „Säulen“ existieren, die den Apotheken den nötigen finanziellen Halt verleihen, um als inhabergeführte Unternehmen rentabel funktionieren zu können (siehe Abbildung). Diese „Säulen“ haben sich die Apotheker in all den Jahrhunderten nicht selbst errichtet – vielmehr wurden sie vom Gesetzgeber im Interesse der Verbraucher geschaffen.

Die tragenden und zerstörten „Säulen“ des deutschen Apothekenwesens. Auf Grundlage des Sicherstellungsauftrags mit den „Gemeinwohlpflichten“ soll wirtschaftlich unabhängig die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gewährleistet werden.

Seit einiger Zeit beobachtet man jedoch zunehmend einen entgegengesetzten Trend: Vorhandene finanzielle Mittel werden durch politische Fehlentscheidungen aller regierenden Parteien disloziert. Hinter dem Schlagwort „Gesundheitsreform“ stehen nahezu ausschließlich Sparmaßnahmen. Nicht die Beitragszahlenden, sondern die jeweiligen Regierungen entscheiden – in altväterlicher Art – was mit dem Geld gemacht werden soll. Dabei schrecken die Politiker auch nicht vor ideologisch motivierter Systemveränderung zurück. So hat sich beispielsweise die SPD seit Langem klar dazu bekannt, dass sie die privaten Krankenkassen abschaffen will, ohne sich bisher angemessen mit den gesundheitspolitischen und -ökonomischen Folgen beschäftigt zu haben.

Dabei fällt auf, dass sich die meisten Politiker nicht trauen, dem Wähler die Realität vor Augen zu führen: Durch die erfreulich verlängerte Lebensdauer kann sich die Gesellschaft mithilfe des aktuellen Gesundheitssystems faktisch schon heute nicht mehr leisten, dass jeder alles medizinisch Notwendige bekommt. Also wird – versteckt – „rationiert“.

Das ist in einer Demokratie eine Katastrophe. Rationierungen müssen, da unausweichlich, im breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Davor scheint sich die Politik zu drücken. Dennoch, wirklich dramatische Veränderungen mit starken Auswirkungen auf die deutschen Apotheken wurden erst durch gesetzliche Maßnahmen ab 2004 eingeleitet. Im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) begann die Politik damals, die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) anzufassen. Eine typische politische Fehlentscheidung war, an den Arzneimitteln und nicht mithilfe der Arzneimittel zu sparen.

Die Bilanz der ersten rot-grünen Bundesregierung in der Arzneimittelpolitik war eine preisliche Reglementierung des Arzneimittelmarktes auf Kosten der Leistungserbringer und Patienten. Im Vordergrund stand die Beitragsstabilität für die Versicherten (= Wähler). Das Ergebnis waren erhöhte Eigenbeteiligungen der Patienten: zehn Euro Praxisgebühr pro Quartal, zehn Prozent Zuzahlung bei Arznei- und Hilfsmitteln - mindestens fünf und höchstens zehn Euro, zehn Euro pro Krankenhaustag begrenzt auf 28 Tage. Fahrtkosten, Brillen und nicht-verschreibungspflichtige (OTC-)Arzneimittel müssen nun komplett vom Patienten getragen werden, Entbindungs- und Sterbegeld wurden gestrichen. Die Belastungsobergrenze für Zuzahlungen beträgt nun zwei Prozent (für chronisch Kranke ein Prozent) des jährlichen Bruttoeinkommens.

Ein Danaergeschenk für die Apotheker

Ein schwerer Sündenfall war, das Arzneimittelgesetz nicht mehr als Verbraucherschutzgesetz zu verstehen und die OTC-Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zu streichen. Hier wurden Produkte, die erprobt und sicher waren – deswegen waren sie ja nicht mehr verschreibungspflichtig – von heute auf morgen nicht mehr erstattet. Damit wurde dem zentralen Schutzgedanken des Arzneimittelrechts in keinster Weise Rechnung getragen: Die Verschreibungspflicht stellt im Rahmen der Pharmakovigilanz eine Patientenschutzmaßnahme dar und gibt keine Auskunft darüber, ob eine Leistung erstattungsfähig ist oder nicht. Der Status „verschreibungspflichtig“ ist daher keine ökonomische Angelegenheit.

Darüber hinaus ließ der Gesetzgeber mit dem Ziel einer Wettbewerbsintensivierung den Versandhandel mit Arzneimitteln zu und die Preisbindung für OTC-Arzneimittel gleichzeitig fallen. Die Lockerung des sogenannten Mehrbesitzverbots kann in dem Zusammenhang als „Danaergeschenk“ für die Apotheker verstanden werden. Hiermit sollte die „Ruhigstellung“ des Berufsstandes gegenüber den anderen „Daumenschrauben“, wie die Einführung des Versandhandels, erreicht werden.

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Eine Abwärtsspirale waren die Gesundheitsreformen für die deutschen Apotheken und die Arzneimittelversorgung.

Seit dem 1. Januar 2004 dürfen in Deutschland Apothekeninhaber neben ihrer Hauptapotheke bis zu drei weitere öffentliche Apotheken, sog. Filialapotheken, betreiben (eingeschränkter Mehrbesitz gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 4 und 5 Apothekengesetz). Dies war ein geschickter und sehr erfolgreicher Schachzug, der dem ursprünglichen Gedanken des Apothekenwesens („persönliche Verantwortung des Apothekers in der eigenen Apotheke“) völlig zuwider läuft.

Im Jahr 2003, also unmittelbar vor der Filialisierung, gab es noch 21.305 selbstständige Apothekenleiter – inzwischen sind es über 5000 weniger. Fast jede vierte Apotheke wird also nicht mehr von ihrem Besitzer geführt, sondern von einem angestellten Filialleiter. Das Bild vom Apotheker in seiner Apotheke – ein Anachronismus? Meine Antwort: Ja. Und ich füge hinzu: Wie groß ist da noch die Abgrenzung zum angestellten Apothekenleiter, der – vertraglich gesichert pharmazeutisch unabhängig – bei einer Kapitalgesellschaft beschäftigt ist? Man hätte den Anfängen wehren müssen!

Auch beim Thema Versandhandel sollte man sich einmal vergegenwärtigen, wie viele Apotheker tatsächlich eine Versandhandelserlaubnis haben: Von den in Deutschland existierenden weniger als 20.000 Vor-Ort-Apotheken verfügen derzeit etwa 2200 über eine behördliche Erlaubnis für den Versand von Arzneimitteln. Rund zwei Prozent von ihnen versenden mehr als 1000 Bestellungen am Tag und gelten damit als „große Versender“. „Gejammert“ wird allerdings (fast) ausschließlich über die wenigen ausländischen „Großversender“. Am 19. Oktober 2016 erklärte der Europäische Gerichtshof die deutsche Arzneimittelpreisverordnung und die damit festgelegte Preisbindung unionsrechtlich für unvereinbar. Dagegen hat die Arzneimittelpreisbindung für deutsche Apotheken (inklusive den deutschen Versandapotheken) aber weiterhin Bestand.

In vielen europäischen Ländern ist der Versandhandel mit Arzneimitteln derzeit nicht erlaubt. Dieses Verbot betrifft dabei nicht nur die verschreibungspflichtigen, sondern auch die meisten OTC-Arzneimittel. In diesen Ländern wird somit der Schutz des Patienten durch die Politik höher bewertet als wirtschaftliche (Einzel-)Interessen.

Was ist die gesetzliche Aufgabe der Apotheken?

Lange bestehender und nach wie vor unveränderter gesetzlicher Auftrag der Apotheken als Teil des Gesundheitssystems ist es, die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Die Erfahrung lehrt, dass der erfolgreichste Weg die freiberufliche Erfüllung dieser Auf­gabe mit markwirtschaftlichen Anreizen ist.

Sämtliche verstaatlichten Systeme – siehe DDR und Sowjetunion – sind früher oder später gescheitert. „Staatspharmazie oder -medizin“ waren und sind ein Irrweg. So konnte in 70 Jahren Sowjetunion kein einziges weltmarktfähiges Arzneimittel entwickelt werden, die westliche Welt brachte in der selben Zeit etwa 70 pro Jahr hervor!

Schon Stauferkaiser Friedrich II hatte – sinngemäß – ausgeführt: Wenn Arzt und Apotheker nicht auskömmlich verdienen (um ihre Familien zu versorgen) „verkaufen sie auch die Gifte“ bzw. handeln zum Schaden der Patienten. Andererseits hatte er in weiser Voraussicht die wirtschaftliche Seite erfasst und reguliert („Edikt von Salerno“). Dies ist im Apothekengesetz und der Apothekenbetriebsordnung – bis heute – verankert. Nur Apotheken dürfen Arzneimittel ab­geben, da sie Waren besonderer Art sind und oft Information und Beratung in besonderem Ausmaß erfordern. Damit ist aber auch klar, dass ein Apotheker in seiner Apotheke eben nicht die Freiheiten eines „normalen“ Kaufmanns haben kann. Im Bereich der Umsatzförderung durch z. B. Werbung sind ihm enge Regeln vorgegeben.

Daher bedarf sein Wirken auch des Schutzes des Gesetz­gebers. Eine der wichtigsten „Säulen“ im Apothekenwesen und damit auch das wesentlichste Regelungsinstrument war und ist die Festsetzung einheitlicher Arzneimittelpreise. Andernfalls droht, dass dadurch der Wettbewerb, besonders im OTC-Segment, verstärkt über den Preis und zulasten der pharmazeutischen Qualität stattfindet, da kompetente Beratung personal- und zeitintensiv ist. Es besteht seitens des pharmazeutischen Personals grundsätzlich Beratungspflicht (es sei denn, der Kunde lehnt eine Beratung ausdrücklich ab). Versandapotheken sind dazu verpflichtet, diese Beratung in anderer angemessener Form, z. B. per Telefon, durchzuführen. Nachteil ist, dass eine Beratung in der Regel erst nach ausdrücklicher Anfrage des Kunden einsetzt. Doch oft erkennt dieser nicht, inwiefern ein Be­ratungsbedarf besteht, etwa, wenn er ein Mittel verlangt, das gar nicht zu seinen Beschwerden passt. Aus diesem Grund besteht für apothekenpflichtige Arzneimittel ein Selbstbedienungs­verbot, das sich „online“ jedoch nicht so umsetzen lässt.

Hauptaugenmerk sollte auch nach dem Selbstverständnis der Apotheker die unabhängige Beratung sein. Die Apotheke ist aber – heute mehr denn je – zahlreichen gesetzlichen Regelungen und bürokratischen Zwängen unterworfen. Dies lässt kaum Flexibilität für eine moderne Unternehmensführung in Sachen Preis-, Kommunikations- und Produktpolitik zu. Oftmals geraten der durch Gesetzesänderungen politisch induzierte Zwang nach Umsatzsteigerung und der Wunsch, das Beste für den Kunden zu tun, miteinander in Konflikt. In der Veränderung zu freiem Wettbewerb mit einer Verbilligung und Rabattierung aller Arzneimittel kann einerseits die Gefahr der schlechteren Beratung und eines schädlichen Mehrverbrauchs an Arzneimitteln für die Patienten gesehen werden, andererseits sind diese mit existenzgefährdenden wirtschaftlichen Risiken der Apotheker und ihrer Betriebe verbunden.

Fazit

Eine – der Politik ins Stammbuch geschriebene – bis heute entscheidende Tatsache: Wegen der Arzneimittelpreisverordnung, die einheitliche Arzneimittelpreise für ganz Deutschland festlegt, fand der Wettbewerb früher nicht über den Preis statt, sondern vor allem über die Fachkompetenz der pharmazeutischen Beratung. Dies war die erklärte Absicht des Gesetzgebers für das Arzneimittel als „Ware der besonderen Art“, sowie die damit verbundenen Zusatzleistungen, wie Boten- oder Nachtdienste.

Der Sicherstellungsauftrag und die „Gemeinwohlpflichten“ schränken das „freie Unternehmertum“ des Heilberufes Apotheker bewusst ein. Als Ausgleich und zur wirtschaft­lichen Sicherung der Betriebsstätten dienen die „Säulen“ des Apothekenwesens. Diese müssen gesellschaftlich kontrolliert werden und so ist das Apotheken-­Urteil von 1958 ein gutes Beispiel dafür, dass politische Entscheidungen gelegentlich auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden sollten. Aber mit den sogenannten „Gesundheitsreformen“ der letzten Jahrzehnte wurde das System vor allem ökonomisch und ideologisch motiviert verändert und zwar in die falsche Richtung. Der Rubikon wurde – analog zum Zauberlehrling („Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“) – mit den nicht mehr in den Griff zu bekommenden Aus­wirkungen überschritten.

Nur eine angemessene Honorierung der Apotheker, kontrolliert über die Arzneimittelpreisverordnung und einem Verbot des Versandhandels, ist die einzige Chance, die Institution „Apotheke“ in ihrer Leistungsfähigkeit für die „Volksgesundheit“ langfristig zu erhalten. Aber ich fürchte, es ist zu spät: Das Drehen an der „Alimentationsschraube“, verbunden mit dem nicht kontrollierbaren, europäischen Einfluss auf das hiesige Gesundheitssystem infolge der verfehlten Öffnung des Apothekenwesens durch die Politik, rief Geister, die nicht wieder loszuwerden sind. |

Autor

Prof. Dr. Harald G. Schweim ist Professor für Drug Regulatory Affairs an der Universität Bonn im Ruhestand. Zuvor war er von 2001 bis 2004 Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

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