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Sportler in der Apotheke

Die Folgen von Blutgrätsche und Co.

Vor Fußball wird gewarnt

Ab Donnerstag rollt der Ball in Russland. Doch es wird nicht nur gegen den Ball getreten, wenn die besten Fußballer der Welt um den Titel kämpfen, sondern auch – mit oder ohne Absicht – gegen alle mögliche Körperteile. Auch der eine oder andere Zusammenstoß wird nicht fehlen, nach dem sich der hochbezahlte Profi dann mehr oder minder theatralisch auf dem Boden wälzt – oft tut es natürlich auch richtig weh, gelegentlich auch ohne Fremdverschulden. Mithilfe unserer Cartoonistin Barbara haben wird die häufigsten Blessuren zusammengestellt. Von Julia Borsch

Der Pferdekuss

Ein Kuss ist ja eigentlich in der Regel nichts Schlimmes – anders der Pferdekuss, der sich gänzlich unromantisch und im Normalfall nicht im gegenseitigen Einverständnis darstellt. Er bezeichnet umgangssprachlich eine Prellung, meist am Oberschenkel, und entsteht durch die äußere stumpfe Gewalteinwirkung auf die Körperoberfläche, zum Beispiel einen Tritt oder Stoß. Da die straffe Sehnenplatte des seitlichen Oberschenkels dem Druck eines Hämatoms nur bedingt nachgibt, sind Prellungen in diesem Bereich besonders schmerzhaft. Ursprünglich dürften wohl die von den Hufen austretender Pferde ausgelösten kreisförmigen sichtbaren Hämatome namensgebend gewesen sein.

Alle Grafiken: Barbara Kohm

Gesichtsverletzungen

Fußball ist per se keine blutige Sportart. Doch landet ein Ellenbogen, ein anderer Kopf oder gar ein Fuß auf Nase oder Augenbraue, fließt das Blut dann doch manchmal. Wer blutet, muss vom Platz. Erst wenn die Blutung gestillt ist, darf er zurück. Auch ein blutiges Trikot muss gewechselt werden. Dahinter steckt nicht die Angst vor Flecken auf dem heiligen Rasen, sondern ein mögliches Infektionsrisiko für die anderen Spieler – eine Debatte, die vor allem im Zusammenhang mit dem HIV-positiven US-Basketballprofi Magic Johnson geführt wurde. Er war bei der Olympiade 1992 Teil des amerikanischen „Dream Teams“.

Ohne Blut kann die Geste der vor das Gesicht gehaltenen Hände auch auf deutlich Schlimmeres hindeuten als auf eine Verletzung: auf einen versiebten Elfmeter, eine vergeigte Chance oder gar ein verlorenes Spiel.

Was für ein Krampf!

Spätestens, wenn ein Spiel in die Verlängerung geht, aber auch schon oft gegen Ende der zweiten Halbzeit, sieht man Spieler sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Bein halten, ohne dass sie jemand umgetreten hätte. Kapitän Bastian Schweinsteiger sah man bei der WM 2014 gegen Algerien gar vom Spielfeld robben. Der allwissende Sportkommentator weiß ebenso wie der interessierte Zuschauer sofort: ein Krampf. Bei Sportlern steckt in der Regel kein Magnesium-Mangel dahinter, sondern Überanstrengung der Muskulatur, zum Beispiel durch einen vorangegangenen Sprint. Als Sofortmaßnahme wird passiv gedehnt und der Muskel wieder in die Länge gezogen, langfristig hilft nur Ausruhen. Ein wirksames Mittel zur Vorbeugung gibt es bislang nicht. Die S1-Leitlinie „Muskelkrampf“ aus dem Jahr 2017 empfiehlt zwar Magnesium, allerdings laut dem federführenden Autor nur aus Mangel an Alternativen, wie er 2014 gegenüber Spiegel.online sagte. Mit Magnesium konnte noch in keiner Studie die Krampfhäufigkeit überzeugend gesenkt werden, heißt es.

Der Oberschenkel

Es gibt natürlich nicht nur eine „Wade der Nation“, sondern auch einen Oberschenkel, der den gleichen Titel trägt. Wenngleich dieser es bei Weitem nicht zur selben Berühmtheit brachte wie die Wade von Michael Ballack. So war bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika der Einsatz Bastian Schweinsteigers wegen einer Muskelverhärtung im Oberschenkel gefährdet. Zwei Jahre später vermeldet die Bild-Zeitung, dass dieser „Oberschenkel der Nation“ zu den muskulösesten im Bayern-Team gehört, er soll 64 cm Umfang haben. Damit die Tracht fürs Oktoberfest perfekt sitzt, mussten sich die Bayern-Stars von den Schneidern zuvor vermessen lassen.

Der Zusammenstoß

Einer der berühmtesten Zusammenstöße der jüngsten Zeit war wohl der von Christoph Kramer, der im WM-Finale 2014, das bekanntermaßen zum Titelgewinn führte, den Schiedsrichter fragte: „Herr Schiedsrichter, ist das hier das WM-Finale?“ Zuvor war Kramer mit seinem argentinischen Gegenspieler zusammengestoßen. Alle Erinnerungen bis zu seiner Auswechslung, die auf Anweisung des Schiedsrichters erfolgte, waren weg. Die Diagnose: leichte Gehirn­erschütterung. Bekommen die Spieler zu viele Kopfstöße ab, kann das langfristig zu degenerativen Hirnerkrankungen führen. Wie viele Gehirnerschütterungen es dafür braucht, ist unklar. Fest steht allerdings: Selbst Kopfbälle können wie Mini-Gehirnerschütterungen wirken – und das vor allem bei Frauen. Absichtliche Kopfstöße sind eher selten, tragen aber definitiv zur Legendenbildung bei. Bestes Beispiel: Zinedine Zidane, der im WM-Finale von Berlin 2006 dem Italiener Materazzi einen Kopfstoß verpasst hatte.

Der Fuß

Der Fuß, und damit das „Hauptarbeitsgerät“ eines Fußballers, ist ziemlich oft betroffen. Recherchen der Süddeutschen Zeitung zufolge sind ein Viertel aller Verletzungen Fußverletzungen. Und das betrifft nicht die süddeutsche Definition von Fuß, wo dieses Körperteil bis zur Hüfte geht, sondern die im Rest von Deutschland allgemein anerkannte Anatomie. Danach hört der Fuß auf, wo der Unterschenkel anfängt. Da der Fuß ein sehr komplexes Gebilde ist, kann auch viel kaputt gehen: zum Beispiel brechen, reißen oder geprellt werden. Laut des Mannschaftsarztes des VfB Stuttgart ist übrigens Umknicken die häufigste Verletzungsursache überhaupt. Sein Tipp sind daher Air-Cast-Schienen, die davor schützen. Und es gibt noch mehr Geheimtipps: Nationaltorhüter Manuel Neuer, der in der vergangenen Saison von einem Mittelfußbruch geplagt war, soll sich laut Bild-Zeitung einer Eigenbluttherapie unterzogen haben. Die enthaltenen Wachstumsfaktoren und Blutplättchen sollen den Heilungsprozess bei Knochenbrüchen unterstützen.

Der Tiefschlag

Autsch! Männer leiden jedes Mal mit, wenn ein Spieler den Ball in die Genitalien bekommt. Der Tiefschlag ist in der Regel vor allem schmerzhaft, da bleibt dem Spieler schon mal die Luft weg. Im Gegensatz zu anderen Sportarten gehört beim Fußball ein Tiefschutz (auch Suspensorium oder Sackschutz genannt) nicht zur Grundausstattung eines jeden Spielers. Die Fußballer halten sich in brenzligen Situationen, zum Beispiel in der Mauer, die Hände vor die Weichteile – ein Bild, das jeder kennt. Berühmt wurden hier vor allem die Genitalien des Bundestrainers Jogi Löw, allerdings nicht in Zusammenhang mit einem Tiefschlag. Er fasste sich bei der EM 2016 in Frankreich beim Spiel gegen die Ukraine vor laufender Kamera in die Hose.

Das Knie

Sebastian Deissler, Thomas Doll, Ulli Hoeneß – und die Liste ließe sich fortsetzen. Der gemeinsame Nenner dieser ehemaligen Nationalspieler? Nein, es ist nicht Steuerhinterziehung oder der Besitz einer Wurstfabrik, sondern das erzwungene Karriereende aufgrund von Knieproblemen. So hängte beispielsweise Hoeneß die Fußballschuhe bereits im Alter von 27 Jahren an den Nagel – und das ist selbst für einen Fußballer ein jugendliches Rentenalter.

Trotz aller medizinischer Möglichkeiten und der immer schnelleren Rückkehr in den Spielbetrieb ist der gefürchtete Kreuzbandriss unter den typischen Fußballverletzungen immer noch die Verletzung mit der längsten Ausfallzeit, nämlich im Schnitt 243 Tage, schreibt die SZ. Ein Knie der Nation gibt es übrigens auch, das ist allerdings einer anderen Sportart und einer anderen Nation zuzuordnen. Es gehört dem Schweizer Skifahrer Pirmin Zurbriggen, der drei Wochen nach einer Meniskus-Verletzung Weltmeister wurde.

Die Adduktoren-Zerrung

Nein, die Adduktoren sind keine Gruppe von portugiesischen Atlantik-Inseln, die man im Zusammenhang mit Hochdruckgebieten kennt. Die Adduktoren-Gruppe, die aus sechs Muskeln besteht, gehört zu den Muskeln des Oberschenkels. Alle Muskeln haben ihren Ursprung am Becken und ziehen zum Oberschenkelknochen. Die Funktion der Adduktoren des Oberschenkels ist das Heranführen des abgespreizten Beines zurück zur Körpermitte. Außerdem bewirken die Adduktoren eine Beugung im Hüftgelenk. Die wichtigste Aufgabe der Adduktoren speziell beim Laufen ist jedoch die Stabilisation des Beckens. Adduktoren und Gesäßmuskulatur befinden sich dabei in einem ständigen Wechselspiel. Normalerweise sind hauptsächlich Musculus glutaeus maximus et medius et minimus stabilisierend aktiv, also die Gesäßmuskeln. Sind diese jedoch zu schwach (kein Knackpo?), kommt es häufig zu einer Überlastung der inneren Oberschenkelmuskulatur. Überlastung oder Überdehnung sind die häufigsten Ursachen für eine Adduktoren-Zerrung. Auf gut Deutsch übrigens schlicht eine Leisten-Zerrung.

Die Wade

Oh nein, die Wade! Da werden beim deutschen Fußballfan Erinnerungen wach – und die sind nicht gut. Stichwort: „Die Wade der Nation“ – Ex-Kapitän Michael Ballack, der hier immer wieder Probleme hatte. Er schaffte es als „Die Wade der Nation“ in zahlreiche Schlagzeilen. 2016 erbte dann Nationalverteidiger Jerome Boateng diesen „Titel“. Prellung, Zerrung bis hin zum Muskelfaserriss, Muskelbündelriss und Muskelriss – die Vielfalt der Verletzungen ist groß. Kausal behandeln kann man nicht, es gilt die gute alte PECH-Regel – Pause – Eis – Compression (Druckverband) – Hochlagerung. Fußballprofis stehen natürlich alle Möglichkeiten der Physiotherapie offen, um die Regeneration zu beschleunigen. Denn der Ausfall irgendeiner x-beliebigen Wade mag ja zu verschmerzen sein, aber nicht der Ausfall der Waden der Nation bei einer Fußball-WM.

Die Herren mit der Trage

Wenn die (in der Regel) Herren mit der Trage auf das Feld stürmen, bleibt dem enthusiastischen Fußballfan das Herz stehen. Damit ist die höchste Eskalationsstufe erreicht. Denn erst rennen in der Regel Mitspieler zum be- bzw. getroffenen Mitspieler, dann folgt meist der Doc mit dem Köfferchen und packt erst einmal das Eisspray aus. Steht der Spieler immer noch nicht wieder auf, kommt die Trage. Und das bedeutet entweder eine knappe Führung kurz vor Schluss oder es ist ernst. Im ersteren Fall ist dann zumeist eine recht schnelle Wunderheilung zu beobachten, im letzteren verschwindet der Spieler in den Katakomben, und die Fußballwelt wartet gebannt auf neueste Nachrichten über sein Schicksal. |

Lesen Sie zum Thema "Sportler in der Apotheke" in dieser DAZ-Ausgabe auch:

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