Die Seite 3

Kunstvoll zerschnittene Blister

Foto: DAZ/Kahrmann

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Werden Patienten aus dem Krankenhaus entlassen, dann stellt die Weiterversorgung mit Arzneimitteln besonders vor Feiertagen und Wochenenden eine Herausforderung und oft genug eine Überforderung für Patienten und Angehörige dar. Es bestand Handlungsbedarf. Gefragt war eine leicht zu handhabende Regelung. Im Klartext, ein Entlassrezept, das von den Krankenhausärzten unbürokratisch ausgestellt und in der Apotheke ohne großes Wenn und Aber beliefert werden kann. Denn eine einfache Mitgabe von Arzneimitteln aus der Klinik war aus AMTS-Gründen keine Option. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber mit dem neuen Paragrafen 39 Abs. 1a SGB V das Entlassmanagement neu geregelt. Seit März dieses Jahres hat jeder Patient einen Rechtsanspruch darauf. Doch mit der Umsetzung hapert es, und die neue Regelung entpuppt sich als Paradebeispiel dafür, wie im Dschungel von Paragrafen und Interessen der beteiligten Player eine gute Idee konterkariert und zu Grabe getragen werden kann.

Schon allein die vielen Verweise des Absatzes 1a auf andere Gesetzestexte lassen erahnen, dass wenig Handlungs-, aber dafür um so mehr Interpretationsspielraum bleibt. Besonders skurril wird es allerdings, wenn der mit der Richtlinienkompetenz des Gesetzes ausgestattete Gemeinsame Bundesausschuss eine Regelung vorgibt, die gerade vor den neuralgischen Wochenenden und Feiertagen die Mitgabe von Arzneimitteln aus den Kliniken und nicht das Entlassrezept priorisiert (s. „Kein Retax bei Entlassrezepten“ S. 17). Das erscheint vielleicht auf den ersten Blick unkompliziert. Wenn der Patient dann aber zu Hause vor kunstvoll zerschnittenen Blistern ohne Packungsbeilage sitzt und rätselt, was denn nun wann wie oft für bzw. gegen was eingenommen werden muss, dann läuft es uns AMTS-­geschulten Apothekern nur eiskalt den Rücken herunter. Sicher, es darf auch ein Entlassrezept ausgestellt werden, mit besonderer Gültigkeitsdauer (3 Tage) und für die Packung mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen. Doch schon der G-BA kam bei der Interpretation dieser Vorgaben ins Straucheln (s. „Heimat auch für Palliativ- und Substitutionsversorger“ S. 75). In einem Rahmenvertrag sollten jetzt der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft die Modalitäten regeln, eigentlich schon bis zum 31. Dezember 2015. Doch man ringt immer noch. Ein besonderer Knackpunkt: Ärzte im Krankenhaus, zunächst einmal keine Vertragspartner der GKV, sollen sich an die Spielregeln der niedergelassenen Kassenärzte halten. Das birgt Zündstoff. Kein Wunder, dass der Rahmenvertrag bis heute nicht zustande gekommen ist und jetzt die Schiedsstelle gefragt ist.

Man muss kein Hellseher sein, um unter diesen Voraussetzungen zu prognostizieren, dass das Entlassrezept für GKV-Versicherte in den Kliniken nur mit spitzen Fingern angefasst werden wird. Seine Ausstellung hätte die Regel werden sollen und müssen, jetzt wird sie wohl zur Ausnahme mutieren. Und auch in den Apotheken wird ein so reguliertes Entlassrezept nicht mit Begeisterung entgegengenommen werden, besonders dann nicht, wenn wieder Retaxgefahr droht. Dabei wäre alles so einfach gewesen, hätte man im Rahmen des Entlass­managements auf die ganzen Folter­instrumente wie Rabattvertragsregelungen, Regress und Retax verzichtet. Man hätte sich nur konsequent von dem Ursprungsgedanken der schnellen und sicheren Patientenversorgung leiten lassen müssen.


Dr. Doris Uhl

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