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Medikationsanalyse und AMTS – wer macht was?
Eine Diskussion zwischen Arzt und Apotheker
Doch wer kümmert sich um was? Wie kann eine Zusammenarbeit aussehen? Oder gibt es demnächst eine Konkurrenz zwischen Apothekern und Internisten um das Medikationsmanagement? Welche Rolle will die neu gegründete Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin spielen? Darüber haben der Mediziner Professor Dr. Daniel Grandt (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM)) und Apotheker Olaf Rose, Pharm.D., Mitglied der Konzeptgruppe der WestGem-Studie, diskutiert.
Keine Evidenz in der Geriatrie
Für Grandt gibt es zwei große Problembereiche in der Versorgung chronisch kranker älterer Menschen:
Zum einen fehlen Studien und damit Evidenz zur Arzneitherapie bei multimorbiden Patienten, entsprechend findet man in den Leitlinien hierzu wenig. Hier möchte die Arbeitsgruppe praxistaugliche Handlungsempfehlungen für Ärzte entwickeln.
Zum anderen sieht er zunehmende organisatorische Herausforderungen der Behandlungskoordination. Da multimorbide Patienten oftmals mehrere Apotheken nutzen und bei mehreren Fachärzten und gerne auch mal bei mehr als einem Hausarzt in Behandlung sind, finden Informationstransfer und Abstimmung nicht immer ausreichend statt.
Apotheker Olaf Rose hat an der WWU in Münster Pharmazie studiert, Forschungsaufenthalt bei Bayer, Japan, Studium zum Doctor of Pharmacy an der University of Florida, USA. Inhaber dreier Apotheken in Münster und im Münsterland. Wissenschaftliches Mitglied der WestGem-Studie. Herausgeber des Buches „Angewandte Pharmakotherapie“ zusammen mit Prof. Dr. Kristina Friedland. Forschungsschwerpunkt: Medikationsmanagement.
Anamnese eine Frage der Zeit
Gute Erfahrungen gibt es nach Meinung von Grandt in der Zusammenarbeit von Klinikärzten mit Krankenhausapothekern. Das liege zum einen an der räumlichen Nähe, zum anderen an der Einbindung in gemeinsame Prozesse. Eine Medikationsanamnese durch Apotheker hält Grandt grundsätzlich für möglich und hilfreich. Da für eine strukturierte Medikationsanamnese bei Krankenhausaufnahme 30 Minuten pro Patient veranschlagt werden müssen, ist das bei dem derzeitigen Personalschlüssel der Krankenhausapotheker aber nicht zu leisten. Hier waren sich Grandt und Rose einig. Auch den Ärzten mangelt es an Zeit. Ihnen stehen laut Grandt für den gesamten Aufnahmeprozess nur 20 bis 45 Minuten zur Verfügung, die Medikationsanamnese nimmt dabei nur einen kleinen Raum ein. Die entscheidende Frage ist in diesem Zusammenhang für Rose und Grandt nicht die, wer für diese Aufgabe am besten geeignet ist – Arzt oder Apotheker – sondern dass sich jemand die Zeit dafür nimmt und nehmen kann. Die Notwendigkeit einer adäquaten Arzneimittelanamnese gelte gleichermaßen auch für den ambulanten Sektor.
Prof. Dr. Daniel Grandt ist Internist, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken; Mitglied des AkdÄ-Vorstands, der Koordinierungsgruppe des BMG für den Aktionsplan AMTS, der AMTS Task Force der DGIM sowie der WHO-Expertengruppe zu Research on Patient Safety. Das von ihm 2003 in Saarbrücken initiierte AMTS-Projekt zum Einsatz der elektronischen Verordnungsunterstützung RpDoc® führte zu den Deutschen Kongressen für AMTS und zur Entscheidung des BMG für den Aktionsplan AMTS.
Apotheker wollen mehr ...
Rose wies darauf hin, dass die Pharmazeuten nicht nur eine Medikationsanamnese erheben wollen, sondern eine strukturierte und vollständige Medikationsanalyse und hierauf aufbauend ein Medikationsmanagement. Das sei deutlich mehr als eine Anamnese und erfordere ein wissenschaftlich evaluiertes Vorgehen unter Einbeziehung pharmakotherapeutischer Probleme. Für die inhaltliche Beurteilung arzneitherapeutischer Entscheidungen ist, so Grandt, allerdings nicht nur die Kenntnis zum Arzneimittel, sondern auch die klinische Erfahrung zum Verlauf und zur Beeinflussbarkeit der Erkrankung durch medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlung erforderlich, also spezifische ärztliche Kenntnisse und Erfahrungen. Häufig sogar ganz spezielle fachärztliche Kenntnisse, denn nicht ohne Grund und zum Vorteil des Patienten hätten sich die fachärztlichen Spezialisierungen entwickelt. Rose stimmte ihm insofern zu, dass auf Apothekerseite das Wissen für eine umfassende Medikationsanalyse mit einer Therapiebeurteilung in der Breite teilweise erst einmal erworben werden müsse. Doch es sei seitens der ABDA Strategie, zunächst mit Arzneimittelsicherheitsaspekten und einer einfachen Medikationsanalyse zu beginnen und sich dann nach und nach therapeutischen Problemen zu widmen. Eine Verbesserung der Arzneimittelsicherheit ist nach Roses Erfahrungen nach einigen Tagen Schulung von allen Apothekern leistbar.
Polymedikations-Check durch die DGIM?
Mit einer Pressemeldung und einem Positionspapier hatte seinerzeit die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) auf die Gründung der Arbeitsgruppe Arzneimitteltherapiemanagement und AMTS unter Leitung von Grandt aufmerksam gemacht (s.a. DAZ 2014; Nr. 43, S. 18). Hier ist zu lesen, dass die DGIM in ihrer Arbeitsgruppe die Voraussetzungen einer sicheren Arzneimitteltherapie definieren und Konzepte für die Abstimmung und Priorisierung der Arzneimitteltherapie bei Multimorbidität entwickeln will. Das betreffe auch die strukturierte Prüfung von Polypharmazie unter besonderer Berücksichtigung älterer Menschen. Grandt stellte klar: „Die Arbeitsgruppe gibt dem Arzt inhaltliche Hilfestellungen, führt aber selbst keine Polypharmazie-Checks durch!“ Ziel sei es z. B., darauf hinzuweisen, wann Leitlinienempfehlungen zu verschiedenen Erkrankungen bei gleichzeitiger Anwendung zu einem nicht sinnvollen Arzneimittelmix führen. Für solche Fälle wolle man Empfehlungen erarbeiten, die zu mehr Arzneimitteltherapiesicherheit führen.
In Bezug auf die von seiner Ehefrau geführten Firma RpDoc® Solutions, die AMTS-Software entwickelt, muss sich Grandt die Frage nach Interessenskonflikten stellen lassen – auch im Hinblick auf die Gründung der Arbeitsgruppe innerhalb der DGIM. Hiergegen wehrt sich Grandt: „Die Frage ist natürlich berechtigt, die Vermutung aber unbegründet. Die Arbeitsgruppe wurde vom Vorstand der DGIM initiiert. Sie gibt inhaltliche Hilfestellungen für behandelnde Ärzte. Wie und mit welchen Hilfsmitteln der Arzt die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessert, ist Sache des einzelnen Arztes und nicht Gegenstand der Empfehlungen der AG, so Grandt. Auch sei es nicht das Thema der Arbeitsgruppe, die Aufgaben von Internisten, Hausärzten und anderen Arztgruppen zu definieren, auch nicht die Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker.
„Der Arzt muss sich davon freimachen, sich vom Apotheker kontrolliert zu fühlen. Der AMTS-geschulte Apotheker ist vielmehr eine zusätzliche Barriere zur Vermeidung von arzneimittelbezogenen Problemen und unterstützt den Arzt auf diesem Sektor.“
Angst vor „Overreporting“
Wenn Apotheker sich aber des Themas Medikationsanalyse annehmen, sieht Grandt die Gefahr eines „Overreportings“, das den Patienten verunsichern und zu unnötigen Nachfragen beim Arzt führen würde. Es werde häufig übersehen, dass viele potenziell vermeidbare Risiken im Einzelfall bewusst in Kauf genommen werden müssen. Diese Gefahr sieht Rose nicht: „Ein AMTS-geschulter Apotheker ist sich dieser Probleme bewusst und mit wachsender Zusammenarbeit wird er immer mehr Rücksicht auf die ärztlichen Belange nehmen können.“ Überhaupt sei es sinnvoll, so Rose, dass ein Arzt mit der nächstgelegenen Apotheke Regeln vereinbare, wann und auf welchem Wege er zu arzneimittelbezogenen Problemen informiert werden möchte.
Zusätzliche Sicherheitsbarriere
Grandt wies zudem darauf hin, dass es nicht reiche, Leitlinien zu kennen. Neben den Leitlinien müssten alle Erkrankungen des Patienten, die Erfahrungen mit bisheriger Therapie und auch die Präferenzen des Patienten bei Therapieentscheidungen berücksichtigt werden. Das erfordere damit originär ärztliche Kompetenz. Rose hielt dem entgegen, dass auch jeder Arzt wisse, dass man nicht zwei Betablocker gleichzeitig einnehmen solle, Doppelverordnungen aber in der Praxis dennoch unbeabsichtigt vorkämen. Überhaupt müsse sich der Arzt davon freimachen, sich vom Apotheker kontrolliert zu fühlen. Der AMTS-geschulte Apotheker sei vielmehr eine zusätzliche Barriere zur Vermeidung von arzneimittelbezogenen Problemen und unterstütze den Arzt auf diesem Sektor. Auch sei es erforderlich, pharmakotherapeutische Probleme aufzuzeigen, weil diese nach Roses Erfahrungen wesentlich häufiger relevant seien als z. B. Interaktionen. Der Arzt erhalte durch die zusätzliche Expertise des Apothekers einfach mehr Therapiesicherheit.
„Es reicht nicht, Leitlinien zu kennen. Neben den Leitlinien müssen alle Erkrankungen des Patienten, die Erfahrungen mit bisheriger Therapie und auch die Präferenzen des Patienten bei Therapieentscheidungen berücksichtigt werden. Das erfordert originär ärztliche Kompetenz.“
Strukturiert zusammenarbeiten
Einig waren sich Rose und Grandt, dass eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Apothekern, Pflegern, betreuenden Angehörigen und Patienten hilfreich und erstrebenswert ist. Zu definieren, wie eine Zusammenarbeit aussehen muss, müsse aber weiter diskutiert werden. Diese Diskussion wird u. a. in der Koordinierungsgruppe des BMG für den Aktionsplan AMTS geführt. Auch laufende Studienprojekte können Anregungen geben. So beispielsweise die Erfahrungen der zurzeit laufenden interprofessionellen WestGem-Studie, die Rose mit einer Gruppe von Wissenschaftlern zusammen leitet und in der Apotheker Medikationsanalysen für multimorbide ältere Patienten vornehmen. Neben Ärzten und Patienten sind auch Pfleger und Sozialarbeiter, die die älteren Menschen betreuen, in das Projekt eingebunden. Auf Ärzteebene kommunizieren Apotheker hier mit den Primärärzten, die sich gegebenenfalls dann Rat auf Facharztebene suchen. Grundsätzlich gibt es laut Rose hier keinen Dissens. Diskussionsbedarf bestehe jedoch im Hinblick darauf, wer was sinnvollerweise macht. Hier gebe es immer wieder Abstimmungs- und Klärungsbedarf. Dass aber gerade die interprofessionelle Zusammenarbeit bereichernd sei, zeige sich schon jetzt in der WestGem-Studie. Patienten berichten ihrem Apotheker teils über ganz andere Hauptbeschwerden als dem Arzt, auch sei eine hohe Diskrepanz nachgewiesen zwischen der tatsächlichen Anwendung zu Hause und dem, was der Arzt verordnet habe. Zudem habe der Apotheker oft einen vollständigeren Überblick über die angewendeten Medikamente inkl. der Verordnungen anderer Fachärzte und der Selbstmedikation. |
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