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Debatte
Ein abschließendes Statement zur Sicherheit
Im Einzelnen gilt es festzustellen, ob die Anforderungen, die an ein Analgetikum in der Selbstmedikation zu stellen sind, erfüllt werden:
- Zuverlässige Wirksamkeit bei häufigen, der rezeptfreien Therapie zugängigen Indikationen
- Keine unerwünschten Arzneimittelwirkungen beim bestimmungsgemäßen Gebrauch
- Keine lebensbedrohlichen Risiken bei Überdosierung
- Keine nachhaltigen Probleme bei langfristiger Anwendung
- Keine Risiken in Kombinationen mit anderen Wirkstoffen
- Keine Risiken für besondere Patientengruppen.
Natürlich gibt es kein Medikament, das all diesen Anforderungen vollständig entspricht. Paracetamol erfüllt jedoch keine einzige Anforderung:
Unzuverlässige Wirksamkeit
Bei vielen Menschen wirken Einzeldosen bis zu einem Gramm Paracetamol nicht oder nur kurzzeitig. Bei Rückenschmerzen findet sich keine Evidenz für die Wirksamkeit aus randomisierten, placebokontrollierten Studien [1]. Überzeugende Wirkungen bei z. B. Arthroseschmerzen stellen sich im Allgemeinen nur bei hohen, gerade noch zugelassenen Dosen (3 bis 4 g/Tag) ein. Die Wertschätzung dieses Wirkstoffes ist in den letzten Jahren stark geschwunden, da Berichte über Nebenwirkungen zunehmen, überzeugende Daten zur Wirksamkeit jedoch immer noch fehlen [2]. Dieses entspricht der Tatsache, dass nur bei einer hohen Dosierung eine nachhaltige Hemmung der Cyclooxygenase-2, die das Schmerz begünstigende Gewebshormon PGE2 produziert, stattfindet [3]. Dass auch andere analgetische Wirkungsmechanismen angenommen werden [vgl. den Beitrag von Kops M, Paulus W, Heintze K, Petersen K-U: Paracetamol: altbewährt oder riskant? DAZ 2011; Nr. 7, S. 68 – 72], kann den Mangel an analgetischer Wirkung ja nicht kompensieren.
Leberschäden bei OTC-Dosierung
Es gibt zahlreiche Publikationen, die von schweren, akuten Leberschäden bei der Anwendung therapeutischer und subtherapeutischer Dosen von Paracetamol berichten [4 – 5, 26]. Besorgniserregend ist zudem eine experimentelle Studie, bei der jungen, gesunden Freiwilligen ein Opioid, Paracetamol (4 g/Tag) oder eine Kombination von beiden Wirkstoffen appliziert wurde. Bei denjenigen, die Paracetamol allein oder in Kombination erhielten, stiegen bei einem Drittel der gesunden Probanden die Transaminasewerte (ein zuverlässiges Signal einer Leberschädigung) in pathologische Bereiche [6]. Es kann nicht verwundern, dass es immer wieder auch bei normaler Dosierung zu Leberversagen kommt, bei Überdosierungen Leberversagen unvermeidlich und oft tödlich ist. Wie hoch die Inzidenz ist, bleibt unklar – wahrscheinlich viel höher als aufgrund der Anzahl der Spontanmeldungen zu befürchten ist [7].
Tödlich bei Überdosierung
Uns allen ist inzwischen bekannt, dass die Gabe von über 4 g Paracetamol/Tag lebensgefährlich und dass bei ca. 8 bis 10 g relativ zuverlässig mit dem Exitus durch Leberversagen zu rechnen ist [7-8]. Erfreulicherweise ist jedem Apotheker und Mediziner bekannt, dass die therapeutische Breite von Paracetamol beängstigend klein ist und ungewollte und gewollte Überdosierungen von Paracetamol regelmäßig zu Todesfällen und Lebertransplantationen führen [8 – 9]. Leider kann auch die frühzeitige Gabe des "Entgiftungsmittels" N-Acetylcystein Todesfälle nicht sicher verhindern [10].
Schäden bei langfristiger Einnahme
Neu ist die Einsicht, dass Paracetamol, lang- und mittelfristig eingenommen, wie vom Wirkungsmechanismus zu erwarten, zu einer Erhöhung des Blutdrucks führt und im Gefolge dazu mit einer erhöhten Inzidenz von Herzinfarkten und Schlaganfällen einhergeht [11 – 14]. Wie schnell der Blutdruckanstieg bei sonst gesunden Menschen erfolgt, konnte kürzlich in einer prospektiven Studie belegt werden [12].
Risikoreiche Kombinationen
Der Glaube, Paracetamol sei harmlos, hat zur Entwicklung von Heißgetränken etc. gegen die Symptome von Erkältungskrankheiten geführt. Leider ist dem Konsumenten nicht klar, dass hier ein toxischer Wirkstoff mit anderen Wirkstoffen kombiniert wurde. Häufig werden zusätzlich noch paracetamolhaltige Schmerztabletten oder Grippemittel eingenommen [8]. Derartige Mixturen werden oft auch bei Kleinkindern verwendet. Obwohl Kinder generell etwas widerstandsfähiger gegen Paracetamolüberdosierung sind als Erwachsene, ist es keine Seltenheit, dass der Rechtsmediziner Paracetamol im Blut scheinbar grundlos verstorbener Kleinkinder findet [15 – 16]. Auch in Deutschland betreffen die meisten Anrufe in den Giftinformationszentren (über 4000/Jahr) Paracetamol, das häufig gleichzeitig als Tablette (wegen Kopfschmerzen), Suppositorium und/oder Heißgetränk (wegen Fieber) eingenommen wurde.
Risikogruppen
Bisher waren wir der Meinung, Paracetamol sei während der Schwangerschaft das einzig vertretbare Medikament bei passageren Schmerzen. Nunmehr gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass während der Schwangerschaft genommenes Paracetamol zu einer erhöhten Asthmainzidenz [17 – 20] und – wenn es sich um männliche Nachkommen handelt – zu Fertilitätsproblemen bei Kindern aus solchen Schwangerschaften führen kann [21 – 22]. Seit Langem bekannt ist die erhöhte Toxizität von Paracetamol bei vorbestehenden Leberschäden und Alkoholkonsum. Nun kommen Muskelerkrankungen hinzu [5].
Paracetamol-DiskussionAlte und möglicherweise neue Nebenwirkungen haben die Frage aufkommen lassen, ob eine Schmerzmitteltherapie mit Paracetamol im Rahmen der Selbstmedikation weiterhin vertretbar ist. Die Expertenmeinungen gehen auseinander. Lesen Sie dazu auch: Paracetamol: altbewährt oder riskant? Ein Diskussionsbeitrag von Dr. Maren Kops, Dr. Wolfgang Paulus, Prof Dr. Konrad Heintze und Prof. Dr. Karl-Uwe Petersen DAZ 2011, Nr. 7; S. 68 – 72Lebertoxizität: FDA fordert
Dosislimit für Paracetamol Muss Paracetamol auf den Prüfstand? Diskussion um neue Studien zu potenziellen Risiken von Paracetamol. DAZ 2010; Nr. 50; S. 67 – 69Paracetamol: Ein Wolf im Schafspelz läuft frei herum Kommentar von Prof. Dr. Dr. Kay Brune DAZ 2010; Nr. 49; S. 42 – 43 |
Fazit
Am Ende dieser Überlegungen müsste eigentlich jeder zu dem Schluss kommen: Paracetamol erfüllt keine der eingangs gestellten und üblicherweise angewendeten Kriterien für einen rezeptfrei verfügbaren Wirkstoff. Auch das häufig gebrauchte Argument, andere rezeptfreie Analgetika sind ja auch nicht harmlos, führt in die falsche Richtung: Immerhin sind Diclofenac, Ibuprofen und Propyphenazon bei Überdosierung nicht letal und bei erlaubter Dosierung harmlos [22]. Außerdem wirken sie nachgewiesenermaßen zuverlässig. Dieses alleine sollte dazu führen, Paracetamol aus dem rezeptfreien Verkehr zu ziehen, denn schließlich sind Magenulzerationen und Blutungen bei rezeptfreier Dosierung von Ibuprofen und Propyphenazon epidemiologisch nicht sicherbar [22 – 24], und die immer wieder zitierte Agranulozytose für Propyphenazon ist auch in großen Studien nicht nachweisbar [25]. Da die Altsubstanzen Acetylsalicylsäure, Phenazon und Propyphenazon nicht nach modernen Kriterien für Schmerzmittel untersucht wurden und werden, bleibt leider auch für diese Wirkstoffe manche Frage ungeklärt.
Soeben hat die FDA die erlaubte Menge von Paracetamol in verschreibungspflichtigen Mischanalgetika auf 325 mg reduziert – wohl ein erster Schritt zur Eliminierung des Wirkstoffes aus allen Mischanalgetika. Vor einigen Monaten hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA, unterstützt auch durch das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), den frisch auf den Markt gebrachten, über Jahre untersuchten, besonders gastrointestinal verträglichen Wirkstoff Lumiracoxib wegen einiger weniger, reversibler Leberschäden vom Markt genommen. Es handelte sich wohlgemerkt um ein rezeptpflichtiges Produkt, das bei Rheumapatienten eingesetzt wurde.
Wenden wir derartige Standards an, so wäre Paracetamol nicht einmal für die rezeptpflichtige Verwendung zu akzeptieren.
Vor diesem Hintergrund kann ich nur zu dem Schluss kommen: Paracetamol entspricht den Sicherheitsanforderungen der modernen Arzneimitteltherapie nicht. Es ist eben nicht zuverlässig wirksam, sicher, erprobt und bewährt – sondern nur billig!
Anmerkung: Dieser Artikel setzt die, wie ich meine, konstruktive Diskussion in der DAZ fort. Ich nehme damit auch Bezug auf die sehr ausgewogene Stellungnahme der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, und ich habe auch die Einlassungen von Herrn Dr. Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), zur Kenntnis genommen. Herr Kroth hat sich recht gut in die schwierige Materie eingearbeitet. In seiner Darstellung unterliegt er dann doch der Versuchung, "unredlich" zu argumentieren. So behauptet er: "… ergeben sich aus den von Prof. Brune zitierten Arbeiten keine Hinweise auf neue Risiken …". Wenn man hier aufhört zu lesen, muss man sagen: Herr Kroth irrt! Die Arbeiten zur verminderten männlichen Fertilität und Asthmainzidenz bei Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft sind "Hinweise", wenn auch keine Beweise. Aber das scheint auch Herrn Kroth bekannt zu sein, denn er schließt einen Relativsatz an: "… die es rechtfertigen würden, Paracetamol-haltige Arzneimittel … der Verschreibungspflicht zu unterstellen ….". Ob diese Unterstellung zu rechtfertigen ist, mögen Andere entscheiden. Keineswegs erscheint es legitim, die Wertigkeit von "Hinweisen" auf Risiken von einer subjektiven Bewertung abhängig zu machen. Es geht hier immerhin um einige Tausend Todesfälle unter Paracetamol weltweit pro Jahr. Eine derartige Todesrate hätte anderen Medikamenten längst das Genick gebrochen. Auch nur der Verdacht auf Folgeschäden in den nächsten Generationen hat anderen Wirkstoffen ein frühes Ende bereitet.
Autor
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Kay Brune,
Doerenkamp-Stiftungsprofessur für
Innovationen im Tier- und Verbraucherschutz,
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie,
Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Erklärung zum Interessenkonflikt:
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Literatur:
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