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GD-Jahrestagung
Neben- und Wechselwirkungen der Gesundheitspolitik
Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel, gab einen Überblick über die Folgen des AMNOG für die Dermatotherapie. Die Neuregelung der Aut-idem-Substitution, nach der Arzneimittel mit nur einem übereinstimmenden Anwendungsgebiet austauschbar sind, schwäche arzneimittelrechtliche Argumente gegenüber dem Sozialrecht und könne damit die Sonderstellung der Topika weiter aushöhlen. Die Neuerung, dass pharmazeutische Unternehmen und Medizinproduktehersteller aktive Partner bei der Integrierten Versorgung werden können, sei ein "Dammbruch", weil die Hersteller erstmals direkt in Kontakt zu den Patienten treten können. Dies könne aber auch zu einer erfolgreichen Partnerschaft zwischen Industrie und Apotheken führen.
Die größte Neuerung für die Industrie bildet die frühe Nutzenbewertung, die als Nebeneffekt zu vermehrten Preissetzungen oberhalb des Festbetrages führen könnte. Trotz des neuen Verfahrens müsse die früher vorgesehene Kosten-Nutzen-Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin (IQWiG) weiterhin betrachtet werden, denn diese kommt zum Einsatz, wenn Hersteller oder Krankenkassen einem Schiedsspruch zum Erstattungspreis widersprechen.
Ein krasses Beispiel für unüberlegt formulierte gesetzliche Neuregelungen sieht Dr. Jörg Mehnert, Kiel, darin, dass die geplante Umstellung der Normierung von Packungsgrößen auch für topische Dermatika gilt. Die Normierung soll sich ab Juli 2013 an der Reichdauer orientieren; diese hängt jedoch bei Topika massiv von der Fläche des jeweils zu behandelnden Hautareals ab, sodass pauschale Größen für 10, 30 oder 100 Tage nicht angegeben werden können. Durch die zwischenzeitliche Festlegung von 25 Gramm für eine N1-Tube sieht Mehnert die Hersteller zudem gezwungen, therapeutisch sinnvolle und kostengünstige kleinere Packungen aus dem Handel zu nehmen. Dies sei "politisch gewollter grober Unfug zum Schaden der Arzneimittelsicherheit", so Mehnert.
Schwierig: Nutzenbewertung in der Dermatologie
Da die Nutzenbewertung zu einer wesentlichen Hürde für die Vermarktung innovativer Arzneimittel wird, stellt sich die Frage nach aussagekräftigen Kriterien für den Nutzen von Dermatika. Zur Definition solcher Kriterien hat die Deutsche Dermatologische Gesellschaft gemeinsam mit dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen ein Entwicklungsprogramm gestaltet, das Dr. Florian Beikert, Hamburg, vorstellte. Innerhalb von drei Jahren sollen in Arbeitsgruppen analog zur Vorgehensweise bei der Gestaltung von Leitlinien Nutzenkriterien erarbeitet werden. Als Vorarbeit wird derzeit eine Zusammenstellung der bereits existierenden Bewertungsmethoden in Buchform erstellt. Die Dermatologie, in der Ergebnismaße wahrscheinlich schwerer als in vielen anderen medizinischen Disziplinen zu finden sind, steht durch die Nutzenbewertung unter besonderem Druck, erstellt nun aber als erstes medizinisches Fach systematisch solche indikationsspezifischen Kriterien.
Wesentlichen Anteil an dieser Arbeit hat das Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm) in Hamburg, das von Prof. Dr. Matthias Augustin geleitet wird. Augustin stellte die besonderen Probleme bei der Nutzenbewertung in der Wundversorgung dar. Die vom IQWiG erhobenen Forderungen nach evidenzbasierten Entscheidungen, die im Arzneimittelbereich verbreitet sind, könnten nicht auf die Wundversorgung übertragen werden. Denn bei Wunden kommen auch Operationen und physikalische Verfahren zum Einsatz. Die Auswahl von Wundauflagen richte sich nach vielfältigen Kriterien wie Subtyp, Schweregrad, Exsudation, Zustand der Wundränder, Durchblutung, Infektion und Komorbiditäten. So seien Tausende von Entitäten zu unterscheiden. Metaanalysen und Standards könnten hier nicht mehr sinnvoll angewendet werden. Daher sei es wenig verwunderlich, dass eine britische Metaanalyse aus 42 Publikationen keinen signifikanten Vorteil für den Einsatz von Wundauflagen ermittelt hat. Augustin sagte, er habe dagegen mit weiter gefassten Einschlusskriterien 451 relevante Studien identifiziert. Doch einige Krankenkassen bezahlen – letztlich unter Verweis auf die britische Metaanalyse – nur eine Versorgung mit dem Allernötigsten. "Mit dem Ergebnis setzen wir uns in der Versorgung auseinander", so Augustin.
Als alternatives Bewertungsinstrument propagiert Augustin den Patient-Benefit-Index. Dies ist ein aus der ökonomischen Nutzentheorie abgeleiteter Vorher-Nachher-Vergleich der für den jeweiligen Patienten relevanten Versorgungsparameter. Augustin forderte das IQWiG auf anzuerkennen, dass die Versorgung "mehr als evidenzbasierte Medizin" sei.
Nicht-interventionelle Studien statt RCT
Auch Dr. Christoph Eicke, Bad Vilbel, machte deutlich, dass zum Erkenntnisgewinn nicht immer randomisierte kontrollierte klinische Studien (RCT) nötig sind. Er beschrieb nicht-interventionelle Studien (NIS), die meist prospektiv angelegt sind. Der große Vorteil dieser Studien liege in ihrer hohen externen Validität, also in der Generalisierbarkeit der Ergebnisse und ihrer Aussagekraft für reale Versorgungsbedingungen. Diese Übertragbarkeit fordere eigentlich auch das IQWiG, erklärte Eicke, und doch lasse es praktisch RCT gelten. Im Ausland werden NIS besser akzeptiert, insbesondere in Kanada und Australien.
Durch die frühe Nutzenbewertung und die Bedeutung von Lebensqualitätsdaten sieht Eicke zunehmenden Bedarf für NIS, die vielfach Parameter zur Lebensqualität erfassen. Nach seiner Einschätzung liefern NIS valide Ergebnisse, verursachen aber nur etwa fünf Prozent der Kosten von RCT. Durch strenge Vertragsgestaltung und Monitoring der Daten könne die Qualität der NIS gesichert werden. Außerdem schlug Eicke einen Validitätsindex vor, mit dem eine statistische Aussage zur Datenvalidität gemacht werden könne.
Zu den NIS zählen auch Registerstudien, die Kristina Heyer, Hamburg, vorstellte. Register bilden eine prospektive Dokumentation der Krankheitsverläufe in der Zielpopulation und ermöglichen Bewertungen unter Alltagsbedingungen. Daher eignen sie sich besonders für die Nutzenbewertung und für gesundheitsökonomische Evaluationen. Im Vergleich zu randomisierten klinischen Studien sind die Einschlussbedingungen viel weiter gefasst. Gutes Design und Überprüfungen der Validität können für qualitativ hochwertige Daten sorgen, erklärte Heyer. In Deutschland bestehen derzeit 19 dermatologische Register, beispielsweise zur Psoriasis und zur Wundversorgung im CVderm.
Daten zum chronischen Handekzem
Im Zusammenhang mit den ökonomischen Aspekten berichtete Prof. Dr. Thomas Diepgen, Heidelberg, über Erkenntnisse zum chronischen Handekzem. Die vergleichsweise häufige Erkrankung hat eine Lebenszeitprävalenz von bis zu 15 Prozent. Der Anteil schwerer chronischer Fälle wird auf 5 bis 7 Prozent geschätzt. Ökonomisch ist die Krankheit insbesondere wegen der Arbeitsausfälle und der möglichen Arbeitsunfähigkeit sehr relevant. Die indirekten Kosten betragen mehr als das Doppelte der direkten Kosten. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität sei mit schweren Psoriasis-Fällen vergleichbar. Diepgen zeigte anhand einer Studie, dass Reha-Maßnahmen die jährliche Arbeitsausfallzeit deutlich reduzieren können.
Auch Diepgen machte deutlich, wie mit einer Registerstudie Informationen über die Lebensqualität, die berufliche Situation und die Behandlung von Patienten gewonnen werden können. In einer Studie zur Behandlung mit oralem Alitretinoin sei ein Zusammenhang zwischen kurzer Vorbehandlung und schneller Abheilung aufgezeigt worden. "Je früher ich behandle, umso geringer die Kosten", folgerte Diepgen.
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