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- DAZ 36/2010
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Danaergeschenk?
Arzneimittel dürfen auch in Zukunft nicht an (Apotheken-)Terminals abgegeben werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Visavia-Urteil entschieden, das mit Fug und Recht als eine weit über den Einzelfall reichende Grundsatzentscheidung angesehen werden kann. Die Begründung des Gerichts, die wir in der Rubrik "Rechtsprechung aktuell" zusammenfassen, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Das Urteil bedeutet das faktische Aus für Arzneimittelabgabeterminals in Deutschland. Da nützen auch trotzige Presseerklärungen wenig, in denen der Visavia-Anbieter ankündigt, die Terminals durch entsprechende Nachrüstungen rechtskonform ausstatten zu wollen. Fest steht: Während des Notdienstes, den Visavia Apothekern erleichtern wollte, darf das Terminal nicht eingesetzt werden. Für Rowa und drei Dutzend Apotheken, die den Automaten bereits betreiben, hätte das Urteil nicht ernüchternder ausfallen können.
In seiner Entscheidung schlägt das Bundesverwaltungsgericht tiefe Pflöcke ein. Mit aller Deutlichkeit stellen die Leipziger Richter fest, dass eine Automaten-Pharmazie gegen zentrale Prinzipien des geltenden Apotheken- und Arzneimittelrechts verstößt. Irgendwelche verfassungs- oder gemeinschaftsrechtliche Zweifel an diesen Grundsätzen lässt das Gericht dabei erst gar nicht aufkommen. Im Gegenteil: In klaren Worten, die man sich auch schon im Pick-up-Urteil desselben Senats (AZ Nr. 12 und 19/2008), gewünscht hätte, zeigen die Richter auf, dass die Beschränkung des Einsatzes von Apothekenterminals im Einklang mit der Berufsausübungsfreiheit steht. Der Gesetzgeber ist befugt, das Berufsbild des Apothekers zu fixieren und dabei den Umfang der beruflichen Tätigkeit festzuschreiben. Die "Zwischenschaltung" der inhabergeführten Apotheken bei der Abgabe von Arzneimitteln dient einer sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung und damit einem Gemeinschaftsgut von hohem Rang. Durch die Bindung der pharmazeutischen Tätigkeit an die Verantwortlichkeit des besonders ausgebildeten Apothekenleiters soll, wie es in dem Urteil heißt, ein hohes fachliches Niveau gewährleistet und einer Kommerzialisierung des Arzneimittelvertriebs entgegengewirkt werden. Der selbstständige Apotheker vereinigt in seiner Person "die Verantwortung für die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe aufgrund besonderer beruflicher Befähigung mit der privatwirtschaftlichen Funktion des Inhabers des Apothekenbetriebs". Auf die Apothekenpraxis heruntergebrochen schließen diese Grundsätze eine Arzneimittelabgabe über fremdbetriebsgesteuerte Apothekenterminals aus.
Kluge Worte findet das Gericht auch zur Ungleichwertigkeit von persönlicher Beratung in der Apotheke und dem Kontakt zwischen Apotheker und Kunde via (Bild-)Telefon. Dabei hält es dem Gesetzgeber und allen Freunden des Versandhandels mit Arzneimitteln den Spiegel vor und fragt zwischen den Zeilen: Wollt(et) Ihr dies wirklich? Erkennt Ihr nicht, dass beim Versandhandel mit Arzneimitteln die allen öffentlichen Apotheken obliegenden Informations- und Beratungspflichten weitgehend ad absurdum geführt werden? Berechtigte Fragen – und dennoch könnten sich gerade diese Urteilspassagen des Gerichts als Danaergeschenk erweisen. Mit seiner These, dass der Gesetzgeber durch die Einführung des Versandhandels die Inanspruchnahme der Beratung durch die Apotheken bewusst (!) in die freie Entscheidung des Patienten gestellt habe, sanktioniert und verfestigt das Bundesverwaltungsgericht nämlich die Etablierung von Versorgungsebenen mit unterschiedlichen Informations- und Beratungserfordernissen.
Dabei machen die Leipziger Richter deutlich, dass die Information und Beratung bei persönlicher Arzneimittelabgabe in der Apotheke und im Zuge des Versandhandels nicht gleichwertig sein kann • Die im Vorfeld der Einführung des Versandhandels immer wieder beschworenen "gleich langen Spieße" gibt es bei der Beratung durch Vor-Ort- und Versandapotheken nicht. Eine – wenn überhaupt – angebotene (Telefon-)Beratung im Zuge des Arzneimittelversandes ist schon systembedingt von geringerer Wertigkeit und Intensität als die Beratung, die in unmittelbarem persönlichem, zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit der Aushändigung eines Arzneimittels steht. Die Einführung des Versandhandels war von Anfang an und zwingend mit der Herausbildung unterschiedlicher Informations- und Beratungsniveaus verbunden.
Das Visavia-Urteil zeigt deutlich, welche Systembrüche und Kollateralschäden die Zulassung des Versandhandels in zentralen Bereichen der Arzneimittelversorgung bereits hinterlassen hat – allen Beschwichtigungen von Politik und Versandhandelslobby zum Trotz. Das Bundesverwaltungsgericht ist dabei Bote und Verstärker der schlechten Nachricht zugleich. Seine rechtlichen Ausführungen sind subtil und in sich schlüssig. Gleichzeitig öffnet der Ansatz des Gerichts aber auch die rechtliche Schleuse, um Versandapotheken vollends aus ihrer Beratungspflicht entlassen zu können. Wer beraten werden will, kann doch in seine Apotheke um die Ecke gehen …
In ihrer Entscheidung führen die Leipziger Richter aus, dass der Versandhandel typischerweise für den Bezug von Arzneimitteln genutzt werde, bei denen der Kunde keinen Beratungsbedarf sehe. Das ist wohl zutreffend, aber schließt es auch aus, dass dennoch objektiv ein Beratungsbedarf besteht ? Beratung im Rahmen der Arzneimittelversorgung ist eine Bringschuld des Apothekers. Sie muss aktiv im persönlichen Gespräch angeboten werden. Nicht ohne Grund wird diskutiert, diesen Grundsatz in der neuen Apothekenbetriebsordnung zu verankern.
Soll/Kann das nicht auch für Versandapotheken gelten? Ich befürchte: Nein.
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