Interview mit Matthias Mieves (SPD) Teil 1

„Wir klemmen uns hinter jedes einzelne Problem rund um das E-Rezept “

Berlin - 21.10.2024, 07:00 Uhr

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Mieves lobt die Apothekerschaft für ihr Engagement bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. (Foto: Christian Schneider)

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Mieves lobt die Apothekerschaft für ihr Engagement bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. (Foto: Christian Schneider)


Der Bundestagsabgeordnete Matthias Mieves ist innerhalb der SPD-Fraktion für die Schnittmenge zwischen Gesundheit und Digitalisierung zuständig. In Teil 1 des DAZ-Interviews spricht er über die Abläufe rund um das E-Rezept, die zweifelhafte Rolle der Selbstverwaltung und die bevorstehende Einführung der elektronischen Patientenakte.

DAZ: Herr Mieves, beim Deutschen Apothekertag hat sich Bundesgesundheitsminister Lauterbach kürzlich kritisch geäußert, was den Willen der Apothekerschaft zur Digitalisierung betrifft. Welchen Eindruck macht der Berufsstand diesbezüglich bisher auf Sie?

Mieves: Ich sehe die Apotheken bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens mit an der Spitze. Sie stehen dem Thema aufgeschlossen gegenüber, das schätze ich sehr. Auch wenn im kommenden Jahr der Start der elektronischen Patientenakte bevorsteht, setze ich wieder auf die Unterstützung der Apotheken. Sie können beraten, bei Ident-Verfahren helfen und die Akte mit befüllen. Dafür muss es natürlich eine faire Vergütung geben, so wie wir es bereits gesetzlich vorgesehen haben.

Im kommenden Jahr steht der Start der ePA an. Beobachter fürchten, dass die Akte eher eine digitale Ablagemappe für PDF-Dateien wird, als dass man mit den enthaltenen Daten wirklich arbeiten können wird. Welche Erwartungen knüpfen Sie an die ePA?

Gerade bei der Medikation wird die ePA viele Chancen mit sich bringen. Wechselwirkungschecks in der Apotheke sind ein Beispiel. Es ist auch denkbar, dass die Patientinnen und Patienten eine automatische Erinnerung bekommen, sich ein neues Rezept zu besorgen, bevor eine Arzneimittelpackung leer ist. Ebenso könnte es zu Beginn der Grippesaison einen Hinweis an die Nutzerinnen und Nutzer geben, dass die jährliche Grippeimpfung ansteht und wann Impfslots in ihrer Apotheke frei sind. Für all diese Dinge hat der Gesetzgeber den Weg bereits frei gemacht. Nicht alles wird vom ersten Tag an möglich sein, aber die Rahmenbedingungen erlauben es. Ja, am Anfang wird die ePA auch ein Ort sein, um PDF-Dateien abzulegen, denn wir werden nicht überall sofort standardisierte Datensätze generieren können, die automatisch in die Akte einfließen. Dafür müssen viele Primärsysteme angepasst werden, etwa in den Praxen, Kliniken und Apotheken. Dafür wird die neue Digitalagentur eine klare Roadmap vorgeben.

Wie wollen Sie die Softwarehäuser zum Mitmachen bewegen? Freiwillig werden viele wohl nicht mitziehen … Setzen Sie auf Anreize oder Sanktionen?

Aktuell ist die Landschaft der Softwaresysteme in Deutschland ein Zoo. Es herrscht ein Wildwuchs an Standards und Datenformaten, den wir erstmal in den Griff bekommen müssen. Daher werden wir die Digitalagentur, die im Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz angelegt ist, so stärken, dass sie klare Vorgaben machen kann, welche Datenformate genutzt und welche Schnittstellen bedient werden müssen. Das ist weniger Zuckerbrot als Peitsche, aber nötig. Denn einige Systemhersteller haben bisher aktiv dafür gearbeitet, ihre Systeme abzukapseln, damit ihre Kundinnen und Kunden möglichst nicht wechseln können.

Das heißt, als Nebeneffekt wird unter anderem für Apotheken ein Systemwechsel leichter als bisher?

Ja, das ist ein Effekt, der durchaus gewünscht ist. Unter den Praxisverwaltungssystemen gibt es zum Beispiel einige, die sehr nutzerunfreundlich sind. Andere wiederum sind inzwischen sehr gut aufgestellt. Ein Wechsel ist aber mit hohem Aufwand verbunden, dass sich viele nicht trauen umzusatteln. Diesen Prozess wollen wir deutlich erleichtern.

Die Unterschiede bei der Software-Ausstattung kamen auch bei einem Mammutprojekt zum Tragen, das Apotheken und Praxen gerade erst gestemmt haben: Seit dem Jahreswechsel ist die Nutzung des E-Rezepts verpflichtend. Wie bewerten Sie die Einführung rückblickend?

Der Start des E-Rezepts ist in der Summe sehr gut gelaufen. Insbesondere die Apotheken waren prima vorbereitet – sie haben sich frühzeitig mit dem Thema auseinandergesetzt, ihre Systeme vorbereitet und hätten sogar noch früher loslegen können. Andere Leistungserbringende waren nicht so flott und engagiert, deshalb konnten wir erst im Jahr 2024 starten. Natürlich gibt es bei einem solchen Großprojekt ein paar Kinderkrankheiten, die wir nun Schritt für Schritt ausmerzen. Wir haben uns gleich Anfang Januar angeschaut, wo es noch hakt, und für viele Probleme bereits Lösungen gefunden. Aktuell arbeiten wir daran, die Heimversorgung zu erleichtern. Und was dann noch an Problemen übrig ist, bekommen wir auch noch in den Griff.

Ein wichtiges Anliegen der Apothekerinnen und Apotheker ist, dass keine fehlerhaft ausgestellte E-Rezepte mehr in den Fachdienst gelangen können. Noch gilt eine Friedenspflicht – was kommt danach?

Auch das ist ein Punkt, der bereits im Januar an mich herangetragen wurde. Ich habe mich von Anfang an für eine Friedenspflicht als Übergangslösung eingesetzt, bis wir das Problem auf technischer Ebene behoben haben. An dieser Stelle möchte ich aber betonen, dass die Politik für diese Fragestellungen nicht zuständig ist. Das ist Sache der Selbstverwaltung. Ich habe bereits vor Monaten Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband aufgefordert, eine Lösung herbeizuführen. Es ist ein Armutszeugnis und schlichtweg peinlich, dass das bisher nicht gelungen ist. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, man müsste sich nur für einen Weg entscheiden. Gegenüber den Apotheken in Deutschland ist das eine Frechheit. Wenn die Verbände ihren Job nicht machen, müssen wir als Gesetzgeber nochmals tätig werden und eine Regelung finden, die wir an eines der laufenden Gesetzgebungsverfahren anhängen können.

Der Einigung zwischen DAV und GKV zur Friedenspflicht sind – wie so oft – zähe und langwierige Gespräche vorausgegangen. Wenn es um Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband geht, wird aufseiten der Apothekerschaft schnell der Wunsch nach politischer Unterstützung laut. Teilen Sie die Einschätzung, dass es ein Ungleichgewicht bei der Verhandlungsstärke gibt und inwiefern kann und will die Politik den Apothekerinnen und Apothekern helfen?

Das Ungleichgewicht sehe ich nicht. Die Apothekerschaft kann ruhig selbstbewusster auftreten. Die Power, die Frau Overwiening und der Berufsstand an den Tag legen, wenn sie für eine höhere Vergütung trommeln, könnten sie auch in den Verhandlungen einsetzen. Zudem kämpfen meine Kolleginnen und Kollegen aus der SPD und ich seit Jahresbeginn intensiv für die Apotheken und mit ihnen. Wir klemmen uns hinter jedes einzelne Problem rund um das E-Rezept, wir ringen mit der Selbstverwaltung wie auch mit dem BMG. Über mangelnde Unterstützung kann sich der Berufsstand nicht beklagen.

 

Lesen Sie in Kürze im zweiten Teil des DAZ-Interviews, wie Mieves zu den Apotheken ohne Apotheker steht, was es mit den sogenannten favorisierten Apotheken auf sich hat und welche Rolle er für die Präsenzapotheken in der digitalen Welt sieht.

Zur Person

Matthias David Mieves sitzt seit dem Jahr 2021 im Deutschen Bundestag. Der 38-jährige Diplomkaufmann gewann im Wahlkreis 209 (Kaiserslautern) das Direktmandat. Im Bundestag ist er Mitglied der SPD-Fraktion und ordentliches Mitglied im Gesundheitsausschuss und im Ausschuss für Digitales . Zudem ist Mieves Miteigentümer der sanabene GmbH für ambulante Pflege und Mitglied unter anderem bei ver.di und Greenpeace. Vor dem Jahr 2021 hat Mieves für die Deutsche Telekom gearbeitet, zuletzt als Head of Innovation Portfolio & Investment Management.


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


Kirsten Sucker-Sket
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Patientenakte nicht mit Lauterbach

von ratatosk am 22.10.2024 um 11:19 Uhr

Solange ein Lauterbach Minister ist werden wir jedem raten der Patientenakte unbedingt zu widersprechen, da ein seriöses kompetentes Vorgehen, das hier unbedingt nötig ist, ja nicht gewärhleistet ist ! Wer soll so blöd sein Karl zu vertrauen ?

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