Resonanz zum Apothekenstreik

„Großartig, was da passiert ist“

Berlin/Süsel - 20.10.2022, 14:30 Uhr

Auch das PTAheute-Maskottchen Zinchen streikte mit. (Foto: DAZ/gbg)

Auch das PTAheute-Maskottchen Zinchen streikte mit. (Foto: DAZ/gbg)


Der Apothekenstreik im Saarland, in Hamburg, Brandenburg und Schleswig-Holstein am gestrigen Mittwochnachmittag war ein voller Erfolg: Die Verbände registrierten eine bemerkenswert hohe Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen – mehr als 90 Prozent der Betriebe sollen vielerorts mitgemacht haben. Und auch die Resonanz in den Medien und vonseiten der Patientinnen und Patienten sei durchweg positiv, heißt es.

Am heutigen Donnerstag wird der Deutsche Bundestag aller Voraussicht nach das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verabschieden. Während etwa die Ärzteschaft und die Krankenkassen auf den letzten Metern noch Verbesserungen für sich herausschlagen konnten, bleibt es wohl aus Apothekensicht dabei, dass der Kassenabschlag für zwei Jahre von 1,77 Euro auf 2 Euro angehoben wird.

Damit greift der Bund den Inhaberinnen und Inhabern direkt in die Tasche – denn sie können angesichts festgeschriebener Arzneimittelpreise weder diese Honorarkürzung noch die Verluste durch Inflation, steigende Energiekosten und die Verschlechterung der Großhandelskonditionen weitergeben. Nachdem das Apothekenhonorar seit inzwischen rund zehn Jahren nicht mehr angepasst wurde und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ohnehin hinterherhinkt, ist für den Berufsstand das Maß nun offenbar endgültig voll: In vier Bundesländern riefen die Verbände am gestrigen Mittwochnachmittag zum Streik auf – und die Apothekerinnen und Apotheker folgten ihrer Standesvertretung mehrheitlich.

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Im Saarland ist Kammer- und Verbandsgeschäftsführer Carsten Wohlfeil hochzufrieden mit der Aktion. Er habe gehofft, dass vielleicht 70 Prozent der Apotheken mitmachen würden – tatsächlich seien es ersten Schätzungen zufolge mehr als 90 Prozent gewesen. „Selbst in der Haupteinkaufsstraße in Saarbrücken waren alle Betriebe zu“, berichtet er im Gespräch mit der DAZ. Auch viele Centerapotheken hätten sich beteiligt.

Während manche Apotheken schlicht zugesperrt und mithilfe von Plakaten über den Protest informiert hätten, seien andere aktiv auf die Patientinnen und Patienten zugegangen und hätten das direkte Gespräch gesucht, sagt Wohlfeil. Dabei stießen die Teams dem Geschäftsführer zufolge auf viel Verständnis. „Dass sich die Lage der Apotheken zusehends verschlechtert, ist inzwischen für die Menschen direkt spürbar.“ Denn nicht nur auf dem Land, sondern auch zum Beispiel in der Saarbrückener Innenstadt habe die Apothekendichte in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen.

Hohe Beteiligung auch in Brandenburg

Auch in Brandenburg machten die Apothekerinnen und Apotheker gestern ernst: Der Geschäftsführer des dortigen Apothekerverbands, Thomas Baumgart, geht für seinen Bezirk ebenfalls von einer Beteiligung von mehr als 90 Prozent aus. „Wir haben schon im Vorfeld irrsinnig viele Rückmeldungen von den Apotheken bekommen“, erzählt er. Dass so viele Betriebe bei der Protestaktion mitgemacht haben, sei ein starkes Zeichen Richtung Berlin. „Es ist großartig, was da passiert ist. Wir sind sehr froh, dass wir uns dazu entschieden haben, zu der Aktion aufzurufen.“

Dass es gelingen würde, die Erhöhung des Kassenabschlags so kurzfristig doch noch zu verhindern, wäre laut Baumgart „ein Wunder gewesen“. Ziel sei es vielmehr, „die Apotheken sichtbar zu machen. Denn der Fokus liegt meist auf den Ärzten und die Apotheken fallen hinten über.“ Im kommenden Jahr steht dem Gesundheitswesen eine Strukturreform ins Haus – vor diesem Hintergrund sei es jetzt wichtig gewesen, der Politik zu zeigen, dass „die Apotheken nicht alles mit sich machen lassen“. Zumindest die Bevölkerung bringt Baumgart zufolge wie auch im Saarland viel Verständnis für die Apotheken auf. Das hätten die Reaktionen auf eine Demonstration der Teams in Bernau bei Berlin gezeigt.

Lund: Streik hat viele zum Nachdenken gebracht

Auch für Schleswig-Holstein geht Kammerpräsident Kai Christiansen von einer Beteiligung von gut 90 Prozent der Apotheken aus, wie er im DAZ-Podcast sagt. Hans-Günter Lund, Vorsitzender des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, freut sich über die große Solidarität und erklärte der DAZ: „Es ist toll, wie die Kollegen mitgemacht haben.“ Auch die Resonanz in der Bevölkerung sei überwiegend positiv. Der Streik habe viele zum Nachdenken gebracht. Es gehe darum, die Mitarbeiter in den Apotheken zu halten und die Apothekenberufe attraktiv zu halten. „Es ist uns gelungenen, die Bevölkerung mitzunehmen“, folgert Lund aus den eigenen Erfahrungen, den Rückmeldungen der Verbandsmitglieder und dem Echo in den Medien. Am Mittwochnachmittag habe es auch lokale Aktionen gegeben, die nicht auf Landesebene organisiert wurden, berichtet Lund. Beispielsweise hätten die Apotheken in Itzehoe gemeinsam ein Zelt in der Fußgängerzone aufgestellt und Passanten angesprochen. „Diese Geschlossenheit gibt Hoffnung für weitere Aktionen“, sagt Lund. „Wir sind zufrieden“, ist sein Fazit, verbunden mit dem Dank an die Beteiligten.

Georg Zwenke, Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein und des Hamburger Apothekervereins, erklärte, die Resonanz auf den Streikaufruf sei „überwältigend“ gewesen. Fernsehen, Funk- und Printmedien hätten ausnahmslos positiv berichtet. Sehr erfreulich sei das große Engagement der Lokalzeitungen. Auch Lokalpolitiker zeigten volles Verständnis. Außerdem verwies Zwenke auf die Rückmeldung eines Mitglieds. Die Kollegen hätten über sechs Stunden im Kittel vor zwei Apotheken gestanden und mit den Menschen gesprochen. Alle Reaktionen seien positiv gewesen und mehrere Leute hätten „Naschi“ als Streiknahrung gekauft.

Graue: Hohe Beteiligung zeigt, wie groß die Not ist

Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins, berichtete gegenüber der DAZ, dass der Streik auch in Hamburg sehr erfolgreich verlaufen sei. Bis auf die Notdienstapotheken hätten sich „fast alle Apotheken“ dem Streik angeschlossen. Graue dankt den Beteiligten, die die Idee sofort aufgegriffen und alles sehr schnell organisiert hätten. „Dies zeigt, wie groß die Not ist“, erklärte Graue. Dabei freue es ihn, dass sich auch Apotheken außerhalb der vier Bundesländer mit verschiedenen Aktionen solidarisch gezeigt hätten. Die Apotheker wollen offenbar nicht immer nur warten, sondern jetzt ein Zeichen setzen.


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Rest-Deutschland will auch streiken

von J.M.L. am 21.10.2022 um 8:03 Uhr

Bitte auch auf den Süden ausdehnen, wir wollen auch streiken! Es hat sich über all die Jahre soviel Unmut angesammelt, dass ein flächendeckender Streik über ganz Deutschland mehr als angebracht ist, einfach mal als Ventil zum Luft ablassen... in diesem Zuge gleich auch noch gegen den eigenen Verband demonstrieren.

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