Cannabis-Legalisierung

Firmen könnten sich vom Medizinalcannabis abwenden

Berlin - 22.07.2022, 16:45 Uhr

Alex Revich berichtete auf der Cannabis-Messe ICBC, wie die Legalisierung in Kanada den Medizinalcannabis-Markt prägte. (x / Bild: Jan Kulke / International Cannabis Business Conference)

Alex Revich berichtete auf der Cannabis-Messe ICBC, wie die Legalisierung in Kanada den Medizinalcannabis-Markt prägte. (x / Bild: Jan Kulke / International Cannabis Business Conference)


Nach der Legalisierung in Kanada zerbrach der dortige Medizinalcannabis-Markt, berichteten Hersteller auf der Cannabis-Messe ICBC in Berlin. Konsumenten und Firmen wendeten sich dem Freizeitmarkt zu – auf Kosten der Forschung und Arzneimittelversorgung. In Deutschland herrschen andere Bedingungen. Doch für Hersteller und Patienten zeichnet sich ein Wandel ab.

Laut Experten behandeln Mediziner:innen in Deutschland rund 80.000 Patienten und Patientinnen mit medizinischem Cannabis. Ihnen blüht bald ein Wandel: Die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken, die die Bundesregierung in Bälde ermöglichen will.

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Auf der International Cannabis Business Conference (ICBC) am 19. und 20. Juli in Berlin schätzten Experten: Viele Patienten werden auf Freizeit-Cannabis umsteigen, eventuell sogar die Hälfte der Betroffenen. Dies war auch in Kanada der Fall, als das Land im Jahr 2018 „Gras“ freigab. Viele Patienten, die auf medizinische Hilfe angewiesen sind, „therapieren“ sich dort nun selbst.

Hersteller wechseln zum Freizeitmarkt

Die Erfahrungen aus dem nordamerikanischen Staat deuten darüber hinaus ein weiteres Problem an. In Kanada zogen sich nach der Legalisierung viele Cannabis-Unternehmen aus dem Arzneimittel-Sektor zurück. Denn plötzlich winkte ein neuer Absatzmarkt, der ohne kostspielige GMP-Regulatorik und Sicherheitsvorkehrungen auskam. 

Alex Revich erzählte auf der ICBC, was er in Kanada in den vergangenen Jahren beobachtete. Revich arbeitet bei der kanadischen Apothekenkette Hybrid Pharm, die sich auf medizinisches Cannabis spezialisiert hat. „Mit der Legalisierung zeigt sich schnell, welchen Unternehmen Cannabis als Medizin am Herzen liegt. Viele stürzen sich sofort auf den Genussmittelmarkt.“

Ein Problem liegt für Revich in Kanada darin, dass Freizeit-Cannabis nicht über Apotheken abgegeben werden darf. Zugleich dürfen die lizenzierten Abgabestellen keine Beratung für Erkrankte anbieten. Doch gerade Vorerkrankte, die Cannabis ausprobieren möchten, benötigen eine medizinische Beratung. Alex Revich setzte sich damals dafür ein, legales Cannabis über Apotheken in Umlauf zu bringen. Dass dies in Deutschland möglich sein könnte, ist für ihn ein riesiger Vorteil.

Rückzug aus der Forschung befürchtet

Ein Unterschied zwischen dem nordamerikanischen Staat und Deutschland: Hierzulande ist seit 2017 Cannabis bei bestimmten Indikationen erstattungsfähig. Wer Cannabis als Arzneimittel vertreibt, hätte somit noch immer einen Absatzmarkt. Aber auf der Messe in Berlin erklärten Experten: Einigen Patienten bleibt der Zugang zur grünen Medizin verwehrt. Viele Erkrankte beantragen bei ihrer Krankenkasse, die Kosten für ihre Cannabis-Therapie erstattet zu bekommen. Die Kassen lehnen jedoch 40 Prozent der Anträge ab. Denn in einigen Bereichen ist die Evidenzlage noch umstritten.

Neben Revich saß Diane Scott auf dem Podium. Sie ist Geschäftsführerin der JMCC-Group, die medizinisches Cannabis in Jamaika anbaut und exportiert – auch nach Deutschland. Auch sie beklagte, dass sich viele Medizinalcannabis-Firmen dem Freizeitmarkt zuwendeten.

Infolgedessen würden Patienten nicht ausreichend versorgt. Zusätzlich investierten viele Unternehmen weniger Geld in die medizinische Forschung. Das könnte auch in Deutschland passieren, warnt Scott. Ihr Vorschlag: „Die deutsche Regierung sollte Steuergelder, die sie bei der Cannabisabgabe einnimmt, in die medizinische Cannabis-Forschung investieren.“

Drohen Cannabis-Lieferengpässe?

Wird auch in Deutschland die Industrie Cannabis als Arzneimittel nach der Legalisierung vernachlässigen? Das wollte die DAZ von Alain Menghé wissen. Bis 2012 arbeitete er bei der AOK. Später gründete er Lio Pharmaceuticals, die medizinisches Cannabis in Deutschland vertreiben.

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Auch er kritisiert, dass die Industrie längst mehr zur Cannabis-Forschung hätte beitragen müssen, die auch dem Freizeit-Cannabismarkt helfen würde. Viele Firmen mieden jedoch die teuren Investitionen. Er fordert nun klare Rahmenbedingungen von der Politik.

Dass es nach der Legalisierung zu Versorgungsengpässen kommen könnte, weil Hersteller sich auf Genussmittel-Cannabis konzentrieren wie in Kanada, glaubt er nicht. „Wenn in Deutschland ein Patient ein Arzneimittel benötigt, dann bekommt er es auch“, kommentierte Menghé. Wer hierzulande als Apotheker tätig ist, würde dem widersprechen: Lieferengpässe waren und sind ein Problem für Patienten, ob beim Medizinalcannabis, Zytostatika, Antibiotika oder OTC-Fiebersäften.


Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Lizenzen

von Sebastian Zisch am 28.07.2022 um 12:59 Uhr

Das kann hier nicht passieren, da man ja wahrscheinlich eine Lizenz zum Anbau und Verkauf braucht. Und da die Lizenzen in Deutschland bestimmt fair vergeben werden, ist nicht gesagt, dass ein Pharmaunternehmen automatisch Freizeit-Cannabis produzieren darf. *Ironie aus*

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Lieferengpässe

von Felix Maertin am 24.07.2022 um 7:42 Uhr

Der letzte Absatz ist Balsam für die geschundene Apotheken-Seele. Der Satz von Menghè könnte direkt aus dem BfArM kommen: „Wer einen Fiebersaft braucht, bekomm ihn auch!“ -> Äh, nein!?

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