NDR-Fernsehbeitrag, IGES-Studie und Forderungen des Virchowbundes

Finanzinvestoren kaufen immer mehr Arztpraxen

Süsel - 12.04.2022, 10:45 Uhr

Eingangs- und Wartebereich einer modernen Arztpraxis (Foto: photowahn / AdobeStock)

Eingangs- und Wartebereich einer modernen Arztpraxis (Foto: photowahn / AdobeStock)


Arztpraxen können internationalen Finanzinvestoren gehören, ohne dass dies am Praxisschild zu erkennen ist. Dies wird immer häufiger, und auch das öffentliche Interesse an Praxen in Investorenhand nimmt zu – so am vorigen Donnerstag in einem Fernsehbeitrag des NDR-Magazins „Panorama 3“. Durch den Einfluss von Investoren fürchtet der Virchowbund steigende Behandlungskosten und fordert darum mehr Transparenz. Zusätzliche Argumentationshilfe bietet eine neue Studie des IGES-Instituts.

Ein Fünftel der Augenärzte in Investorenpraxen

Im Fernsehbeitrag von „Panorama 3“ am vorigen Donnerstag standen die Augenärzte im Mittelpunkt. Nach Recherchen des NDR hätten internationale Finanzinvestoren bereits Hunderte Augenarztpraxen gekauft. Daraufhin seien mancherorts „monopolartige Strukturen“ entstanden, folgern die NDR-Journalisten. In Kiel würden mehr als die Hälfte der ambulant tätigen Augenärzte für investorengeführte Unternehmen arbeiten.

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Als Beispiel für einen Betreiber von Augenarztpraxen nennt der NDR die erst 2018 gegründete Private-Equity-Gesellschaft Sanoptis, die bereits die größte Augenarztkette in Deutschland mit mehr als 150 Standorten geworden sei. 

Anfragen zu Praxen, Operationen und Umsatz beantworte das Unternehmen jedoch „grundsätzlich nicht“. Als weitere Augenarztketten nennt der NDR „Artemis“ und die „Ober Scharrer Gruppe“, die jeweils bereits von einem Finanzinvestor an ein anderes Private-Equity-Unternehmen verkauft worden seien. 

Gemäß den Recherchen des NDR arbeitet geschätzt etwa ein Fünftel aller in Deutschland ambulant tätigen Augenärzte in Praxen von Finanzinvestoren. Dazu zitiert der NDR einen Londoner Finanzanalysten, der das Gesundheitswesen aufgrund der alternden Bevölkerung als sehr attraktiv für Investoren einschätzt. Renditeerwartungen von 20 Prozent seien bei Finanzinvestoren durchaus üblich.

Freie Arztwahl oder lokale Konzentration?

Die NDR-Journalisten werfen die Frage auf, woher dieses Geld – zusätzlich zu den Arztgehältern – kommt. Sie präsentieren Fälle, in denen es um offensiv angebotene Zusatzleistungen und möglicherweise sogar überflüssige Augenoperationen geht. Doch Dr. Kaweh Schayan-Araghi, ärztlicher Direktor der Artemis-Gruppe, weist solche Vorwürfe zurück. 

Denn der Wert eines Unternehmens hänge vom guten Ruf ab. Außerdem hätten die Patienten die freie Arztwahl. Diese freie Wahl sehen die NDR-Journalisten allerdings gefährdet, weil mancherorts die Mehrheit der ambulanten Augenärzte für nur ein Unternehmen arbeite. 

Davor habe der Bundesrat bereits 2018 gewarnt, aber die damalige Bundesregierung habe darauf nicht reagiert. Auch das Bundeskartellamt habe die Entwicklung bei den Augenärzten nicht kontrolliert, weil die relevanten Umsatzschwellen bei den Übernahmen nicht überschritten worden seien. Doch die NDR-Recherchen zeigen, dass hier der regionale Anteil relevant ist.

Krankenhäuser als Schlupfloch im Gesetz

Im Fernsehbeitrag wird auch beschrieben, wie die Übernahme von Arztpraxen durch Finanzinvestoren überhaupt möglich ist, obwohl sie nicht zum Kreis der zulässigen Betreiber von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gemäß § 95 Abs. 1a SGB V gehören. Doch zugelassene Krankenhäuser dürfen ein MVZ betreiben, und Finanzinvestoren dürfen Krankenhäuser kaufen. Im NDR-Beitrag wird als Beispiel eine kleine Schlafklinik angeführt, die zahlreiche augenärztliche Praxen betreibe.

Virchowbund fordert Transparenz und Gemeinnützigkeit

Als Reaktion auf den NDR-Beitrag hat sich der Virchowbund, der Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, in einer Pressemitteilung geäußert. Die „Renditejagd“ im Gesundheitswesen verschärfe sich. Arztpraxen würden zum begehrten Spekulationsobjekt, heißt es vom Virchowbund. 

Neben Zahnarztpraxen gehe es auch um Augenärzte, Radiologen, Nephrologen, Gynäkologen, Internisten und Hausärzte. Der Virchowbund fordere daher erneut Gesetzesänderungen. Denn es gebe „deutliche Hinweise“, dass MVZ in Investorenhand zu höheren Behandlungskosten führen würden. Dabei diene insbesondere die Abrechnung zur Gewinnmaximierung. 

Der Virchowbund verweist dazu auf eine Studie des IGES-Instituts von 2020, gemäß der investorengeführte Praxisketten „vermehrt betriebswirtschaftlich attraktivere Leistungen erbringen, während sie weniger attraktive Leistungen vernachlässigen“. Dr. Dirk Heinrich, der Vorsitzende des Virchowbundes, erklärt dazu, Investoren würden Gewinne erwarten, und führt weiter aus: „Dieses Geld muss im Gesundheitswesen erst verdient werden – auch auf dem Rücken der Versicherten.“ 

Um Patienten und inhabergeführte Arztpraxen besser zu schützen, fordert der Virchowbund ein Transparenzregister für MVZ. Jeder Patient müsse erkennen können, wer der „wirtschaftlich Berechtigte“ sei. Außerdem sollten MVZ-Neugründungen nur noch als gemeinnützige GmbH (gGmbH) zulässig sein, fordert der Virchowbund. Denn dann dürften keine hohen Renditen mehr an Anleger ausgezahlt werden.

Neues IGES-Gutachten für die KV Bayern

Weiteres Material für die Diskussion bietet ein Gutachten des IGES-Instituts vom Dezember 2021 im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) über „Versorgungsanalysen zu MVZ im Bereich der KV Bayerns“. 

Darin geht es um die Frage, ob systematische Unterschiede im Leistungs- und Versorgungsgeschehen zwischen MVZ und anderen Praxisformen zu finden sind, die eine stärker ökonomisch getriebene Vorgehensweise der MVZ nahelegen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf MVZ gerichtet, die im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften stehen (PEG-MVZ). 

Gemäß der Studie haben MVZ in Bayern bei mehreren Facharztgruppen, beispielsweise bei fachärztlichen Internisten und Orthopäden, bereits eine erhebliche Versorgungsrelevanz. In der Studie wird untersucht, ob bei vergleichbaren soziodemografischen Merkmalen der Patienten und vergleichbarer Morbidität in MVZ höhere Honorarvolumina als in anderen Praxisformen abgerechnet wurden. 

Für verschiedene Fachrichtungen ergibt sich dabei ein uneinheitliches Bild. Im Mittel würden die MVZ morbiditätsbereinigt 5,7 Prozent mehr Honorar pro Fall als Einzelpraxen abrechnen, wobei der Anstieg auf Gynäkologen, Augenärzte und Internisten zurückzuführen sei. Bei den PEG-MVZ läge das Honorar pro Fall sogar um 10,4 Prozent über dem Vergleichswert für Einzelpraxen. Auch die Gesamtbehandlungskosten pro Patient seien höher, wenn der Hausarzt in einem MVZ tätig sei. 

Diese Betrachtung zielt auf das Überweisungsverhalten. Insgesamt kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass eine Versorgung im MVZ „höhere Honorarumsätze nach sich zieht, was die These einer stärkeren Ausrichtung an ökonomischen Motiven stützt“.

Investoren auch bei Zahnärzten und Tierärzten

In dieser Debatte hatten bisher die Zahnärzte im Mittelpunkt gestanden. Wegen der investorengeführten MVZ warnt die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung schon länger vor einem „zerstörerischen Systemumbau“ mit Versorgungsengpässen in strukturschwachen Gebieten. Außerdem dehnen sich Tierarztketten aus, zumal dort kaum regulatorische Hürden bestehen. 

Bei Tierkliniken und Tierarztpraxen treten die Kettenbetreiber offen nach außen auf. Aus der Entwicklung bei den Ärzten ergibt sich die für Apotheken beachtenswerte Erkenntnis, dass offenbar die kleinste Lücke im Fremdbesitzverbot ausreicht, um dieses Prinzip auszuhöhlen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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