Pläne für neues Spargesetz

Pharmaverbände: Inakzeptabel, fatal und verheerend

Berlin - 16.03.2022, 14:45 Uhr

Die Bundesregierung will die GKV entlasten – gespart werden soll bei Arzneimitteln. (Foto: bodiaphoto / AdobeStock)

Die Bundesregierung will die GKV entlasten – gespart werden soll bei Arzneimitteln. (Foto: bodiaphoto / AdobeStock)


Der jetzt bekannt gewordene Entwurf eines GKV-Finanzierungsgesetzes mit seinen Sparmaßnahmen im Arzneimittelbereich sorgt nicht nur für Unruhe in Apotheken. Noch viel mehr Geld will Gesundheitsminister Karl Lauterbach nämlich bei den Pharmafirmen einsparen: Längeres Preismoratorium, höherer Herstellerrabatt sind für die Industrie schon traditionelle Reizworte – hinzukommen sollen nun noch einschneidende Änderungen im AMNOG-Verfahren. Die Pharmaverbände sehen unisono den Standort Deutschland gefährdet.

Der jüngste Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) schreckt auf und weckt Erinnerungen an alte Zeiten. In den vergangenen Jahren waren Spargesetze kein Thema. Das letzte wirklich einschneidende Gesetz war das 2011 in Kraft getretene Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) – als die FDP den Posten des Bundesgesundheitsministers innehatte. Es sorgte nicht nur erstmals für Eingriffe im Bereich der patentgeschützten Arzneimittel (Frühe Nutzenbewertung und Erstattungsbetrag) – es wartete fürs schnell Sparen auch mit einem höheren Kassenabschlag für die Apotheken und höheren Herstellerrabatten für die Industrie auf.

Elf Jahre später bringt Karl Lauterbach (SPD) diese Sparmaßnahmen erneut auf den Tisch – und reichert sie im Pharmabereich noch an. Einen wesentlich Batzen der Einsparungen will der Minister zwar den Steuerzahler:innen zuschieben: 2023 soll der Bundeszuschuss um 5 Milliarden auf dann 19,5 Milliarden Euro erhöht werden. Vermutlich ist vor allem das im Kanzleramt schwer zu verdauen. Denn dort sind Lauterbachs Vorschläge offenbar erst einmal aufgelaufen. Auch die Ideen für den Arzneimittelbereich sind in der Koalition noch nicht konsentiert. Doch sie sind in der Welt und damit Grundlage für die weitere Arbeit am Gesetzentwurf.

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BMG will Kassenabschlag von 1,77 auf 2 Euro erhöhen

Die Apotheken trifft vor allem und unmittelbar die im Referentenentwurf vorgesehene, auf zwei Jahre befristete Anhebung des Kassenabschlags von derzeit 1,77 Euro auf 2,00 Euro. 170 Millionen Euro Einsparungen verspricht sich Lauterbach hiervon. Bei der Industrie sollen dagegen ganz andere Summen gehoben werden. So soll der gesetzliche Herstellerabschlag bis Ende 2026 erhöht werden. Dabei ist eine Staffelung vorgesehen, die mit den Jahren abnimmt. Auch auf ausgehandelte Erstattungsbeträge soll es Abschläge geben. Der Gesetzentwurf geht durch die höheren allgemeinen Herstellerrabatte von Einsparungen in Höhe von mindestens 1,8 Milliarden im Jahr 2023 aus, 2024 sollen es mindestens 1,35 Milliarden Euro sein, im Jahr 2025 mindestens 900 Millionen Euro und im Jahr 2026 noch mindestens 450 Millionen Euro.

Weiterhin will Lauterbach Ernst machen mit einer von den Kassen seit Jahren geforderten Änderung zur Geltung des Erstattungsbetrags. Er soll nicht mehr erst ein Jahr nach Markteinführung greifen, sondern bereits ab dem siebten Monat. Dadurch sollen im ambulanten Bereich Einsparungen von rund 150 Millionen Euro im Jahr erzielt werden. Auch verpflichtende Preis-Mengen-Vereinbarungen will der Minister in den Erstattungsbetragsvereinbarungen etablieren – hierdurch entstehende Einsparungen kann sein Haus allerdings nicht quantifizieren. Es rechnet aber damit, dass die Berücksichtigung von unwirtschaftlichen Packungsgrößen in den Erstattungsbetragsverhandlungen mittelfristig zu Einsparungen von rund 50 Millionen Euro im Jahr führen wird.

Kombinationsabschlag und Beschneidung des Orphan Drug-Status

Sodann hat sich Lauterbachs Haus noch etwas ganz Neues ausgedacht: einen „Kombinationsabschlag“ von15 Prozent auf den Erstattungsbetrag. Was steckt dahinter? In der Begründung des Referentenentwurfs wird erklärt: Während fixe Kombinationen (mehrere Wirkstoffe in einer Arzneimittelpackung) bereits zusammen der Frühen Nutzenbewertung unterfallen und für sie nur ein Erstattungsbetrag vereinbart wird, summieren sich die Erstattungsbeträge einzelner Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen in freien Kombinationen auf. Und zwar „ohne dass hinreichende Evidenz zum Nutzen dieser Arzneimittelkombination und des Anteils eines Kombinationspartners am Therapierfolg regelhaft vorhanden wäre“. Um die finanzielle Stabilität der GKV zu gewährleisten, sei es erforderlich, dass die Solidargemeinschaft beim Einsatz von freien Kombinationstherapien mit geringeren Gesamtkosten belastet werde, als der Summe der Erstattungsbeträge bei einer Anwendung in der Monotherapie. Damit das Ganze funktionieren kann, ist zuvor der Gemeinsame Bundesausschuss gefordert: Im Beschluss über die Nutzenbewertung soll er alle Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen benennen, die in einer Kombinationstherapie mit dem bewerteten Arzneimittel eingesetzt werden können. Abhängig vom Ergebnis der Erstattungsbetragsverhandlungen verspricht sich das BMG hierdurch mittelfristig Einsparungen von rund 150 bis 200 Millionen Euro.

Auch bei den Orphan Drugs setzt der Gesetzentwurf an: Derzeit muss der medizinische Zusatznutzen für diese Arzneimittel erst belegt werden, wenn sie eine Umsatzschwelle von 50 Millionen Euro im Jahr überschreiten. Geht es nach Lauterbach, soll die Schwelle künftig schon bei 20 Millionen Euro liegen. Dies soll mittelfristig 100 bis 200 Millionen Euro im Jahr sparen.

Nicht zuletzt soll das seit 2009 bestehende Preismoratorium um weitere vier Jahre bis Ende 2026 verlängert werden. Dies soll über die Vermeidung von erwarteten Preissteigerungen wesentlich zur Stabilisierung der Ausgaben für Arzneimittel beitragen – von mindestens 1,8 Milliarden Euro pro Jahr ist die Rede.

BAH, BPI, vfa und Pro Generika in Alarmstimmung 

Die Pharmaverbände sind angesichts dieser Pläne alarmiert. So sieht Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) die Arzneimittelversorgung sowie den Pharmastandort Deutschland massiv gefährdet. Der höhere Herstellerabschlag sei „eine Katastrophe“. Cranz: „Die Hersteller leisten bereits heute durch Rabattverträge, Abschläge und Festbeträge erhebliche Sparbeiträge zugunsten der gesetzlichen Krankenkassen“. Zudem würden sie durch gestiegene Produktionskosten, etwa infolge von höheren Energie-, Logistik- und Wirkstoffkosten, enorm belastet. Dass das BMG nun fast eine Verdreifachung des Herstellerabschlags vorsehe, sei „völlig inakzeptabel“. „Viele mittelständische Unternehmen werden dies nicht verkraften können“, prognostiziert Cranz. Das längere Preismoratorium verschärfe ihre ohnehin angespannte Situation noch weiter. Was die geplanten Änderungen bei AMNOG-geregelten Arzneimitteln betrifft, ist Cranz überzeugt, dass sie die Attraktivität Deutschlands als Markt für innovative Arzneimittel mindern. 

BPI: Kritische Infrastruktur nicht kaputt machen

Beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) verweist man ebenfalls auf das kritische Zusammenspiel der jetzt schon bestehenden Regulationen. Zudem kämen die Sparpläne „zur absoluten Unzeit“. BPI-Vorsitzender Hans Georg Feldmeier erklärt: „Gerade in der aktuellen Situation, in der wir es mit massiven Lieferschwierigkeiten zu tun haben, dringend auf die Entwicklung von neuen Medikamenten angewiesen sind und zusätzlich noch die Versorgungsschwierigkeiten durch den Ukrainekrieg haben, ist jede weitere Belastung nicht zu verantworten!“. Auch er verweist auf die explodierenden Energie- und Transportkosten: „Wir sind die einzige Branche, die Kostensteigerungen nicht weitergeben kann und das ist eine unhaltbare Situation.“ Die geplante Geltung des AMNOG-Erstattungspreises ab dem 7. Monat und die „Aufweichung des Orphan Drug Status“ seien ebenfalls „fatale Signale“. Die Corona-Krise belege, wie wichtig dafür ein innovationsoffenes System sei. Von Bedeutung seien jetzt vor allem sichere Lieferketten – und die gebe es nur mit verlässlichen Rahmenbedingungen und auskömmlichen Preise für alle Arzneimitteltherapien. Kritische Infrastruktur dürfe nicht kaputt gemacht werden, heißt es vom BPI.

vfa: Imagegewinne verspielt

Auf völliges Unverständnis treffen die Pläne auch beim Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa). „Das ist ein verheerendes Signal in die internationale Investorenszene! Wem politisch zu einer dynamischen Innovationsbranche wie unserer nichts anderes einfällt als Pauschalstrafen aus der Verwaltungsmottenkiste zu verhängen, steht für vieles. Aber nicht für Aufbruch!“, erklärte vfa-Präsident Han Steutel. Er verweist auf den Schub, den der Pharmastandort Deutschland zuletzt durch die mRNA-Technologie bekommen hat – er habe sich hier „im beinharten globalen Wettbewerb mit an die Spitze setzen können“. Die geplante Erhöhung des Zwangsrabattes für moderne Medikamente, so ist Steutel überzeugt, beende diesen Imagegewinn innerhalb der internationalen Investorenszene. „Der deutschen Politik muss klar sein, dass Länder wie die USA, Frankreich oder China gerade massiv auf die Pharmaindustrie als Leitbranche setzen, die dort wachsen soll“.

Pro Generika: MWSt-Senkung mit Kollateralschäden

Pro Generika und die AG Pro Biosimilars mahnen ebenfalls. Pro Generika-Vorstandschef Peter Stenico erklärt, dass die seit auf dem Niveau von 2009 festgefroren Arzneimittelpreise einer der Gründe seien, warum es immer wieder zu Engpässen komme. Er warnt zudem vor einem unbeabsichtigten Kollateralschaden, den die Absenkung der Mehrwertsteuer mit sich bringen könnte. Denn einige Rabattverträge seien so gestaltet, dass Generikaunternehmen Rabattzahlungen an die Krankenkassen steuerlich geltend machen können. Sinke nun die Umsatzsteuer von 19 auf 7 Prozent, drohten den Unternehmen massive Mindereinnahmen durch eine entsprechend verringerte Steuererstattung. „Dies wird dazu führen, dass Rabattverträge für die Unternehmen unwirtschaftlich werden können“, so Stenico. Mit Blick auf die erhöhten Rabatte, die auch Biosimilars treffen, sieht er zudem die Falschen getroffen: „Biosimilars sorgen bereits jetzt dafür, dass mehr Patient:innen gut versorgt werden können, dabei aber die Kosten der Krankenkassen nicht steigen, sondern sinken. “



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Wie war das mit der Unabhängigkeit vom asiatischen Markt?

von Martin Buchecker am 17.03.2022 um 14:40 Uhr

War nicht die Lehre aus dem Nitrosamin/Sartan-Skandal und den, für die Versorgung immer schwerer wiegenden, zunehmenden Lieferengpässen, dass man unabhängiger von der indischen und chinesischen Wirkstoffproduktion werden wollte?

Und die Produktion in Europa und Deutschland stärken wollte, und dafür auch Geld in die Hand nehmen wollte?

Das Gegenteil wird mit den geplanten Kürzungen erreicht. Es rentiert sich dann für niemanden mehr in Deutschland zu produzieren. Unter den geplanten Einsparung lässt es sich nur noch in Indien / in der Dritten Welt rentabel produzieren, dort wo es keine wirtschaftl. Einschränkungen wie Steuern, Umweltschutz, Arbeitsschutz, angemessene Entlohnung der Beschäftigten und Qualitätsanforderungen gibt. Dann kommen noch mehr Medikamente aus indischen Reifen- und Chemiebuden inkl. Verunreinigungen.

Das muss dann ehrlicherweise aber auch vom Gesundheitsminister so kommuniziert werden, das man aus Kostengründen auf Qualität, Versorgungssicherheit, ethischen- und umweltgerechten Standards in der Fertigung bei der Medikamentenversorgung für Kassenpatienten in Zukunft verzichten will bzw. nicht mehr dafür bezahlen will.


Und dazu kommt noch, das neue innovative Medikamente dann für Jahre nicht auf dem deutschen Markt erscheinen werden, sondern nur noch dort wo man mit diesen Geld verdienen kann. Das geht dann in die Richtung, das wir neue Medikamente frühestens mit Patentablauf in Deutschland sehen werden (wenn sich dann dafür eine Bruchbude in der 3. Welt finden lässt, die das für den deutschen Markt dann produziert)


Wollen wir das wirklich?

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