FUTUREPHARM-Eröffnung (Bildergalerie)

Klimaberatung in der Apotheke?

Stuttgart - 11.03.2022, 13:45 Uhr


Ob Pandemie, Krieg oder Klimawandel – die drei großen Krisen unserer Zeit haben gemeinsam, dass sich schnell ein Gefühl der Überforderung einstellt. Weil es an so vielen Stellen etwas zu tun gibt, weiß man nicht wo anfangen – und vor allem wie. PTA und Apothekerin Esther Luhmann von den „Pharmacists for Future“ hat am heutigen Eröffnungstag der INTERPHARM online die zahlreichen Stellschrauben für einen nachhaltigeren Apothekenalltag vorgestellt. 

Die INTERPHARM online 2022 wurde heute mit der FUTUREPHARM online eröffnet. Dabei schauten Moderator Peter Ditzel und die erste Vortragende, Apothekerin Esther Luhmann, Vorstandsreferentin für den Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP), – trotz der gegenwärtigen Krisen – ganz bewusst in die Zukunft. Denn die kann man noch mitbestimmen, und das mache Hoffnung, brachte Ditzel das Konzept des ersten INTERPHARM-Tages auf den Punkt: Die FUTUREPHARM soll Mut machen für die Herausforderungen der Zukunft.

Dabei ging es bis zum Mittag also zunächst um einen nachhaltigen Apothekenalltag, um Cyberrisiken in der Apotheke, Plattformen im Apothekenmarkt und das E-Rezept. Das E-Rezept sei für viele eine „never ending story“, sagte Ditzel, aber es komme! Am Nachmittag geht es heute noch weiter mit honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen, dem Mitarbeitermangel in Apotheken und es wird darum gehen, wie wir uns den Apothekerberuf in Zukunft vorstellen. Abgeschlossen wird der erste FUTUREPHARM-Tag heute Abend mit einer Diskussionsrunde: „Welche Apotheke braucht die Gesellschaft der Zukunft?“

Apotheken als Multiplikatoren von Nachhaltigkeit

Neben Krieg und Pandemie, gerät die schon deutlich länger schwelende Krise des Klimawandels leider leicht aus dem Fokus – und das, obwohl all diese Krisen sich auch gegenseitig beeinflussen können. Man denke nur an die aktuellen Diskussionen über Gasimporte, aber auch die Frage, nach neuen Krankheiten, die sich durch den Klimawandel ausbreiten oder erst entstehen. Luhmann gab zu bedenken, dass es auch um „Klimagerechtigkeit“ geht. Es lohnt sich also auch für andere Bereiche, sich mit dem Klimawandel ganz bewusst auseinanderzusetzen – das ist der erste Schritt. Auch in der Apotheke sollten wir das Thema Nachhaltigkeit auf dem Schirm haben.

Dabei war es Luhmann wichtig, dass sich alle Apotheken – ob klein oder groß – von ihren Ausführungen angesprochen fühlen, jeder kann etwas tun. Wir sollten uns unserer Multiplikatoren-Wirkung bewusst sein, und beispielsweise im Kundengespräch für Umweltthemen sensibilisieren, meint Luhmann. Dabei sei ein sogenanntes Greenwashing natürlich zu vermeiden.

Was man konkret und schnell tun kann

Wie Luhmann erläuterte, liegt der Treibhausgas-Ausstoß einer Apotheke in Deutschland im Durchschnitt bei ungefähr 27 Tonnen CO₂-Äquivalenten pro Jahr. Dabei entfällt ein Großteil des Stromverbrauchs auf die Beleuchtung. Während man also bei Fragen wie Energiedämmung sich den Rat von Energieprofis holen sollte, könne man bei der Beleuchtung schnell selbst aktiv werden – etwa durch den Bezug von Ökostrom. Eine Umstellung auf LED-Lampen und der Einsatz von Bewegungsmeldern statt einer Dauerbeleuchtung seien zudem größere Projekte. Dennoch sind sie konkret und zeitnah umsetzbar. Bei sehr alten Geräten könnte man auch über einen Austausch nachdenken, so Luhmann. Im Grunde könne man in der Apotheke tun, was man zu Hause vielleicht schon teils macht. 

Es sei beispielsweise gut, dass in Deutschland der Müll hauptsächlich verbrannt werde – das sei besser als ihn auf Deponien zu lagern. Dabei sei es aber wichtig, diesen Restmüll so gering wie möglich zu halten. Am besten ist natürlich der Müll, der gar nicht erst entsteht. Konkret zur Arzneimittelentsorgung verwies Luhmann auf die Webseite arzneimittelentsorgung.de. Außerdem machte sie auf die sogenannten „RRR-Regeln“ aufmerksam: „reduce, reuse, replace“, oder auch „recycle“ und „repair“. Dabei sei beispielsweise an eine papierlose Dokumentation zu denken – oder zumindest an Recyclingpapier. Seit dem Plastiktütenverbot sei es auch bei den Papiertüten wichtig, diese mehrfach zu verwenden.

Beim Thema Wasser könne man zum Beispiel in der Beratung zu Hygieneprodukten an einen wassersparenden Umgang erinnern und auf Themen wie Mikroplastik in Kosmetika aufmerksam machen. Hierbei könnten Apps helfen.

Was kann man apothekenspezifisch für mehr Nachhaltigkeit tun?

Beim Wasserfußabdruck sei nicht nur etwa an die Toilettenspülung zu denken, sondern auch an sogenanntes „virtuelles Wasser“, das durch die Herstellung in unseren Produkten steckt. Apotheken können sich zum Beispiel darüber Gedanken machen, wie oft und womit sie reinigen. In der Rezeptur sei es etwa besser, die Materialien mit wenig (!) Zellstoff abzuwischen, bevor man Wirk- und Hilffsstoffreste ins Abwasser spült. Auch bei der Anwendung von Diclofenac-Gel sollen Apotheken ja empfehlen, die Hände zunächst mit einem Tuch abzuwischen, ehe man sie wäscht. Darüber informierte kürzlich die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker.

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Beim Thema Verkehr sei nicht nur daran zu denken, wie die Mitarbeiter:innen zur Arbeit kommen. Großhandelstouren könnten beispielsweise reduziert werden und die Routen von Botendiensten könne man durch eine gute Planung optimieren. Die Fahrzeugwahl sei dabei natürlich auch entscheidend.

Arzneimittel, Dosieraerosole und Narkosegase für 60 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich

Und dann gibt es natürlich noch den Bereich, der über das hinaus geht, was jeder im Alltag tun kann. So kann man beispielsweise bei der Produktauswahl und Beratung zu Sonnenschutz darauf achten, dass keine Stoffe enthalten sind, die dem Meer und seinen Bewohnern schaden. Dabei sind natürlich auch die Hersteller solcher Produkte, aber auch die von Arzneimitteln gefragt. So gibt es zum Beispiel das Konzept „benign by design“, dessen Ziel es ist, biologisch abbaubare Arzneimittel zu entwickeln.

Immerhin sind, wie Daten aus Großbritannien zeigen, in der Primärversorgung, Arzneimittel, Dosieraerosole und Narkosegase für 60 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Luhmann erläuterte, dass circa die Hälfte aller Wirkstoffe als umweltrelevant gelten. Neben dem zuletzt medial thematisierten Diclofenac, zählen dazu bekanntermaßen Antibiotika, aber auch Blutdrucksenker und Epilepsie-Medikamente. Zudem ist an das breit eingesetzte Diabetes-Arzneimittel Metformin zu denken, das wegen seiner geringen Bioverfügbarkeit zu großen Teilen ins Wasser gelange und zur Verweiblichung von Fischen führe

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Doch „Klimaberatung“ in der Apotheke bedeutet mehr als die Sensibilisierung für Umweltthemen im Patient:innen-Gespräch. Wie Luhmann deutlich machte, stecken wir schon „mitten in der Krise“ mit all ihren gesundheitlichen Auswirkungen. Dabei ist nicht nur an Allergien und respiratorische Erkrankungen zu denken, auch beispielsweise kardiovaskuläre und psychische Erkrankungen sind mit der Klimakrise verknüpft, und auch Unterernährung kann zum Thema werden.

Bei den respiratorischen Erkrankungen ist nicht nur daran zu denken, dass sie durch Luftverschmutzung verstärkt werden, sondern eben auch an den ökologischen Fußabdruck von Dosieraerosolen. Beim Thema Ernährung machte Luhmann auf die „Planetary Health Diet“ aufmerksam, die zu 50 Prozent aus Obst um Gemüse besteht. Diese würde sich offensichtlich nicht nur positiv auf das Klima, sondern generell auf die Gesundheit der Menschen auswirken.

Die Heidelberger Hitze-Tabelle

Dass Hitze uns und den Patient:innen in der Apotheke körperlich zu schaffen machen kann, ist kein Geheimnis und regelmäßig ein Thema während Hitzewellen im Sommer. Dann geht es aber nicht nur darum, ausreichend zu trinken und sich vor der Sonne zu schützen. Auch Arzneimittel können von der Hitze in ihrer Wirkung beeinträchtigt werden. Wer Medikationsmanagement in der Apotheke anbietet, kann laut Luhman auf die sogenannte Heidelberger Hitze-Tabelle zurückgreifen.

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Daraus kann man entnehmen, dass zum Beispiel Histamin-H1-Antagonisten der ersten Generation Mundtrockenheit verstärken und Schweißproduktion hemmen. Aber auch bei Insulin ist beispielsweise an ein rascheres Anfluten zu denken.

In Luhmanns Vortrag wurde also deutlich: Die Klimakrise begegnet uns auch in der Apotheke auf vielen Ebenen. Dem Gefühl der Überforderung kann man dabei entgegenwirken, indem man anfängt, an einzelnen Stellschrauben zu drehen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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