Ergebnis der DAZ-Umfrage

Gehaltstarif versus Realität: Wie groß ist die Diskrepanz?

Stuttgart - 01.02.2022, 07:00 Uhr

Wie viel verdienen Apothekenmitarbeiter wirklich? Das wollten wir mit unserer Umfrage herausfinden. (Foto: IMAGO / Eibner)

Wie viel verdienen Apothekenmitarbeiter wirklich? Das wollten wir mit unserer Umfrage herausfinden. (Foto: IMAGO / Eibner)


Wie realistisch bildet der Gehaltstarifvertrag das Gehaltsgefüge in deutschen Apotheken ab? Das Ergebnis unserer nicht repräsentativen Umfrage zeigt: Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus. Demnach erhalten nicht einmal 20 Prozent der teilnehmenden Apothekenangestellten „nur“ Tariflohn. Die große Mehrheit hat ein Gehalt, das darüber liegt. Für weniger arbeitet tatsächlich nur ein sehr geringer Anteil der Angestellten. Und es gibt ein deutliches Ost-West-Gefälle.

Bereits vor einer Weile hat die ehemalige Vorsitzende der TGL Nordrhein, Heidrun Hoch, sich dafür ausgesprochen, den Gehaltstarifvertrag der Realität anzupassen. Schließlich zahlten mittlerweile ohnehin die meisten Apotheken über Tarif. Sie schlägt daher vor, die tarifliche Tabelle an die tatsächlich gezahlten Löhne schrittweise anzunähern. Hoch hofft auf eine gewisse Außenwirkung. Schließlich wisse außerhalb der Branche keiner, dass in der Regel mehr bezahlt wird. Sie verspricht sich also davon, dass man sich ein bisschen „ehrlicher“ macht, dass sich Absolvent:innen und auch Schüler:innen bei der Berufswahl nicht von vermeintlich niedrigen Gehältern in der Apotheke abschrecken lassen. Doch stimmt das? Gibt der Rahmentarifvertrag so ein unrealistisches Bild über die Gehälter der Angestellten in den öffentlichen Apotheken? Apothekerin Helma Gröschel, die noch bis Mitte des vergangenen Jahres Vorsitzende des Verbands „Freie Apothekerschaft“ war, bejaht dies. Es gehe schon heute in vielen Apotheken ohne eine übertarifliche Bezahlung wohl nicht mehr, erklärt sie.

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Unsere nicht repräsentative Umfrage, an der sich über 2.000 Apothekenmitarbeiter:innen beteiligt haben, bestätigt diese Einschätzung ebenfalls. Lediglich 17,2 Prozent der Teilnehmenden arbeiten für Tariflohn, 3,4 Prozent erhalten ein Gehalt, das noch darunter liegt. Folglich verdienen knapp 80 Prozent der Angestellten über Tarif.

Die Mehrheit der Gehälter liegt im Bereich zwischen 10 und 19 Prozent über dem aktuellen Tarif, 40,62 Prozent der Teilnehmenden verdienen in diesem Bereich. 20,9 Prozent bekommen 20 bis 29 Prozent über Tarif. Zusätzliche regelmäßige Benefits wie Autonutzung, Zuschuss zum Kitaplatz, Tankgutscheine etc. lediglich 37,51 Prozent.

Ost-West-Gefälle

Allerdings ist im Osten Deutschlands der Anteil derer, die „nur Tariflohn“ erhalten, deutlich höher als in den übrigen Bundesländern.

 BrandenburgMecklenburg-VorpommernSachsenSachsen-AnhaltThüringen
Mitarbeiter mit Tariflohn45,71 %32,26 %42,68 %50 %

55,56 %

             

 

 

Die wenigsten Mitarbeiterinnen mit Tariflohn gibt es unserer Umfrage zufolge in Baden-Württemberg (5,88 Prozent), Bayern (9,35 Prozent) und Nordrhein (10,2 Prozent). Allerdings liegen in diesen Bundesländern auch Regionen mit besonders hohen Lebenshaltungskosten. Den höchsten Anteil unter den ehemaligen West-Bundesländern hat Niedersachsen mit 28,74 Prozent. In Berlin arbeiten demnach 23,08 Prozent für den tariflich vereinbarten Lohn.

Höhere Gehälter vor allem in größeren Apotheken

Darüber hinaus scheinen die hohen Gehälter (40 Prozent und mehr über Tarif) eher in größeren Apotheken bezahlt zu werden, was mit den jeweiligen Organisationsstrukturen zusammenhängen könnte, zum Beispiel, dass es Bereichsleitungen gibt.

Auf Bundesebene lässt sich kein Zusammenhang zwischen dem Standort und dem Gehalt zeigen, was an den großen Unterschieden zwischen den Regionen liegen dürfte. Greift man einzelne Bezirke raus, sieht das etwas anders aus. So lässt sich tendenziell ein Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl und Gehalt feststellen. Allerdings sind die jeweiligen Teilnehmerzahlen auf dieser Ebene nur noch klein und daher kaum für allgemeingültige Rückschlüsse geeignet.

Über Tarif, aber im Vergleich dann doch wenig

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Gehälter in der Realität in vielen Regionen besser sind als der Tarif. Das mag für die Außenwirkung schlecht sein. Allerdings wandern auch einige, die bereits im Beruf stehen und die reale Situation kennen, aus der Apotheke ab. Denn zumindest im Vergleich mit der Industrie kann auch eine bereinigte Gehaltstabelle nicht mithalten. Außerdem ist es in vielen Fällen nicht das Geld, das Kolleg:innen dazu veranlasst, der Apotheke den Rücken zu kehren, sondern – wie so oft – ist es ein multifaktorielles Geschehen.

*Korrektur: es war ursprünglich vom Rahmentarif die Rede, gemeint ist natürlich der Gehaltstarif. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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7 Kommentare

Gehaltstarif

von L. Oellers am 02.02.2022 um 17:38 Uhr

Ich bin seit Jahren von ganzen Herzen angestellte Apothekerin und überlege immer wieder die Branche zu wechseln, wegen der schlechten allgemeinen Verdienstmöglichkeiten. Samstage und Notdienste stören mich gar nicht. Andere Berufsgruppen schütteln ungläubig den Kopf, wenn sie unser Gehalt erfahren. Bitte unterschätzen Sie nicht den Faktor Geld, wenn es um Nachwuchs bei der Apothekerschaft geht. Geld ist immer der größte Faktor!

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Bitte noch nach Berufszugehörigkeit aufschlüsseln

von Michael Reinhold am 02.02.2022 um 16:18 Uhr

Interessant wäre es, wenn man die Tabelle noch nach Berufszugehörigkeit aufschlüsseln würde.

Ich habe so die Vermutung, dass bei den vergleichsweise preisgünstigen PTAs das übertarifliche Gehalt prozentual höher ist als bei den teuereren Apothekern.

Ich fände es als angestellter Apotheker für die nächste Gehaltsverhandlung sehr interessant, was der Markt denn speziell für Apotheker her gibt.

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Apotheker

von Frank Nemetschek am 01.02.2022 um 20:38 Uhr

Ich verstehe diese Argumentation nicht.
In den allermeisten Arbeitsverträgen steht drin, dass der Mitarbeiter xx % über Tarif bekommt.
Wie soll da eine Annäherung funktionieren?
Diese Tarifrunde ohne Ausgleich in der Vergütung der normalen Apothekenarbeit (die Pandemie mal außen vor gelassen, die ist hoffentlich auch mal irgendwann wieder vorbei) ist für viele Apotheken bedrohlich.
Sie müssen von heute auf morgen “einen Mitarbeiter mehr” bezahlen ohne dass wirklich mehr Arbeitsleistung da ist.

Wenn wir unsere Mitarbeiter fair bezahlen wollen (und das wollen wir!) müssen wir auch eine faire Vergütung der Arbeit von den Krankenkassen erhalten.

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Gehaltstarif

von Dr. Heidrun Hoch am 01.02.2022 um 19:10 Uhr

Liebe Frau Borsch,
mit Interesse habe ich Ihre Ausführungen zum Rahmentarif verfolgt. Sie meinten natürlich den Gehaltstarif, denn dieser regelt die Höhe des Gehalts. Im Rahnmentarifvertrag sind die rechtlichen Rahmenbedingungen des Arbeitsvertrags geregelt, also z. B. Arbeitszeiten, Kündigungsfristen, Urlaubsansprüche und, und, und. Um Mitarbeiter zu gewinnen und halten zu können, muss beides stimmen.
Laut einer Umfrage in Nordrhein zahlen die Apothekenleiter zu beinahe 97 % über Tarif. Es liegt nahe, hier Schritt für Schritt Anpassungen vorzunehmen und dabei, den übertariflichen Gehaltsanteil entsprechend herunterzufahren, um für Berufsinteressenten attraktiver zu sein. Die TGL hat ein tariffähiges Konzept, um übertarifliche Gehaltsanteile fair und leistungsgerecht "auszuloben". So entsteht für beide Seiten eine Win-win-Situation. Außerdem gibt es weitere Anreize, um einen Arbeitspaltz attraktiv zu gestalten, wozu ich mich schon häufig geäußert habe.
Den Staus quo zu erhalten, wird nicht möglich sein, wenn wir bei vorhandenem Fachkräftemangel wettbewerbsfähig bleiben wollen.
Dazu gehört aber auch, dass endlich innovative Honorarkonzepte für Apotheken entwickelt werden und diese Politik und Krankenkassen glaubwürdig und entschlossen vermittelt werden. Die Zeit drängt.

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Alles relativ...

von Thomas Eper am 01.02.2022 um 14:00 Uhr

Dass die Gehälter in München, Hamburg, etc. höher sind als in "Hintertupfingen" ist logisch und gilt für jede Branche.
Mit oder ohne Tarif.

Da aber nach der letzten Tarifrunde ca. 25% der Apothekeninhaber auf das 13. Monatsgehalt verzichten wollen (müssen), relativieren sich die Übertarif-Gehälter dieser Umfrage.

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AW: Alles relativ

von Holger am 07.02.2022 um 8:40 Uhr

Freche Behauptung ohne Substanz! Schon mal in den TvÖD geschaut? Da gibt es Ost/West nach wie vor. Aber Metropole/Dorf gab es noch nie und Nord/Süd auch nicht. Sie erzählen also Unfug, sorry! Und der Öffentliche Dienst ist jetzt nicht gerade ein vernachlässigbarer Arbeitgeber!!

Tarifvertrag

von Holger am 01.02.2022 um 8:36 Uhr

Mitarbeiter sollten gut verdienen (können) - klar.
Das Gehalt der Mitarbeiter muss durch unternehmerischen Erfolg erst einmal verdient werden - auch klar.
Und Forderungen nach Tarifsteigerungen sind DNA jeder Arbeitnehmervertretung - ebenfalls klar.

Das Argument, es werde doch eh deutlich über Tarif bezahlt, also könne/müsse man den Tarif an die Realität anpassen, halte ich allerdings für gefährlich. Denn ein individuelles Gehalt über Tarif ist erstens eine Anerkennung des Unternehmers für einen Mitarbeiter und zweitens ein Distinktionsmerkmal der Apotheken UNTEREINANDER und nicht so sehr der öffentlichen Apotheken von anderen Arbeitsfeldern für Apotheker. Dieses Distinktionsmerkmal ginge verloren, wenn der Tarif "automatisch der Realität nachläuft".

Lassen wir es bitte dabei, dass die Arbeitnehmervertretung die Minimalstandards verhandelt (und sorgen wir lieber dafür, dass die nicht auch oft unterschritten werden, wenn keine Tarifbindung besteht). Und überlassen wir übertarifliche Individualverhandlungen dem freien Spiel des Marktes.

Nur bestärken kann ich das Argument, dass das Gehalt nur EIN Faktor bei der Arbeitsplatzwahl ist. Und wenn die öffentlichen Apotheken sich in der Gewinnung von Fachkräften schwer tun liegt das sicher nicht NUR an ein einer eher mäßigen Verdienstaussicht. Da gibt es eine ganze Reihe anderer Faktoren, die andere Arbeitsbereiche attraktiver erscheinen lassen ...

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