Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen waren verfassungsgemäß

Bundesnotbremse besteht vor dem Bundesverfassungsgericht

Berlin - 30.11.2021, 12:30 Uhr

Karlsruhe hat entschieden: Die Bundesnotbremse ist mit dem Grundgesetz vereinbar. (Foto: IMAGO / U. J. Alexander)

Karlsruhe hat entschieden: Die Bundesnotbremse ist mit dem Grundgesetz vereinbar. (Foto: IMAGO / U. J. Alexander)


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die „Bundesnotbremse“, die im vergangenen April von der Großen Koalition ins Infektionsschutzgesetz eingeführt wurde, ist verfassungsgemäß. Die Karlsruher Richter:innen haben am heutigen Tag gleich mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die die bundesweiten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sowie die Schulschließungen angegriffen hatten. Die Beschlüsse sind auch ein wichtiges Signal an die Bund- und Ländervertreter, die heute Nachmittag über neue Corona-Maßnahmen beraten werden.  

Heute um 13 Uhr steht erneut eine Telefonschaltkonferenz der Länderchefs- und chefinnen mit der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem designierten Nachfolger Olaf Scholz (SPD) an. Es geht – neben der Ausweitung der Impfkampagne und die voraussichtliche Einbeziehung der Apotheken – um schärfere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie – denn die Zahlen der Neuinfektionen und Krankenhauseinweisungen sind weiterhin auf einem Höchststand. 

In diese Verhandlung gehen sie nun mit Rückendeckung aus Karlsruhe. Denn das Bundesverfassungsgericht hat heute in zwei umfassenden Beschlüssen Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen die mit der „Bundesnotbremse“ im vergangenen April eingeführten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie Schulschließungen gerichtet hatten. Gut zwei Monate – vom 22. April bis zum 30. Juni 2021 – galten die Regelungen, die die Pandemie eindämmen sollten. Verstöße gegen die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen waren bußgeldbewehrt. Verfassungsbeschwerden waren auch gegen weitere Maßnahmen des Gesetzes eingelegt worden – etwa gegen die Beschränkungen von Freizeit- und Kultureinrichtungen, Ladengeschäften, Sport und Gaststätten. Doch hier scheiterten die Beschwerden schon daran, dass sie nicht zulässig erhoben wurden. 

Worum ging es?

Kontaktbeschränkungen: Nach den Bestimmungen der Bundesnotbremse waren private Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum nur gestattet, wenn an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person einschließlich der zu ihrem Haushalt gehörenden Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs teilnahmen. Ausgenommen waren Zusammenkünfte, die ausschließlich zwischen den Angehörigen desselben Haushalts, ausschließlich zwischen Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern oder ausschließlich in Wahrnehmung eines Sorge- oder Umgangsrechts oder im Rahmen von Veranstaltungen bis 30 Personen bei Todesfällen stattfanden.

Ausgangsbeschränkungen: Untersagt war der Aufenthalt von Personen außerhalb einer Wohnung oder einer Unterkunft von 22 Uhr bis 5 Uhr des Folgetags. Die Regelung enthielt verschiedene Ausnahmetatbestände. Ausgenommen waren beispielsweise Aufenthalte zwischen 22 und 24 Uhr, die der im Freien stattfindenden allein ausgeübten körperlichen Bewegung dienten, sowie Aufenthalte, die der Abwendung eines medizinischen oder veterinärmedizinischen Notfalls, der Berufsausübung, der Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts oder ähnlich gewichtigen Zwecken dienten.

Am 8. Mai 2021 wurde die Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erlassen. Diese nahm geimpfte und genesene Personen insbesondere von der Beschränkung privater Treffen, des Aufenthalts im Freien und beim Sport aus.

Von Anfang an gab es Zweifel, ob die massiven Grundrechtseinschränkungen gerechtfertigt waren. Wie weit darf der Staat die Freiheiten Einzelner einschränken, um die Gesundheit der gesamten Bevölkerung zu schützen? Der Gesetzgeber setzte darauf, die Maßnahmen stets nur über einen beschränkten Zeitraum zu beschließen – und zudem an die epidemische Lage von nationaler Tragweite zu koppeln, über deren Fortbestehen der Bundestag alle drei Monate neu befinden musste. Viele Gerichtsentscheidungen – oftmals im Eilverfahren getroffen – bestätigten die Maßnahmen, andere allerdings nicht. SPD, Grüne und FPD haben kurz nach der Bundestagswahl entschieden, die bisherige Gesetzeslage aufzuräumen – nicht zuletzt mit dem Hinweis darauf, dass die bisherige Rechtslage zu unsicher sei.

Lebens- und Gesundheitsschutz und ein funktionsfähiges Gesundheitssystem sind legitime Gesetzeszwecke

Doch nun hat das Bundesverfassungsgericht in verschiedenen Hauptsacheverfahren höchstrichterlich entschieden. Kurz gefasst kam der 1. Senat bei den Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen zu dem Schluss: Die angegriffenen Maßnahmen des Gesetzgebers waren Bestandteile eines Schutzkonzepts und dienten dem „Lebens- und Gesundheitsschutz sowie der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems“ – dies seien „überragend wichtige Gemeinwohlbelange“. Selbst wenn die Maßnahmen in erheblicher Weise in verschiedene Grundrechte eingegriffen haben: Nachdem der Senat die verfassungsrechtlichen Anforderungen geprüft hat, ist er überzeugt, „dass die hier zu beurteilenden Kontakt- und selbst die Ausgangsbeschränkungen in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie mit dem Grundgesetz vereinbar“ waren. Insbesondere seien sie auch verhältnismäßig gewesen.

Gefahrenlage hat bestanden

Sowohl der Lebens- und Gesundheitsschutz als auch die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems seien schon verfassungsrechtlich legitime Gesetzeszwecke, konstatiert so das Bundesverfassungsgericht. Zusätzlich könnte aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz, der den Schutz des Einzelnen vor Beeinträchtigungen seiner körperlichen Unversehrtheit und seiner Gesundheit umfasst, eine Schutzpflicht des Staats folgen, die eine Vorsorge gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen umfasst. Auch mit der Beurteilung der Gefahrenlage durch den Gesetzgeber hat der Senat kein Problem. Die Einschätzung habe auf tragfähigen tatsächlichen Erkenntnissen beruht, heißt es. 

Verfassungswidrig wären beispielsweise die Kontaktbeschränkungen gewesen, wenn andere, gleich wirksame, aber die betroffenen Grundrechte weniger stark einschränkende Mittel zur Verfügung gestanden hätten – doch die kann auch der Senat nicht erkennen. Richtig war es aus Sicht der Richter:innen auch, dass die schweren Eingriffe zeitlich befristet wurden: „Freiheitsbeeinträchtigungen wiegen aber grundsätzlich umso weniger schwer, je kürzer sie gelten.“ Bei den Ausgangsbeschränkungen würdigte der Senat die vorgesehenen Ausnahmeregelungen – auch sie milderten das Gewicht der Eingriffe in einzelne Grundrechte ab. Gerade bei „umfassenden“ Ausgangsbeschränkungen betont der Senat nochmals, dass diese „nur in einer äußersten Gefahrenlage in Betracht“ kommen. Vorliegend sei eine solche „tragfähig begründet“ gewesen.

Recht auf schulische Bildung

In einem zweiten Beschluss zu Schulschließungen hat das Bundesverfassungsgericht erstmals ein Recht der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Staat auf schulische Bildung anerkannt. In dieses Recht hätten die seit Beginn der Pandemie in Deutschland erfolgten Schulschließungen in schwerwiegender Weise eingegriffen – dies zeigten sachkundige Stellungnahmen zu den tatsächlichen Folgen dieser Maßnahmen deutlich. Allerdings standen auch diesem Eingriff die bereits genannten überragenden Gemeinwohlbelange gegenüber. Und diesen habe der Gesetzgeber „nach der seinerzeit vertretbaren Einschätzung“ auch durch Schulschließungen begegnen können.

Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 2021 1 BvR 781/21, 1 BvR 889/21, 1 BvR 860/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 798/21 (Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen) und
1 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21 (Schulschließungen)



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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