Grünen-Antrag von 2019

Ist das die Blaupause für die Apothekenreform?

Berlin - 26.11.2021, 07:00 Uhr

Müssen sich die Apotheken auf Kürzungen bei der packungsbezogenen Vergütung einstellen – oder zumindest die vergleichsweise umsatzstarken Apotheken? (Foto: IMAGO / Christian Ohde)

Müssen sich die Apotheken auf Kürzungen bei der packungsbezogenen Vergütung einstellen – oder zumindest die vergleichsweise umsatzstarken Apotheken? (Foto: IMAGO / Christian Ohde)


Im Koalitionsvertrag der Ampel-Partner finden sich deutliche Hinweise, dass sich die Apotheken hierzulande auf vier stürmische Jahre gefasst machen müssen. Was ihnen ins Haus stehen könnte, haben die Grünen bereits in einem Antrag vorgezeichnet, den sie im Jahr 2019 in den Deutschen Bundestag einbrachten. Sollte das die Blaupause für die Apothekenreform sein, dürfte es auf Kürzungen bei der packungsbezogenen Vergütung hinauslaufen – zumindest bei den vergleichsweise umsatzstarken Apotheken.

Seit dem vergangenen Mittwoch ist die finale Fassung des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP bekannt. Einen Absatz in ihrem 177 Seiten starken Werk widmen die Ampel-Partner den Apotheken – und der hat es in sich. Wörtlich heißt es:


Die Arzneimittelversorgung durch Apotheken an integrierten Notfallzentren in unterversorgten Gebieten verbessern wir durch flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung. Wir entwickeln den Nacht- und Notdienstfonds zu einem Sicherstellungsfonds weiter und schaffen eine Verordnungsfähigkeit für Notfallbotendienste in der ambulanten Notfallversorgung. Wir novellieren das „Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“, um pharmazeutische Dienstleistungen besser zu honorieren und Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems zu nutzen.“

Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP vom 24. November 2021


In jedem dieser drei Sätze stecken Hinweise auf weitreichende Umwälzungen im Apothekensektor. Die doch recht konkreten Formulierungen lassen vermuten, dass die Unterhändler der Parteien zum Thema Gesundheit eine klare Vorstellung haben, wo die Reise hingehen soll – für Außenstehende sind sie jedoch erklärungsbedürftig.

Möglicherweise liegt der Schlüssel in einem Antrag, den die Grünen bereits im Jahr 2019 in den Deutschen Bundestag eingebracht haben. Auch wenn das Bundesgesundheitsministerium an die SPD geht, ist in diesem Teil des Koalitionsvertrags doch eine klare Handschrift erkennbar: Fast alle Elemente, die sich darin zu den Apotheken finden, tauchen bereits im Grünen-Antrag auf, inklusive ausführlicher Erläuterungen.

„Wir entwickeln den Nacht- und Notdienstfonds zu einem Sicherstellungsfonds weiter“: Dieses Vorhaben ist ein Kernelement des Antrags mit dem Titel „Sicherung einer patientennahen und bedarfsgerechten Arzneimittelversorgung durch Apotheken“ von 2019. Darin forderten die Grünen den Deutschen Bundestag auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der „die flächendeckende Apothekenversorgung sicherstellt und den Nacht- und Notdienstfonds zu einem Sicherstellungsfonds der Apothekenversorgung weiterentwickelt“.

Packungshonorar an Apothekenumsatz koppeln

In der Begründung beziehen sie sich auf das berüchtigte 2hm-Gutachten, das im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft erstellt wurde und bei seiner Veröffentlichung Ende 2017 für Aufsehen sorgte. „Demnach sind 7.600 Apotheken in ihrer Existenz gefährdet, davon 5.300 in städtischen und großstädtischen Räumen und 2.300 in ländlichen Kreisen“, resümiert die Fraktion. Davon seien 2.600 Apotheken sogar in einer sehr kritischen Situation mit einem Betriebsergebnis von weniger als 30.000 Euro pro Jahr.

Die Lösung der Grünen: Sie wollen einen sogenannten Sicherstellungsfonds einrichten, um die flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Die Finanzierung soll über den bestehenden Nacht- und Notdienstfonds erfolgen. „Dieser entlohnt jene Apotheken, die im Quartier und in der Region den Nachtdienst leisten. Die Idee dabei: Versorgungsrelevante Apotheken bieten durch ihren isolierten Standort mutmaßlich relativ oft Nachtdienste an. Wenn die Vergütung für diese Dienste steigt, können versorgungsrelevante Apotheken somit gezielt quersubventioniert werden.“ Auch wo das Geld dafür herkommen soll, haben sich die Grünen überlegt: Die Mehrausgaben „sollen durch eine entsprechende Absenkung der packungsabhängigen Vergütung bei besonders umsatzstarken Apotheken finanziert werden“.

Wie diese Umverteilung aussehen soll, beschreiben die Abgeordneten recht konkret: Um die „unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Kostenstrukturen“ auszugleichen, die sie etwa bei großen, umsatzstarken Apotheken und kleinen Betrieben mit nur wenigen Mitarbeitenden vermuten, sei „eine packungsabhängige Vergütung notwendig, die sich an dem Umsatz der Apotheke orientiert“. Größere Apotheken sollen nach den Vorstellungen der Grünen aus diesen betriebswirtschaftlichen Gründen je Packung eine niedrigere Vergütung erhalten als kleinere Apotheken. „Schon eine Reduzierung der packungsabhängigen Vergütung von einem Euro für die umsatzstärksten zehn Prozent der Apotheken könnte ein Umverteilungspotential zugunsten kleinerer Apotheken im dreistelligen Millionenbereich bedeuten.“ Der Großteil der Apotheken, bis zu einem durchschnittlichen Umsatz von derzeit 2,31 Millionen Euro pro Jahr –  das entspricht laut Antragsbegründung etwa 60 Prozent der Apotheken in Deutschland – soll dabei aber nicht belastet werden, sondern könnte im Gegenteil sogar begünstigt werden.

Umverteilung auch bei pharmazeutischen Dienstleistungen?

„Pharmazeutische Dienstleistungen besser (zu) honorieren und Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems (zu) nutzen“: Im Grünen-Antrag von 2019 tauchen bereits die pharmazeutischen Dienstleistungen auf – auch wenn sie darin noch als „patientennahe Dienstleistungen“ bezeichnet werden. Die Fraktion versteht darunter insbesondere das Medikationsmanagement nach dem Vorbild der Arzneimittelinitiative in Sachsen und Thüringen (ARMIN). „Das Modellprojekt zwischen den Kooperationspartnern der Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Apothekenverbänden hat sich seit seiner Gründung 2014 zum Paradebeispiel für das Medikamentenmanagement älterer, multimorbider Patienten entwickelt“, lobt die Fraktion.

Zugleich findet sich im nächsten Absatz ein Hinweis, was mit „Effizienzgewinnen innerhalb des Finanzierungssystems“ gemeint sein könnte: mehr Geld für Dienstleistungen zulasten des packungsbezogenen Honorars. „Die Finanzierung des Apotheken-Medikationsmanagements erfolgt aus den Einsparungen bei der Senkung der packungsbezogenen Vergütung bei besonders umsatzstarken Apotheken.“

Das erscheint auch mit Blick auf den Koalitionsvertrag plausibel – denn die Finanzlage der Krankenkassen hat sich im Zuge der Pandemie deutlich verschlechtert. Dass die Ampel ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mehr Geld für die Apotheken locker macht, noch dazu bevor überhaupt klar ist, welche Dienstleistungen es geben wird und wie diese von den Versicherten angenommen werden, ist eher unwahrscheinlich. Auch in den DAZ-Interviews im Vorfeld der Bundestagswahl hatten weder Sabine Dittmar (SPD) noch Janosch Dahmen (Grüne) oder Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) die Bereitschaft durchblicken lassen, die Apothekenvergütung anheben zu wollen. Dass hinter der Formulierung im Koalitionsvertrag also ein Umverteilungsmechanismus stecken könnte, ist naheliegend.

Light-Apotheken an Notfallzentren?

„Flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung“: In dem Antrag schreiben die Grünen, sie wollen „den besonderen Versorgungsbedürfnissen strukturschwacher und sozial benachteiligter Regionen durch die Ermöglichung flexiblerer Versorgungsangebote Rechnung“ tragen. Gemeint ist damit, die strengen Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung teilweise aufzuweichen. Dieser Punkt hat es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, eine Flexibilisierung der Vorschriften der Apothekenbetriebsordnung taucht aber in Zusammenhang mit der Arzneimittelversorgung durch Apotheken an integrierten Notfallzentren in unterversorgten Gebieten auf. Das könnte bedeuten, dass Apotheken mit solchermaßen reduzierten Anforderungen an den Notfallzentren etabliert werden sollen.

Ein Hinweis, an welchen Stellen die Grünen möglicherweise bereit sind, Ausnahmen von den bestehenden Regeln zuzulassen, findet sich in der Begründung zum Antrag von 2019. „Für den Betrieb einer öffentlichen Apotheke müssen beispielsweise zahlreiche formale Bedingungen erfüllt werden. Dazu gehören auch Vorgaben zu den Betriebsräumen, zur Mindestgrundfläche, zum Vorhandensein eines Labors usw., die dem wirtschaftlichen Betreiben einer Apotheke zum Teil zu hohe Hürden setzen.“ Es gelte zu prüfen, ob und wie von den Anforderungen abgewichen werden könnte.

Übrigens bringen die Grünen in diesem Zusammenhang auch eine mögliche Lockerung des Mehrbesitzverbots ins Spiel: „Um Apothekenangebote an allen für die Versorgung relevanten Orten, aber auch in allen Lebenslagen wirtschaftlich betreiben zu können, müssen weitere Vorgaben für Apotheken auf den Prüfstand gestellt werden“, heißt es in dem Antrag. „Die Vorgaben zur erlaubten Anzahl von Filialapotheken sollten daher – unter bestimmten Bedingungen, um eine Kettenbildung zu vermeiden – gelockert und der Betrieb von Apotheken auch von mehreren Pharmazeuten gemeinschaftlich erleichtert werden.“ Der Koalitionsvertrag thematisiert das Mehrbesitzverbot zwar nicht, ausgeschlossen sind Lockerungen damit allerdings auch nicht.

Den Antrag im Wortlaut (Bundestagsdrucksache 19/9699) finden Sie hier.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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6 Kommentare

Geballte Ahnungslosigkeit

von Stefan Haydn am 30.11.2021 um 8:25 Uhr

Schon die Heranziehung des Umsatzes als Größe zeigt die totale Ahnungslosigkeit dieser Staatsjünger.

Wenn überhaupt könnte man über den Gewinn, oder Rohgewinn als Bezugsgröße sprechen.
Da würden aber viele kleinere Apotheken im Vergleich zu Großen gar nicht mehr so schlecht dastehen.

Der Umsatz wird massiv von Hochpreisern, z.B. in der Mucoviszidoseversorgung oder Krebstherapien getrieben.

Dann müßten Apotheken zu ihrem eigenen Nutzen eine solche Versorgung in Zukunft an umsatzschwächere Apotheken weiterleiten.
Ob dies im Patientensinne ist?

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"Quod licet Iovi...

von Thomas Eper am 27.11.2021 um 10:08 Uhr

... non licet bovi!"

Man stelle sich vor, die Politik würde bei den Ärzten eine Honorarumverteilung von großen zu kleinen Praxen umsetzen wollen. Das gäbe eine Ärzterevolution ungeahnten Ausmaßes mit Protesten und Streiks, etc.

Bei den Apotheken ist das scheinbar das normalste auf der Welt.
Und das nach 17 Jahren mit 3% Honorarerhöhung (= inflationsbereinigt ca.40%-ige Honorarkürzung) bei enem massiven Apothekensterben!
Nur zur Erinnerung: bei den Ärzten gab es ca. 45% plus!

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Warnung

von Salerno am 26.11.2021 um 9:55 Uhr

Die im Koalitionsvertrag angestrebte und in diesem Artikel beschriebene Umverteilung soll meines Erachtens dazu genutzt werden, um seitens der Politik eine versteckte Honorarkürzung auf Ebene der Vor-Ort-Apotheken durchzudrücken! Der Haushalt ist tiefrot, man will gerade im Gesundheitswesen weiter Geld sparen, also stellt eine solche "Umverteilung" doch eine willkommene Gelegenheit für die neue Bundesregierung dar, die Entlohnung von Dienstleistungen im Apothekenbereich möglichst unentdeckt zu kürzen.
Ein solches Ansinnen darf niemals umgesetzt werden, denn damit würde der Apothekerschaft in ihrer Gesamtheit die Vergütung zusammengestrichen, und das in einer Zeit, in der wir nach bald 18 Jahren des Stillstands beim Packungshonorar trotz Inflation eine spürbare Erhöhung der Vergütung dringend bräuchten!
Wir können nur hoffen, dass unsere Standesvertretung nicht darauf reinfällt und sich entschieden dagegen stemmt.

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AW: Warnung

von Anita Peter am 26.11.2021 um 10:21 Uhr

Die Grünen brüllen seit 2015 unisono "Wir sind ein reiches Land!"

dunkelrot

von J.M.L. am 26.11.2021 um 8:52 Uhr

Nach vier Jahren Spahn ist die Apothekerschaft sehr geschlossen, man wird sich das alles sehr genau ansehen müssen, wenn 60% profitieren suggeriert das mehrheitliche Zustimmung, aber eine Gewinn-Umverteilung innerhalb einer Branche kann in einer freien Marktwirtschaft keine ernsthafte Lösung sein. Auch wenn man primär vielleicht davon profitieren mag, so löst das doch in keinster Weise die zugrundeliegende Problematik, warum müssen Apotheken denn überhaupt bezuschusst werden? Warum tragen sie sich nicht von alleine? Warum wurde die Apothekenvergütung so lange nicht erhöht? Umverteilung ist hier die völlig falsche Herangehensweise. Merkel tritt ab und der Sozialismus zieht ein, meine persönliche Ampel zeigt dunkelrot.

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.

von Anita Peter am 26.11.2021 um 8:44 Uhr

Umsatz hat rein gar nichts mit Rohgewinn und noch viel weniger mit Reingewinn zu tun. Bei einer Trampolinspringerin aus dem Völkerrecht mag das natürlich alles das Gleiche sein.

Sicherstellungsfonds -> tolle Idee, dieser muss aber mit frischen 500 Mio p.a. gefüttert werden und nicht aus dem Honorar rausgeschnitten werden. Geld genug ist da! Verteilung der 500 Mio zu gleichen teilen auf alle deutschen Vor Ort Apotheken!

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