Beschluss des Deutschen Ärztetags

Ärzte gegen die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen

Berlin - 04.11.2021, 09:15 Uhr

Ärzte zwischen wirtschaftlichen Zielvorgaben und berufsethischen Pflichten: Der Deutsche Ärztetag fordert den Gesetzgeber auf, endlich Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um der zunehmenden Kommerzialisierung im Gesundheitswesen Einhalt zu gebieten. (x / Foto: mrmohock / AdobeStock)

Ärzte zwischen wirtschaftlichen Zielvorgaben und berufsethischen Pflichten: Der Deutsche Ärztetag fordert den Gesetzgeber auf, endlich Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um der zunehmenden Kommerzialisierung im Gesundheitswesen Einhalt zu gebieten. (x / Foto: mrmohock / AdobeStock)


Das Gesundheitswesen ist ein lukrativer Markt – und wo es möglich ist, versuchen auch private Unternehmen zu profitieren. Doch die Heilberufler stemmen sich gegen die zunehmende Kommerzialisierung. Der Apothekenbereich ist bislang noch recht gut geschützt. Bei den Ärzten und Ärztinnen ist die Entwicklung bereits auf einem anderen Level: „Gesundheitsversorgung 2.0 - Patientenzentriert statt renditeorientiert“ lautet daher auch der Titel des Leitantrags, den der Deutsche Ärztetag am Dienstag beschlossen hat.

Schon zur Eröffnung des Deutschen Ärztetags am vergangenen Montag in Berlin wurde deutlich, dass die zunehmende Kommerzialisierung in der ambulanten und stationären Versorgung eines der brennenden Themen der Ärzteschaft ist. „Ärztinnen und Ärzte wollen keine Entscheidungen treffen und auch keine medizinischen Maßnahmen durchführen, die aufgrund wirtschaftlicher Zielvorgaben und Überlegungen erfolgen und dabei das Patientenwohl gefährden“, betonte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt.

Schon seit geraumer Zeit warnen Ärzte – und vor allem auch Zahnärzte – vor dem zunehmenden Einfluss privater Finanzinvestoren. So drängen zumeist im Ausland, gern in Steueroasen ansässige Private-Equity-Gesellschaften in ambulante Gesundheitseinrichtungen, speziell Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Und im Klinikbereich ist die Ökonomisierung ebenfalls längst eingezogen. Im Jahr 2019 justierte der Gesetzgeber im Zuge des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) bereits nach und erschwerte Privatinvestoren den Zugang zu MVZ. Insbesondere wurde die Gründungsbefugnis für zahnmedizinische Versorgungszentren durch Krankenhäuser eingeschränkt. Doch die Ärzteschaft sieht weiteren Nachbesserungsbedarf.

Beim diesjährigen Ärztetag wurde das Thema nun als Leitantrag des BÄK-Vorstands aufgegriffen – und dieser wurde am Dienstag beschlossen. Darin fordert das Ärzteparlament den Gesetzgeber auf, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um der zunehmenden Kommerzialisierung im Gesundheitswesen Einhalt zu gebieten. Ärztliches Handeln müsse vor ökonomisch motivierten Einflussnahmen geschützt sein – auch zum Wohle der Patientinnen und Patienten. „Die politisch Verantwortlichen sind aufgefordert, diese ärztliche Grundhaltung auch im Sinne des Schutzes der Patientinnen und Patienten vor sachfremden Einflussnahmen mit konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen zu unterstützen“, heißt es im Beschluss.

 Gewinnabführungsverträge mit externen Kapitalgebern begrenzen 

Der Ärztetag weist darauf hin, dass sich im ambulanten Bereich die Übernahmen von Arztpraxen und anderen Gesundheitseinrichtungen durch Fremdinvestoren häufen. Aufgrund deren vorwiegend renditeorientierten Motivation bestehe die Gefahr, dass medizinische Entscheidungen zugunsten einer kommerziell motivierten Leistungserbringung beeinflusst werden. Zu befürchten sei ferner eine Konzentration von investorenbetriebenen medizinischen Einrichtungen, vor allem in Ballungsräumen – zulasten der Versorgung in ländlichen Gebieten. 

Zusätzlich zu den bereits mit dem TSVG umgesetzten Neuregelungen seien weitere Maßnahmen nötig. So müsse der Versorgungsauftrag von MVZ zur Wahrung der Trägerpluralität und der freien Arztwahl begrenzt werden. MVZ-Gründungen durch Krankenhäuser müssten an einen fachlichen und räumlichen Bezug zu deren Versorgungsauftrag gekoppelt werden. Zudem seien Anträge auf Zulassung sowie auf Anstellung einer Ärztin bzw. eines Arztes im MVZ dann zu versagen, wenn der Träger des MVZ dadurch in einer Region eine marktbeherrschende Stellung erlangen würde. Weiterhin müssten Gewinnabführungsverträge mit externen Kapitalgebern begrenzt werden, da die Gewinne aus Sozialversicherungsbeiträgen generiert werden. Zudem sei ein MVZ-Register zu installieren, das Patienten und Patientinnen Transparenz über die agierenden Finanzinvestoren verschaffe.

Vergütungssystematik für Krankenhäuser überarbeiten

Auch im stationären Sektor sieht der Ärztetag Handlungsbedarf. Erforderlich sei unter anderem eine Reform des DRG-Fallpauschalensystems. Die Vergütungssystematik dürfe nicht länger ausschließlich auf wirtschaftliche Effizienz eines Krankenhausbetriebs ausgerichtet sein.

Abschließend heißt es im Beschluss des Ärztetags: „Wenn Ärztinnen und Ärzte von Klinik- und Kostenträgern sowie zunehmend auch von kapitalgetriebenen Fremdinvestoren angehalten werden, in rein betriebswirtschaftlichen Dimensionen zu denken und nach kommerziellen Vorgaben zu handeln, geraten sie in einen für sie schwer lösbaren Zielkonflikt. Sie wollen und müssen einerseits ihren berufsethischen Pflichten genügen, andererseits sollen sie aber wirtschaftliche Rentabilitätsziele erreichen, die zum Teil auch durch die Sozialgesetzgebung bedingt sind.“



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.