Interview mit AVWL-Chef Thomas Rochell

Apotheken stehen für COVID-19-Impfungen bereit

Münster/Berlin - 01.11.2021, 17:50 Uhr

AVWL-Chef Thomas Rochell äußert sich im DAZ-Interview unter anderem dazu, weshalb sein Verband sich zunächst nicht an der Gründung der Digitalgesellschaft GEDISA beteiligen wird. (s / Foto: AVWL)

AVWL-Chef Thomas Rochell äußert sich im DAZ-Interview unter anderem dazu, weshalb sein Verband sich zunächst nicht an der Gründung der Digitalgesellschaft GEDISA beteiligen wird. (s / Foto: AVWL)


Kein Freifahrtschein für GEDISA

In Sachen Digitalisierung sind die AVWL-Mitglieder offenbar gut gerüstet: Beim Westfälisch-Lippischen Apothekertag sagte AKWL-Vizepräsident, alle Betriebe im Bezirk seien technisch gewappnet für das E-Rezept. Sind die Apotheker:innen denn auch mental bereit dafür? Wie unterstützt der AVWL die Kolleginnen und Kollegen?

Das E-Rezept bringt große Chancen mit sich: effizientere, weil digitale und damit automatisierte Abläufe einschließlich von Kontrollmöglichkeiten. Retaxationen wegen Formfehlern etwa wird es im Idealfall kaum noch geben, weil die Ärzte keine falsch ausgestellten Verschreibungen in die TI einpflegen können. Es wird in der weiteren Entwicklung viele Veränderungen für den Apotheken-Alltag mit sich bringen, so etwa die Beschleunigung und unter Umständen sogar taggenaue Abrechnung mit den Krankenkassen. Am Ende wird uns mehr Zeit für die pharmazeutische Beratung und Betreuung der Patienten und damit die Kundenbindung bleiben. Die Apotheken müssen sich aber darauf einstellen, dass sich die Abläufe in den Apotheken verändern werden. Vieles wird sich ins Backoffice verlagern. Der AVWL bietet diesbezüglich Online-Seminare an, die sehr gut angenommen werden. Das stimmt mich optimistisch, dass unsere Mitglieder bereits auf einem guten Weg sind, ihre betriebsinternen Strukturen sowie ihre Denkweise auf das E-Rezept auszurichten.

Hat die Politik die Rahmenbedingungen zum E-Rezept ausreichend geregelt oder muss die neue Regierung nachsteuern?

Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass der Gesetzgeber beim Zuweisungs- und Makelverbot nachschärft und waren damit auch erfolgreich. Es ist wichtig, dass die Regelung jetzt auch den Token mit abdeckt und der E-Rezept-Handel durch die Hintertür von vornherein unterbunden wird. Nun gilt es aber, die Umsetzung zu kontrollieren und bei Fehlentwicklungen konsequent gegenzusteuern. Zudem muss die Politik dafür sorgen, dass Plattform- und App-Anbieter die sensiblen Gesundheitsdaten der Nutzer nicht einfach als Ware verramschen können. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird ein dynamischer Prozess sein. Die Spielregeln müssen stets in Relation zur gelebten Wirklichkeit stehen und falls nötig angepasst werden. Wir alle müssen wachsam sein und die Entwicklungen aufmerksam beobachten.

Die neue Digitalgesellschaft GEDISA startet jetzt zunächst ohne den AVWL. Die 16 anderen Verbände beteiligen sich als Gesellschafter. Warum zögert der AVWL noch?

Wir wollten bereits bei unserer Mitgliederversammlung Anfang September darüber abstimmen, ob wir mitmachen oder nicht. Die Befragung der Mitglieder, also deren Einbeziehung, ist nach unserem Selbstverständnis, aber auch schon aus vereinsrechtlichen Gründen unumgänglich. Uns fehlen jedoch nach wie vor ganz grundlegende, wichtige Informationen, um eine Entscheidung über eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, noch dazu mit solch einer finanziellen Tragweite, treffen zu können. Unsere Mitglieder brauchen eine verlässliche Entscheidungsgrundlage, um die Folgen einer Beteiligung, insbesondere auch die damit verbundenen Risiken belastbar beurteilen zu können. Wenn das Projekt ohne tragfähige Informationen lediglich „abgenickt“ würde, drohten dem Verband, insbesondere aber auch uns als Vorstand erhebliche rechtliche Probleme, wenn etwas schiefginge. Dass die generelle berufspolitische Idee, die hinter der GEDISA-Gründung steckt, sinnvoll ist, mag durchaus richtig sein. Dennoch können wir keinen Freifahrtschein ausstellen. Wir werden zu gegebenem Zeitpunkt, wenn alle unseres Erachtens erforderlichen Informationen vorliegen, eine Entscheidung in der Mitgliederversammlung treffen und uns dann gegebenenfalls später an der GEDISA beteiligen.

Wir halten es im Übrigen für erforderlich, dass auch Nicht-Verbandsmitglieder in irgendeiner Form die Chance bekommen müssen, die Dienste der GEDISA in Anspruch zu nehmen. Am Beispiel der Impfzertifikate hat sich gezeigt, dass ein entsprechender Zugang bereits aus rechtlichen Gründen zu gewähren sein könnte. Letztlich muss eine berufsständische Plattformlösung aber auch unbedingt das Ziel verfolgen, nach Möglichkeit einen Standard zu etablieren, das heißt so viele Apotheken wie möglich zu bündeln und damit eine flächendeckende, für den Patienten sehr komfortable und verlässliche, weil nicht zuletzt einheitliche Lösung zu schaffen. Wenn der Berufsstand über einen Vorteil gegenüber anderen Anbietern am Markt verfügt, dann ist es sein Zugang zu allen Mitgliedern, aber eben auch den Nicht-Mitgliedern. Diesen Vorteil gilt es auszuspielen. Ich kann daher nur daran appellieren, die Einbindung aller Apotheken von Anfang an mitzudenken.

Zum Schluss noch ein kurzer bundespolitischer Ausblick: Derzeit formiert sich eine Regierungskoalition für die kommenden vier Jahre. Was erwarten Sie von der Ampel? Wird sich eine Regierung aus SPD, Grünen und FDP eher positiv oder negativ auf den Apothekensektor auswirken?

Diese drei Parteien haben sich in den vergangenen Jahren nicht unbedingt als Förderer der stationären Apotheken profiliert. Gerade im Fall der FDP hat dies zu einer besonderen Enttäuschung geführt, hätte man doch erwarten dürfen, dass sich diese qua Selbstverständnis am ehesten für einen Freien Beruf starkmacht. Offensichtlich hat die FDP aber einen ganz grundsätzlichen programmatischen Wandel vollzogen – und wird sich, nach dem Wahlerfolg, fatalerweise auch noch bestärkt darin sehen. Auch die SPD und die Grünen scheinen eine weitere Liberalisierung des Gesundheitsmarkts anzustreben. Dass dies letztlich zu einer Erosion der tragenden Säulen unseres solidarischen, allseits anerkannten und gelobten Gesundheitssystems führen wird, bleibt freilich stets ungesagt. In Summe erwarte ich daher – auch angesichts leerer Kassen – wenig Gutes aus Sicht der deutschen Vor-Ort-Apotheken als Teil unseres Gesundheitssystems. Ich hoffe aber sehr, dass die Leistungen der Apotheken während der Pandemie noch nachhallen. Sollte das nicht der Fall sein, werden wir es der Politik immer wieder in Erinnerung rufen.

Herr Rochell, vielen Dank für das Gespräch!



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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