Interview mit AVWL-Chef Thomas Rochell

Apotheken stehen für COVID-19-Impfungen bereit

Münster/Berlin - 01.11.2021, 17:50 Uhr

AVWL-Chef Thomas Rochell äußert sich im DAZ-Interview unter anderem dazu, weshalb sein Verband sich zunächst nicht an der Gründung der Digitalgesellschaft GEDISA beteiligen wird. (s / Foto: AVWL)

AVWL-Chef Thomas Rochell äußert sich im DAZ-Interview unter anderem dazu, weshalb sein Verband sich zunächst nicht an der Gründung der Digitalgesellschaft GEDISA beteiligen wird. (s / Foto: AVWL)


Thomas Rochell steht seit dem überraschenden Rücktritt seines Amtsvorgängers Klaus Michels Anfang September an der Spitze des Apothekerverbands Westfalen-Lippe (AVWL). Im Gespräch mit der DAZ erläutert der Vorsitzende, wie er dem Fachkräftemangel in seinem Bezirk begegnen will, weshalb die Basisvergütung der Apotheken dringend nach oben korrigiert werden muss und warum die neue Digitalgesellschaft GEDISA der Apothekerverbände zunächst ohne den AVWL starten wird.

DAZ: Herr Rochell, Sie sind seit Anfang September Vorsitzender des AVWL. Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?

Rochell: Da sind natürlich zum einen die drängenden Zukunftsthemen und die Frage, wie es mit den Apotheken vor Ort weitergeht. Der Erhalt der Arzneimittelpreisbindung bzw. die Wiederherstellung der uneingeschränkten Preisbindung hat für uns einen hohen Stellenwert. Diesbezüglich kooperieren wir mit dem Volkswirt Professor Georg Götz von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er und sein Team untersuchen, welche Folgen die vollständige oder teilweise Aufgabe der Preisbindung hätte. Diese Studie unterstützen wir finanziell. Herr Götz hat mit seiner Forschung maßgeblich dazu beigetragen, die Buchpreisbindung zu erhalten. Ähnliches erhoffen wir uns auch für den Arzneimittelsektor.

Zudem wird das Thema der pharmazeutischen Dienstleistungen einen breiten Raum einnehmen, allen voran die Grippeschutzimpfung in Apotheken, die in dieser Saison in bestimmten Modellregionen auf Grundlage extra verhandelter Verträge erstmals stattfindet. Darüber hinaus müssen wir dringend etwas gegen den Personalmangel in den Apotheken tun. Die Beispielliste der Aufgaben ließe sich jetzt unproblematisch fortsetzen. Aber wir dürfen über all das nicht unser Brot-und-Butter-Geschäft vergessen, also den Abschluss und die Anpassung von Arznei- und Hilfsmittellieferverträgen sowie die Beratung unserer Mitglieder in nahezu allen den Berufsalltag bestimmenden Themen.

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Was planen Sie konkret bezüglich des Personalmangels?

Aktuell planen wir eine neue PTA-Schule in Münster. Bisher gab es eine Schule in Trägerschaft der Stadt, die sich nun aber in Abstimmung mit uns zurückziehen möchte. Künftig übernimmt der Verein PTA-Fachschule Westfalen-Lippe die Trägerschaft und erweitert das Angebot: Bisher ist die Schule einzügig, künftig wird es zwei Züge geben. Der AVWL wird dafür ein modernes Schulgebäude errichten. Zudem unterstützen wir gemeinsam mit der AKWL die Pläne der Uni Bielefeld und der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, einen innovativen Pharmaziestudiengang zu etablieren. Auch da werden wir uns finanziell einbringen und sogenannte Drittmittel aufbringen müssen, weil die NRW-Landesregierung eine solche Anschubfinanzierung zur Bedingung gemacht hat. Wir haben auch bereits erste Zusagen von zusätzlichen Sponsoren, sind aber noch aktiv auf der Suche nach weiteren Unterstützern. In Ostwestfalen-Lippe ist ferner ein von Apothekern getragener Förderverein in Gründung.

Was wird das Innovative an diesem Studiengang sein?

Erstmals wird ab diesem Semester in Bielefeld das Studium der Humanmedizin angeboten – mit dem Ziel, dem Hausärztemangel in der Region entgegenzuwirken und Absolventen für dieses Berufsbild zu gewinnen. Analog soll ein gemeinsamer Pharmazie-Studiengag der Uni Bielefeld und der Technischen Hochschule OWL die Absolventen auf die zukünftigen Tätigkeiten in einer Versorgungsapotheke im ländlichen Raum vorbereiten und dazu motivieren. Die Idee ist auch, die Studiengänge Medizin und Pharmazie mit dem Ziel einer stärker aufeinander abgestimmten, effizienteren Gesundheitsversorgung von Beginn an miteinander zu verzahnen. Zudem sollen die angehenden Pharmazeuten in besonderem Maße auf die künftigen Anforderungen in der Apotheke vor Ort vorbereitet werden: auf eine patientennahe und zugleich digitalisierte pharmazeutische Betreuung, auf die Anforderungen der individualisierten, stratifizierten Medizin und Pharmakotherapie, auf betriebswirtschaftliche Fragen sowie auf neue pharmazeutische Dienstleistungen. Denn wir brauchen auch deshalb dringend mehr Personal in den öffentlichen Apotheken, weil mit den pharmazeutischen Dienstleistungen neue Aufgaben auf uns zukommen, denen wir uns stellen müssen.

Gerade die Einführung honorierter pharmazeutischer Dienstleistungen verbinden viele mit der Hoffnung, dadurch die Arbeit in der Offizin für junge Approbierte wieder attraktiv zu machen. In Westfalen-Lippe haben Sie viel Erfahrung mit AMTS in der Apotheke, unter anderem bietet die Kammer in Kooperation mit der Uni Münster eine Ausbildung zum sogenannten AMTS-Manager an. Kann das ein Hebel sein, damit sich Nachwuchspharmazeutinnen und -pharmazeuten tatsächlich wieder für die Arbeit in einer öffentlichen Apotheke entscheiden?

Die Bereitschaft, sich in Sachen AMTS weiterzubilden und damit Menschen mit Polymedikation wirklich zu helfen, ist in jedem Fall sehr groß innerhalb des Berufsstands und vor allem auch bei den jungen Kollegen. Aber bisher ist eine Vergütung außerhalb von Modellprojekten nicht vorgesehen. Das ist ein Riesenproblem, da die notwendigen digitalen Tools zur Erbringung solcher Leistungen in den Apotheken flächendeckend noch gar nicht etabliert sind. Wenn wir über pharmazeutische Dienstleistungen sprechen, müssen wir die Medikationsanalyse Typ 2a als Kür begreifen. Zunächst wird es darum gehen, Angebote zu entwickeln, die durch jede Apotheke mit überschaubarem Aufwand, ob groß oder klein, auf dem Land oder in der Stadt, erbracht werden können. Es nützt mir nichts, wenn ich von 4.000 Patienten fünf durch eine speziell ausgebildete, personell sehr gut aufgestellte Apotheke ganz toll versorge, der Rest aber auf der Strecke bleibt. Damit AMTS-Management wirklich in der Versorgung ankommt, gilt es noch einiges nachzuholen.

Packungspauschale muss Fixkosten der Apotheken abdecken

Mit der Vergütung sprechen Sie einen wunden Punkt für den Berufsstand an: Eine Honorarreform ist spätestens mit der Erkenntnis vom DAT, dass die AG Honorierung ihre Arbeit ergebnislos eingestellt hat, in weite Ferne gerückt. Die leeren Kassen der GKV tun ihr Übriges. Sehen Sie eine Chance, dass in der kommenden Legislaturperiode etwas für die Apotheken rausspringt?

Ein echtes Momentum bezüglich des Honorars hat es auf dem DAT leider tatsächlich nicht gegeben. Herr Spahn hat eine Honoraranpassung abgelehnt mit dem Verweis auf die neue Dienstleistungssäule bei der Apothekenvergütung. Diese neue Säule ist sicher ein guter Ansatz, den es in den kommenden Jahren weiter auszubauen gilt. Es wird aber darauf ankommen, gleichzeitig die bestehenden Säulen nicht zu vernachlässigen, denn eine bloße Verlagerung ist nicht tragfähig. Dafür ist der Finanztopf, den Herr Spahn für die pharmazeutischen Dienstleistungen ausgelobt hat, vor allem eines: zu klein. Wir müssen gewiss offen sein für neue Dienstleistungen und die dazugehörigen Gespräche über das Honorar. Aber unser Hauptgeschäft ist nach wie vor eng mit der Abgabe von Arzneimittelpackungen verknüpft und das wird auch noch eine ganze Weile so bleiben. Es ist jetzt wichtig, die Apotheken in der Politik so zu positionieren, dass klar wird: Hier müsst ihr nachlegen – nicht zuletzt, um die derzeitige bundesdeutsche Gesamtzahl an Apotheken und damit die noch gewährleistete Flächendeckung in der Versorgung mindestens zu erhalten.

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Welche Argumente sprechen denn dafür, die Basisvergütung anzuheben?

Als die Politik im Jahr 2003 die Arzneimittelpreisverordnung auf das aktuelle kombinierte Vergütungsmodell umgestellt hat, hieß es ganz klar: Die Packungspauschale – damals lag sie noch bei 8,10 Euro, heute bei 8,35 Euro – muss die Fixkosten der Apotheke abdecken. Wenn man die Kostensteigerungen und Inflation der vergangenen 18 Jahre bedenkt, stehen diese in keinem Verhältnis zum vergleichsweise geringen Anstieg des Fixums. Real ist die Vergütung der Apotheke also deutlich gesunken! Obendrein planen die möglichen Ampelkoalitionäre eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde. Vonseiten der Apothekerschaft erfordert dies deutliche Investitionen. Die Politik muss jetzt Verantwortung übernehmen und den Weg, den sie 2003 eingeschlagen hat, konsequent weitergehen. Wenn man die Vor-Ort-Apotheken braucht und nutzt, wie man es in der Pandemie ja getan hat, muss man für ein ausreichendes Honorar sorgen, damit sie einerseits ihrem Auftrag, andererseits aber auch ihren Mitarbeitern gerecht werden können. Wir müssen also am Thema Honorierung dranbleiben und dürfen den packungsbezogenen Ansatz auf gar keinen Fall aus den Augen verlieren oder gar zur Disposition stellen.

In diesem Jahr impfen auch Apotheken in Westfalen-Lippe erstmals gegen Grippe. Wie läuft das Projekt an? Wie viele Apotheken beteiligen sich daran? Gibt es schon erstes Feedback?

Wir haben bereits 300 fortgebildete Apotheker und Apothekerinnen. Aktuell sind schon mehr als 100 von 700 Betrieben in den ausgewählten Modellregionen dem Vertrag mit der AOK Nordwest beigetreten und die Zahlen gehen wöchentlich nach oben. Gestartet sind wir erst Ende September, bei uns ist das Projekt noch in der Anfangsphase. Aus den teilnehmenden Apotheken bekommen wir aber die Rückmeldung, dass es sehr gut anläuft. Auch in meiner Apotheke haben wir schon die ersten Versicherten geimpft und alle Beteiligten sind sehr zufrieden gewesen. Diejenigen, die zu uns gekommen sind, wären im Übrigen aus verschiedenen Gründen nie in eine Arztpraxis gegangen, um sich impfen zu lassen.

Die Ärzteschaft stellt sich dennoch erwartungsgemäß gegen das Modellprojekt, denn Impfen sei eine originär ärztliche Aufgabe. Was halten sie dagegen?

Dass sich die Ärzte gegen das Modellvorhaben stellen, trifft in Westfalen-Lippe nur bedingt zu. Wir haben hier durchaus Ärzte, die sich zu diesem Modellprojekt sehr wohlwollend äußern, weil sie das gemeinsame Ziel im Blick haben: Dass der Gesetzgeber mit dem Masernschutzgesetz die Möglichkeit geschaffen hat, Grippeimpfungen in Modellprojekten auch in den Apotheken anbieten zu können, hat doch den Hintergrund, dass die Impfquote in Deutschland seit Jahren viel zu niedrig ist. Deswegen hat der Gesetzgeber uns Apothekern überhaupt diesen Auftrag erteilt. Alle Untersuchungen, ob in- oder ausländisch, zeigen, dass die Apotheken den Ärzten keine Impflinge wegnehmen. Richtig ist vielmehr, dass durch das Impfen in Apotheken – in vielen Ländern übrigens seit Jahren und Jahrzehnten gängige Praxis – die Impfquote absolut gesteigert wird. Und nach juristischer Einschätzung ist es keinesfalls selbstverständlich, dass es sich bei Impfungen um originäre bzw. exklusive ärztliche Aufgaben handelt. Das ergibt sich nämlich weder aus § 1 des Heilpraktikergesetzes noch aus dem Infektionsschutzgesetz. Forderungen aus der Ärzteschaft nach dem Dispensierrecht oder auch die Drohung, den Patienten künftig den Versandhandel zu empfehlen, halten wir in diesem Zusammenhang für kontraproduktiv und als Zuweisung auch für rechtswidrig. Wir sollten stattdessen das gemeinsame Ziel im Auge behalten, die Menschen bestmöglich vor schweren Erkrankungen zu schützen. Dass Impfungen – sekundär – darüber hinaus auch volkswirtschaftlich von größter Bedeutung sind, kommt hinzu.

Die DAZ erreichte schon mehrfach der Hinweis, dass es bei einigen Apotheken an der geforderten Raumeinheit scheitert. Sehen Sie diesbezüglich Verhandlungsspielraum?

Im Zuge der Modellprojekte wird es schwierig sein, daran etwas zu ändern. Dafür sind die Vorgaben zu streng. Anders als zum Beispiel bei den Bürgertests auf SARS-CoV-2, bei denen wir von der Raumeinheit abweichen durften, haben wir bei den Modellen zur Grippeimpfung in den Apotheken diesbezüglich keine Chance. Sollten die Projekte in die Regelversorgung übergehen, sähe das möglicherweise anders aus. Dann können wir versuchen, in diesem Punkt zu verhandeln.

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Mittlerweile werden auch in der Bundespolitik Stimmen laut, die Corona-Auffrischimpfungen in den Apotheken fordern. Halten Sie das perspektivisch für eine gute Idee?

Denkbar ist das auf jeden Fall. In diesem Herbst werden wir das nach meiner Einschätzung zwar noch nicht in den Apotheken sehen, aber grundsätzlich gilt auch hier: Wenn COVID-Impfungen künftig niedrigschwelliger durchgeführt werden sollen, zum Beispiel wegen zu geringer Impfquoten, dann bietet sich die Apotheke vor Ort idealerweise an. Wir stellen fest, dass im Vergleich zum April, als die Corona-Impfungen in den Arztpraxen anliefen, immer weniger Ärzte gegen COVID-19 impfen. Inzwischen sind es zumindest bei uns in Westfalen-Lippe fast nur noch die Hausärzte. Vielleicht kommt die Politik also auf uns zurück. In jedem Fall stünden wir dafür bereit.

Kein Freifahrtschein für GEDISA

In Sachen Digitalisierung sind die AVWL-Mitglieder offenbar gut gerüstet: Beim Westfälisch-Lippischen Apothekertag sagte AKWL-Vizepräsident, alle Betriebe im Bezirk seien technisch gewappnet für das E-Rezept. Sind die Apotheker:innen denn auch mental bereit dafür? Wie unterstützt der AVWL die Kolleginnen und Kollegen?

Das E-Rezept bringt große Chancen mit sich: effizientere, weil digitale und damit automatisierte Abläufe einschließlich von Kontrollmöglichkeiten. Retaxationen wegen Formfehlern etwa wird es im Idealfall kaum noch geben, weil die Ärzte keine falsch ausgestellten Verschreibungen in die TI einpflegen können. Es wird in der weiteren Entwicklung viele Veränderungen für den Apotheken-Alltag mit sich bringen, so etwa die Beschleunigung und unter Umständen sogar taggenaue Abrechnung mit den Krankenkassen. Am Ende wird uns mehr Zeit für die pharmazeutische Beratung und Betreuung der Patienten und damit die Kundenbindung bleiben. Die Apotheken müssen sich aber darauf einstellen, dass sich die Abläufe in den Apotheken verändern werden. Vieles wird sich ins Backoffice verlagern. Der AVWL bietet diesbezüglich Online-Seminare an, die sehr gut angenommen werden. Das stimmt mich optimistisch, dass unsere Mitglieder bereits auf einem guten Weg sind, ihre betriebsinternen Strukturen sowie ihre Denkweise auf das E-Rezept auszurichten.

Hat die Politik die Rahmenbedingungen zum E-Rezept ausreichend geregelt oder muss die neue Regierung nachsteuern?

Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass der Gesetzgeber beim Zuweisungs- und Makelverbot nachschärft und waren damit auch erfolgreich. Es ist wichtig, dass die Regelung jetzt auch den Token mit abdeckt und der E-Rezept-Handel durch die Hintertür von vornherein unterbunden wird. Nun gilt es aber, die Umsetzung zu kontrollieren und bei Fehlentwicklungen konsequent gegenzusteuern. Zudem muss die Politik dafür sorgen, dass Plattform- und App-Anbieter die sensiblen Gesundheitsdaten der Nutzer nicht einfach als Ware verramschen können. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird ein dynamischer Prozess sein. Die Spielregeln müssen stets in Relation zur gelebten Wirklichkeit stehen und falls nötig angepasst werden. Wir alle müssen wachsam sein und die Entwicklungen aufmerksam beobachten.

Die neue Digitalgesellschaft GEDISA startet jetzt zunächst ohne den AVWL. Die 16 anderen Verbände beteiligen sich als Gesellschafter. Warum zögert der AVWL noch?

Wir wollten bereits bei unserer Mitgliederversammlung Anfang September darüber abstimmen, ob wir mitmachen oder nicht. Die Befragung der Mitglieder, also deren Einbeziehung, ist nach unserem Selbstverständnis, aber auch schon aus vereinsrechtlichen Gründen unumgänglich. Uns fehlen jedoch nach wie vor ganz grundlegende, wichtige Informationen, um eine Entscheidung über eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, noch dazu mit solch einer finanziellen Tragweite, treffen zu können. Unsere Mitglieder brauchen eine verlässliche Entscheidungsgrundlage, um die Folgen einer Beteiligung, insbesondere auch die damit verbundenen Risiken belastbar beurteilen zu können. Wenn das Projekt ohne tragfähige Informationen lediglich „abgenickt“ würde, drohten dem Verband, insbesondere aber auch uns als Vorstand erhebliche rechtliche Probleme, wenn etwas schiefginge. Dass die generelle berufspolitische Idee, die hinter der GEDISA-Gründung steckt, sinnvoll ist, mag durchaus richtig sein. Dennoch können wir keinen Freifahrtschein ausstellen. Wir werden zu gegebenem Zeitpunkt, wenn alle unseres Erachtens erforderlichen Informationen vorliegen, eine Entscheidung in der Mitgliederversammlung treffen und uns dann gegebenenfalls später an der GEDISA beteiligen.

Wir halten es im Übrigen für erforderlich, dass auch Nicht-Verbandsmitglieder in irgendeiner Form die Chance bekommen müssen, die Dienste der GEDISA in Anspruch zu nehmen. Am Beispiel der Impfzertifikate hat sich gezeigt, dass ein entsprechender Zugang bereits aus rechtlichen Gründen zu gewähren sein könnte. Letztlich muss eine berufsständische Plattformlösung aber auch unbedingt das Ziel verfolgen, nach Möglichkeit einen Standard zu etablieren, das heißt so viele Apotheken wie möglich zu bündeln und damit eine flächendeckende, für den Patienten sehr komfortable und verlässliche, weil nicht zuletzt einheitliche Lösung zu schaffen. Wenn der Berufsstand über einen Vorteil gegenüber anderen Anbietern am Markt verfügt, dann ist es sein Zugang zu allen Mitgliedern, aber eben auch den Nicht-Mitgliedern. Diesen Vorteil gilt es auszuspielen. Ich kann daher nur daran appellieren, die Einbindung aller Apotheken von Anfang an mitzudenken.

Zum Schluss noch ein kurzer bundespolitischer Ausblick: Derzeit formiert sich eine Regierungskoalition für die kommenden vier Jahre. Was erwarten Sie von der Ampel? Wird sich eine Regierung aus SPD, Grünen und FDP eher positiv oder negativ auf den Apothekensektor auswirken?

Diese drei Parteien haben sich in den vergangenen Jahren nicht unbedingt als Förderer der stationären Apotheken profiliert. Gerade im Fall der FDP hat dies zu einer besonderen Enttäuschung geführt, hätte man doch erwarten dürfen, dass sich diese qua Selbstverständnis am ehesten für einen Freien Beruf starkmacht. Offensichtlich hat die FDP aber einen ganz grundsätzlichen programmatischen Wandel vollzogen – und wird sich, nach dem Wahlerfolg, fatalerweise auch noch bestärkt darin sehen. Auch die SPD und die Grünen scheinen eine weitere Liberalisierung des Gesundheitsmarkts anzustreben. Dass dies letztlich zu einer Erosion der tragenden Säulen unseres solidarischen, allseits anerkannten und gelobten Gesundheitssystems führen wird, bleibt freilich stets ungesagt. In Summe erwarte ich daher – auch angesichts leerer Kassen – wenig Gutes aus Sicht der deutschen Vor-Ort-Apotheken als Teil unseres Gesundheitssystems. Ich hoffe aber sehr, dass die Leistungen der Apotheken während der Pandemie noch nachhallen. Sollte das nicht der Fall sein, werden wir es der Politik immer wieder in Erinnerung rufen.

Herr Rochell, vielen Dank für das Gespräch!



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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