Direktabrechner versus Rechenzentren

Pro und Contra Direktabrechnung

Stuttgart - 22.10.2021, 07:00 Uhr

Die Abholung der Rezepte durch das Rechenzentrum wird mit dem E-Rezept Geschichte sein. Dazu, ob man das Rechenzentrum noch braucht, dazu gibt es verschiedene Meinungen. (Foto: Schelbert)

Die Abholung der Rezepte durch das Rechenzentrum wird mit dem E-Rezept Geschichte sein. Dazu, ob man das Rechenzentrum noch braucht, dazu gibt es verschiedene Meinungen. (Foto: Schelbert)


CGM Lauer macht seinen Kund:innen ein neues Angebot: In Kooperation mit dem Start-up Scanacs sollen künftig E-Rezepte direkt mit den Kassen abgerechnet werden. Laut CGM zu beider Seiten Vorteil. Aber ist die Direktabrechnung wirklich die Lösung vieler oder gar aller Probleme im Zusammenhang mit der Abrechnung? In der DAZ 28 hatten wir das Pro und Contra der Direktabrechnung umfassend beleuchtet. Angesichts der Aktualität der Thematik haben wir die Argumente beider Seiten noch einmal zusammengefasst.

Rezeptabrechnung über die Apothekenrechenzentren ist ein jahrelang etablierter und optimierter Prozess. Doch die flächendeckende Einführung des E-Rezepts sorgt für Unruhe im Markt. Schließlich fällt die Abholung und Digitalisierung der Papierrezepte weg. Da stellt so mancher die Daseinsberechtigung der Rechenzentren infrage.

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Kooperation mit Scanacs

CGM Lauer pusht die Direktabrechnung

Durch die Insolvenz des Rechenzentrums AvP wurde außerdem das Vertrauen in das System erschüttert. Viele Apotheken warten heute noch auf ihre ausstehenden Zahlungen. Die AvP-Pleite wird vom Softwarehaus CGM Lauer, das seinen Kunden in Zusammenarbeit mit dem Dienstleister Scanacs ein Angebot zur Direktabrechnung von E-Rezepten gemacht hat, unter anderem als Argument ins Feld geführt. Die Beauftragung eines zwischengeschalteten Apothekenrechenzentrums sei nicht notwendig. Dies sorge für mehr Transparenz bei der Abrechnung und einen schnelleren Zahlprozess, heißt es. Die Liquiditätssicherheit werde erhöht. Das Insolvenzrisiko Dritter habe keinen Einfluss auf die wirtschaftliche Lage der Apotheken, bewirbt CGM das neue Angebot. Außerdem sollen Apotheken besser vor Retaxierungen geschützt sein, denn der Zuzahlungsstatus von Patienten oder individuelle Erstattungshinweise eines Kostenträgers können nahezu in Echtzeit abgefragt werden, heißt es.  Außerdem soll schon direkt in der Apotheke eine Auskunft erteilt werden, ob die Kosten für ein bestimmtes Arzneimittel von der Krankenkasse übernommen werden. Auch für die gesetzliche Krankenversicherung sollen sich durch die Scanacs-Integration zusätzliche Vorteile ergeben: Eine frühzeitige Prüfung der Rezepte und die direkte digitale Abrechnung sollen zur Verschlankung und deutlichen Beschleunigung der Prozesse sowie zu einer beträchtlichen Einsparung von Ressourcen führen, erklärt CGM. In der DAZ 28/2021 haben wir das Pro und Contra der Direktabrechnung umfassend beleuchtet. Angesichts der Aktualität der Thematik haben wir die Argumente beider Seiten noch einmal zusammengefasst.

„Der persönliche Kümmerer im Apothekenrechenzentrum zählt zu den am meisten geschätzten Leistungen“

Die direkte Abrechnung mit den Kostenträgern ist allerdings gar nichts Neues – darauf weist Michael Dörr, Vorstandsvorsitzender der ARZsoftware eG, in einem Gastkommentar in DAZ 2021, Nr. 28 hin. „Sie war bis vor 55 Jahren gang und gäbe. Doch damals hatten sich die Apotheker entschieden, diese lästige bürokratische Arbeit standardisiert gemeinsam zu erledigen“, schreibt Dörr. Er vergleicht das Dienstleistungsangebot der Rechenzentren, zum Beispiel Medientransfer vom Papierrezept in eine Datenbank, den Abgleich von Treuhandkonten und in einigen Fällen eine Bankfunktion mit Kurzzeitfinanzierungen, aus Sicht der Apotheke mit Strom aus der Steckdose – unauffällig und selbstverständlich. In den vergangenen Jahren haben die Kostenträger erkannt, dass die Bearbeitung der Unterlagen sehr viel Personal erfordere, und sie haben sich entschieden, diese Tätigkeiten auszulagern, so Dörr. Vor diesem Hintergrund stellt sich für ihn die Frage, ob die Krankenkassen überhaupt ein Interesse daran haben, mit jeder einzelnen Apotheke separat abzurechnen.

Mehr als nur Abrechnung

Weiter führt Dörr die Leistungen der Rechenzentren an, die in seinen Augen über die bloße Abrechnung hinausgehen: 

  • Die Software der Apothekenrechenzentren berücksichtigt Besonderheiten regionaler Verträge zwischen Kostenträgern und Apothekerverbänden. Formal und syntaktisch unrichtige Rezepte werden aussortiert.
  • Bei einigen Arzneimittellieferverträgen gibt es Interpretationsspielraum. Für diesen Graubereich wird auch mit E-Rezepten zukünftig die Erfahrung der Rechenzentren notwendig sein, um die Unstimmigkeiten von Fall zu Fall klären. Gleichzeitig wird auch vermehrt auf „künstliche Intelligenz“ gesetzt, die mit den eigenen Erfahrungen angelernt worden ist.
  • RZ berücksichtigen Kassenabschläge, Zuzahlung, Herstellerabschläge, Import- und Teststreifenquoten bei der Rechnungslegung an die Kassen. Dazu  bedarf es laut Dörr einer intensiven Erfahrung damit.
  • RZ kümmern sich um die Herstellerabatte und wickeln Herstellerrabattkorrekturen ab.
  • Mit Einführung des E-Rezepts sollen in einer Vorabprüfung nicht-abrechenbare Rezepte frühzeitig entdeckt und an die Warenwirtschaft mit der Warnmeldung zur „Nicht-Abrechenbarkeit“ zurückgesendet werden.
  • Die Abrechnung der Hilfsmittelrezepte und der Belege für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel erfordern aktuell und auch in den kommenden Jahren viel händischen Aufwand, der über eine Mischkalkulation zusammen mit der Abrechnung der Arzneimittelrezepte getragen wird. Bei einer selektiven Direkt-Abrechnung der Arzneimittelrezepte ginge diese Kalkulation nicht mehr auf.
  • Apothekenrechenzentren teilen Zahlungen verschiedener Dienstleister, die oft für mehrere Kostenträger in einem Sammelüberweisungslauf als ein Betrag überwiesen werden, auf die internen Treuhandkonten pro Apotheke auf und überprüfen sie auf ungerechtfertigte Abzüge. Von den drei Arbeitsblöcken der Apothekenrechenzentren – Medientransfer, Abgleich von Treuhandkonten, Bankgeschäfte – ist die Hauptkompetenz der Abgleich von Treuhandkonten.

Mit Einführung des E-Rezepts ergeben sich weitere Punkte: 

  • Kassen erwarten eine Sammelrechnung, die unterschiedliche Rabatte berücksichtigt und die Import- und Teststreifenquotenberechnungen, wenn es künftig E- und Papierrezepte nebeneinander gibt, müssen die zusammengeführt werden.
  • Der Nacht- und Notdienstfonds müsste die Daten und auch den Eingang der eingezogenen Beträge einer Apotheke von unterschiedlichen Dienstleistern verarbeiten.
  • Außerdem lassen die aktuelle Gesetzgebung und andere Regelwerke eine Direktabrechnung einzelner E-Rezepte gar nicht zu.

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Direktabrechnung? Ein Irrglaube!

Nach Ansicht von Dörr werden mögliche Kostenersparnisse durch eine Direktabrechnung schnell von der Zuordnung zu einer Sammelrechnung aus zwei verschiedenen Abrechnungssträngen relativiert. Zumal auch die Dienste der Direktabrechner nicht kostenfrei zu haben seien und die manuellen Arbeiten in den Rechenzentren, die als Sonderleistung vergütet werden müssen, zunehmen werden

Außerdem zähle auch der „persönliche Kümmerer“ im Apothekenrechenzentrum zu den von den Apotheken am meisten geschätzten Leistungen, so Dörr. Solange es einen Interpretationsspielraum bei der Erfüllung von Verträgen gibt, wird der Erfahrungsschatz Klärung von Grenzfällen eine nicht wegzudenkende Konstante sein, die schwer durch „Cloud-Software“ ersetzbar ist.

„Kassen und Apotheken sollen auf Augenhöhe zusammenarbeiten können“

Ein weiteres Argument gegen die Direktabrechnung führt DAZ-Autor Dr. Thomas Müller-Bohn ins in seinem Beitrag in DAZ 28/2021 ins Feld. Er befürchtet, dass seitens der Krankenkassen die Begehrlichkeit entstehen könnte, die Versorgung mit hochpreisigen Arzneimitteln ähnlich wie bei Hilfsmitteln genehmigen zu lassen. Bisher ist dies in der Arzneimittelversorgung schon wegen der Pflicht zur unverzüglichen Belieferung der Rezepte undenkbar. Doch schnelle Kommunikationswege und IT-gestützte Entscheidungsmöglichkeiten könnten die Fantasie anregen und damit zu einer neuen bürokratischen Erschwernis für die Versorgung führen. Neue Technik könne so den Weg zu noch mehr Kontrolle und Einfluss von weiteren Beteiligten eröffnen, so Müller-Bohn.

Direktabrechnung soll vor Zahlungsausfall schützen

Deutlich anders sieht das Frank Böhme, der 2016 das Dresdener Unternehmen Scanacs gegründet hat und nun einer der beiden Geschäftsführer ist. Der Ansatz seines Unternehmens, der ganz auf E-Rezepte ausgerichtet ist, strebe an, dass Kassen und Apotheken künftig auf Augenhöhe zusammenarbeiten können und von den Vorteilen dieser Zusammenarbeit profitieren. Aktuell sei die Arzneimittelversorgung streng in die Seite der Apotheken und die der Krankenkassen unterteilt. Das verbrauche nicht nur Ressourcen, sondern verstelle auch den Blick für innovative Ansätze, so Böhme im DAZ-Interview. Apotheken äußerten immer wieder den Wunsch nach einer technischen Lösung zur direkten Abrechnung mit Krankenkassen. Die Gründe dafür sind laut Böhme 

  • strategischer Natur,
  • Sicherheit vor einem erneuten Zahlungsausfall, weil Apotheken bei der Direktabrechnung mit den Krankenkassen direkt das Geld von diesen erhalten.
  • Liquiditätsvorteile und
  • Vermeidung von Zwischenfinanzierungen.

Laut Böhme halten damit nur Prozesse Einzug, die in anderen Branchen und selbst in anderen ­Bereichen des Gesundheitswesens seit Langem Standard sein sollen. Gegenargumente versucht er zu zerstreuen, so ließen sich sowohl das Liquiditätsmanagement als auch die Abwicklung der Herstellerrabatte vollständig digitalisieren. So könnten die Herstellerrabatte bereits heute über die Scanacs-Plattform abgerechnet werden. Für das Liquiditätsmanagement werde es entsprechende Lösungen geben, verspricht er. 

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„Prozesse, die in anderen Branchen Standard sind“

So scheinen es vor allem die Aufgaben zu sein, die über die reine Abrechnung hinausgehen, die die Rechenzentren als ihr Alleinstellungsmerkmal ins Feld führen.  So weist auch Softwarehersteller Pharmatechnik, dessen Gründer mit dem DRZ auch ein Rechenzentrum betreibt, neben vielen bereits von Dörr genannten Argumenten auf die Gefahren der Direktabrechnung hin. Zum Beispiel: Wie sind Rezepte bei der Direktabrechnung versichert, wer überwacht die Zahlungseingänge der Krankenkassen und wer kümmert sich um die Herstellerabschläge? Diese und viele weitere Funktionen sichert das Rechenzentrum dem Kunden zu, der bei der Direktabrechnung die Risiken als auch den Mitarbeiteraufwand für die Abrechnung selbst tragen muss. Zumal durch die IT-technische Vollintegration der Abrechnung des DRZ in die Software von Pharmatechnik diese gerade mit dem E-Rezept wie eine Direktabrechnung wirke, so Pharmatechnik. Im Prinzip könne der Apotheker hierdurch jedes Rezept sofort per Knopfdruck abrechnen.

Wettbewerber ADG, der ebenso wie CGM, kein konzerneigenes Rechenzentrum hinter sich hat, wollte sich leider zum Thema nicht äußern.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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