Direktabrechnung

Direktabrechnung? Ein Irrglaube!

Welche Bedeutung Rechenzentren im E-Rezept-Zeitalter haben werden – ein Gastkommentar

Die Serviceleistungen der Apothekenrechenzentren sind für die Apotheken zur langjährigen Gewohnheit geworden. Rechenzentren erledigen im Auftrag der Apotheken den Medientransfer vom Papierrezept in eine Datenbank, die Abgleich von Treuhandkonten und in einigen Fällen eine Bankfunktion mit Kurzzeitfinanzierungen. Aus Sicht der Apotheke ist das Dienstleistungsangebot so unauffällig und selbstverständlich wie der Strom aus der Steckdose.

Mit Einführung der elektronischen Rezepte fällt der Medientransfer weg. Nun läge es auf der Hand, als Apotheke mittels einer eigenen Software direkt mit den Kostenträgern abzurechnen. Ein Weg, der nicht neu ist, sondern bis vor 55 Jahren gang und gäbe war. Doch damals hatten sich die Apotheker entschieden, diese lästige bürokratische Arbeit standardisiert gemeinsam zu ­erledigen. Dies war die Geburtsstunde der Apothekenrechenzentren.

Innerhalb der letzten Jahrzehnte ist die Bürokratie nicht weniger, sondern erheblich mehr geworden. Gerade in einer Zeit, in der Tätigkeiten, die nicht zu den „Kerntätigkeiten“ eines Geschäftsbetriebes zählen, oftmals an andere professionelle Dienstleister ausgelagert werden, erscheint der Gedanke des „selber Abrechnens“ daher wundersam.

Die 17 Apothekenverbände haben mit den Primärkassen auf regionaler Ebene unterschiedliche Verträge mit den Kostenträgern zur Abrechnung und Erstattung von Arzneimittel- und Hilfsmittellieferungen geschlossen. Die Abrechnungssoftware der Apothekenrechenzentren berücksichtigen diese Besonderheiten und sortieren formal und syntaktisch unrichtige Rezepte aus.

Michael Dörr

Neue Herausforderungen

Mit dem E-Rezept sollten durch die Warenwirtschaftssysteme nur noch formal richtige Rezepte übermittelt werden. Dennoch haben die Rechenzentren auch hierfür bereits einen wichtigen Prüfschritt eingebaut. Die syntaktische Prüfung könnte durch einen Abgleich mit den Prüfbedingungen der Kostenträger vollautomatisiert werden. Es mangelt aber daran, dass die Kostenträger bisher diese Bedingungen den Rechenzentren nicht zur Verfügung gestellt haben. Dies ist auch nicht trivial, da einige Arzneimittellieferverträge durchaus über ­Interpretationsspielraum verfügen. Es gibt kein „Richtig“ oder „Falsch“. Somit ist es auch nicht möglich, per Datenbank konkrete Bedingungen abzuspeichern, anhand derer die Rezepte geprüft werden können. Für diesen Graubereich wird also auch zukünftig die Erfahrung der Mitarbeiter in den Rechenzentren notwendig sein. Sie müssen auch im E-Rezept-Zeitalter Unstimmigkeiten mit den Kostenträgern von Fall zu Fall klären. Gleichzeitig werden die Rechenzentren natürlich auch vermehrt auf „künstliche Intelligenz“ setzen, die mit den eigenen Erfahrungen angelernt worden ist.

Umgang mit Herstellerrabatten

Darüber hinaus erfordert die Berücksichtigung von Kassenabschlägen, Zuzahlung, Herstellerabschlägen, Import- und Teststreifenquoten bei der Rechnungslegung an die GKV-Kassen, die in den Warenwirtschaften nicht zu sehen sind, eine intensive Erfahrung in dieser Materie.

Auch die Bearbeitung des Herstellerrabattes nimmt einen sehr bedeutenden Teil der Tätigkeiten der Rechenzentren ein. Dabei übernehmen sie das Inkasso der Beträge, da die Kostenträger in ihren Erstattungen den Herstellerrabatt bereits berücksichtigen. Mögliche Unstimmigkeiten werden direkt mit den Pharmaherstellern geklärt. Außerdem wickeln die Rechenzentren regelmäßig Hersteller­rabattkorrekturen zugunsten oder zulasten der pharmazeutischen Unternehmen ab. Hiervon bekommen die Apotheken nichts mit.

Vorabprüfung von E-Rezepten

Mit der Einführung des E-Rezepts wird es möglich sein, dass Apotheken mittels eines entsprechenden Fachdienstes der Telematikinfrastruktur Zuzahlungsprüfungen direkt durchführen – dies wird also keine revolutionäre Servicedienstleistung einzelner Anbieter sein.

Die E-Rezepte haben die Besonderheit, dass sie nicht mehr so einfach nach Rücksprache mit dem verordnenden Arzt korrigierbar sind. Bei Vorliegen formal oder syntaktisch fehlerhafter Rezepte werden auch die Rechenzentren keine Möglichkeit haben, Rezepte nachträglich zu „heilen“. Eine Neuausstellung durch den Verordner wird somit unumgänglich. Doch im Rahmen einer Vorabprüfung durch die Rechenzentren können nicht abrechenbare Rezepte viel schneller entdeckt werden und mittels Rückkanal an die Warenwirtschaft mit der Warnmeldung zur „Nicht-Abrechenbarkeit“ gesendet werden.

Gegen eine Direktabrechnung der Apotheken mit den Kostenträgern spricht auch die aktuelle Gesetzgebung und andere Regelwerke: Der aktuelle Rahmenvertrag nach § 129 Abs.2 SGB V, die aktuellen Arzneimittelversorgungsverträge auf Bundes- und Landesebene und auch die Rahmenvereinbarung nach § 300 SGB V nebst technischer Anlagen 1 – 7 lassen eine Direktabrechnung einzelner E-Rezepte gar nicht zu. Außerdem gilt zu beachten, dass für einen Zeitraum von weiteren vier ­Jahren mit einer hybriden Welt der E- und Papier-Rezepte gerechnet werden muss. Dies bedeutet nach wie vor eine signifikante Anzahl papier­gebundener Muster-16-Rezeptbelege, die digitalisiert werden müssen, neben einer immer größer werdenden Anzahl von E-Rezepten. Die Kostenträger erwarten gemäß den einschlägigen rechtlichen Grundlagen eine Sammelrechnung. Bei diesen Sammelrechnungen müssen die unterschiedlichen Rabatte berücksichtigt und die Import- und Teststreifenquotenberechnungen über Papier- und E-Rezepte vereint werden. Damit wird eine Direktabrechnung – zumindest der E-Rezepte – ein herausfordernder Schritt. Wie sollen Informationen aus „Direktabrechnung“ und „Papierabrechnung“ zusammengeführt werden? Auch buchhalterisch ist dies eine anspruchsvolle Aufgabe für die Apotheken und ihre Steuerberater. Wie der Nacht- und Notdienstfonds die Daten und auch den Eingang der eingezogenen Beträge einer Apotheke von unterschiedlichen Dienstleistern ver­arbeiten kann, ist aktuell völlig unklar. Publizierte mögliche Kostenersparnisse einer Direktabrechnung werden schnell von den ausufernden Arbeiten einer Zuordnung zu einer Sammelrechnung aus zwei verschiedenen Abrechnungssträngen relativiert. Zumal die Anbieter einer Cloud-Lösung auf einer Plattform zur Direkt­abrechnung ebenfalls Gebühren für die Nutzung ihrer Software verlangen. Bei Nutzung eines solchen Dualstranges der Abrechnung steigen die manuellen Arbeiten in den Rechenzentren, die als Sonderleistung vergütet werden müssen. In den vergangenen Jahren haben die Kostenträger erkannt, dass die Bearbeitung der eingereichten Sammelrechnungen und dazugehörigen rechnungsbegründenden Unter­lagen sehr viel Personal erfordert, und haben sich entschieden, diese Tätig­keiten auszulagern.

Es gibt Dienstleister für die Rechnungsannahme, Datenannahme, Rezeptprüfung und Zahlungsfunktion. Die Apothekenrechenzentren arbeiten mit diesen Konzentratoren zusammen, die häufig Zahlungen für mehrere Kostenträger in einem Sammelüberweisungslauf als einen Betrag überweisen. Der nächste Schritt der Apothekenrechenzentren ist das Aufteilen der entsprechenden Zahlungen auf die internen Treuhandkonten pro Apotheke und das Überprüfen auf ungerechtfertigte Abzüge.

Was wollen die Krankenkassen?

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Krankenkassen überhaupt ein Interesse daran haben, mit jeder einzelnen Apotheke eine Zahlungsbeziehung zu etablieren. Sicherlich gibt es eine Handvoll Krankenkassen, die diese Variante im Rahmen eines Versuches ausprobieren würden – es wird aber die Minderheit bleiben! Für die Apotheke eröffnet sich eine neue Fragestellung: Wie bringe ich die diversen Informationen der Abrechnungsstränge zusammen, wenn es Krankenkassen gibt, die eine „Direktabrechnung“ zulassen, und andererseits Krankenkassen, die lieber den konzentrierten Weg einer Sammelrechnung beibehalten wollen?

Die Apothekenrechenzentren waren bisher immer in der Lage, jede gesetzliche und/oder vertragliche Änderung unmittelbar umzusetzen. Alle Möglichkeiten, bestehende Tätigkeiten zu automatisieren und Arbeitsabläufe zu straffen, werden genutzt. Die Gründung der ARZsoftware eG ist ein Beispiel dafür. Das Ziel der Genossenschaft ist noch schneller und effizienter, mit mehr Spezialisten neue Software zu erstellen, um den Apotheken mit Schnittstellen größtmögliche Flexibilität zu geben.

Es ist ein Irrglaube, dass die Apotheke alleine mit der Anwendung von „Cloud-Software“ auf einer Plattform ihre bürokratische Arbeit massiv verringern kann und Ausgaben für ein Rechenzentrum spart. Die Apothekenrechenzentren werden ihren Mandanten immer die aktuellen Arbeitsmittel zur Verfügung stellen, um zu „vereinfachen“ und den schnellstmöglichen Zahlungsstrom vom Kostenträger in die Apotheke zu schaffen. Alle vorstehenden Aspekte betreffen die Austauschbarkeit der Dienstleister für die Abrechnung der Arzneimittelrezepte. Ebenso interessant dürfte hier die Frage nach der Abrechnung der Hilfsmittelrezepte nach § 302 SGB V und der Belege für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel sein. Denn diese Abrechnungsverfahren sind aktuell und auch in den kommenden Jahren geprägt von sehr viel händischem Aufwand. Während dieser Aufwand von den Rechenzentren derzeit über eine Mischkalkulation zusammen mit der Abrechnung der Arzneimittelrezepte zugunsten der Apotheke getragen wird, würde dieser Preisvorteil bei einer selektiven Abrechnung der Arzneimittelrezepte über einen „Cloud-Software-Anbieter“ sicherlich entfallen.

Letztendlich zählt auch der „persönliche Kümmerer“ im Apothekenrechenzentrum zu den von den Apotheken am meisten geschätzten Leistungen. Von den drei Arbeitsblöcken der Apothekenrechenzentren – Medientransfer, Abgleich von Treuhandkonten, Bankgeschäfte – bleibt die Haupt­kompetenz der Abgleich von Treuhandkonten. Solange es einen Interpretationsspielraum bei der Erfüllung von Verträgen gibt, wird der Erfahrungsschatz Klärung von Grenzfällen eine nicht wegzudenkende Konstante sein, die schwer durch „Cloud-Software“ ersetzbar ist. |

Autor

Michael Dörr ist Vorstandsvorsitzender der ARZsoftware eG. Eine Genossenschaft, die Mitgliedsunternehmen insbesondere mit neuen IT-Lösungen unterstützt. Seine vorherigen Stationen waren Geschäftsführer beim ARZ Darmstadt, Geschäftsführer der DIFA-Datanet sowie eine langjährige Tätigkeit beim Unternehmensberater IQVIA (vormals IMSHealth).

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