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Vielversprechender COVID-19-Vektorimpfstoff
Russlands neuer Sputnik
Die Vektor-Vakzine Gam-VOVID-Vac (Sputnik V) hat nach einer Interimsanalyse eine Wirksamkeit von fast 92 Prozent nach der ersten Dosis, quer durch alle Altersgruppen, bei guter Verträglichkeit. Diese Ergebnisse einer im „Lancet“ hochrangig publizierten Phase-III-Studie wurden weltweit begrüßt. Und doch bleiben, wie schon bei der vorläufigen Zulassung im Sommer 2020 in Russland, einige Fragen offen.
63 Jahre nachdem Russland mit „Sputnik I“ den ersten Satelliten in die Erdumlaufbahn geschossen hatte, machte im Sommer 2020 „Sputnik V“ das Rennen um den weltweit ersten (vorläufig) zugelassenen COVID-19-Impfstoff. Das Verfahren war intransparent, die Kritik im Westen groß, zumal der Einsatz vor Beginn einer Phase-III-Studie erfolgte. Diese startete erst am 7. September 2020. Unter Federführung der Entwickler um Dr. Denis Logunov wurden in 25 Moskauer Krankenhäusern und Polikliniken 22.000 Erwachsene im (ungewöhnlichen) Verhältnis 3:1 auf Verum oder Placebo randomisiert. Man gab zwei Impfdosen intramuskulär im Abstand von 21 Tagen. Bei 19.866 Teilnehmer:innen, die während zwölf Wochen zwei Dosen Impfstoff oder Placebo erhalten hatten, kamen Wirksamkeit und Sicherheit zur Auswertung. Primärer Endpunkt war der Anteil der Teilnehmer:innen mit einer PCR-bestätigten Diagnose von COVID-19 ab Tag 21 nach Erhalt der ersten Dosis.
Ab Tag 21 (dem Tag der zweiten Gabe) wurde bei 16 von 14.964 Teilnehmer:innen (0,1 Prozent) in der Impfstoffgruppe und bei 62 von 4.902 (1,3 Prozent) in der Placebogruppe COVID-19 mittels PCR-Test bestätigt. Die Wirksamkeit des Impfstoffs erreichte demnach in der Gesamtheit der Teilnehmer:innen 91,6 Prozent (95 Prozent Konfidenzintervall 85,6 – 95,2 Prozent). Die Wirksamkeit setzte um den Tag 17 nach der ersten Dosis ein.
Männer etwas besser geschützt
Die Stratifizierung nach Alter (18 – 30 / 31 – 40 / 41 – 50 /, 51 – 60 / > 60 Jahre) zeigte mit einer Spanne zwischen 90 und 92,7 Prozent eine konsistent gute Wirksamkeit in allen Altersgruppen. Bei den über 60-Jährigen lag sie bei 91,8 Prozent. Der größte Unterschied in der Subgruppenanalyse fand sich zwischen den Geschlechtern: 94,2 Prozent der Männer waren durch Sputnik V geschützt, aber nur 87,5 Prozent der Frauen.
94 Prozent der gemeldeten unerwünschten Ereignisse waren leichter Natur, wie grippeartige Beschwerden, Müdigkeit und Lokalreaktionen. 0,3 Prozent der Teilnehmer:innen in der Impfstoffgruppe und 0,4 Prozent im Placeboarm erlitten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, von denen keines als mit der Impfung in Verbindung stehend angesehen wurde. Vier Todesfälle wurden verzeichnet, davon drei in der Impfstoffgruppe. Ein Patient verstarb mit Wirbelkörperbrüchen, zwei mit einer COVID-19-Erkrankung, diese zeigte sich vier beziehungsweise fünf Tage nach der Erstimpfung und wurde nicht mit dem Impfstoff in Verbindung gebracht.
„Die Entwicklung des Sputnik-Impfstoffes ist als überhastet und intransparent kritisiert worden, aber die hier berichteten Ergebnisse sind eindeutig, und das wissenschaftliche Prinzip der Vakzine wurde belegt“ schreiben Kommentatoren in „The Lancet“.
Sputnik besteht aus zwei Impfstoffen
Damit meinen sie den bisher bei COVID-19-Impfstoffen einzigartigen Ansatz, für die Erst- und Booster-Impfung (Prime/Boost) zwei unterschiedliche Varianten der Vektorvakzine einzusetzen. Gam-VOVID-Vac stellt einen rekombinanten heterologen Kombinationsimpfstoff dar, der zwei verschiedene Vektoren (Adenovirus 26 und Adenovirus 5) nutzt. Beide tragen das gleiche Gen für die Expression des SARS-CoV-2-Spikeproteins in sich. Dahinter steht die Idee, hinderlichen Immunreaktionen auf die erste Dosis vorzubeugen. Denn das Immunsystem kann Antikörper auch gegen den Vektor, die Adenoviren, bilden. Werden bei der zweiten Impfung die gleichen Viren als „Genfähren“ eingesetzt, werden sie möglicherweise vor Erreichen ihrer Zielzellen eliminiert, und die Booster-Wirkung der zweiten Dosis ist zumindest abgeschwächt.
Die Immunreaktion auf die Vektoren könnte der Grund für die paradoxen Ergebnisse der Studien mit dem AstraZeneca-Impfstoff AZD1222 sein, einem homologen Vektorimpfstoff, der nach einer standarddosierten ersten Dosis nur eine Schutzwirkung von 62 Prozent erzielte, hingegen bei einer halbdosierten ersten Dosis etwa 90 Prozent. Die britischen Entwickler setzten auf ein Adenovirus von Schimpansen (ChAdOx), das bei Menschen in der Regel keine Infektion auslöst.
Das Gamaleya-Forschungszentrum in Moskau hat den heterologen Ansatz mit zwei unterschiedlichen Vektoren schon 2015 mit der Ebola-Vakzine GamEvac-Combi vorgestellt. Bisher sind die russischen Forscher:innen die einzigen, die das duale Prinzip bei der Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffes genutzt haben. Nachdem sie schon im letzten Jahr eine Zusammenarbeit angeboten hatten, wurde eine Kollaboration von AstraZeneca mit den Sputnik-Entwicklern angekündigt.
Wichtige Limitationen der Phase-III-Studie
Wenngleich Kommentatoren weltweit die Ergebnisse als Meilenstein auf dem Weg zu weiteren effektiven COVID-19-Impfstoffen begrüßen, so wird doch auf einige Limitationen und Besonderheiten der Interimsanalyse hingewiesen. So zählte die Effektivitätsanalyse lediglich symptomatische Patienten (nach Bestätigung durch PCR-Test) als COVID-19-Fälle. Außer beim Screening und am Tag 21 wurden keine PCR-Tests durchgeführt, es sei denn, die Teilnehmer berichteten selbst COVID-19-typische Symptome. Es könnte also sein, dass ein nennenswerter Anteil asymptomatisch Infizierter nicht erfasst wurde. Die Frage nach einem möglichen Schutz vor Infektiosität, wie sie für die AstraZeneca-Vakzine gezeigt wurde, ist für Sputnik V noch nicht beantwortet.
Die Autoren räumen auch ein, dass die mediane Nachbeobachtungszeit von 48 Tagen nach der ersten Dosis zu kurz war, um eine Aussage über die Dauer der Schutzwirkung machen zu können. Zu den weiteren Kritikpunkten gehört, dass die Studie lediglich im urbanen Moskau durchgeführt und dass das Studienprotokoll nicht vollständig veröffentlicht wurde. Dieses könnte unter anderem darüber Aufschluss geben, ob der primäre Endpunkt wie auch das Randomisierungsverhältnis (mit drei Viertel erhielten ungewöhnlich viele Studienteilnehmer:innen das Verum) im Studienverlauf geändert wurden. Die westlichen Studien hatten Verum- und Placebo-Teilnehmer:innen im Verhältnis 1:1 eingeschlossen. Die dreifach höhere Verum-Teilnehmerzahl könnte aus ethischen Gründen, sprich der hohen Wirksamkeit der Vakzine, während des Studienverlaufs beschlossen worden sein. Indes sind Protokollanpassungen in der derzeitigen Lage nicht singulär, auch in den AstraZeneca/Oxford-Studien war dies geschehen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass eine zweite Dosis AZD1222 die Immunreaktion verstärkt.
Potenzial für weltweite Impfungen
Mit den publizierten Daten reiht sich Gam-COVID-Vac neben BNT162b2 (Comirnaty®, Biontech/Pfizer) und mRNA-1273 (COVID-19 Impfstoff Moderna) in die Reihe der COVID-19-Vakzinen mit einer Wirksamkeit von über 90 Prozent ein. Die Impfung mit Comirnaty® schützt in den unterschiedlichen Altersgruppen ähnlich gut und ist auch bei Menschen mit Vorerkrankungen ebenso wirksam. Die Impfung mit dem Moderna-Impfstoff schützt jüngere Altersgruppen etwas besser (96 Prozent) als Menschen über 65 Jahren (86 Prozent).
Gegenüber den beiden mRNA-Impfstoffen hat der russische Vektorimpfstoff den Vorteil der Lagerfähigkeit bei 2 °C bis 8 °C. Die Biontech-Vakzine muss bei –70 °C transportiert und gelagert werden, die von Moderna bei –25 bis –15 °C, was die Anwendung auf Länder mit entsprechender Infrastruktur beschränkt. Mit einem Preis unter 10 US-Dollar pro Dosis soll Sputnik V auch einer der kostengünstigsten Impfstoffe weltweit sein. Laut der Sputnik-Website ist der Impfstoff schon in 16 Ländern registriert. Impfungen sollen in der ersten Februar-Woche in zwölf dieser Länder beginnen, darunter Ungarn als einzigem Land der Europäischen Union. In den anderen Ländern sei der Impfstoff der erste, der der Bevölkerung überhaupt zur Verfügung gestellt wird.
Noch kein Zulassungsantrag bei der EMA
Bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) wurde eine Zulassung für Sputnik V entgegen anderslautender Meldungen noch nicht beantragt (Stand 10. Februar), es hat im Januar lediglich beratende Gespräche mit der EMA gegeben. Die Bundesregierung prüft nach Angaben von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), ob es in Deutschland Produktionskapazitäten für den russischen Impfstoff Sputnik V gibt.
6 Kommentare
Sputnik Impfstoff
von Regina Thiel am 03.03.2021 um 15:14 Uhr
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Impfung
von Ilona Erbe am 28.02.2021 um 23:23 Uhr
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Impfstoff
von Ines Meyer am 26.02.2021 um 17:12 Uhr
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Impfstoff
von Regina Fischer am 24.02.2021 um 18:13 Uhr
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Sputnik v
von Rita Schwarz am 17.02.2021 um 15:59 Uhr
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AW: Sputnik v
von M. Schulz am 18.02.2021 um 0:01 Uhr
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