Heilpflanze des Jahres 2021

Mit Meerrettich gegen Antibiotika-Resistenzen?

Stuttgart - 05.01.2021, 09:15 Uhr

Aus einem Fachartikel des NHV Theophrastus zum Meerrettich geht hervor, dass die zu medizinischen Zwecken genutzten Inhaltsstoffe des Meerrettichs nicht in der Staude, sondern in den bis zu 50 cm langen und etwa 6 cm dicken Wurzeln (Armoraciae radix) stecken. (s / Foto: kolesnikovserg / stock.adobe.com)

Aus einem Fachartikel des NHV Theophrastus zum Meerrettich geht hervor, dass die zu medizinischen Zwecken genutzten Inhaltsstoffe des Meerrettichs nicht in der Staude, sondern in den bis zu 50 cm langen und etwa 6 cm dicken Wurzeln (Armoraciae radix) stecken. (s / Foto: kolesnikovserg / stock.adobe.com)


Wir leben aktuell nicht nur in einer Virus-Pandemie, sondern auch in einer Zeit, in der zu befürchten ist, dass immer mehr Antibiotika aufgrund von Resistenzentwicklung unwirksam werden. Passend erscheint da, dass der Meerrettich zur Heilpflanze des Jahres 2021 gekürt wurde. Denn selbst wenn sich mit der Wurzel nicht direkt Antibiotika und Virostatika ersetzen und Resistenzen bekämpfen lassen, kann sie beispielsweise bei der häufig rezidivierenden Zystitis der Frau helfen, unnötigen Antibiotika-Einsatz zu vermeiden. Der NHV Theophrastus stellt die Heilpflanze 2021 vor.

Dass der interdisziplinäre Studienkreis „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ den Myrrhenbaum zur Arzneipflanze des Jahres 2021 gewählt hat, darüber berichtete DAZ.online bereits letztes Jahr. Neben jenem Studienkreis, der seit 1999 tätig ist, wählt auch der Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise (NHV) nach Theophrastus Bombastus seit 2003 jährlich eine Heilpflanze. Für 2021 wurde der Meerrettich (Armoracia rusticana) zur Heilpflanze des Jahres 2021 gekürt. Das hatte der Erste Vorsitzende des NHV Theophrastus, Konrad Jungnickel, schon am 13. Juni 2020 bekannt gegeben. Meerrettich habe als Heilpflanze ein großes und leider bisher zu wenig ausgeschöpftes Potenzial, hieß es. Wissenschaftliche Studien würden für die im Meerrettich enthaltenen Inhaltsstoffe entzündungshemmende Eigenschaften, beachtliche antivirale Effekte und starke antibakterielle Wirkungen beweisen. „Dies ist vor allem im Hinblick auf die zunehmenden Antibiotikaresistenzen richtungsweisend“, so Jungnickel in einer Pressemitteilung

In unseren Küchen verfeinert die scharfe Wurzel Fleisch- und Fischgerichte, Gemüse und Soßen. Laut dem Heilpraktiker Jungnickel sollte Meerrettich zumindest in der kalten Jahreszeit Bestandteil des täglichen Speiseplans sein. Und welcher Stellenwert kommt dem Meerrettich in der Apotheke zu?

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Aus einem Fachartikel des NHV Theophrastus zum Meerrettich geht hervor, dass die Heilpflanze bereits seit dem 12. Jahrhundert eingesetzt wird und dass die wirksamkeitsbestimmenden, zu medizinischen Zwecken genutzten Inhaltsstoffe des Meerrettichs nicht in der Staude, sondern in den bis zu 50 cm langen und etwa 6 cm dicken Wurzeln (Armoraciae radix) stecken. Neben Isothiocyanaten (ITC) enthält die Wurzel Phenolcarbonsäuren, Cumarine, die Vitamine C, B1, B2, B6, Flavonoide (Flavon, Quercetin), Mineralstoffe sowie Asparagin, Glutamin, Arginin, organisch fixierten Schwefel und das Enzym Meerrettich-Peroxidase.

ITC würden bereits seit Jahrzehnten erfolgreich in der Therapie von akuten und häufig wiederkehrenden Infektionen der Atemwege und der ableitenden Harnwege eingesetzt, heißt es weiter. Sie liegen im Meerrettich in einer inaktiven, stabilen Form vor (als Senfölglycoside oder Glucosinolate). Aus dieser inaktiven Form sollen nach dem Schlucken mittels eines im Meerrettich enthaltenen Enzyms (Myrosinase) ITC gebildet werden, welche die eigentlichen antimikrobiell aktiven Substanzen darstellen, heißt es. Ein wesentlicher Vorteil der in Meerrettich enthaltenen ITC sei, dass sie nach dem sogenannten „Multi-Target-Prinzip“ wirken. Sie sollen nicht nur Bakterien und Viren bekämpfen, sondern auch entzündungshemmend sowie antiadhäsiv wirken. An der Universität Freiburg sei zum Beispiel in Laborstudien nachgewiesen worden, dass eine Pflanzenkombination mit Meerrettich eine ausgeprägte keimhemmende Wirkung gegen alle 13 untersuchten bakteriellen Erreger von Atemwegs-, Rachen- und Harnwegsinfektionen besitzt – sogar gegen Problemkeime wie MRSA oder Pseudomonas aeruginosa. Bedeutend sei zudem die Wirkung der ITC gegen bakterielle Biofilme. Schon seit einigen Jahren taucht Meerrettich auch in Leitlinienempfehlungen für die Praxis auf.

Unkomplizierte Harnwegsinfektion: Leitlinie zu Mannose, Bärentraubenblättern, Kapuzinerkressekraut und Meerrettichwurzel

In der Interdisziplinären S3 Leitlinie „Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten“ heißt es mit dem Empfehlungsgrad C (Empfehlung offen, „kann“): „Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau kann Mannose empfohlen werden. Alternativ können verschiedene Phytotherapeutika (z.B. Präparate aus Bärentraubenblättern (maximal 1 Monat), Kapuzinerkressekraut, Meerrettichwurzel), erwogen werden.“ Zum Hintergrund erklärt die Leitlinie, dass in einer prospektiven, randomisierten, verblindeten Studie an Patienten mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen jeweils 2 Tabletten Verum (jeweils 80 mg Meerrettichwurzelextrakt und 200 mg Kapuzinerkressekraut am Morgen und Abend, Angocin Anti Infekt N®) (n=51) oder gleich aussehende Placebotabletten (n=52) über Monate hinweg verabreicht wurden. „Während der Studie sank die Harnwegsinfektionsrate unter Verum auf 0,43 und unter Placebo auf 0,77.“

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Nicht immer gleich ein Antibiotikum

Zu den pflanzlichen Aquaretika – wie Birkenblätter, Brennesselkraut, chinesische Kräuter, Gartenbohnenhülsen, Goldrutenkraut, Hauhechelwurzel, Orthosiphonblätter, Liebstöckelwurzel mit Rosmarin und Tausendgüldenkraut, Petersilienkraut und -wurzel, Queckenwurzelstock, Schachtelhalmkraut und Wacholderbeeren – liegen laut Leitlinie bisher keine Studien zur Langzeitprävention mit validen Daten vor. 

Laut dem NHV Theophrastus sollen Untersuchungen aus den 1950er Jahren gezeigt haben, dass die ITC aus dem Meerrettich auch die Vermehrung von Influenza-Viren wirkungsvoll hemmen können. An der Universität Gießen seien diese Untersuchungen in den letzten Jahren nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft wiederaufgenommen und ausgeweitet worden.

Wie zur Arzneipflanze des Jahres 2021 (Myrrhinil intest®) ist auch zur Heilpflanze des Jahres 2021, dem Meerrettich, ein passendes OTC-Präparat von der Repha GmbH Biologische Arzneimittel in Apotheken erhältlich (Angocin Anti Infekt N®). Laut Fachinformation (Stand Februar 2020) sind die Tabletten zur Besserung der Beschwerden bei akuten entzündlichen Erkrankungen der Bronchien, Nebenhöhlen und ableitenden Harnwege indiziert. Die Wirkung von Angocin® Anti-Infekt N bei Infektionen der Harnwege und des Respirationstraktes beruht demnach auf antibakteriellen Eigenschaften der Meerrettichwurzel und des Kapuzinerkressenkrautes.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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