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Es klang ein bisschen nach einem Schnellschuss, als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schon zu einem frühen Zeitpunkt der Corona-Krise einen Immunitätsausweis ins Spiel brachte, der die jeweiligen Inhaber von gewissen Pandemie-bedingten Einschränkungen ausnehmen sollte. Der heftige Widerstand unter anderem des Koalitionspartners SPD brachte das Vorhaben vorläufig zum Scheitern. Nun erteilte auch der Ethikrat, den Spahn um eine Stellungnahme gebeten hatte, den Immunitätsbescheinigungen eine klare Absage.
Als das Bundeskabinett im April den Entwurf eines Zweiten Bevölkerungsschutzgesetzes beschloss, sollte damit im Impfpass eine Immunitätsdokumentation eingeführt werden, die dem Inhaber nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 Immunität bescheinigt. Ziel dieser Regelung war, dass nicht (mehr) ansteckungsfähige Personen von Schutzmaßnahmen ausgenommen werden könnten.
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Kritik an dem Vorhaben kam vor allem vom Koalitionspartner SPD. So setze der Immunitätsausweis falsche Anreize, indem Vorteile mit der durchgemachten Krankheit verbunden seien, äußerte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci. Insbesondere warnte sie vor Corona-Partys, deren Teilnehmer bewusst eine Ansteckung mit COVID-19 erreichen wollten.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellte dem entgegen, dass man sich ja auch den Nachweis von Antikörpern etwa gegen Hepatitis und Masern im Impfausweis eintragen lassen könne. Allerdings sind für beide Krankheiten – im Unterschied zu COVID-19 – Impfstoffe verfügbar.
Ablehnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt einstimmig
Der massive Gegenwind führte schließlich dazu, dass der Immunitätsausweis aus dem Gesetzesvorhaben gestrichen und der Deutsche Ethikrat um eine Stellungnahme gebeten wurde. Diese liegt nun vor. Das Gremium, dem aktuell 24 Wissenschaftler und Experten verschiedener Fachrichtungen angehören, empfiehlt „zum jetzigen Zeitpunkt (…) schon angesichts der vielfältigen noch bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich einer Immunität gegen das neuartige Coronavirus den Einsatz von Immunitätsbescheinigungen nicht“. Dabei sei die Ablehnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt einstimmig getroffen worden, heißt es in der Pressemeldung weiter, doch: „Für den Fall, dass Immunität künftig hinreichend verlässlich nachweisbar werden sollte, herrschen im Rat unterschiedliche Auffassungen dazu, ob und – wenn ja – unter welchen Bedingungen die Einführung von Immunitätsbescheinigungen zu empfehlen wäre.“
Dabei komme die Hälfte der Ratsmitglieder auf Basis risikoethischer Abwägungen zu dem Ergebnis, „dass bei günstiger Entwicklung der naturwissenschaftlich-medizinischen Voraussetzungen mindestens eine stufenweise, anlassbezogene wie bereichsspezifisch ansetzende Einführung einer Immunitätsbescheinigung unter bestimmten Bedingungen sinnvoll wäre“. Teilweise werde auch ein weiter reichender Einsatz für verantwortbar erachtet. Für die andere Hälfte der Ratsmitglieder führten praktische, ethische und rechtliche Gründe zu einer Ablehnung des Einsatzes von staatlich kontrollierten Immunitätsbescheinigungen selbst dann, wenn Unsicherheiten mit Blick auf den Sachstand in Zukunft nicht länger bestünden.
In einer weiteren gemeinsamen Empfehlung spricht sich der Ethikrat dafür aus, „die Bevölkerung umfassend über einen gemeinwohlorientierten Infektionsschutz aufzuklären und über die Aussagekraft von Antikörpertests zu informieren“. Zudem sollten frei verkäufliche Tests zum Nachweis einer Immunität gegen SARS-CoV-2 „aufgrund ihrer zweifelhaften Verlässlichkeit und des daraus folgenden Gefährdungspotenzials strenger reguliert werden“.
Zustimmung aus der Politik
Aus der Politik war zunächst nur Zustimmung zur Entscheidung des Ethikrats zu vernehmen. So äußerte die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Karin Maag: „Auch aus meiner Sicht verbietet sich eine Immunitätsbescheinigung, solange eine Immunität gegen COVID-19 noch nicht sicher nachgewiesen werden kann.“ Sie betont aber, dass sie persönlich den Immunitätsausweis für eine Option halte, sofern sich in Zukunft der Immunitätsstatus sicher, dauerhaft oder in regelmäßigen Abständen nachweisen lasse.
Bärbel Bas, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, sieht die ablehnende Haltung ihrer Partei zu der Immunitätsbescheinigung durch die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats bestätigt. Sie fordert, ergänzend zu den bisherigen Maßnahmen auf Schnelltests zu setzen. Diese könnten eine sinnvolle Ergänzung sein, „wenn sie ein Ergebnis in sehr kurzer Zeit liefern und in großer Zahl verfügbar sind“.
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Auch Prof. Dr. Andrew Ullmann, FDP-Obmann im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages, begrüßt das Votum ausdrücklich. Er warnt ebenfalls davor, dass der Immunitätsausweis dazu führen könnte, „dass sich Menschen absichtlich infizieren, um entsprechende Antikörper zu entwickeln, auf die Gefahr hin schwer zu erkranken“. Andererseits werde durch den Immunitätsausweis eine Zweiklassengesellschaft geschaffen mit Menschen, die alles dürften, und wiederum anderen, die Beschränkungen in Kauf nehmen müssten. „In angespannten Krisenzeiten kann eine derartige Destabilisierung des Gemeinschaftsgefühls wohl kaum zweckmäßig sein“, so Ullmann weiter. Dazu komme, dass man nicht sicher wisse, „wie lange eine Immunität anhält bzw. ausreichend ist, welche Antikörperkonzentrationen die richtigen sind oder ob gar andere Immunparameter wichtiger sein könnten“.
Grüne kritisieren Spahns geplanten Freifahrtschein
Deutliche Kritik an Spahn kommt von der Bundestagsfraktion der Grünen. Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Gesundheitsförderung, und Kordula Schulz-Asche, Berichterstatterin für Infektionsschutz, begrüßen die Absage des Ethikrats an einen Immunitätsausweis als „folgerichtig“. Spahn habe die Debatte ohne jede wissenschaftliche Grundlage angestoßen. „Dieser Schnellschuss hat gedroht, die Solidarität im Umgang mit der Covid-19-Pandemie zu untergraben“, heißt es weiter in der Pressemeldung. Der Wunsch, die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf unser gesellschaftliches Leben so gut wie möglich einzudämmen, sei nachvollziehbar, es sei aber immer noch viel zu wenig über das Virus und die Dauer und Robustheit einer möglichen Immunität bekannt. Daher sei es nicht verantwortlich, „den Immunitätspass als eine Art Freifahrtschein darzustellen, wie dies durch Spahn versucht wurde“.
Nicht zuletzt lehnt auch Achim Kessler, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, den Immunitätsausweis grundsätzlich ab, „selbst wenn eine Immunität gegen das Corona-Virus in Zukunft verlässlich nachweisbar sein sollte“. Denn als immun geltende Personen erhielten durch den Immunitätsausweis einen Vorteil, für alle anderen könne er erhebliche Nachteile im öffentlichen Leben oder am Arbeitsplatz bedeuten und die Entsolidarisierung befeuern. „Der Ethikrat bestärkt mich in meiner Position, dass ein Corona-Immunitätsausweis abzulehnen ist, denn er spaltet die Gesellschaft und lädt zu Stigmatisierung ein“, heißt es wörtlich in der Pressemeldung.
1 Kommentar
Immunitätspaß
von Gaileo Galilei am 23.09.2020 um 8:29 Uhr
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