ABDA zur eu-Arzneimittelstrategie

Versorgungsengpässe europäisch angehen

18.09.2020, 09:15 Uhr

Vizepräsident und Leiter der Europadelegation der ABDA, Mathias Arnold (rechts), 2019 bei einer Pressekonferenz in Berlin. (x / Photo: ABDA / Wagenzik)

Vizepräsident und Leiter der Europadelegation der ABDA, Mathias Arnold (rechts), 2019 bei einer Pressekonferenz in Berlin. (x / Photo: ABDA / Wagenzik)


Im Zuge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft erarbeiten Abgeordnete in Brüssel aktuell eine Europäische Arzneimittelstrategie, mit der die medizinische Versorgung für alle EU-Bürger sicherer werden soll. Nun hat die ABDA der Kommission ein Positionspapier vorgelegt, in dem sie erläutert, welche Herangehensweise sie begrüßen würde.

Der lückenlose Zugang zu Arzneimitteln ist ein Teil der menschlichen Grundversorgung. Da jedoch Lieferengpässe in bedrohlichem Maße zunehmen, erfordert es laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) politischen Handelns. Nun will die Europäische Union die Arzneimittelversorgung und -entwicklung in allen 27 Mitgliedsstaaten verbessern. Eine sichere Arzneimittelversorgung für alle Unionsbürger ist auch einer der Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

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EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides verwies bereits im vergangen Juni auf die fatalen Versorgungslücken, die im Zuge der Coronavirus-Pandemie in größerem Maßstab deutlich wurden. Sie rief Verbände, Hochschulen, Wirtschaft und die breite Öffentlichkeit dazu auf, sich daran zu beteiligen, einen einheitlichen Fahrplan zu erstellen. Eine konkrete Arzneimittelstrategie möchte sie noch bis Ende 2020 vorstellen.

Mehr Handlungsspielraum für Apotheker

Am gestrigen 17. September veröffentlichte die ABDA ein Positionspapier, das sie der Europäischen Kommission zur Arzneimittelstrategie vorgelegt hat. Mathias Arnold, Vizepräsident und Leiter der Europadelegation der ABDA, begrüßt die Initiative der EU: „Nur eine gesamteuropäische, ganzheitliche und patientenorientierte Politik kann dazu beizutragen, die Versorgung Europas mit erschwinglichen und hochwertigen Medikamenten auch in Zukunft zu gewährleisten.“

Nach Meinung der ABDA muss die Gesundheitsversorgung der Bürger stets den Vorrang vor anderen Interessen haben. Kritisch sieht sie zum Beispiel die Interessen des Europäischen Binnenmarkts, der die flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland gefährde.

Daten zu Engpässen sollten zentral und standardisiert erfasst werden. Um eine Mangelversorgung frühzeitig erkennen und vor Ort Lösungen finden zu können, fordert die ABDA mehr Transparenz in der gesamten Lieferkette von Arzneimitteln. In diesem Zusammenhang appelliert die Standesorganisation an die EU-Politik, Apothekern mehr Befugnisse zu erteilen. Diese hätten in der Krise ihre pharmazeutische Kompetenz unter Beweis gestellt und gezeigt, dass sie im Notfall durch ihre Expertise in der Rezeptur, beim Arzneimittelaustausch und in der Logistik die Versorgung der Bevölkerung retten können. Über die Coronakrise hinaus sollten diese Kompetenzen gestärkt und der Handlungsspielraum der Apotheker vergrößert werden.

Ein weiteres Anliegen der ABDA ist es, durch Anreize die europäische Wirkstoffproduktion zu fördern beziehungsweise die weitere Auslagerung von Produktionsstätten ins Ausland zu verhindern. Dies gehört auch zu den Schwerpunkten der EU-Ratspräsidentschaft. Damit erhofft sich die ABDA nicht nur mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, sondern auch höhere Arbeitsschutz- und Umweltstandards bei der Herstellung.

Konsens im Europäischen Parlament

Am gestrigen Donnerstag fasste das Europäische Parlament überdies eine Entschließung, in der sie die Europäische Kommission dazu aufruft, verstärkt auf die Arzneimittellieferengpässe zu reagieren. Bei der Abstimmung befürworteten 663 Abgeordnete des Parlaments ein entsprechendes Handeln aus Brüssel gegenüber nur 23 Gegenstimmen. Zehn Abgeordnete enthielten sich. Infolgedessen wird die EU-Kommission für weitere Maßnahmen die Arzneimittelstrategie berücksichtigen, die aktuell entwickelt wird. Außerdem werden Maßnahmen ergriffen, um die Arzneimittelproduktion zurück nach Europa zu holen und den Austausch von Arzneimitteln zwischen den Ländern zu verbessern.

Der Arzt Dr. Peter Liese ist der gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Christdemokraten, der größten Fraktion im EU-Parlament, auf die die Initiative gegen Arzneimittelengpässe zurückgeht. Er sieht insbesondere den alleinigen Fokus der Krankenkassen und staatlichen Gesundheitsbehörden auf die Kosten als Grund für die Engpässe – Versorgungssicherheit habe hingegen etwa bei Ausschreibungen keine Rolle gespielt.  In Zukunft müsse durch die Verantwortlichen eine Diversität in der Arzneimittelproduktion berücksichtigt werden. „Es kann und darf nicht sein, dass lebensnotwendige Arzneimittelversorgung von einer einzigen Fabrik in China oder Indien abhängt. Ebenso wenig darf es jedoch sein, dass wir von einer einzelnen Fabrik in Europa abhängig sind, deren Produktion durch besondere Umstände ja ebenso ausfallen kann.“

Lieferengpässe auf der Agenda

Die International Pharmaceutical Federation (FIP) hatte bereits am 13. September einheitliche, weltweit gültige Handlungsanweisungen veröffentlicht, um das globale Problem der Versorgungsengpässe mit Arzneimitteln einzudämmen. Analog zu den Forderungen der ABDA hatte die FIP unter anderem empfohlen, Apothekern einen größeren Handlungsspielraum einzuräumen. Auch sprach sich die internationale Organisation von Apothekern ebenfalls für eine einheitliche Datenerfassung von Arzneimittellieferengpässen aus und forderte mehr Transparenz zwischen den Gliedern globaler Lieferketten.

Die ABDA plant nun, das Thema Lieferengpässe am 1. Dezember 2020 im Rahmen einer Podiumsdiskussion zusammen mit Abgeordneten des Europaparlaments, Mitgliedern der Europäischen Kommission sowie internationalen Verbänden von Apothekern und der pharmazeutischen Industrie zu diskutieren. Die Veranstaltung wird als Präsenzveranstaltung in Brüssel oder als Online-Konferenz stattfinden.



Marius Penzel, Apotheker
redaktion@daz.online


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