Nationale Versorgungsleitlinie überarbeitet

Asthma-Leitlinie empfiehlt ICS plus Formoterol bei Bedarf

Berlin - 08.09.2020, 12:10 Uhr

Die Experten empfehlen die bedarfsorientierte Anwendung der Fixkombination aus ICS niedrigdosiert und Formoterol in Stufe 1 vor allem für die Patienten, deren Asthma mit kurzwirksamen Beta-2-Sympathomimetika (SABA) allein nicht ausreichend kontrolliert ist. (s / Foto: beltado / stock.adobe.com)

Die Experten empfehlen die bedarfsorientierte Anwendung der Fixkombination aus ICS niedrigdosiert und Formoterol in Stufe 1 vor allem für die Patienten, deren Asthma mit kurzwirksamen Beta-2-Sympathomimetika (SABA) allein nicht ausreichend kontrolliert ist. (s / Foto: beltado / stock.adobe.com)


Das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin hat heute die überarbeitete Version der Nationalen Versorgungsleitlinie Asthma vorgelegt. Neu ist die Empfehlung, Patienten ab zwölf Jahren mit mildem Asthma bronchiale ausschließlich bedarfsorientiert mit einem inhalativen Corticosteroid plus Formoterol zu behandeln.

Fixkombinationen aus einem inhalativen Corticosteroid (ICS) plus Formoterol sind bisher lediglich zur kontinuierlichen Anwendung bei Patienten mit Asthma bronchiale zugelassen. Die Off-Label-Verordnung zum bedarfsorientierten Gebrauch könnte künftig jedoch verstärkt in den Apotheken auftauchen: Wie das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin heute in einer Pressemitteilung informiert, findet sich eine neue Empfehlung für den rein bedarfsorientierten Einsatz jetzt in der aktualisierten Version der Nationalen Versorgungsleitlinie Asthma wieder.

Die Experten empfehlen die bedarfsorientierte Anwendung der Fixkombination aus ICS niedrigdosiert und Formoterol in Stufe 1 vor allem für die Patienten, deren Asthma mit kurzwirksamen Beta-2-Sympathomimetika (SABA) allein nicht ausreichend kontrolliert ist, die aber gleichzeitig für eine ICS-Langzeittherapie nicht adhärent genug sind. „Die klinische Erfahrung zeigt, dass es häufig Patienten gibt, die das SABA mehr als zweimal pro Woche inhalieren, ohne dies zu kommunizieren", schreiben die Autoren in ihrer Leitlinie. „Anhand der Häufigkeit der Verschreibungen könnte dies auffallen und die Langzeittherapie mit ICS initiiert werden." An dieser Stelle treten jedoch demnach oft Probleme in der Versorgung auf, da „bei einigen Patienten eine geringe Adhärenz zur regelmäßigen Anwendung von ICS bestehe".

Novel-START-Studie nur mit Erwachsenen

Ihre Empfehlung stützen die Autoren auf die randomisiert kontrollierte, jedoch nicht verblindete Novel-START-Studie, die im Mai 2019 im „New England Journal of Medicine" (NEJM) erschien. Eingeschlossen wurden Patienten mit mildem Asthma ab 18 Jahren, deren einzige Therapie der vorherigen drei Monate aus SABA bestand. Diese sollte in den vorherigen vier Wochen durchschnittlich nicht häufiger als zweimal pro Tag angewandt worden sein. Die Randomisierung erfolgte zu den drei Gruppen Albuterol (Synonym: Salbutamol) bedarfsorientiert, freie Kombination aus Budesonid als Langzeittherapie plus Albuterol bei Bedarf sowie der ausschließlich bedarfsorientierten Anwendung der Fixkombination aus Budesonid und Formoterol. Die Studiendauer betrug 52 Wochen.

Die relative Rate der Exazerbationen pro Patient pro Jahr war laut Leitlinie bei Anwendung der Fixkombination geringer als unter Albuterol allein (0,49). Im Vergleich der Fixkombination mit der freien Kombination errechnete sich kein signifikanter Unterschied für die relative Rate von Exazerbationen pro Patient pro Jahr (1,12). Patienten mit mindestens einer unerwünschten Wirkung waren in der Gruppe der freien Kombination am häufigsten, (83,7 Prozent, Albuterol allein: 
81,9 Prozent, Fixkombination: 78,4 Prozent). Patienten mit mindestens einer schweren unerwünschten Wirkung wurden am häufigsten in der Gruppe der Fixkombination identifiziert (5,9 Prozent, freie Kombination: 3,1 Prozent, Albuterol allein: 2,7 Prozent).

Indirekte Nutzung der Ergebnisse bei Jugendlichen

Patienten unter 18 Jahren seien in der Novel-START-Studie zwar nicht abgebildet, betonen die Verfasser der Leitlinie. Sie entschieden sich jedoch, die Ergebnisse indirekt zu nutzen. Nach ihrer Erfahrung „ist die Adhärenz zur regelmäßigen Inhalation von ICS bei Jugendlichen besonders schwach", schreiben sie. Da der häufige Gebrauch von SABA die Symptome des Asthmas kaschiere, ohne die Entzündung zu behandeln, erhöhe sich in der Folge das Risiko für Exazerbationen. Die Leitliniengruppe empfiehlt daher die bedarfsorientierte Anwendung der Fixkombiantion aus ICS niedrigdosiert und Formoterol in Stufe 1 ab einem Alter von zwölf Jahren. Es gelte jedoch, die jeweilige Tageshöchstdosis des ICS bzw. des Formoterols nicht zu überschreiten.

Stufe 2: Studien mit Freiwilligen ab zwölf Jahren

Für die Bewertung des Nutzens einer bedarfsorientierten Anwendung der Fixkombination bei Patienten mit Asthma bronchiale Stufe 2 zogen die Experten die Studien SYGMA 1 und SYGMA 2 heran, die ebenfalls im NEJM erschienen. Darin wurden Freiwillige ab zwölf Jahren mit milder Krankheitsausprägung über einen Zeitraum von 52 Wochen begleitet. Ein in der systematischen Recherche identifiziertes Studienprotokoll wurde im Nachgang als Vollpublikation veröffentlicht und in die Evidenzsynthese eingeschlossen. 

Die randomisierte kontrollierte Studie SYGMA 1 prüfte unter anderem die Nichtunterlegenheit der bedarfsorientierten Anwendung der Fixkombination gegenüber der freien Kombination aus Budesonid (Langzeittherapie) plus Terbutalin (Bedarfstherapie) bei 2.559 Patienten. Der Nachweis der Nichtunterlegenheit bezüglich des Endpunkts „gut kontrollierte Asthma-Wochen" für die Fixkombination gelang nicht. Die jährliche Exazerbationsrate unterschied sich im Vergleich der Gruppen nicht signifikant. Die mediane tägliche ICS-Dosis war in der Gruppe, die die Fixkombination erhielt, niedriger (57 µg vs. 340 µg). Unerwünschte Effekte traten ähnlich häufig auf (Fixkombination: 38,0 Prozent vs. freie Kombination: 39,9 Prozent).

SYGMA 2: Nichtunterlegenheit belegt, aber ...

In SYGMA 2 untersuchten Wissenschaftler mit 4.176 Patienten die Nichtunterlegenheit der bedarfsorientierten Anwendung der Fixkombination gegenüber der freien Kombination aus Budesonid (Langzeittherapie) plus Terbutalin (Bedarfstherapie) für den primären Endpunkt „jährliche Rate schwerer Exazerbationen". Diese war in beiden Gruppen ähnlich und die Nichtunterlegenheit somit belegt.

Studienziel im Verlauf modifiziert

Die Asthmakontrolle verschlechterte sich in beiden Gruppen, wobei die Verschlechterung in der Gruppe der mit der Fixkombination behandelten Patienten geringer ausfiel. Die mediane tägliche ICS-Dosis war unter der bedarfsorientierten Fixkombination niedriger als in der Kontrollgruppe (66 µg vs. 267 μg). Unerwünschte Wirkungen traten in beiden Gruppen ähnlich häufig auf. In beiden Gruppen gab es einen Todesfall, wobei der in der Gruppe der freien Kombination als asthmabezogen klassifiziert wurde. Zudem wurde die Auswertung der Studie während des Verlaufs modifiziert: Der ursprünglich geplante Nachweis der Überlegenheit der Fixkombination wurde in eine Nichtunterlegenheitsprüfung geändert. „Damit wird ein hohes Risiko für Attrition und Reporting Bias gesehen", ordnen die Leitlinienautoren ein. Alle drei genannten Studien finanzierte der Hersteller AstraZeneca zumindest in Teilen.

Die vom Health Research Council of New Zealand gesponsorte Studie PRACTICAL erschien im September 2019 im Fachjournal „Lancet". Darin verglichen Forscher über 52 Wochen in einem nicht verblindeten randomisiert kontrollierten Design die Wirksamkeit und Sicherheit der bedarfsorientierten Fixkombination (Budesonid plus Formoterol) mit der freien Kombination aus Budesonid (Langzeittherapie) und Terbutalin (Bedarfstherapie).

Eingeschlossen wurden 885 Patienten ab 18 Jahren, die in den zwölf Wochen vor Studienbeginn ein SABA als Bedarfstherapie inhalierten. 70 Prozent der Patienten erhielten darüber hinaus ein ICS in geringer oder mittlerer Dosis als Langzeittherapie vor Beginn der Studie. Die absolute Rate schwerer Exazerbationen war in der Gruppe, die die Fixkombination anwendete, niedriger. Die Anzahl der Patienten mit mindestens einem unerwünschten Ereignis war in der Gruppe der Fixkombination etwas höher als in der Vergleichsgruppe (88 Prozent vs. 83 Prozent).

Aufwand versus Symptomkontrolle

Für erwachsene Patienten sehen die Autoren der Leitlinie in der bedarfsorientierten Anwendung einer Fixkombination aus ICS niedrigdosiert und Formoterol in Stufe 2 „eine Therapieoption, wenn der mit einer regelmäßigen Therapie verbundenen Aufwand höher bewertet wird als eine maximale Symptomkontrolle". Zu der Entscheidung haben demnach die Nichtunterlegenheit der Fixkombination gegenüber der freien Kombination für den primären Endpunkt in der Studie SYGMA 2 und die Einsparungen in der täglichen ICS-Dosis beigetragen.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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