Gegen „Impfstoff-Nationalismus“

Keine nationale Corona-Impfstoff-Beschaffung in Europa

Stuttgart - 21.08.2020, 13:30 Uhr

Deutschland und der Rest der EU setzen nicht mehr auf die eigene (nationale) Impfstoffbeschaffung. (s / Foto: imago images / ULMER Pressebildagentur)

Deutschland und der Rest der EU setzen nicht mehr auf die eigene (nationale) Impfstoffbeschaffung. (s / Foto: imago images / ULMER Pressebildagentur)


Während immer mehr über die Bemühungen der verschiedenen Staaten bekannt wird, sich die ersten potenziell verfügbaren Corona-Impfstoffe zu sichern, wird auch immer mehr Kritik an dem Wettlauf zwischen den verschiedenen Interessengruppen laut. Zumindest in Europa sollen die Länder nun nicht mehr national verhandeln, sondern einem gesamteuropäischen Konzept folgen.

An der Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes gegen SARS-CoV-2 hängen nicht nur gesundheitliche Interessen, sondern auch wirtschaftliche und politische. Zuletzt stand vor allem Russland in der Kritik, aufgrund der (westlichen) Befürchtung, dass Moskau seinen Nationalstolz über die Wissenschaft und Sicherheit der Bürger stellen könnte. Denn dort wurde der weltweit erste Corona-Impfstoff bereits Anfang August staatlich zugelassen. 

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„Russia first“

Aber auch während die EU-Kommission zunehmend über (potenzielle) Vorverträge mit Pharmaunternehmen über mögliche Corona-Impfstoffe berichtet, werden immer wieder kritische Stimmen zu einem möglichen „Impfstoff-Nationalismus“ laut, die keineswegs nur auf Russland zielen – zuletzt warnte die WHO (Weltgesundheitsorganisation) davor und rief zu mehr globaler Zusammenarbeit auf: Die Weltwirtschaft könne sich erst nachhaltig erholen, wenn das Virus überall besiegt sei. Dazu müsse an möglichst vielen Impfstoffen geforscht werden, statt auf einzelne Kandidaten zu setzen. „Übermäßige Nachfrage und Wettbewerb um das Angebot schaffen bereits jetzt Impfstoff-Nationalismus und das Risiko von Wucher“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. „Das ist die Art von Marktversagen, die nur globale Solidarität, öffentliche Investitionen und Engagement lösen können.“

Deutschland verzichtet auf eigene Impfstoffbeschaffung

Wie das Ärzteblatt am Mittwoch berichtete, setzen nun zumindest Deutschland und der Rest der EU nicht mehr auf die eigene (nationale) Impfstoffbeschaffung. Die EU-Mitgliedstaaten sollen sich verpflichtet haben, nicht mehr selbst mit potenziellen Impfstofflieferanten zu verhandeln, heißt es. Dabei beruft sich das Ärzteblatt auf ein internes Papier der EU-Kommission: Von nun an schließt demnach die europäische Kommission im Namen aller 27 Partnerländer Abkommen mit verschiedenen Impfstoff-Herstellern. In diesem gesamteuropäischen Konzept gehe auch die Impfallianz aus Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden auf. 

EU übernimmt Vertrag der Impfstoffallianz mit AstraZeneca

Bereits im Juni hatte diese Impfstoffallianz mit AstraZeneca einen Vertrag über mindestens 300 Millionen Impfdosen geschlossen. Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte am 14. August aber, dass ein neues Abkommen mit AstraZeneca mittlerweile alle 27 EU-Staaten abdecke. Ob die EU-Abmachnung den Vertrag der Impfstoffallianz ersetzt, war dabei jedoch zunächst unklar. 

Am vergangenen Mittwoch hieß es nun im Ärzteblatt, dass die vier beteiligten Länder die EU beauftragt hätten, ihren bereits mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern Astra­Zeneca geschlossenen Vertrag über 300 Millionen Impfdosen zu übernehmen. Sie soll diesen für alle 27 Mitgliedstaaten weiter verhandeln.

Auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bestätigte dem Ärzteblatt auf Anfrage: „Die Vertragsverhandlungen mit den Impfstoffherstellern sind von der EU-Kommission übernommen worden und dauern noch an.“ Und gegenüber der dpa hat die EU-Kommission mittlerweile bestätigt, dass Deutschland und andere EU-Staaten nicht mehr parallel über einen eigenen Vertrag mit AstraZeneca verhandeln.

Zuletzt hat sich die EU den Zugriff auf bis zu 405 Millionen Dosen des potenziellen Corona-Impfstoffs des Tübinger Biotech-Unternehmens Curevac gesichert. Dabei wurde betont, dass auf dieser Grundlage eines geplanten Vertrags alle EU-Mitgliedstaaten den Impfstoff erwerben könnten, und dass er Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen gespendet oder an europäische Länder weitergegeben werden könnte.

In nationaler Verantwortung bleiben sollen – wie das Ärzteblatt ebenfalls berichtete – aber weiterhin Entscheidungen darüber, welche Schutzimpfungen wer zu welchem Zeitpunkt erhält.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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