Invasive Meningokokken-Erkrankungen

Meningokokken B auf dem Vormarsch?

Stuttgart - 17.07.2020, 16:00 Uhr

Die Fälle invasiver Meningokokken-B-Erkrankungen haben 2019 im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. (m / Foto: lavizzara / stock.adobe.com)

Die Fälle invasiver Meningokokken-B-Erkrankungen haben 2019 im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. (m / Foto: lavizzara / stock.adobe.com)


Seit 2006 rät die STIKO standardmäßig zu einer Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe C (MenC), und zwar für alle Kinder im zweiten Lebensjahr. Einen Schutz vor Meningokokken der Serogruppe B (MenB) sieht der Impfkalender der STIKO derzeit nicht standardmäßig vor. Doch scheinen gerade invasive Meningokokken-Erkrankungen, denen eine MenB-Infektion zugrunde liegt, zuzunehmen – während die gesamten Fälle invasiver Meningokokken-Erkrankungen 2019 verglichen mit 2018 leicht zurückgingen. Sind MenB auf dem Vormarsch?

„Meningokokken-B-Erkrankungen sind in Deutschland selten, verlaufen jedoch oftmals schwer“, sagte die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) in ihrem Epidemiologischen Bulletin 3/2018. Die Krankheitslast durch Meningokokken der Serogruppe B (MenB) sei derzeit (Datenstand: November 2017) „niedrig und weiterhin abnehmend“. Deswegen hielt die STIKO 2018 an ihrer Empfehlung fest: Keine Empfehlung zum Standardschutz vor Meningokokken B. Weitere Daten seien notwendig für eine Entscheidung darüber, ob die MenB-Impfung nicht nur Risikogruppen, sondern überdies als Standardimpfung für alle Kinder empfohlen werden sollte.

Zur Erinnerung: Die Ständige Impfkommission rät seit 2006 zu einer standardmäßigen Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe C für alle Kinder im zweiten Lebensjahr, das bedeutet, nach dem vollendeten zwölften Lebensmonat. Bei Vorliegen eines erhöhten Risikos für Meningokokken-Erkrankungen sollten Säuglinge, Kinder und Erwachsene mit einem Meningokokken-ACWY-Konjugatimpfstoff sowie mit einem Meningokokken-B-Impfstoff geimpft werden. Diese risikobasierte Empfehlung gilt seit August 2015. 
Seit 2011 ist eine invasive Meningokokken-Infektion eine meldepflichtige Erkrankung nach Infektionsschutzgesetz (IfSG).

2019: Mehr Meningokokken-B-Erkrankungen

Doch jetzt scheint der jahrelange Trend sinkender Meningokokken-B-Erkrankungen gebrochen: „Die Anzahl der am NRZMHi untersuchten Fälle mit der Serogruppe Y nahm 2019 weiterhin zu, außerdem war ein Anstieg der Fälle mit der Serogruppe B zu verzeichnen“, erklärt das Nationale Referenzzentrum für Meningokokken und Haemophilus influenzae (NRZMHi) am Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Würzburg.

2019 wurden 257 invasive Meningokokken-Erkrankungen an das RKI gemeldet. Laut dem NRZMHi lag die Inzidenz einer invasiven Meningokokken-Erkrankung bei 0,31 Fälle pro 100.000 Einwohner. Davon machten Meningokokken-B-Erkrankungen über die Hälfte (54 Prozent) aller invasiven Meningokokken-Erkrankungen aus – MenB lag bei 137 Patienten vor (Stand 3. Juli 2020, SurvStat@RKI).

2018 lag laut NRZMHi die Gesamt-Inzidenz sogar leicht höher: 0,36 Fällen pro 100.000 Einwohner. Es wurden 294 invasive Meningokokken-Erkrankungen an das RKI übermittelt, bei 139 Patienten lag eine Meningokokken-B-Erkrankung vor (Stand 3. Juli 2020, SurvStat@RKI), was mit 47 Prozent knapp der Hälfte aller Erkrankungen entspricht.

2017 wurden 288 Fälle invasiver Meningokokken-Erkrankungen an das RKI gemeldet, 138 davon waren MenB (Stand 3. Juli 2020, SurvStat@RKI). Prozentual machten MenB knapp 48 Prozent aus. Die Inzidenz lag bei 0,34 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner.

Auch 2020 mehr Meningokokken-B-Erkrankungen?

Und wie sieht es für das aktuelle Jahr 2020 aus? Daten hierzu lassen sich mithilfe SurvStat@RKI 2.0 abfragen. Bislang (Stand 7. Juli 2020) sind für das aktuelle Jahr 42 Fälle mit invasiven Meningokokken-B-Erkrankungen nach IfSG an das RKI übermittelt worden, insgesamt – alle Serogruppen –  sind es 112 Fälle. Noch liegen also zur Hälfte des Jahres 2020 mit 42 gemeldeten invasiven Meningokokken-B-Erkrankungen weniger als ein Drittel der MenB-Fälle (137) für das gesamte Jahr 2019 vor. Allerdings ist die Aussagekraft dieser Rechnung begrenzt.

SurvStat@RKI – was ist das?

SurvStat@RKI bietet die Möglichkeit einer webbasierten Abfrage nach Infektionsschutzgesetz (IfSG). Betrieben wird die Plattform vom Robert Koch-Institut (RKI). Abgefragt werden kann ein vereinfachter Datenbestand, der gemäß Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheitsfälle und Erregernachweise, die an das RKI übermittelt wurden. Mit zahlreichen Filtereinstellungen lassen sich Meldezeiträume, Erkrankungen und Erreger eingrenzen. Zudem besteht die Möglichkeit, nach Alter der Infizierten beziehungsweise nach regionalen Erkrankungsgipfeln zu sortieren (z. B. nach Bundesland). Im Falle der Meningokokken lassen sich Analysen beispielsweise nach „invasiver Erkrankung“ oder nach den jeweiligen Serogruppen erstellen.

Es ist noch „früh“ im Jahr – der Erkrankungsgipfel invasiver Meningokokken-Erkrankungen liegt im Winterhalbjahr, das steht zu Teilen noch bevor. Zudem ist 2020 sehr geprägt von der Coronakrise. Wochenlange Kontaktbeschränkungen und geschlossene Kitas und Schulen verringern die Ansteckungshäufigkeit. Diesen Effekt konnte man auch bei der diesjährigen Grippewelle beobachten: „Die wegen der COVID-19-Pandemie geschlossenen Kitas und Schulen scheinen zu einer deutlichen Reduzierung der ARE-Aktivität (Akute Atemwegserkrankungen) in den Altersgruppen der Kinder beizutragen“, erklärte das RKI im März dieses Jahres. Bei Meningokokken haben Säuglinge und Kleinkinder das höchste Erkrankungsrisiko (Säugling: Kind im ersten Lebensjahr; Kleinkind: Kind im zweiten und dritten Lebensjahr). Einen weiteren Erkrankungsgipfel sieht man bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren.

Neisseria meningitidis – Meningokokken

Meningokokken

Neisseria meningitidis (Meningokokken) sind gramnegative intrazelluläre Bakterien. Sie treten als Diplokokken (Kugelbakterien, die als Pärchen gelagert sind) auf. Der einzige Wirt ist der Mensch. Bei etwa 10 Prozent der europäischen Bevölkerung ist der Nasen-Rachen-Raum mit Meningokokken besiedelt, ohne dass sich Krankheitszeichen äußern. Meningokokken wachsen aerob, benötigen also Sauerstoff, sowie fakultativ anaerob und können ihren Stoffwechsel bei Sauerstoffmangel an die anaeroben Verhältnisse im infizierten Gewebe anpassen. Sie regulieren dafür statt der sauerstoffabhängigen Enzyme die nitratabhängigen Enzyme ihres Zuckerstoffwechsels hoch. Laut RKI existieren zwölf Serogruppen – A, B, C, E, H, I, K, L, W-135, X, Y, Z –, die sich in der Zusammensetzung ihrer Kapselpolysaccharide unterscheiden.

Übertragen werden Meningokokken via Tröpfcheninfektion durch zum Beispiel Husten, Niesen oder Küssen. Mittels Fortsätze können sie sich an die Schleimhäute des Nasen-Rachen-Raums anheften, dort persistieren oder die Schleimhäute durchdringen und zu invasiven Erkrankungen führen. Das RKI spricht von einer invasiven Erkrankung, „wenn aus Blut, Liquor, hämorrhagischen Hautinfiltraten oder anderen normalerweise sterilen klinischen Materialien direkt oder indirekt Meningokokken nachgewiesen werden“. Meningokokken-Erkrankungen verlaufen zu zwei Drittel als Meningitis (Entzündung der Hirn- und Rückenmarkshäute), ein Drittel der Patienten entwickeln eine Sepsis.

Außerhalb des menschlichen Körpers sterben die Bakterien rasch ab – das heißt, für eine Ansteckung ist ein enger Kontakt mit Infizierten oder mit oropharyngealen Sekreten erforderlich. Die Inkubationszeit liegt regelhaft bei drei bis vier Tagen, kann allerdings auch zwischen zwei bis zehn Tagen variieren. Laut RKI sind Patienten sieben Tage vor Symptombeginn und bis 24 Stunden nach Beginn einer erfolgreichen antibiotischen Therapie mit Betalaktam-Antibiotika (Eradikation durch Drittgenerations-Cephalosporine wie Cefotaxim oder Ceftriaxon) ansteckend.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


1 Kommentar

MeningokokkenB

von Ralf am 03.08.2020 um 8:28 Uhr

Wir wollen unsere 3 Kinder, alle 3 über 10 Jahre, gegen die B-Variante impfen lassen. Unser Kinderarzt und weitere befragte Ärzte hatten uns das empfohlen. Leider zählt die BKK Novitas den teuren Impfstoff nicht, weil es vom RKI nicht empfohlen wird.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.