Ehtinylestradiol und Levonorgestrel

Könnten hormonelle Kontrazeptiva weltweit knapp werden?

Stuttgart - 16.06.2020, 17:49 Uhr

In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Meldungen, dass vor allem Frauen unter der Coronakrise leiden könnten. Könnte dabei auch der Zugang zu Hormonpräparaten eine Rolle spielen? Berichte aus Frankreich und Großbritannien zeigen jedenfalls, dass es an dieser Stelle schon vor der Pandemie Probleme gab. (x / Foto: PriscilaFerreira / stock.adobe.com)

In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Meldungen, dass vor allem Frauen unter der Coronakrise leiden könnten. Könnte dabei auch der Zugang zu Hormonpräparaten eine Rolle spielen? Berichte aus Frankreich und Großbritannien zeigen jedenfalls, dass es an dieser Stelle schon vor der Pandemie Probleme gab. (x / Foto: PriscilaFerreira / stock.adobe.com)


Lieferengpässe sind nicht erst seit der Coronakrise ein Problem. Doch im Rahmen der Pandemie wurde auch immer wieder davor gewarnt, dass Frauen der Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen erschwert werden könnte. Ende Mai hat zuletzt der französische Hohe Rat für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf das Thema aufmerksam gemacht – dieses Mal allerdings unabhängig von COVID-19. Ist die Versorgung von Frauen mit Hormonpräparaten weltweit gefährdet? 

Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) Anfang Mai berichtete, befürchtet die Menschenrechtskommissarin des Europarats, dass Frauen in manchen europäischen Staaten angesichts der Coronakrise der Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen erschwert wird. Hindernisse wie die hohen Kosten für Empfängnisverhütung seien in Zeiten wirtschaftlicher Einschränkungen nun noch schwerer für Frauen zu überwinden, betonte Dunja Mijatović damals in einer Mitteilung. Auch der Zugang zu Abtreibungen sei durch Ausgangs- und Reisebeschränkungen schwieriger geworden, kritisierte sie. Die Situation sei besonders besorgniserregend für Frauen und Mädchen, die in einem europäischen Staat lebten, in dem ein Schwangerschaftsabbruch illegal oder rechtlich eingeschränkt sei, so die Menschenrechtskommissarin. 

Bereits im April 2020 hatte auch das „Time Magazine“ berichtet, dass laut UN die Corona-Pandemie Engpässe bei Kontrazeptiva zur Folge habe und sich auf die reproduktive Gesundheit von Frauen auswirken werde. Neue Daten der UN-Agentur für sexuelle und reproduktive Gesundheit (UNFPA) sagten demnach damals voraus, dass mehr als 47 Millionen Frauen den Zugang zu Verhütungsmitteln verlieren könnten, was zu 7 Millionen ungeplanten Schwangerschaften führen könnte – wenn die Abriegelung sechs Monate lang andauert. Unterbrechungen in den globalen Lieferketten führen dem Bericht zufolge auch zu einem Mangel an Verhütungsmitteln, insbesondere in den Ländern mit den niedrigsten Einkommen. 

Solche Berichte klingen erstmal „weit weg“, doch könnten auch in Deutschland Engpässe bei Kontrazeptiva auftreten?

Lotta Hexal: Erhöhte Abverkäufe und Packmitteländerung

Eine Recherche nach hormonellen Kontrazeptiva in der Engpassliste des BfArM verrät lediglich, dass bis voraussichtlich Juli 2020 ein Engpass bei Lotta® Hexal® besteht, ein Kombinationspräparat aus Levonorgestrel und Ethinylestradiol. Als Grund werden „stark erhöhte Abverkäufe” angegeben. DAZ.online hakte bei Hexal Ende April – aufgrund der Berichte in den Medien – nach und erfuhr: „In der Tat konnten wir bei Lotta HEXAL erhöhte Abverkäufe feststellen. Allerdings wurde die Liefersituation zusätzlich noch durch eine notwendige Packmittel-Änderung beeinflusst. Insofern würden wir gern vermeiden, in diesem Zusammenhang über einen COVID-19-Zusammenhang zu spekulieren.“ Insgesamt rechnete man mit keiner Unterbrechung der Lieferkette für den Großteil des Hexal-Portfolios. Alles also halb so schlimm? Außerhalb Deutschlands scheint es mehr Probleme zu geben.

In Frankreich fehlen Pfizer-Kontrazeptiva seit sechs Monaten

Ende Mai hat nun der französische Hohe Rat für die Gleichstellung von Frauen und Männern (HCE) erneut auf das Thema aufmerksam gemacht – allerdings unabhängig von COVID-19. Am vergangenen Freitag berichtete das Nachrichtenportal Medscape darüber: „In einer Erklärung drückt der HCE seine Besorgnis über den Mangel an Medikamenten aus, die die Gesundheit von Frauen beeinflussen, insbesondere im Bereich der Empfängnisverhütung und Abtreibung“, heißt es dort. Konkret seien in Frankreich drei Verhütungsmittel nicht mehr auf dem Markt: Minidril®, Adépal® und Trinordiol® – und das sei seit mindestens sechs Monaten der Fall. Laut Lauer-Taxe werden alle drei von Pfizer vertrieben und enthalten die Wirkstoffe Ethinylestradiol und Levonorgestrel. 

Währenddessen geht es offenbar nicht nur um Verhütung. Auch Frauen in der Menopause können betroffen sein: Lokale Östrogene stünden schon ein Jahr lang nicht mehr zur Verfügung, und einige würden weiterhin nicht hergestellt. Was Arzneimittel angeht, die zum Schwangerschaftsabbruch eingesetzt werden, scheint die Lage in anderer Weise problematisch zu sein.

Mifepriston und Misoprostol: Ein gefährliches Monopol? 

Apotheker wissen, dass Misoprostol in Cytotec® erst vor Kurzem für Schlagzeilen sorgte. Dabei ging es aber um die Geburtseinleitung. Im Schreiben des HCE findet Misoprostol auch Erwähnung, allerdings geht es dort um den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch: Das Schicksal von Mifepriston und Misoprostol sei (historisch) eng mit den kommerziellen Strategien der Firmen verbunden, die sie vermarkten, sowie mit dem Einfluss von Bewegungen, die sich gegen den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch wenden – insbesondere in den USA. Tatsächlich würden beide Arzneimittel von einem einzigen Unternehmen hergestellt und vermarktet (Nordic Group), was laut HCE zu Risiken von Produktions- und Lieferunterbrechungen sowie Preisdruck führe. 

Der HCE betont insgesamt, wie wichtig es sei, dass sich der Staat in Sachen Lieferengpässe einmischt. Dass Lieferengpässe bei Kontrazeptiva für Frauen auch in Deutschland belastend sein können, zeigte zuletzt der Zoely®-Engpass im Mai 2019. 

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Im Februar 2019 berichtete DAZ.online außerdem über die Lage in den Niederlanden: Die niederländischen Apotheker sahen sich damals Kritik ausgesetzt, weil einige vermehrt Arzneimittel exportiert haben sollen, was Im Inland zu Versorgungsengpässen geführt habe – vor allem bei Verhütungsmitteln. Was ist also los im Kontrazeptiva-Markt? Sind Frankreich und die Niederlande Einzelfälle? Das Internet verrät, dass es auch in Australien und Neuseeland Medienberichte über Engpässe hormoneller Kontrazeptiva gibt. 

Besteht ein Estradiol-Mangel? 

In der internationalen Ausgabe von „The Guardian“ ist am 22. Mai 2020 gar von einem weltweiten Mangel an Hormonersatztherapien und Kontrazeptiva die Rede. Zum Hintergrund wird ein Estradiol-Engpass als wahrscheinlich angenommen, der im Artikel aber nicht belegt werden kann. Ein Blick nach Großbritannien verrät jedoch, dass auch dort bereits im Februar 2020 über Engpässe bei Estradiol-Präparaten berichtet wurde, die allerdings schon länger bestanden. Die geschilderten Gründe erscheinen jedoch auch dort vielfältig und insgesamt im Dunkeln zu liegen. 

Anfang Mai gab die BMS (British Menopause Society) Empfehlungen heraus, wie mit den Engpässen umzugehen sei. Dabei ging es vor allem um die Lieferengpässe in der Hormonersatztherapie. Die BBC berichtete im Februar 2020 ebenfalls über Engpässe bei hormonellen Kontrazeptiva. Und noch bevor sich in Frankreich der Hohe Rat für die Gleichstellung von Frauen und Männern (HCE) mittlerweile zu der Engpassproblematik geäußert hat, hatte man sich in Großbritannien schon im Februar mit einer offiziellen Stellungnahme des „Royal College of Obstetricians & Gynaecologists“ an die Politik gewandt. Haitham Hamoda, Vorsitzender der British Menopause Society, wird darin wie folgt zitiert:


Es ist sehr frustrierend, dass wir immer noch nicht wissen, warum diese Engpässe auftreten und warum sie anscheinend nur im Vereinigten Königreich auftreten. Obwohl wir wissen, dass das DHSC (Department of Health and Social Care) mit Lieferanten zusammenarbeitet, sind wir nach wie vor besorgt über diese Engpässe, die dringend behoben werden müssen.“

Haitham Hamoda, Vorsitzender der British Menopause Society (BMS)


Anders als von Hamoda angenommen, ist Großbritannien mit der Lieferproblematik offenbar nicht allein und vielleicht lohnt es sich, die Lieferfähigkeit weiblicher Hormonpräparate auch hierzulande im Blick zu behalten. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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