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Neues Gutachten zu Lieferengpässen
GKV-Spitzenverband fordert Meldepflicht auch für Apotheken
Im Endspurt um das erste gesetzliche Maßnahmenpaket gegen Arzneimittel-Lieferengpässe heizt der GKV-Spitzenverband nochmals die Diskussion an. Er hat jetzt ein Gutachten vorgelegt, das die Kassen in ihrer Auffassung bestätigt, dass zwischen Engpässen und Rabattverträgen kein Zusammenhang besteht. Ein zentrales Instrument, um die Probleme besser managen zu können, sei vielmehr ein umfassendes Melderegister, das auch Apotheken bestücken. Zudem könnten Exportverbote und – sehr eingeschränkt – Reserven ein Weg sein.
Am kommenden Donnerstag wird der Bundestag abschließend über das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) beraten. Zu diesem Gesetzesvorhaben gehört bereits seit einiger Zeit ein Änderungsantrag, der sich mit verschiedenen Maßnahmen gegen Arzneimittel-Lieferengpässe befasst. Es geht vor allem darum, mit neuen Meldepflichten mehr Transparenz zu schaffen. Zudem soll das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Befugnis erhalten, gegenüber Herstellern und Großhändlern Maßnahmen anordnen zu können. Nicht zuletzt, soll Apotheken der Austausch erleichtert werden, wenn ein Rabatt-Arzneimittel nicht lieferbar ist. Die Rabattverträge an sich sollen allerdings nicht angetastet werden – auch wenn das einige Player in der Arzneimittelversorgung gefordert hatten.
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Noch ist der Änderungsantrag nicht in trockenen Tüchern. Am kommenden Mittwoch wird der Gesundheitsausschuss des Bundestages seine Beschlussempfehlung für den Bundestag abgeben. Es ist also noch möglich, dass an der einen oder anderen Stelle nachjustiert wird. Und so ist es kein Wunder, dass der GKV-Spitzenverband am heutigen Montag mit einem frischen Gutachten aufwartet, das ihn in vielen seiner bereits aufgestellten Forderungen bestätigt. In Auftrag gegeben hat es der Verband beim Institut der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Hier hat man sieben Wirkstoffe und ihre Liefersituation in vier wirtschaftsstarken Ländern mit unterschiedlich organisierten Gesundheitssystemen (Finnland, Italien, Niederlande und Schweden) unter die Lupe genommen. Dazu haben die Studienautoren Literatur ausgewertet, Melderegister geprüft und „semistrukturierte“ Interviews mit Behördenvertretern und Apothekern geführt. Sie wollten herausfinden: Welchen Umfang und welche Ursachen haben die Engpässe? Und welche Maßnahmen werden dagegen ergriffen? Vor allem aber: Was lässt sich daraus für Deutschland ableiten?
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Um folgende Wirkstoffe ging es: Ranitidin, Lamotrigin, Hydromorphon, Pramipexol, Gabapentin, Fentanyl und Solifenacin. Zum Zeitpunkt der Erhebung (Januar 2020) gab es in Deutschland bei fünf dieser Wirkstoffe Lieferengpässe. Jeweils vier waren in Finnland, den Niederlanden und Schweden betroffen, in Italien waren es ebenfalls fünf (bzw. sechs unter Berücksichtigung eines angekündigten Engpasses). Allerdings waren nicht immer alle Produkte mit dem besagten Wirkstoff betroffen.
Ursachen der Engpässe, Gegenmaßnahmen und Schlussfolgerungen
Laut Gutachten waren der Hauptgrund für die Engpässe in den untersuchten Ländern Probleme im Zusammenhang mit der Produktion, inklusive Qualitätsmängel. Darüber hinaus wurde der Parallelexport von Arzneimitteln in höherpreisige Länder verantwortlich gemacht. Ein Zusammenhang zwischen Lieferengpässen und Rabattverträgen in Deutschland bzw. vergleichbaren Instrumentarien in anderen Ländern, die auf Ausschreibungen im niedergelassenen patentfreien Sektor beruhen (etwa der Präferenzpreispolitik in den Niederlanden und dem „Produkt des Monats“ in Schweden), sei hingegen nicht festzustellen gewesen.
Welche Maßnahmen wurden ergriffen?
In allen vier untersuchten Ländern gibt es ein Melderegister und die Pflicht, drohende und bestehende Engpässe zu melden. Dabei sei es allerdings eine Herausforderung, diese Pflicht umzusetzen, heißt es im Gutachten. In Italien und den Niederlanden gibt es Sanktionen, wenn der Meldepflicht nicht nachgekommen wird, in Finnland diskutiert man dies jedenfalls.
Weitere regulatorische Maßnahmen sind Sondergenehmigungen bei der Einfuhr und Ausnahmen hinsichtlich der Sprache der Gebrauchsinformation – entsprechendes ist auch für Deutschland geplant. In Finnland gibt es zudem Reserven für ausgewählte Medikamente, in den Niederlanden sollen diese ab 2020 aufgebaut werden. Die Möglichkeit des Verbots von Parallelexporten betroffener Medikamente wird derzeit in den Niederlanden und Schweden diskutiert. In Finnland besteht bereits ein solches Verbot für gelagerte Arzneimittelreserven, in Italien kann es seit 2019 für wenige ausgewählte Medikamente, deren Nichtverfügbarkeit zu einem Versorgungsengpass führen kann, ausgesprochen werden. Länder mit Rabattverträgen für Generika (Niederlande, Schweden) sehen Sanktionen im Falle der Nichtlieferung von Arzneimitteln vor.
Letztlich, so die Studie, werde in allen untersuchten Ländern zweigleisig vorgegangen: Zum einen mit Sanktionen, zum anderen über einen Dialog mit den Akteuren, insbesondere der Industrie, dem Großhandel und den Apotheken. Der Informationsaustausch diene dazu, besser gerüstet zu sein, um auf Lieferengpässe zu reagieren, Vorschläge für die Zukunft zu erarbeiten und gemeinsame Projekte zu initiieren, heißt es.
Was sind die Schlussfolgerungen für Deutschland?
Was kann Deutschland nun aus diesen Feststellungen mitnehmen? Vor allem, dass Melderegister ein zentrales Instrument zu mehr Transparenz und damit einem besseren Management von Engpässen sind. Die Gutachter geben allerdings zu bedenken, dass solche Register trotz einer Meldepflicht unvollständig sein könnten – insbesondere fehlten die Informationen von Apotheken, gegebenenfalls auch des Großhandels. „Die Etablierung der Meldepflicht bei Lieferengpässen in Deutschland würde eine Gelegenheit bieten, weitere unterstützende Maßnahmen gleich mit einzuführen“, so das Gutachten.
Empfohlen wird zudem, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um im Bedarfsfall Exportverbote für von Engpässen bedrohte Arzneimittel verhängen zu können. Was Reserven betrifft, raten die Studienautoren, diese wegen der damit verbundenen Kosten bei nur wenigen ausgewählten Arzneimitteln zu schaffen. Rabattverträge für Generika halten sie hingegen für eine Chance, wenn sie so ausgestaltet sind, dass sie die Verpflichtung zur Lieferfähigkeit der Anbieter umfassen und Sanktionen vorsehen. Hier könnten auch über das nationale Melderegister hinausgehende Informationspflichten etabliert werden, etwa die Meldung von Engpässen gegenüber den Kassen.
Nicht zuletzt lautet der Rat, Erfahrungen mit nationalen Maßnahmen international zu diskutieren. Länderübergreifend, insbesondere auf EU-Ebene, sollten zudem gemeinsame Anstrengungen unternommen werden, die zum Beispiel den Parallelhandel oder die Frage der Vergleichbarkeit der Inhalte der Melderegister betreffen.
GKV-Spitzenverband sieht sich bestärkt – BPI hält dagegen
„Das Gutachten bestätigt unsere Forderung, Lieferengpässe bei Arzneimitteln verpflichtend zu melden – und zwar nicht nur von den Herstellern, sondern auch von Großhändlern und Apotheken“, freut sich Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. Bestärkt sieht sie ihren Verband auch durch die Sicht der Gutachter auf Rabattverträge. „Richtigerweise hat die Politik bei ihnen bisher keine Änderungen vorgenommen. Denn auch Rabattverträge helfen, damit sich Patientinnen und Patienten auf eine gute Versorgung mit Arzneimitteln verlassen können.“ Die Große Koalition ist aus ihrer Sicht auf einem guten Weg: „Die Politik hat bereits erkannt, dass die Kombination aus verpflichtender Meldung und Sanktion richtig und zielführend ist, wie die geplanten Änderungen am GKV-FKG zeigen.“ Durch die Ratspräsidentschaft in der EU bekomme Deutschland in der zweiten Jahreshälfte zudem die Chance, das Thema auf die Agenda zu setzen.
BPI: Anbietervielfalt stärken, Produktion in Europa stärken
Auf großes Unverständnis trifft das GKV-Gutachten dagegen in der pharmazeutischen Industrie. Die Aussage, Lieferengpässe ließen sich nicht Rabattverträgen anlasten, gehe „an der Realität vorbei“, sagte Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI). „Vielleicht liegt es daran, dass in dem als Quelle zitierten Gutachten aus Österreich nur sieben Wirkstoffe in unterschiedlichen Ländern untersucht wurden. Betrachtet man das Problem tiefgehender und mit dem Fokus auf Deutschland, dann wird das Gegenteil deutlich: Nach der Scharfschaltung der Arzneimittel-Rabattverträge im Jahr 2007 ist im rabattvertragsgeregelten Markt eine Marktkonzentration eingetreten, die die Arzneimittelversorgung massiv beeinträchtigt“. Das, so Joachimsen, habe bereits im März 2019 ein vom BPI vorgelegtes Rechtsgutachten gezeigt.
Verantwortlich dafür seien politisch hausgemachte Rahmenbedingungen: Immer weniger Anbieter müssten auf noch weniger Wirkstoffhersteller zurückgreifen, weil die großen Kassen durch ihre Marktmacht den Preis beeinflussten. Der ohnehin starke globale Kostendruck durch regulatorische Auflagen sowie gestiegene Rohstoff-, Energie- und Personalkosten werde durch „ausufernde und zunehmend exklusive Rabattverträge“ noch zusätzlich verstärkt. „Im Ergebnis sinkt die Vielfalt und Zahl der Hersteller, welche im Falle von Lieferengpässen die fehlenden Kapazitäten ausgleichen könnten. Dies ist objektiv messbar und auch marktwirtschaftlich logisch“, so Joachimsen. Er ist überzeugt, dass über kurz oder lang auch die Rabattverträge umgestaltet werden müssen. Verschärfte Melde- oder Lagerpflichten seien „gut gemeint, verhindern aber leider keinen Lieferengpass“. Nachhaltiger sei es, die Anbietervielfalt zu stärken und Produktion in Europa zu fördern.
13 Kommentare
Rabattverträge und Versorgungssicherheit
von Rita Längert am 11.02.2020 um 11:26 Uhr
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gutachten und melderegister
von pille62 am 11.02.2020 um 10:33 Uhr
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Oh Kanada!
von Stefan Haydn am 11.02.2020 um 9:21 Uhr
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Fehlinformationen
von Thomas Kerlag am 11.02.2020 um 7:11 Uhr
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AW: Fehlinformationen
von Karl Friedrich Müller am 11.02.2020 um 8:40 Uhr
Ich hatte einen (Alp)-Traum ... Wuhan zu Besuch im Berliner Regierungsviertel?
von Christian Timme am 11.02.2020 um 6:39 Uhr
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Wir melden sowas. Schon lange!
von Andreas P. Schenkel am 10.02.2020 um 21:24 Uhr
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Meldepflicht
von Dr. Alfred Stuhler am 10.02.2020 um 18:46 Uhr
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Noch mehr unbezahlte Verpflichtungen?
von Heiko Barz am 10.02.2020 um 18:43 Uhr
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Und wieder mal nichts kapiert !
von ratatosk am 10.02.2020 um 18:32 Uhr
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Apotheken
von Karl Friedrich Müller am 10.02.2020 um 16:11 Uhr
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AW: Apotheken
von Roland Mückschel am 10.02.2020 um 17:34 Uhr
AW: Apotheken
von Karl Friedrich Müller am 10.02.2020 um 18:36 Uhr
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